von Carolin Grub.
aus dem Archiv: Heft Nr. 126
Liebe Leserinnen, fast genau vor einem Jahr fand die von vielen Studierenden geliebte „24h- Vorlesung statt“ – damals noch wie gewohnt im Audimax der Uni. Doch dieses Jahr wird der ursprüngliche Veranstaltungsort dieser Veranstaltung etwas verändert: aus dem Audimax wird das Internet. Aber was bleibt, sind interessante Vorträge und Lesungen von einflussreichen Persönlichkeiten. Markiert euch also schon mal den 29. und 30. Mai. Ob dieses Jahr wieder eine Poltiker*in, wie es letztes Jahr Gregor Gysi war, das Rednerpult betritt, werdet ihr in den kommenden Tagen beim Instagram Account des AStA´s erfahren. Als kleiner Vorgeschmack gibt es hier nochmal die Eindrücke des Vortrages von Herrn Gysi:
Ein Mann mit Witz und Charme und vor allem einem: einer klaren Meinung. So präsentierte sich Gregor Gysi am 17. Mai 2019 im Rahmen der 24-Stunden-Vorlesung dem zahlreich erschienenen Publikum im Audimax. Bei einem kühlen Bier und ein paar Snacks folgten die Zuhörer gespannt der Rede des beliebten deutschen Politikers, der gleich zu Beginn mit Bescheidenheit überzeugte und nur ein Becher Leitungswasser bestellte. Schließlich hatte er den Anspruch, 90 Minuten lang bei klarer Stimme zu bleiben. In dieser Zeit stellte er besonders den Aspekt des Zufalls in den Mittelpunkt und zeigte anhand seiner eigenen politischen Kariere, die er zwei Schauspielerinnen zu verdanken hatte, wie Zufälle das Leben deutlich verändern können. Aus einer geplanten Podiumsdiskussion, zu der er eingeladen wurde, stand Gysi am Ende allein auf der Bühne des Deutschen Theaters und musste nun eine Rede zur Frage des polizeilichen Aufgabenbereichs im Bezug auf illegale Demonstrationen halten. Durch den mangelnden Datenschutz in der DDR wurde alles mitgeschnitten und im Kabarett vorgespielt. Durch Zufall bekam Gregor Gysi dies mit und stellte die Frage in den Raum, was wäre, wenn wir einfach eine Demo legal beantragen würden, dann würde keiner sich aufregen. Als diese dann genehmigt wurde, musste Gysi als Initiator dieser Kundgebung vor 500 Teilnehmern seine erste öffentliche Rede halten und seine politische Kariere war damit geboren. Auch den Mauerfall stellte er als einen Zufall, gebündelt aus vielen Missverständnissen, vor. Nach Gysis Aussage sei demnach das Unwissen Günter Schabowskis über den Unterschied zwischen Ausreise und ständiger Ausreise das Glück vieler DDR- Bürger. Neben den wichtigen politischen Themen der Vergangenheit stand aber insbesondere die Situation Europas und der Aufruf zur Europawahl im Zentrum seiner Rede. Gysi stellte beispielhaft dar, dass sich die Europäische Union in einer tiefen Krise befinde und demnach gelte es, die europäische Integration zu retten und sie voranzutreiben. Geschehe dies nicht, mahnte Gysi, zerfalle Europa wieder in einzelne Nationalstaaten und es drohe Krieg. Dabei solle vor allem an die Jugend gedacht werden, die so europäisch eingestellt ist und durch Auslandssemester oder Schüleraustausche etc. zeigt, wie sehr sie die offenen Grenzen schätze. „Und genau dies muss bewahrt werden, auch ohne eine europäische Armee!“, betonte Gysi. Der darauf langanhaltende Applaus zeigte, dass er mit dieser Ansicht den Nerv vieler Studierenden getroffen hatte. Auch wenn er darauf die Lösungsmöglichkeiten seiner zugehörigen Partei Die Linke vorstellte, wirkte dieser Themenschwerpunkt in keinster Weise wie eine Wahlkampfrede, sondern viel mehr wie eine Art Wachrütteln für viele, die die Situation der Europäischen Union als noch nicht kritisch eingestuft haben. Weiterhin appellierte Gysi in seiner Rede für mehr Solidarität: „Es ist unsere Pflicht, Menschen in Seenot zu retten. Es ist eine Frechheit, dass diejenigen Strafen bekommen, die dies tun. Schließlich gibt es kein Strafgesetzbuch, in dem steht, dass, wer einen Menschen rettet, so und so bestraft wird!“Am Ende betonte Gysi, wie sehr ihm die Fridays-for-Future-Demonstrationen gefallen würden. Er selbst, so sagte er, würde das Klima noch gut überleben, aber die Jugendlichen eventuell nicht. Deswegen ist es auch ihr gutes Recht, für eine Verbesserung des Klimaschutzes zu demonstrieren und ihre Zukunft damit zu sichern. Mit den Worten „Die Alten spinnen doch!“ und dem Aufruf für ein solidarisches Europa, beendete Gysi seine Rede. Doch wer wäre Gysi ohne eine letzte Pointe aus seinem Leben? So unterbrach er prompt den AStA-Referenten Philipp Leist bei seiner Abmoderation und erzählte noch schnell von seinem Besuch beim Papst, den er im Übrigen „schwer in Ordnung“ finde, bevor er das Audimax verließ. Seine Verabschiedung „Bis zum nächsten Mal!“ lässt aber darauf hoffen, dass dieser begnadete Redner vielleicht schon bald wieder in Rostock anzutreffen ist.