Geimpfte vs. Ungeimpfte – Der Beginn einer Zweiklassengesellschaft?

Geimpfte vs. Ungeimpfte

Von Sandeep Preinfalk // Illustration von Rosa Staiger

In den letzten Monaten hat die Politik immer schärfere Maßnahmen für Ungeimpfte beschlossen. Gleichzeitig nahm das Verständnis für eine Impfverweigerung in breiten Teilen der Bevölkerung ab, sodass Ungeimpfte verstärkt in Erklärungsnot geraten sind. Folglich werden Ungeimpfte einem Druck ausgesetzt, der sie zunehmend belastet und als Menschen zweiter Klasse abfertigt. Ist das der richtige Umgang?

Corona begleitet uns schon seit über eineinhalb Jahren. Lange Zeit standen uns nur Schutzmaßnahmen wie die Kontaktbeschränkungen oder Hygienevorschriften als effizientes Mittel zur Eindämmung der Pandemie zur Verfügung. Mit der Freigabe verlässlicher Impfstoffe wurde dann ein weiteres wirksames Instrument zur Bekämpfung der Pandemie geschaffen. Allerdings entbrannte damit auch eine Debatte über die unterschiedliche Behandlung von Geimpften und Ungeimpften. Diese war anfangs von dem Umstand geprägt, dass eine unzureichende Menge an Impfstoff vorhanden war und demzufolge eine Priorisierung erfolgen musste, die den meisten den Zugang zur Impfung deutlich erschwerte. Aus diesem Grund sprachen sich auch viele Politiker gegen „Sonderrechte“ für Geimpfte aus, denn sie sahen in der Ungleichbehandlung eine illegitime Benachteiligung der Betroffenen.

Inzwischen hat sich das Blatt aber gewendet. Die Knappheit an Impfstoff ist nicht mehr gegeben, wodurch jede:r Impfberechtigte:r mittlerweile ein Impfangebot erhalten hat. Dementsprechend ist aus Sicht der Politik jede:r für seinen Impfstatus und die daraus resultierenden Folgen selbst verantwortlich. Dieser Logik verleihen Politiker:innen mit diversen Maßnahmen Ausdruck. So ziehen es immer mehr Bundesländer in Erwägung, die 2G-Regel einzuführen, mit welcher die gesellschaftliche Teilhabe Ungeimpfter massiv beeinträchtigt wird. Zudem müssen ab dieser Woche die Kosten für Coronatests eigenständig getragen werden, was auch in Ländern mit der 3G-Regel für viele Ungeimpfte nichts anderes als einen Ausschluss aus dem gesellschaftlichen Leben bedeutet. Überdies sollen bundesweit die Lohnfortzahlungen für Ungeimpfte, die aufgrund eines Infektionsverdachts in Quarantäne verbleiben müssen, eingestellt werden.

Die Politik vertritt also einen eindeutigen Standpunkt: Wer sich trotz einer Empfehlung nicht impfen lässt, muss Grundrechtseingriffe in Kauf nehmen und kann keine staatliche Unterstützung erwarten. Eine Haltung, die sich vermutlich auch in der Gesellschaft ausbreiten wird. Für die Mehrheit scheint die richtige Verfahrensweise für Ungeimpfte also besiegelt zu sein. Jedoch ist die Diskriminierung Ungeimpfter keineswegs so selbstverständlich wie angenommen. Die ersten Bedenken treten schon bei der Verfassungsmäßigkeit der Grundrechtseingriffe auf. Grundrechte können eingeschränkt werden, sofern ein schwerwiegender Grund vorliegt. Der der Rechtfertigung zugrundeliegende Prüfungsmaßstab hängt vom Ausmaß des Freiheitseingriffs ab und setzt Verhältnismäßigkeit voraus. Die Unterbindung der Ausbreitung eines Krankheitserregers stellt prinzipiell einen hinreichenden Rechtfertigungsgrund für Grundrechtseingriffe dar, weshalb insbesondere gegenüber Ungeimpften derartige Einschränkungen in Betracht kommen. Allerdings dürfen dafür einzig und allein das Infektionsgeschehen und die Ansteckungsgefahr ausschlaggebend sein. Infolgedessen scheinen eine Testpflicht infolge steigender Inzidenzzahlen und eine 3G-Regel zum Schutz der Bevölkerung geeignete Maßnahmen abzubilden. Diese Geeignetheit trifft aber nicht unbedingt auf die 2G-Regel zu. Sie kann nämlich ausschließlich mit dem Infektionsschutzgesetz gerechtfertigt werden und muss sich folglich an der Impfquote und dem Infektionsrisiko orientieren. Das heißt, nur wenn beunruhigende Entwicklungen oder neue Erkenntnisse staatliches Handeln erfordern, dürfen entsprechende Maßnahmen ergriffen werden. Mehrere Bundesländer erwecken aber den Eindruck, dass ihre 2G-Regel eine gewollte Diskriminierung verkörpern und demnach Ungeimpfte zum Umdenken bewegen soll. Die verfassungsrechtliche Verträglichkeit spielt dabei wohl lediglich eine untergeordnete Rolle.

Als ähnlich problematisch stellen sich kostenpflichtige Coronatests heraus. Politiker:innen wie Jens Spahn argumentieren, dass jeder Ungeimpfte seinen Impfstatus freiwillig akzeptiert und eine Impfung jederzeit nachholen kann. Außerdem dürfe man dem Steuerzahlenden keine Last auferlegen, die nur wegen unwilligen Impfverweigern zustande käme. Bei seiner Argumentation blendet Spahn aber einige Punkte aus. Erstens beraubt die Abschaffung kostenloser Coronatests viele Ungeimpfte der Möglichkeit, sich regelmäßig oder bei Symptomen Gewissheit über den eigenen Gesundheitsstatus zu verschaffen. Der dadurch verursachte Rückgang von Coronatests könnte das Infektionsgeschehen antreiben. Zweitens besteht die Gefahr, dass Ungeimpfte aufgrund des zunehmenden Drucks der Reaktanz verfallen, also aus Prinzip oder Emotionalität Widerstand gegen die Impfung leisten, ohne auf diese überhaupt inhaltlich einzugehen. Drittens führen kostenpflichtige Coronatests zu einer Begünstigung wohlhabender Menschen, da sich diese auch ohne Impfung die Tests finanzieren können, während einkommensschwache Ungeimpfte das Nachsehen haben. Darüber hinaus ist Spahns normatives Argument bezüglich der Steuerlast nicht stichhaltig. Wir leben in einer Gesellschaft, in der Solidarität und soziale Gerechtigkeit einen hohen Stellenwert einnehmen. So tragen wir alle gemeinsam die Kosten für Menschen, die in Not geraten sind oder ein unvernünftiges Verhalten aufweisen. Deshalb hat auch jeder Mensch einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II oder vergleichbare Hilfsleistungen, sofern er oder sie hilfsbedürftig ist. Der Staat berücksichtig aber bei der finanziellen Unterstützung weder das Eigenverschulden des Betroffenen noch die Beweggründe für die Situation. Dasselbe gilt für die Krankenkassen. Raucher, Alkoholiker oder dergleichen verwirken nicht ihren Anspruch auf eine medizinische Versorgung, nur weil sie ihre Erkrankung hätten verhindern können. In den genannten Fällen wird der Steuerzahler auch nicht von seiner Fürsorgepflicht befreit. Aus welchen Gründen soll nun das Solidaritätsprinzip bei Ungeimpften außer Kraft gesetzt werden? Dieselbe Frage kann man auch angesichts des Endes der Lohnfortzahlungen stellen. Denn auch hier wollen die Länder zukünftig soziale Hilfe verweigern.

In Anbetracht der Unschlüssigkeit und Fragwürdigkeit der verschärften Maßnahmen für Ungeimpfte liegt es auf der Hand, dass sie in erster Linie dem Zweck dienen, Ungeimpfte zur Impfung zu drängen. Leider trägt die Gesellschaft vermehrt zu dieser Entwicklung bei, indem sie die moralische Integrität Ungeimpfter infrage stellt oder ihnen mit sozialer Ächtung begegnet. Die Politik und Gesellschaft mögen dabei ein gutes Ziel verfolgen, nämlich die Impfquote zu erhöhen und die Handlungsfähigkeit staatlicher Einrichtungen sowie die Gesundheit der Bevölkerung zu gewährleisen. Jedoch wenden sie dabei bedenkliche Methoden an, die Ungeimpfte wie Menschen zweiter Klasse behandeln. Es handelt sich aber lediglich um Personen, die aus unterschiedlichsten Gründen der Impfung nicht vertrauen. Einige von ihnen verfügen wahrscheinlich einfach nicht über den notwendigen Zugang zu Bildung oder erfuhren zu wenig Aufklärung. Es sind also teilweise Menschen, die ohnehin schon mit Sorgen zu ringen haben. Sie zusätzlich die volle Härte des Gesetzes spüren zu lassen, erweist sich als eher schwieriger Ansatz. Aber auch die Ungeimpften, die sich ausschließlich auf die Unversehrtheit ihres Körpers berufen und keinen plausiblen Grund für ihre Entscheidung nennen können, sind letztlich keine Verbrecher. Sie haben nur ihr Recht beansprucht. Welchen Wert hat dieses Recht noch, wenn es ständig von Politik und Gesellschaft angezweifelt wird?

Quellen:

tagesschau: Ärzte warnen vor weiteren Infektionen (https://www.tagesschau.de/inland/ende-kostenloser-tests-101.html [11.10.21]).

Deutscher Bundestag (wissenschaftliche Dienste): Fragen zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Ungleichbehandlungen von geimpften gegenüber ungeimpften Personen (https://www.bundestag.de/resource/blob/817546/f6116e700eff33433cb8123198852d11/WD-3-001-21-pdf-data.pdf [11.10.21]).

tagesschau: Das sollten Arbeitnehmer in Quarantäne wissen (https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/faq-verdienst-ausfall-arbeitnehmer-quarantaene-101.html [11.10.21]).

RND: 2G oder 3G: Diese Regeln gelten in den einzelnen Bundesländern (https://www.rnd.de/politik/wo-gilt-die-2g-oder-3g-regel-alle-bundeslaender-im-ueberblick-MGCH3XW77FGNTGOCTWBA5LZNJE.html [11.10.21]).

Grüneberg, Anne (RND): Ende der kostenlosen Bürgertests: Wie teuer wird es jetzt? (https://www.rnd.de/wirtschaft/wie-viel-kostet-ein-corona-test-ab-montag-11-oktober-B5XE7PR5ZZC7NHLAD2DTONW3AE.html [11.10.21]).

tagesschau: Lambrecht gegen Benachteiligung Ungeimpfter (https://www.tagesschau.de/inland/lambrecht-corona-101.html [11.10.21]).

Heinze, Saskia: „Zwei von drei Ungeimpften fühlen sich durch Politik und Gesellschaft unter Druck gesetzt“ (https://www.rnd.de/gesundheit/corona-druck-auf-ungeimpfte-verstaerkt-laut-umfrage-ablehnung-Q6QJRXHKGVAH7ASX7YUIYU6PQI.html [11.10.21]).

One Comment on “Geimpfte vs. Ungeimpfte – Der Beginn einer Zweiklassengesellschaft?”

  1. Ich finde der Vergleich mit ALG2 Empfängern und Alkoholikern hinkt. Ja unsere solidarische Gesellschaft kompensiert beseits die individuelle Freiheit seinen eigenen Körper zu schädigen, ebenso viele Notlagen wie z.b. längerfristige Arbeitslosigkeit und Krankheit. Was hier vergessen wird ist die Verhältnismäßigkeit. Auch Solidarität hat ihre Grenzen und ist keine Einbahnstraße. Es gibt nicht umsonst festgelegte ALG2-Bedarfssätze, die Gemeinschaft hilft aber nicht grenzenlos und ist nicht verpflichtet das Luxusleben anderer zu finazieren. So bekommen u.a. Alkoholiker schwieriger bis garnicht eine neue Leber usw. Ich denke in diesem Artikel kommt die Eigenverantwortung zu kurz. Auch das jeder die Konsequenzen für sein Verhalten bzw. Entscheidungen selbst tragen muss. Geimpfte ebenso wie freiwillig Ungeimpfte. Das kann oft unbequem sein und manchmal führt es auch dazu das man sich selbst ausschließt. Dies ist jedoch in vielen Lebensbereichen und Situationen der Fall. Wer kein Auto oder Fahrrad hat muss den ÖNV nutzen oder zu Fuß gehen. Veganer besuchen vllt. kein Steakhouse mit ihren Freunden. Auch vor Corona ist nicht jeder in den Club gekommen oder konnte aus finanziellen oder persönlichen Gründen überhaupt den Versuch unternehmen reinzukommen.

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