Von Merrit Tok // Illustration von Rosa Staiger
2016 – das Referendum zum Brexit in Großbritannien: In Umfragen war die Mehrheit der Bevölkerung angeblich für den Verbleib in der EU. Es kam jedoch anders, genauso wie bei der US-amerikanischen Präsidentenwahl, bei der Donald Trump gewann, obwohl Hillary Clinton in den Umfragen klar vorne lag.
Auch für die Bundestagswahl 2021 und die Landtagswahlen diesen Jahres gab es wieder zahlreiche Umfragen und Prognosen darüber, welche Parteien als Gewinner und welche als Verlierer hervorgehen würden. All diese Umfragen werden von Meinungsforschungsinstituten durchgeführt und von der Presse veröffentlicht.
Doch was bedeutet Meinungsforschung überhaupt? Meinungsforschung oder auch Demoskopie kommt vom griechischen Wort dẽmos, was ‚Volk‘ bedeutet und skopeĩn, was so viel wie ‚spähen‘ oder ‚betrachten‘ bedeutet.[1] Meinungsforschung hat sich zum Ziel gesetzt, die öffentliche Meinung oder die Meinung einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe zu ermitteln.
Bei sozialwissenschaftlicher Forschung im Allgemeinen gibt es in der Regel einiges zu beachten. Vielen von euch werden die drei Hauptgütekriterien Objektivität, Reliabilität und Validität etwas sagen: Die Kernaussage ist, dass eine sozialwissenschaftliche Datenerhebung maximal objektiv und möglichst replizierbar sein soll. Zusätzlich ist es auch wichtig, dass sie das misst, was gemessen werden soll und deswegen möglichst glaubwürdig ist. Auch Meinungsforschungsinstitute wie Allensbach, insa, forsa oder infratest dimap müssen sich eigentlich an solche Standards halten.
Es können viele Probleme bei der Datenerhebung selbst auftreten, die hier nicht näher beleuchtet werden sollen. Bei der Meinungsforschung (aber auch in allen anderen sozialwissenschaftlichen Umfragen) sind vor allem die Menge der Befragten, die Auswahl der Befragten, das Medium, über das die Befragung stattfindet und die Fragestellungen an sich zu beachten. Wenn Medien Umfragen von Meinungsforschungsinstituten nutzen, werden diese wichtigen Dinge oft nicht bekannt gemacht.[2] Wenn eine Umfrage beispielsweise mithilfe einer zufälligen Stichprobe aus deutschen Festnetznummern erhoben wird, werden Menschen ohne Festnetzanschluss wie z.B. junge Erwachsene, systematisch ausgeschlossen. Dies führt dann zu Verzerrungen in den Ergebnissen.
Jedoch bildet Meinungsforschung auch ein empirisches Mittel, um die Stimme der Bevölkerung abzubilden, Sachverhalte abzufragen und diese dann eventuell mit in die demokratische Entscheidungsfindung miteinzubeziehen.
Bekannte Probleme der Meinungsforschung sind, dass oft komplexe Sachverhalte zu vereinfacht dargestellt werden bzw. gibt es auf schwierige Fragen oft keine klaren Ja-Nein-Antworten. (,,Sind Sie für oder gegen schwere Waffenlieferungen in die Ukraine?”)
Manchmal kommt es vor, dass suggestive Fragestellungen genutzt werden, was in der wissenschaftlichen Forschung nicht üblich ist und keine objektive Erhebung ermöglicht.[3]
Insa, forsa, Allensbach und Co. sind Teil der freien Marktwirtschaft, sie müssen also theoretisch keine unabhängigen Umfragen veröffentlichen und sind Teil vom Konkurrenzkampf zwischen den verschiedenen Instituten. Das Meinungsforschungsinstitut insa macht bspw. für die BILD Umfragen und der insa-Chef Hermann Binkert hat Beziehungen zur AfD, laut eigener Aussage rein geschäftliche Beziehungen.[4]
Und der vielleicht schwerwiegendste Vorwurf gegen die Meinungsforschung: Meinungsforschung messe gar keine Meinung oder Überzeugung, sondern lediglich eine Laune bzw. eine Stimmung.[5]
Abschließend ist festzuhalten, dass es wichtig ist, kenntlich zu machen, wie die Umfragewerte entstehen und nicht, dass sie unter dem Vorwand der Wissenschaft in nicht-repräsentativen Umfragen veröffentlicht werden. Sie sind auch nicht die einzige Möglichkeit, die Stimmung oder Meinung der Bevölkerung zu messen. Differenzierte, ausführlichere Volksbefragungen und Wahlen sind auch demokratische Mittel, um ein Bild aus der Bevölkerung einzuholen.
Um Umfragen nicht ganz abzuschreiben, müssen die Zahlen immer eingeordnet, die Umfragen von verschiedenen Meinungsforschungsinstituten verglichen und keine Schlagzeilen aus den Werten gemacht werden. Denn (Wahl-)Umfragen sind keine Prognosen, sondern reine Momentaufnahmen.[6]
Die Bürger:innen, die Politik und die Wissenschaft sollten sich also nicht allein an Meinungsumfragen orientieren, allerdings können sie als Mittel zur Entscheidungsfindung helfen, wenn sie unabhängig erhoben und differenziert eingeordnet werden.
Quellen:
[1] Duden: Demoskopie [26.05.22]
[2] Die Unheimliche Macht der Meinungsforscher [27.05.22]
[3] Forsa macht mit dubioser Umfrage Stimmung gegen „Linkskurs“ der SPD [27.05.22]
[4] Der Zahlenmacher [27.05.22]
[5] SCHOCK: Das denkt Deutschland über Meinungsforschung | ZDF Magazin Royale [25.05.22]
[6] Wie Umfragen den Wahlkampf beeinflussen [27.05.22]