Von David Wolf // Illustration von Josephin Bauer
Gleichberechtigung ist in unserer Gesellschaft bis heute noch immer ein Wunschgedanke. Das muss leider so gesagt werden. Unbezahlte Care-Arbeit, Gender Pay Gap, sexualisierte Gewalt und die Rechte von Transmenschen sind nur wenige Themen, die in unserer heutigen Gesellschaft leidenschaftlich debattiert werden. Um für diese und viele weitere Gründe zu demonstrieren, hat das Bündnis 8M am 7. März auf die Straßen gerufen.
Das Bündnis 8M setzt sich zusammen aus migrantischen und feministischen Gruppen, die den 8. März zum internationalen feministischen Kampftag bestimmt haben.
Diesem Aufruf sind etwa 550 Demonstrierende gefolgt, die sich um 17:30 Uhr an der Nordseite des Hauptbahnhofs zusammenfinden. Die Redebeiträge beginnen mit einem klaren Ausruf: „Jeder Tag ist ein feministischer Kampftag“. Die Bezeichnung Frauentag wurde dabei bewusst umgangen, denn sie würde nicht betonen, welche politischen und gesellschaftlichen Forderungen an diesem Tag im Vordergrund stehen.
Der Hauptbahnhof ist an diesem Tag nicht der einzige große Versammlungsort der Stadt. Nur einen kurzen Fußweg vom Treffpunkt der Demonstrierenden entfernt hält der schweizer Historiker Daniele Ganser einen Vortrag über seine Sicht auf den Ukraine-Krieg in der ausverkauften Stadthalle. Auch darauf möchte das Bündnis 8M aufmerksam machen, da Ganser zuletzt häufig den Vorwürfen entgegenstand, verschwörungsideologische Theorien zu verbreiten. Einige seiner Veranstaltungen wurden aus diesem Grund nicht zugelassen[i]. Auch Unternehmen wie die Stadthalle seien dazu verpflichtet, demokratische Werte zu vertreten und zu schützen, heißt es von einer Sprecherin des Bündnisses. Dabei wird der Auftritt von Ganser mit dem von Soul- und R&B-Sänger Xavier Naidoo verglichen, dessen Konzert trotz verschwörungstheoretischer und rassistischer Aussagen vor zwei Jahren in der Stadthalle stattfand.
Zwischen den Demonstrierenden sind immer wieder Personen mit einem pinken A auf der Schulter zu finden. Diese gehören zum Awareness-Team, das die Demo organisatorisch begleitet. Sie nehmen Beschwerden der Demonstrierenden entgegen und haben Snacks, Getränke und Menstruationsartikel dabei, falls diese benötigt werden.
Entlang der Rosa-Luxemburg-Straße führt der Weg in Richtung Rathaus. Die Stimmung entspannt, niemand hat es eilig und die Demonstrierenden nehmen Rücksicht auf einander. Nur die Kälte trübt die erheiterte Stimmung ein wenig, doch durch Tanz wird auch diese vertrieben. Viele halten selbstgebastelte Pappschilder in die Luft: „Stop femicide“, „This sign is an object – I am not!“ oder „Girls just wanna have fun…damental human rights“ steht darauf.
Am 7. März 2023 ist auch der Equal Pay Day. Auch diesem soll in der Demonstration Aufmerksamkeit geschenkt werden. Im gesamtgesellschaftlichen Durchschnitt verdienen Frauen in Deutschland 18% weniger als Männer. „Rechnet man den Wert von 18 Prozent in Tage um, arbeiten Frauen vom 1. Januar an 66 Tage unentgeltlich. Der […] Equal Pay Day findet deshalb am 7. März 2023 statt.“[ii]
Hin und wieder werden Parolen angestimmt: „Alerta, Alerta, Queer Feminista“ oder „However I dress, wherever I go, yes means yes and no means no”, dröhnt mehrmals durch den ganzen Demonstrationszug. Die roten Regenschirme, die immer wieder in der Menge zu sehen sind, werden von Sexarbeiter:innen in die Luft gehalten.
Am Neuen Markt angekommen hält eine Vertreterin der iranischen Gemeinschaft in Rostock einen Redebeitrag. „Die iranische Revolutionsgarde verwendet Giftgas in iranischen Mädchenschulen“, erklärt sie mit gebrochener Stimme. Seit 44 Jahren haben Frauen keine Rechte mehr im Iran. Väter brächten ihre Töchter um und Ehemänner ihre Frauen, ohne jemals eine Bestrafung fürchten zu müssen.
Neben den unzähligen LGBTQIA+ Flaggen sind immer wieder Flaggen aus dem Iran oder Afghanistan in der Menge zu sehen. Auch in Afghanistan gehen in diesen Tagen Frauen auf die Straße um für ihre Rechte zu demonstrieren, jedoch riskieren sie dabei, im Unterschied zu uns heute in Deutschland, ihr Leben. Zu einer dieser Demonstrantinnen in Afghanistan wird eine Liveschaltung aufgebaut. Es dauert eine Weile, bis die Verbindung steht, doch dann ist sie durch die Lautsprecher zu hören: Eine Frau namens Rahila übersetzt die Rede ins Deutsche. „Wir werden nicht vergessen, dass die UN uns afghanische Frauen allein gelassen hat“. Ihre Forderung ist klar: Die Regierung der Taliban darf nicht anerkannt werden!
Die letzte Etappe der Demonstration führt über die Lange Straße bis hin zum Kröpeliner Tor. „Fight sexism“ heißt es auf den Graffitis, die die Demonstrierenden immer wieder an den Wegrand sprühen. Auf einem Hochhaus neben der Marienkirche wird ein Bengalo gezündet, der den Nachthimmel rot leuchten lässt. Langsam verkleinert sich die Gruppe der Demonstrierenden. Viele halten die Kälte nicht mehr aus und gehen nach Hause.
Doch auch der Rest muss nicht mehr lange warten, bis mit dem Kröpeliner Tor das Ziel der Demonstration erreicht ist. Sandra von SeLA – Selbstbestimmt Leben und Arbeiten hält den letzten Redebreitrag. Sie spricht von der Tabuisierung und Stigmatisierung von Sexarbeit. Medien würden hauptsächlich Extremfälle darstellen. „Eine Politik, die den Kauf von Sex verbietet, treibt Freier und Sexarbeiter:innen auf den Schwarzmarkt“. Zum Abschluss kommt noch einmal Bewegung in die Menge. Ein Tanz wird aufgefführt. Zu dem Lied der internationalen Kampagne „One Billion Rising“, erheben sich viele der Demonstrierenden gegen die Gewalt, die viele Frauen noch immer ertragen müssen.
[i] https://katapult-mv.de/artikel/verschwoerungsguru-daniele-ganser-will-in-rostock-auftreten