von Joanna Fackendahl // Illustration von Emma Moehrke
Wir sind umgeben von einer Vielzahl an Redewendungen, die fest in unserem Sprachgebrauch verankert sind. Doch häufig wissen und ahnen wir nicht, welchen Ursprung diese haben und welche Geschichten sich hinter ihnen verbergen. Natürlich gibt es auch ganz harmlose Sprichworte, wie „Ich verstehe nur Bahnhof“. Dieses kommt auch aus einer Kriegszeit, nämlich aus dem Ersten Weltkrieg. Diese Worte verdeutlichen, dass die Soldaten nur nach Hause wollten und nicht anderes mehr verstanden und dachten als Bahnhof [1].
Allerdings tragen andere Ausdrücke eine dunkle Last aus der Zeit des Nationalsozialismus in sich. Diese Redewendungen haben sich als hartnäckig erwiesen und sind in unserem alltäglichen Sprachgebrauch übergegangen, ohne dass uns die Hintergründe bewusst sind.
Das wohl bekannteste Beispiel, das die meisten auch in diese Zeit einordnen, ist „Arbeit macht frei“. Dieser Spruch war an den Eingangstoren verschiedener Konzentrationslager zu finden, unter anderem auch dem bekannten Ausschwitz. Die Worte richteten nach außen und galten so als Legitimation gegenüber der Bevölkerung. Heute versteht man diese Worte jedoch als Verspottung der Opfer in den Arbeitslagern [2]. Dass „Jedem das Seine“ jedoch auch in dieser Zeit häufig genutzt wurde, wissen die wenigsten. Ursprünglich ist die Redewendung ein Prinzip der antiken philosophischen Theorien der Moral und Politik und bezieht sich besonders auf die Verteilungsgerechtigkeit. Heute verstehen viele diese Worte als Ausdruck der Toleranz und denken nicht an eine Verbindung zum Nationalsozialismus. Die Nazis nutzen diese Worte jedoch am Eingang des Konzentrationslagers Buchenwald. Hier sind sie von Innen gut lesbar und sollten den Insassen zeigen, dass sie das bekommen, was sie verdienen [2].
Im Sprachgebrauch der Nationalsozialisten wurde der bestimmte Artikel „der“ oft genutzt, um ganze Gruppen zu benennen, zum Beispiel „der Jude“, „der Russe“ oder „der Engländer“. Diese Formulierungsweise haben die Nazis sich nicht ausgedacht, sondern aus der Wissenschaft übernommen, um in ihrem Handeln wissenschaftlich fundiert zu wirken. Diese Art der Bezeichnung hat darüber hinaus nicht nur eine trennende Wirkung, sondern sollte auch die Einzigartigkeit und Menschlichkeit der betroffenen Personen ignorieren. Diese Sprachweise hatte das Ziel, das Bild der betroffenen Gruppen zu verzerren und eine gemeinsame Identität zu formen, die für die Propagandaziele des Nationalsozialismus genutzt wurde [3]. Auch die Verwendung des Begriffs „Kulturschaffende“ stammt aus der NS-Sprache. Das Wort tauchte erstmals im Jahr 1933 auf, als die Reichskulturkammer gegründet wurde. Damals begannen Menschen, die die Idee der Reichskulturkammer unterstützten, sowie Künstler, die sich dem nationalsozialistischen Gedankengut anschlossen, den Begriff zu verwenden [3]. Zu dieser Zeit entstand auch das Wort „Gottgläubige“, dies waren Personen, die die Kirche verlassen hatten, aber dennoch an Gott glaubten, ohne einer bestimmten Glaubensrichtung anzugehören [4].
Auch interessant ist, dass wir bis heute wie die Nazis buchstabieren. Während der Zeit des Nationalsozialismus wurde die Buchstabiertafel verändert und so wurde zum Beispiel aus D wie David, D wie Dora. Die Nazis haben versucht, jüdische Namen zu verbannen, und das war auch erfolgreich – bis heute. Ein weiteres Beispiel ist das N wie Nordpol, das vor 1934 N wie Nathan war [4].
Die Verwendung solcher Redewendungen und Begriffe wirft die Frage auf, ob wir uns ihrer historischen Wurzeln bewusst sein sollten und ob sie in unserem täglichen Sprachgebrauch einen Platz haben. Man kann argumentieren, dass die Verwendung solcher Ausdrücke dazu beiträgt, die Geschichte wachzuhalten und nicht zu vergessen. Andere plädieren dafür, solche Redewendungen zu vermeiden, um die Opfer der NS-Zeit nicht zu verharmlosen und eine Sensibilität für die Macht der Worte zu entwickeln.
Es ist unbestreitbar, dass Sprache eine große Kraft besitzt. Die Verwendung von Redewendungen aus der Nazi-Zeit in unserem Alltag eröffnet eine Diskussion über die ethische Verantwortung im Umgang mit Sprache. Sollten wir uns nicht bewusster darüber sein, welche Worte wir wählen und inwiefern sie möglicherweise historisch belastet sind?
Die Verwendung dieser Ausdrücke im alltäglichen Sprachgebrauch könnte eine Form der Entmachtung sein, denn indem wir sie in neuen Kontexten verwenden, nehmen wir ihnen möglicherweise die Macht, die sie in ihrer ursprünglichen Form hatten. Dies kann dazu beitragen, die Schrecken der Vergangenheit zu entwaffnen und einen Bewusstseinswandel herbeizuführen.
Es ist wichtig zu betonen, dass die Verwendung von Redewendungen aus der NS-Zeit nicht zwangsläufig eine bewusste Entscheidung ist. Oftmals geschieht es aus Unwissenheit oder weil wir uns der historischen Bedeutung nicht bewusst sind. Daher ist eine verstärkte Aufklärung über die Herkunft solcher Ausdrücke von entscheidender Bedeutung. Ein bewussterer Umgang mit Sprache kann zu einem tieferen Verständnis der Geschichte und zu einer Sensibilisierung für die Macht der Worte führen.
Es liegt an uns, bewusstere Entscheidungen darüber zu treffen, welche Worte wir wählen, und die Diskussion darüber voranzutreiben, wie wir mit unserem sprachlichen Erbe umgehen.
[1] Studyflix. Deutsche Redewendungen mit Bedeutung und Herkunft. https://studyflix.de/allgemeinwissen/redewendungen-6866 [Zugriff am 28.10.2023]
[2] Larissa Eberhardt. Diese sechs Begriffe stammen aus der Nazi-Zeit. Kleine Zeitung. https://www.kleinezeitung.at/oesterreich/5928412/Luegenpresse-Sonderbehandlung_Diese-sechs-Begrifflichkeiten [Zugriff am 28.10.2023]
[3] Sabine Peschel. Sprechen wir noch wie die Nazis?. https://www.dw.com/de/verbrannte-w%C3%B6rter-sprechen-wir-noch-wie-die-nazis/a-47957180 [Zugriff am 28.10.2023]
[4] Katapult-Magazin. https://katapult-magazin.de/de/artikel/wir-nutzen-nazibegriffe-und-nur-eine-merkts [Zugriff am 28.10.2023]