Fliegende Fäuste

Von Lina Deiß // Illustration von Luca Butt

Meine Sicht ist eingeschränkt. Eigentlich wäre es gut, wenn ich alles sehen könnte. Auf der anderen Seite bin ich ganz froh, über die Polster vor meinem Gesicht. Bloß nicht blinzeln. Zack. Wieder kommt eine Faust angeflogen. Ich blocke ab. Tief durchatmen. Meine Hand schnellt nach vorne – aber nicht schnell genug, der Schlag geht ins Nichts. Ein lautes Piepen ertönt, ich lasse meine Hand gegen den Handschuh meiner Partnerin bouncen, wir nicken uns zu und drehen uns um. Mein nächster Partner steht schon bereit. Wir klatschen ab, es piept wieder, ich hebe meine Arme. Nächste Runde.

Historisch betrachtet stellt Boxen schon immer eine beliebte und relevante Sportart dar. Bei den Griechen wurden die  Faustkämpfe mit Lederriemen um die Knöchel ausgetragen, bei den Römern ging es mit Eisen und Blei verstärkten Handschuhen brutaler zu. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts entstanden die Queensberry-Regeln, die auch heute noch weit verbreitet sind. Sie sollen für Fairness und Schutz der Sportler:innen sorgen. Festgelegte Pausen, und vorgeschriebene medizinische Checkups sind dabei nur ein Teil dieser Regeln. Trotzdem, wenn ich erzähle, dass ich zum Boxen gehe, reagieren viele überrascht. Einige sogar besorgt. Es gibt nicht wenig Vorurteile, die im Bezug mit dem Boxsport auftauchen. Ein paar davon habe ich mir ein bisschen genauer angesehen. [1]

Die erste Frage, die ich häufig höre, nachdem das Thema aufs Boxen fällt, ist, ob es denn ein reiner Frauenkurs wäre. In Verbindung damit steht die Sichtweise des Boxens als einen einseitigen und männerdominierten Sport. Die Assoziation wäre wohl das Bild zweier Männer, die aggressiv aufeinander einschlagen. Dabei sind Spitzensportlerinnen wie Laila Ali, Claressa Shields oder Katie Taylor bei weitem nicht die einzigen Kämpferinnen im Ring. Das geringere mediale Interesse für die Sportlerinnen, das nicht nur in der Sportart Boxen auffällig ist, lässt sich hier wohl damit erklären, dass Frauen erst seit Ende der 1990er Jahre Zugang zu den großen Wettkämpfen haben [2]. In den Kursen, an denen ich bis jetzt teilgenommen habe, waren immer Frauen und Männer und das fühlt sich völlig normal an. Natürlich ist es auch von Bedeutung, welche Ziele man mit seinem Training verfolgt. Im Freizeitbereich kommt es für mich persönlich nur darauf an, seinem Partner oder seiner Partnerin fair zu begegnen und sich auf das Können der anderen Person einzustellen, ob Mann oder Frau spielt dabei keine Rolle. 

Durch die wahrscheinlich nicht wenigen Schläge gegen den Kopf, schätzen viele Boxer:innen als weniger intelligent und als einfache „Draufschläger“ ein, die sich auf ihre physische Erscheinung verlassen. Dabei braucht es viel mehr als das „draufhauen“. Bei offiziellen Kämpfen, aber auch im Training, braucht es neben der Kondition und Schnelligkeit, welche unerlässlich sind, ebenso ein Gefühl für Taktik und Timing. Wer die Strategien seiner Gegner:innen durchschaut und schnell reagieren kann, hat bessere Chancen als Sieger:in im Ring zu stehen. Boxen ist also deutlich mehr als nur „drauflos schlagen“.

Lange galt der Boxsport nicht nur als eine sehr brutale Sportart, sondern auch als eine nicht besonders faire. Durch Regeln, wie beispielsweise Gewichtsklassen, die Unterteilung der Kämpfe in Runden mit festgelegten Zeitlimits, einem einheitlichen Punktesystem und natürlich auch mit einem Schiedsrichter, soll dafür Abhilfe geschafft werden. Ebenso soll ein Verbot für bestimmte Techniken und vorgeschriebene medizinische Checks zwischen den Kämpfen dafür sorgen, dass das Verletzungsrisiko so gering wie möglich bleibt und alle Sportler:innen dieselben Voraussetzungen erhalten. Bei den Regeln kommt es allerdings auf die Art des Boxens und der Wettkämpfe an, denn diese können sich unterscheiden.

Das letzte und wohl gängigste Vorurteil ist die Gewaltverherrlichung, die viele mit diesem Sport assoziieren. Boxen sei einfach nur brutale, rohe Gewalt, ohne einen echten Sport oder Technik dahinter. Ein sinnloses aufeinander einprügeln. Damit geht auch ein hohes Risiko der eigenen Gesundheit einher, dem man sich aussetzt, wenn man sich in den Ring begibt. Die Verbindung mit blauen Augen, gebrochenen Rippen oder noch schlimmeren Verletzungen fällt vielen nicht schwer. Dass der Sport aber auch Sicherheit und Selbstvertrauen liefern kann, findet in diesem Argument eher selten Platz. Durch die geforderte Disziplin und das Durchhaltevermögen und vor allem die Möglichkeit an Herausforderungen zu wachsen kann die eigene Selbstsicherheit steigen. Natürlich ist es auch wichtig, sich seiner eigenen Grenzen bewusst zu sein. Und es kommt, wie bereits erwähnt, auch auf die Ziele an, die man mit dem Boxen verfolgen möchte. Die Techniken, die ich in meinem Kurs lerne, geben mir die Sicherheit mich in gefährlichen Situationen verteidigen zu können. Das ist für mich von höherer Bedeutung, als im Training einen Kampf zu gewinnen. Das Risiko, welches jedoch vor allem für professionelle Kämpfer:innen entsteht, ist dennoch nicht zu vernachlässigen. Das Ziel im Boxen ist es ein K.O. zu erzeugen, oder den oder die Gegner:in so weit zu schädigen, dass der Kampf nicht weitergeführt werden kann. Dass damit also gesundheitliche Schäden verursacht werden, ist unumgänglich. Die harten und schnellen Kopfschläge können dabei auch längerfristige Schäden hinterlassen. Die gängigste Verletzung und wahrscheinlich eine der harmloseren ist die „Boxernase“ [3]. Auf der anderen Seite gibt es auch positive Entwicklungen wie beispielsweise therapeutisches Boxen. Die Sportart kann als Aggressionsbewältigung dienen, indem aufgestaute Frustration in einem kontrollierten Rahmen abgebaut werden. Die ständige Konzentration und das bewusste Atmen, die beide Teil des Boxens sind, sorgen für ein bewusstes Körperempfinden und Nähe zum eigenen Können. Besonders wenn es nicht darum geht eine:n  Gegner:in fertig zu machen, sondern auf beispielsweise Boxsäcke eingeschlagen wird, überwiegen die positiven Effekte des Stress- und Aggressionsabbaus. Anzumerken hierbei ist auch, dass Sport (solange er im vernünftigen Rahmen durchgeführt wird) immer gut für die physische und psychische Gesundheit ist [4].

Für mich bedeutet Boxen vor allem intensives Training in einer Gruppe. Das Kämpfen an sich ist dabei nur ein Teil des Trainings. Es gibt einige Ausdauer- und Kraftübungen und natürlich entsteht auch ein Austausch mit vielen tollen Menschen. Mir bringt die Bewegung Freude und es begeistert mich Herausforderungen zu meistern, die sich positiv auf mein Selbstvertrauen auswirken. Boxen ist körperlich und mental fordernd; durch die nötige volle Konzentration auf den Moment werden alltägliche Probleme für die zwei Stunden Training ein bisschen kleiner. Die Vorurteile gegenüber dem Boxen sind durchaus nachvollziehbar, bei genauerem Hinsehen erkennt man aber auch einiges positives an dieser Sportart.


[1] Förstl, H. et al. (2010): Boxen – akute Komplikationen und Spätfolgen. Von der Gehirnerschütterung bis zur Demenz. In: Deutsches Ärzteblatt. Jg. 107 Heft 47. S. 835 – 840.

[2] https://www.superprof.de/blog/frauen-boxen-profis/

[3] Förstl, H. et al. (2010): Boxen – akute Komplikationen und Spätfolgen. Von der Gehirnerschütterung bis zur Demenz. In: Deutsches Ärzteblatt. Jg. 107 Heft 47. S. 835 – 840.

[4] Bozdarov, J. et al. (2022): Boxing as an Intervention in Mental Health: A Scoping Review. In: American Journal of Lifestyle Medicine. Vol. 17 no. 4. S. 589 – 600.

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