Ein Bericht von Ruben Faust // Illustration: Luca Butt
Als ich Ende 2020 nach Rostock gekommen bin, habe ich mich dazu entschlossen schnellstmöglich diese neue Stadt zu erkunden und so viele Orte von ihr zu entdecken, wie ich nur konnte. Nachdem ich einige Teile von Rostock auf ganz natürlichem Wege finden konnte, musste ich andere aktiv bereisen. Und etwas, wofür ich unter meinen Freunden (und sogar denjenigen, die mehr Bekannte sind) bekannt bin, ist meine Liebe zum öffentlichen Nahverkehr: Busse, Straßenbahnen, S-Bahnen und so weiter. So kam es, dass ich mir 2022 ein Ziel setzte. Ich wollte überall in Rostock mal gewesen sein. Und was bringt mich überall hin? Bus, Straßen- und S-Bahn. Also ist das Ziel leicht gesetzt: jegliche Bushaltestellen, Straßenbahnhaltestellen, S-Bahnhaltepunkte und auch Rostocks zwei Bahnhöfe: alle müssen von mir genutzt werden. In einem Jahr.
**Stuthof**
Am Rande von nichts, zwischen Breitling, Rostocker Heide und Erdbeerfeldern, die zu Karls-Erlebnisdorf gehören dürften, sowie dem Seehafen liegen einige Orte, gemeinhin einfache Dörfer, die noch zur Stadt Rostock gehören, selbst wenn sie sich entfernter kaum anfühlen könnten. Eine Landstraße – auch diese beginnt als städtische Straße schon in Dierkow – führt eben zwischen diesen Feldern hindurch und hat einen kleinen Abzweig. Über diesen erwachsengewordenen Feldweg führen zwei Buslinien – wobei beide dort so selten fahren, dass sogar der Netzplan von Rostock sie nur gestrichelt darzustellen wagt – nämlich die 16 und 18 beide vom Dierkower Kreuz kommend. Die 18 fährt noch weiter über Hinrichshagen und Markgrafenheide bis nach Hohe Düne, wobei sie für Stuthof von der Landstraße abzweigen, wenden und für die Weiterfahrt wieder zur Landstraße umkehren muss. Man holpert und stolpert so in dieses kleine Dörflein hinein, das mutmaßlich nicht mehr als eine Ansammlung an Häusern um einen Platz herum liegt, gerade groß genug, dass Stadtbusse hier drehen können. Und dann ist dort eine ganz standardmäßige Bushaltestelle wie sie in Rostock überall zu finden ist. Barrierefreier Einstieg, Rote Kacheln, ein schwarzes Wartehäuschen mit Glaswänden. Wäre sie nicht in einem Dorf, dass Verwechslungsgefahr mit seinem vorindustriellen Ebenbild bietet, dann wäre es gar nicht von Relevanz zu erwähnen, wie normal diese Bushaltestelle ist. (Vor allem nicht, wenn man aus einem tatsächlichen Dorf kommt, das nicht wie Stuthof zur größten Stadt des Landes gehört, sondern frei von sozialen Zwängen in der Nähe einer Landkreisgrenze liegt, dann ist man ja froh über ein Schild, das darauf hinweist, dass hier angeblich zu Schulzeiten zwei Busse am Tag fahren.)
Von besagter, sehr normaler Bushaltestelle schaut man auf hochwachsende Gräser und einen Busch und dahinter entdeckt man ein großes, rosafarbenes Haus: Gasthof und Pension Waldblick. Und tatsächlich, wer genau hinsieht (oder ungenau an der Pension vorbei) entdeckt dahinter tatsächlich einen Wald. Die Rostocker Heide liegt nur noch wenige hundert Meter entfernt. Getrennt wird man nur noch von einigen letzten Häusern. Folgt man dem Weg, dann könnte man zum Schnatermann gelangen, jedoch ist es mir an jenem Märztag meines Besuches nicht in den Sinn gekommen, drei Kilometer zu gehen, um dann vor verschlossener Tür eines weiteren Gasthofes zu stehen. Ich machte also kehrt und ging zurück zum Zentrum dieses Ortes: Stuthof City liegt wieder direkt vor mir und ich entdecke besagten “Stuthof”. Nicht den Ort Stuthof, nein, einen Reitstall. Direkt zum Feldweg hin zeigen einige Stalltüren, mit etwas Grasfläche davor auf denen man die Pferde vorführen könnte.
Ich beschließe also nach meinem kleinen Rundgang wieder in die Stadt zurückzukehren. Immerhin ist meine Pflicht hier erfüllt: ich bin an der Haltestelle ausgestiegen. Der Bus, mit dem ich kam, ist inzwischen wieder weg. Um nicht hier festzusitzen bis der nächste Bus kommt, muss ich wohl eine Haltestelle weiter zur Landstraße laufen. Dort fährt nämlich die Buslinie 18 nicht „immer mal wieder“ (was die beste Zusammenfassung des Fahrplans in Stuthof ist), sondern schön brav, einmal die Stunde, zurück zum Dierkower Kreuz in etwas mehr als 15 Minuten.
**Warnowallee**
Oh, wie oft ich schon die Diskussion geführt habe, ob Rostock eine schöne Stadt ist. Wunderschön gelegen ist sie, das kann man ihr nicht abstreiten. Und auch idyllische Ecken gibt es, man muss sie nur kennen. Und wenn man in Lütten Klein von seinem Balkon schaut, dann ist Rostock sogar abschnittsweise urban. Und ich als geborenes Großstadtkind finde Urbanität schön. Ja, natürlich gibt es interessantere Architektur als frühe DDR-Platte der späten 60er Jahre. Trotzdem kann man nicht anders, wenn man an dieser Haltestelle aus der Straßenbahn steigt, als hochzuschauen und für einen Moment zu staunen über das nächste der drei Windmühlenhochhäuser – der seinen Namen der Windmühlenoptik verdankt – oder sich erdrückt zu fühlen von der orange-brauen Scheibe die sich direkt daneben auftürmt und den Süden des Ortsteils vom Rest trennt. Direkt neben der Haltestelle ist trotz besagter Urbanität keine Betonwüste, sondern Grünfläche auf der einen und einem Parkplatz mit Bäumen auf der anderen Seite. (Okay, zugegeben, Parkplätze sind Betonwüsten und würde es nach mir gehen wäre auch dieser eine Grünfläche, aber leider müssen auch Autos irgendwo stehen.)
Man hat gar nicht lange gestanden und gestaunt, schon fährt die nächste Straßenbahnn durchs Bild. Die Linien 1 und 5 fahren hier wochentags so oft, dass man sich den Fahrplan kaum zu merken braucht. Man geht einfach zur Haltestelle und kurz darauf wird man garantiert abgeholt. Jemand sagte mal zu mir, dass das gut sei, denn dann käme man “immer hier weg“, aber vielleicht möchte man das gar nicht. Denn genauso wie man „immer hier wegkommt“ wird man auch immer wieder hergebracht. Neben Grünanlage, Parkplatz und Straßenbahnhaltestelle steht noch ein kleines Einkaufszentrum: die Mehrzweckhalle. Entworfen vom selben Architekten der auch den Teepott in Warnemünde und das Südstadt-Center entworfen hatte, und daher visuell sehr daran erinnernd, kann man hier bei Netto (dem mit dem Hund, natürlich) einkaufen gehen, sich bei der Apotheke Medikamente abholen oder sich in der freundlichen Bäckerei mit einem Kakao (ich bin kein großer Kaffee-Fan) ans Fenster setzen und den Straßenbahnen beim Vorbeifahren zuschauen. (Zugegeben ist auch das eine Aktivität, die möglicherweise nur ich regelmäßig mache.) Außerdem beginnt mit diesem Einkaufszentrum der Boulevard Lütten Klein, welcher sich von hier mit einer kleinen Einkaufsmeile zu einem Marktplatz und zum Schluss zum Kino zwischen kleinen Geschäften und den Windmühlenhochhäusern entlang zieht.
Die Haltestelle Warnowallee besteht aus zwei Bahnsteigen, beide haben jeweils eines der typischen schwarzen Wartehäuschen, eine hölzerne Bank außerhalb eben dessen und brandneue Anzeigetafeln, die sogar meistens funktionieren. Das Einzige, was mich hier so richtig stört, ist dass die Haltestelle gar nicht an der Warnowallee selbst liegt, sondern an der Kreuzung der Rigaer Straße und Turkuer Straße. Es gibt jedoch für beide Straßen Haltestellen, die nach ihnen wurden, deswegen verzeihe ich der RSAG diesen groben Fehler.