Ohnmacht

Von Hannah Miltzow // Illustration von Lara Kaminski

Ich habe die Schnauze voll. Gestrichen voll. Oder um den gescheiterten österreichischen Kanzler zu zitieren: „Ich will nicht mehr, ich kann nicht mehr, ich halte das nicht mehr aus.“ Wir haben Anfang 2025 und egal, wo man hinschaut, die Welt scheint unterzugehen. In der Ukraine herrscht nach wie vor Krieg. Im Gazastreifen mussten viel zu viele Menschen sterben, bevor eine Waffenruhe ausgehandelt wurde. Marokko plant, drei Millionen Straßentiere für die WM 2030 zu töten. Magdeburg versucht, einen Anschlag auf seinen Weihnachtsmarkt zu verarbeiten. Studien belegen, dass das letzte Jahr (mal wieder) das wärmste seit Aufzeichnungsbeginn ist. Ich spüre ein Ziehen im Magen.

Ein Blick Richtung USA: LA steht in Flammen, Hunderte haben ihr Zuhause verloren. Musk macht (angeblich [wer’s glaubt]) den Hitlergruß. Donald Trump wird wieder Präsident, begnadigt Kapitolstürmer:innen. Soziale Netzwerke versuchen, ihm zu gefallen und scheinen die Meinungsfreiheit einzuschränken, so funktionieren plötzlich einige Stunden die Hashtags #democrats, #voteblue und #joebiden auf Instagram nicht mehr. Die Ergebnisse wurden versteckt, weil sie angeblich sensible Inhalte enthalten könnten, ist die offizielle Begründung. Postet man in Stories Kritik an Musks Armgeste, werden diese von Instagram automatisch gelöscht. Weitere amerikanische Großkonzerne stampfen ihre Diversitätsprogramme ein, um dem neu-alten Präsidenten zu gefallen.

Ich schüttle den Kopf, bin absolut fassungslos.

Wahlkampf in Deutschland: Die AfD liegt in Umfragen bei um die 20 Prozent. Alice Weidel führt live mit Elon Musk ein Interview. Politiker:innen anderer Parteien wirken beinahe kopflos. Die Brandmauer bröckelt immer weiter. Sie fällt sogar. Währenddessen wird in einem unserer Nachbarländer der in Teilen rechtsextremen FPÖ vom Bundespräsidenten der Auftrag zur Regierungsbildung erteilt.

Ich lehne mich an die Wand, schließe die Augen, möchte auf den Boden sinken, weil ich das Gefühl habe, meine Beine können mich nicht mehr tragen. 

Die Rostocker Bürgerschaft beschließt trotz Kritik eine Regelung, die es der Verwaltung verbietet, frei darüber zu entscheiden, ob sie gendern.

Ich fühle mich verloren. Der Weltschmerz ist dabei, mich zu überwältigen.

Atmen. Nicht vergessen zu atmen. Eins, zwei, drei, vier. Ein, aus. Weiter. Einfach weitermachen. Aber wie? 

Es gibt verschiedenste Bewältigungsstrategien, um mit der Fülle an Negativnachrichten umzugehen. Das fällt einigen sicher leichter als anderen Menschen. Bei vielen verursachen die Art von den oben genannten Meldungen Stress oder führen bei Betroffenen zu depressiven Schüben. Es gibt auch Leute, die einfach abstumpfen, versuchen das mit Humor zu nehmen oder zynisch werden. Wieder andere werden anfangen, Nachrichten zu meiden oder nur noch dosiert zu sich zu nehmen.

Vielleicht hilft es schon, zu wissen, dass es eine gängige Medienpraxis ist, negativen Schlagzeilen mehr Raum zu geben, denn „bad news are good news“. Dieser Spruch bringt eine entscheidende Erkenntnis auf den Punkt: Negative Meldungen klicken sich einfach besser. Woran das liegt? Katastrophenmeldungen erhöhen schlichtweg die Aufmerksamkeit. Wir haben heutzutage eine unfassbare Fülle an Informationsangeboten, weswegen Medienschaffende Wege finden müssen, sich gegen ihre Konkurrent:innen durchzusetzen. Da Krieg, Krisen und sonstige Katastrophen den Überlebensinstinkt unseres Steinzeitgehirns wecken, erhöhen entsprechende Meldungen die Wahrscheinlichkeit, aufmerksam aufgenommen zu werden. Was dabei nicht vergessen werden sollte: die Medienlandschaft besteht trotzdem nicht nur aus bad news. Die guten Nachrichten sind trotzdem da und werden berichtet – man muss nur ein bisschen genauer nach ihnen suchen. Um dem Ohnmachtsgefühl durch negative Meldungen etwas entgegenzusetzen, haben einige etablierte Medien Zeiten festgelegt, zu welchen sie ausschließlich positive Nachrichten präsentieren. Beispielsweise postet Die ZEIT zum Wochenende hin in ihrem Newsletter und auf sozialen Netzwerken regelmäßig die good news der Woche. Wenn man sich auch mit den positiven Meldungen befasst, erscheint die Lage der Welt vielleicht weniger aussichtslos.

Darüber hinaus ist es wichtig, sich eigene Grenzen zu setzen und gegen sogenanntes Doomscrolling zu wehren. Scheint alles beim Nachrichtenkonsum zu viel zu werden, ist es durchaus legitim, einfach das Handy wegzulegen und mal Pause zu machen. Sich mit etwas Schönem beschäftigen, das immer guttut, wie den Lieblingsfilm zu schauen. Dabei kann man Kraft tanken und wieder auf andere Gedanken kommen. Raus in die Natur zu gehen kann auch helfen und eine meditative Wirkung entfalten. Dabei kann man sich auf die kleinen Dinge konzentrieren: Das Rascheln vom Laub im Wind, der Gesang der Vögel, das Plätschern von Wasser. Eine Influencerin, der ich folge, schaut sich manchmal Sonnenuntergänge oder Schneelandschaften an und denkt dann: „Wenn es so etwas Schönes gibt, wie schlimm kann es denn sein?“ Ja, wie schlimm eigentlich? Wenn mein Hund genießend die Augen schließt, während ich ihm den weichen Kopf kraule, scheint das Ende doch noch sehr fern. Und sollte alles Negative trotzdem über eine:n hereinbrechen, sind Wälder auch nicht die schlechtesten Orte, um einfach mal zu schreien und die Hilflosigkeit aus sich raus zu lassen. 

Es kann auch helfen, einfach selbst aktiv zu werden. Sofern man zeitlich die Kapazitäten hat, sind Ehrenämter auf kleiner Ebene eine super Möglichkeit, den direkten Effekt vom eigenen Handeln zu spüren. Man hat das Gefühl, etwas zurückzugeben und einen Unterschied zu machen. Sei es in Pflege-, Tierheimen oder anderen Einrichtungen, ein Ehrenamt hat Potenzial, das eigene Leben und das von anderen zu bereichern. 

Zudem sollte nicht nur auf die emotionale Verfassung geachtet werden, sondern auch auf die körperliche. Es ist eine alte Leier, aber genügend Schlaf und Sport helfen beim Stressabbau. Vor allem Sport kann hervorragend helfen, überschüssige Energie zielgerichtet abzubauen. Daneben hilft guter Schlaf, allgemein Dinge zu verarbeiten. Daneben schwören viele Menschen auf Achtsamkeitsübungen. Selbst wenn man skeptisch ist, geht Probieren bekanntlich über Studieren und schadet sicherlich nicht.

Jeder Mensch ist anders und bewältigt die Informationsflut auf die Weise, die individuell hilft. Wichtig ist es, bei alledem nicht komplett abzuschalten und Nachrichten gänzlich zu ignorieren, denn informiert zu bleiben ist wichtig. Informationen zeigen verschiedene Perspektiven, helfen Kompetenzen zu erlernen. Sie helfen uns, wohlüberlegte Entscheidungen zu treffen. Am Ende unterstützen Informationen sogar demokratische Prozesse.


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