von Hannes Goerke // Illustration von Luca Butt
Als erstes Bundesland hat Mecklenburg-Vorpommern bereits im Mai 2024 die Grundlage für das sog. Drug-Checking geschaffen. Der Begriff „Drug-Checking“ bezeichnet dabei ein Angebot, bei dem Konsument:innen ihre (illegalen) Substanzen auf deren Inhaltsstoffe und mögliche Verunreinigungen analysieren lassen können. Zuvor hatte der Bund durch eine Änderung im Betäubungsmittelgesetz den Weg für etwaige Modellvorhaben frei gemacht, die allerdings von den Ländern selbst umgesetzt werden müssen. Von dieser Regelung hat M-V als erstes Land im Bundesgebiet Gebrauch gemacht und damit eine Vorreiterstellung eingenommen. Ähnliche Projekte wurden in der Vergangenheit, allerdings auf einer anderen Grundlage, in Thüringen durchgeführt.1 Und auch in Berlin gibt es ähnliche Vorhaben.
Das spezialisierte „[detect!]-Team“ der Universitätsmedizin Rostock2 hat als erste Institution im Land die Erlaubnis für das Drug-Checking erhalten. Im Sommer vergangenen Jahres war das Team rund um die Toxikologin Dr. Anja Gummesson und den Drogenexperten Dr. Gernot Rücker unter anderem auf den Fusion- und Pangea-Musikfestivals im Einsatz und konnten dort mehrere hundert Substanzen überprüfen. Allein auf dem Fusion-Festival im vergangenen Sommer wurden mehr als 500 Analysen durchgeführt. Außerdem war das Team im letzten November auf einem Einsatz im Schweriner Club Zenit. Eine weitere Anlaufstelle war in der Vergangenheit die Rostocker Suchtberatung der Caritas, welche jedoch aufgrund geringer Nachfrage vorerst eingestellt wurde. Untersucht werden können dabei unter anderem Pulver, Pillen, Kapseln und Pasten, erklärt uns Frau Dr. Gummesson, mit welcher wir für diesen Beitrag persönlich sprechen konnten. Naturprodukte, wie Cannabis oder Pilze, oder Flüssigkeiten können hingegen nicht analysiert werden.
Die anonyme und kostenlose Substanzanalyse läuft am Beispiel einer Pille auf einem Festival folgendermaßen ab:
An einem gesonderten Stand kann die Droge abgegeben werden. Gleichzeitig wird ein Fragebogen ausgefüllt, mit welchem auf freiwilliger Basis Angaben zur Person gemacht werden können, zum Beispiel mit Blick auf Name, Alter oder Geschlecht. Zudem wird abgefragt, wo man die Droge erworben hat und wie viel Geld man dafür bezahlt hat. Dann erhält man eine Nummer, mit welcher man sich nach etwa zwei Stunden wieder beim Stand melden kann, um die Ergebnisse der Analyse zu erhalten. Nachdem die Pille abgegeben worden ist, wird diese in ein Container-Labor im Backstagebereich des Festivals gebracht. Dort wird sie gewogen, gemessen und fotografiert. Dann wird die Substanz zerstoßen und mittels eines Infrarot-Spektrometers analysiert. Das Gerät ist dazu in der Lage innerhalb kurzer Zeit Aufschluss über die Inhaltsstoffe und deren Menge zu geben. Nachdem die Analyse abgeschlossen ist und sich die konsumierende Person wieder am Info-Stand gemeldet hat, werden die Ergebnisse übermittelt und es erfolgt eine gesundheitliche Aufklärung. Diese enthält Informationen über die Risiken und Nebenwirkungen des Konsums von Betäubungsmitteln, Erläuterungen der Auswirkungen auf die körperliche und psychische Gesundheit, sowie Darstellungen der langfristigen Folgen und Risiken des regelmäßigen oder übermäßigen Konsums. Es wird etwa gefragt, ob in der Vergangenheit bereits negative Erfahrungen mit dem Konsum von Drogen gemacht worden sind und ggf. an weitere Sucht- und Beratungsstellen verwiesen.
„Die Substanzanalysen und die Beratung dienen dem Schutz der Konsumierenden, indem sie die gesundheitlichen Risiken beim Konsum von Betäubungsmitteln minimieren“, betont Stefanie Drese, Ministerin für Soziales, Gesundheit und Sport M-V.3 Im Falle einer Hochdosierung oder Verunreinigung wird eine offizielle öffentliche Warnung vor der Pille ausgesprochen. Dafür gibt es unterschiedliche Webseiten, auf denen diese Warnungen veröffentlicht werden.4 Aktuell ist es außerdem geplant, dass die Warnungen auf den Webseiten der Festivals veröffentlicht werden, oder im Fall des Fusion-Festivals in einer eigenen App, teilt Frau Dr. Gummesson mit. Die Ergebnisse des Drug-Checkings werden zudem an die Behörden, etwa dem Landeskriminalamt, übermittelt.
Sowohl im Landtag als auch in den Stadtvertretungen von Schwerin und Rostock wird aktuell über Drug-Checking diskutiert. Die Stadtvertretung Schwerin hat mit knapper Mehrheit5 einen Antrag beschlossen, mit welchem der Oberbürgermeister aufgefordert wird, sich gegenüber der Landesregierung für einen unverzüglichen Stopp des Modellprojekts „Drug-Checking“ und einer Zurücknahme der entsprechenden Verordnung des Landes einzusetzen.6 Auch in der Rostocker Bürgerschaft wurde in der Sitzung vom 26.02.2025 über das Modellprojekt Drug-Checking gesprochen. Ein ähnlicher Antrag wie in Schwerin wurde jedoch abgelehnt.7
In Bezug auf die Analysen in Discotheken (und vergleichsweise auch in Bezug auf Festivals) wird dabei vor allem auf die Abstrusität der Situation hingewiesen: verbotene Substanzen werden illegaler Weise in einen Club geschmuggelt, können dort aber ohne jegliche Strafverfolgung auf ihre Inhaltsstoffe getestet werden.8 Nachdem ein staatliches „Gütesiegel“ ausgestellt wurde, können sich die potenziellen Konsument:innen dann sicher sein, dass ihre Drogen zu mindestens nicht lebensgefährlich sind. Dies gilt jedenfalls für den Fall, dass der Konsument mehrere Pillen der gleichen Sorte besitzt, denn die geprüfte Substanz wird nicht an die konsumierende Person zurückgegeben, sondern wird vernichtet. Deshalb bestehen Zweifel darüber, ob jene Konsument:innen, welche sich nicht mehrere Pillen leisten können, das Drug-Checking-Angebot überhaupt wahrnehmen. Es besteht ferner die Befürchtung, dass solche Drug-Checking-Angebote den Eindruck erwecken, dass der Konsum von Drogen unter bestimmten Bedingungen harmlos sei, was gerade Jugendliche in die Versuchung locken könnte.
Dabei ist der Grundgedanke hinter dem Drug-Checking durchaus nachvollziehbar. Durch Analysen und die damit verbundene Beratung und Vermittlung in weiterführende Angebote der Suchthilfe und Suchtprävention soll die Gesundheit der Konsument:innen geschützt und der Konsum von Betäubungsmitteln risikominimiert werden. Das Modellvorhaben ist ein Schritt in Richtung Konsumrealität. Es schafft Akzeptanz dafür, dass Drogen, trotz ihres Verbotes, ein Bestandteil der Gesellschaft sind. Natürlich ist eine Gesellschaft, in welche sich die Menschen nicht berauschen, wünschenswert. Gleichzeitig ist eine solche Gesellschaft höchst unrealistisch. Schon im alten Ägypten wurde Wein getrunken und Bier gebraut. Die Geschichte des Drogenkonsums zeigt, dass sich in allen Jahrhunderten Menschen berauscht haben. Gerade im Bereich der chemischen Drogen besteht die große Gefahr infolge einer Verunreinigung oder einer Überdosis gesundheitliche Schädigungen zu erleiden oder sogar zu sterben. Durch die Aufklärung wird ein Bewusstsein für die getesteten Substanzen und deren Auswirkungen geschaffen, die ohne Drug-Checking die betroffenen Konsument:innen wahrscheinlich nicht erreichen würde. Wenn also klar ist, dass man den Konsum von Drogen nicht stoppen kann, ist es dann nicht vielleicht sinnvoller sich auf die Folgen eines unwissenden Konsums bestimmter (illegaler) Drogen zu konzentrieren? Genau hier setzt das Modellvorhaben an. Außerdem liefert es wissenschaftliche Erkenntnisse über den aktuellen Stand der sich im Umlauf befindender Drogen. Infolgedessen kann eine Früherkennung gefährlicher hoch dosierter Substanzen sichergestellt werden und es können entsprechende Warnungen veröffentlicht werden.
Das Team unserer Universitätsmedizin lässt sich jedenfalls nicht vom politischen Für und Wider beirren. Sie werden auch in diesem Sommer vor allem auf unterschiedlichen Festivals im Land unterwegs sein und Drug-Checking anbieten. Außerdem ist ein weiterer Einsatz am 29. Mai 2025 (Herrentag) am Doberaner Platz geplant. Dr. Anja Gummesson und Dr. Gernot Rücker entwickeln darüber hinaus aktuell ein tolles Online-Lernangebot zur Aufklärung über psychoaktive Substanzen, welches kostenlos und öffentlich zugänglich über das Lernportal „Offene Uni Rostock“ erreicht werden kann.9 In den kommenden Wochen erscheinen kurze Videos über den „Urwald der psychoaktiven Substanzen“. Reinschauen lohnt sich!
Mit Blick auf die Landtagswahlen im kommenden Jahr wird sich zeigen, ob das Modellvorhaben Drug-Checking auch in Zukunft weiter betrieben werden kann. Spätestens Ende 2027 muss jedoch eine neue Regelung geschaffen werden, denn dann gilt die aktuelle Verordnung nicht mehr.
1 https://magazin.hiv/magazin/drug-checking-thueringen/.
2 https://rechtsmedizin.med.uni-rostock.de/drug-check-mv.
3 https://www.regierung-mv.de/Aktuell/?id=201705&processor=processor.sa.pressemitteilung.
4 Etwa https://rechtsmedizin.med.uni-rostock.de/drug-check-mv.
5 Vor allem durch Stimmen der CDU und AfD.
6 Sitzung Stadtvertretung Schwerin vom 27.01.2025, Drs. 01353/2024.
7 Sitzung Bürgerschaft Rostock vom 26.02.2025, Drs. 2025/AN/0477.
8 99. Sitzung des Landtages M-V vom 12.03.2025.
9 https://www.uni-rostock.de/weiterbildung/offene-uni-rostock/onlinekurse/ausflug-in-die-weite-welt-der-drogen/.