Von Sandeep Preinfalk // Illustration von Luca Butt
MV plant Gesetzesänderungen zur politischen Bildung und Demokratieförderung an Schulen. Kritische Stimmen sehen darin eine Gefahr für den Beutelsbacher Konsens. Doch inwieweit gefährden die geplanten Maßnahmen die politische Neutralität der Schüler:innen tatsächlich?
Neues Drei-Säulen-Modell für mehr politische Bildung
Das Land Mecklenburg-Vorpommern hat ein neues Drei-Säulen-Modell zur Demokratiebildung an Schulen vorgestellt. Dieses zielt darauf ab, politische Bildung systematisch zu stärken und ein einheitliches, pädagogisch fundiertes Rahmenkonzept zu schaffen. Eingeführt wurde das Modell vom Bildungsministerium gemeinsam mit dem „Bündnis für Gute Schule M-V“.
Nach Auffassung des Bildungsministeriums müssten gesellschaftliche und politische Herausforderungen wie Polarisierung, die Verbreitung von Desinformationen oder extremistische Entwicklungen von jungen Menschen besser verstanden und eingeordnet werden können. Zugleich spiele die Schule eine wichtige Rolle bei der Vermittlung von Demokratie und eines gesellschaftlichen Zusammenlebens. Allerdings seien bisher politische Inhalte in unterschiedlichen Fächern und Schulformen sehr unterschiedlich verankert gewesen. Das neue Konzept soll dem entgegenwirken, verbindliche Standards schaffen und politische Urteilsfähigkeit sowie Perspektivübernahme stärken.
Das Modell besteht aus drei zentralen Bereichen: Erstens sollen die bisherigen Fächer Politische Bildung/Sozialkunde sowie Gesellschaftswissenschaften gestärkt werden. Zweitens ermutigt es Fachlehrkräfte, politische und gesellschaftliche Bezüge in ihren Unterricht, etwa durch politische Themen in literarischen Analysen, vermehrt einzubinden. Drittens sollen demokratische Prozesse und Werte durch Beteiligungsformate, transparente Entscheidungsprozesse sowie Mitbestimmungsmöglichkeiten den Schüler:innen nähergebracht werden.
AfD befürchtet Einflussnahme
Kritik an dem Konzept kam vor allem seitens der AfD. So kritisiert etwa der Fraktionsvorsitzende der AfD, Nikolaus Kramer, dass politische Inhalte bereits in den unteren Jahrgangsstufen deutlich ausgeweitet werden sollen. Dies führe zu einer „flächendeckenden Politisierung des Unterrichts“, die Kinder in einem Alter erreiche, in dem sie besonders beeinflussbar seien. Zudem befürchtet die AfD, das Modell könne zu einer staatlich gelenkten „Haltungsbildung“ führen, die parteipolitisch geprägt sei. Sie warnt vor einer „Vereinnahmung“ aller Fächer durch politische Themen und fordert, die Schule müsse ein Ort „neutraler Wissensvermittlung“ bleiben, frei von Ideologie und parteipolitischem Einfluss.
Mehr Demokratiebildung fördert politisches Bewusstsein und Kompetenz
Doch ist eine Politisierung des Schulunterrichts wirklich problematisch? Allein ein Blick auf das politische Interesse junger Menschen scheint diese Befürchtung zu entkräften. Denn dieses hat sich laut der Shell Jugendstudie von 2024 in den letzten Jahren drastisch erhöht. Demnach schätzt sich mittlerweile ungefähr die Hälfte aller 12 bis 25-Jährigen als politisch interessiert ein. Eine Stärkung politischer Bildung würde dieser Entwicklung daher lediglich Rechnung tragen.
Überdies sind die politischen Partizipationsmöglichkeiten von Schüler:innen sehr begrenzt. Ihnen schon in der Schule mehr Diskussionsräume und Gestaltungsmöglichkeiten zu eröffnen, kann dazu beitragen, diese Lücke zu füllen und das politische Bewusstsein noch politikverdrossener Schüler:innen zu aktivieren.
Zudem ist dem Bildungsministerium darin zuzustimmen, dass infolge des erhöhten Social-Media-Konsums der Anteil an Desinformationen und politischer Manipulation massiv zugenommen hat. Gerade junge Menschen sind dafür anfällig. Neben mehr Medienpädagogik bzw. Medienkompetenz kann politische Bildung dem entgegenwirken, indem es Schüler:innen zur Unterscheidung seriöser Informationen und Quellen von unseriösen sowie zur eigenen Meinungsbildung befähigt. Fächer wie Mathematik sollten davon zwar unberührt bleiben. Doch gerade im Deutschunterricht oder etwa in Philosophie bietet es sich an, beispielsweise beim Schreiben von Essays oder Sachtextanalysen verstärkt politische Themen aufzugreifen.
Entscheidend ist aber, wie die Demokratiebildung stattfindet. Zum einen muss sie sich nach dem Beutelsbacher Konsens, einem bildungspolitischen Kompromiss aus den 1970er-Jahren, richten. Danach dürfen Lehrer:innen ihre Schüler:innen nicht mit ihrer eigenen politischen Meinung überwältigen. Außerdem müssen sie unterschiedliche politische Auffassungen zulassen. Die Bewerbung einer Partei, Hervorhebung eines politischen Spektrums oder Verherrlichung bestimmter politischer bzw. wirtschaftlicher Weltanschauungen wären folglich unzuträglich. Zum anderen muss politische Bildung im Sinne unserer demokratischen Grundordnung geschehen. Extremistische, verfassungsfeindliche oder diskriminierende Inhalte dürfen demzufolge ebenfalls nicht vermittelt werden.
AfD hat eigene Interessen
Sofern diese Punkte eingehalten werden, spricht nichts gegen eine Ausweitung politischer Bildung an Schulen. AfD-Funktionäre stören sich aber auch nicht daran, weil sie die politische Vereinnahmung der Schüler:innen verhindern, sondern die kritische Auseinandersetzung mit ihrer Partei oder rechtsextremistischen Inhalten erschweren möchten. Dies untermauert eine Recherche des ARD-Politikmagazins Kontraste, wonach die AfD allein an die bayerische Regierung neun Anfragen gegen Lehrer:innen aufgrund vermeintlicher Verstöße gegen das Neutralitätsverbot stellte. Eine davon betraf zum Beispiel eine Mittelschule in Landshut, da ein Lehrer dort ein Arbeitsblatt im Deutschunterricht austeilte, das die Einstufung des Verfassungsschutzes zur AfD als rechtsextreme Partei thematisierte. Natürlich hat die AfD kein Interesse daran, dass dergleichen in Schulen behandelt wird. Doch es ist ein aktuelles politisches Thema und vollkommen wertfrei, die Schüler:innen darüber zu informieren und diskutieren zu lassen.
Das Vorhaben der Landesregierung ist jedenfalls begrüßenswert. Lehrer:innen aller Schulen werden sich aber in Zukunft vermehrt auf Angriffe der AfD einstellen müssen. Es bleibt nur zu hoffen, dass sie sich davon nicht einschüchtern und von ihrem Bildungsauftrag abhalten lassen.
