Debattenkultur im StuRa – Für die Studierenden oder für sich selbst?

Von Janne Döscher / Kommentar von Bruno Laubner

Die Studierendenvertretung hat sich neu zusammengefunden. In einem der letzten Artikel haben wir die aktuelle Lage in der Studierendenvertretung – insbesondere im Studierendenparlament (StuRa) und dem Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA) – beschrieben und einen Blick auf die erste Sitzung des StuRa der 36. Legislatur geworfen. Bei den ersten Wahlen wurden viele engagierte Menschen gefunden, allerdings folgen zwei weitere Sitzungen mit Wahlen. Dazu gibt es nun ein Update: Welche Posten konnten besetzt werden und wie gestaltet sich die Debattenkultur in den ersten Monaten.

Und täglich grüßt das Murmeltier – „Es gibt keine Kandidaturen“

Auf der ersten Sitzung wurde das StuRa-Präsidium, der AStA-Vorsitz und das AStA-Referat für Hochschulpolitik gewählt. Im AStA verbleiben damit noch elf weitere Posten, die dringend gewählt werden müssen. Auf der zweiten Sitzung des StuRa (22.10.25) wird von den sieben Referaten, die auf der Tagesordnung stehen, nur das Referat für Antidiskriminierung und Vielfalt besetzt. Hier übernimmt weiterhin Jenna das AStA-Referat. Niederschmetternd ist aber die Leere bei den weiteren Referaten – es gibt keinerlei Bewerbungen für die übrigen sechs Posten im AStA.

Keine Bewerbung für die Referate Geschäftsführung und Finanzen sind eine Katastrophe für die Arbeitsfähigkeit der Studierendenvertretung. Wenn Menschen die Ämter nur kommissarisch ausführen, kann wenig umgesetzt werden und die Personen haben bereits andere Schwerpunkte, weshalb sie sich meist nicht wieder kandidieren wollen. Die gähnende Leere auf der Tagesordnung wird im Protokoll wie folgt dargestellt: „Es gibt keine Kandidaturen.“

Und diese Lage zieht sich weiter auf die dritte Sitzung des StuRa (29.10.25). Die Sitzung fokussiert, ebenso wie die beiden Sitzungen davor, die Wahlen in den AStA. Bei den Referaten für Finanzen, Geschäftsführung, Presse, Digitales, Studium und Lehre sowie Lehramt gibt es keine Bewerbungen. Damit bleibt knapp die Hälfte der AStA-Referate ohne neue Person und die Arbeit kann nicht aufgenommen werden. Wir werden diese Lage in einem Interview mit dem AStA-Vorsitz betrachten: Warum entscheidet sich niemand, die ehrenamtliche Arbeit in der Studierendenvertretung aufzunehmen? Das Interview wird in den nächsten Wochen veröffentlicht und soll einen näheren Einblick in den AStA gewähren. Jetzt lässt sich schon feststellen, eine große Werbeoffensive ist auf Social Media oder auf dem Campus nicht zu vermerken.

Wenn jemand kandidiert, muss die Person meinen Ansprüchen genügen, Basta!

Der Titel ist hart formuliert, zielt aber auf die Ereignisse auf der dritten StuRa-Sitzung vom 29.10.25 ab. Bei den Wahlen zum AStA-Referat für Kultur und Nachhaltigkeit sowie zum AStA-Referat für Antifaschismus und politische Bildung gewinnt man den Eindruck, die Kandidierenden müssen den persönlichen Ansprüchen einiger StuRa-Mitglieder genügen, Abweichung wird nur schwer akzeptiert.

Wie kommen wir zu dieser Einschätzung? – Für die Recherche haben wir uns das Protokoll der Sitzung vom StuRa-Präsidium zusenden lassen, da es noch nicht veröffentlicht wurde. Wir verzichten darauf, StuRa-Mitglieder direkt zu zitieren. Der Tenor der Debatte reicht aus, um eine Analyse vornehmen zu können.

Für das AStA-Referat Kultur und Nachhaltigkeit kandidiert Yannic. Bereits in der letzten Legislatur war Yannic ca. drei Monate im Referat für Nachhaltigkeit und Mobilität tätig. Die Kandidatur bezieht sich nun auf das neue, zusammengelegte Referat. Es werden viele Fragen zu einzelnen Projekten wie einem Ausleihsystem, einem Fahrradverleih und der Fahrradreparaturstation gestellt. Für den Bereich Kultur gibt es Nachfragen zu Konzepten für ein Campusfestival, welches Yannic als Idee einbringt. Viele verschiedene StuRa-Mitglieder stellen die schwerpunktartige Fragen, die sie für das Referat als wichtig erachten. Yannic hat erstmal auf jede Frage eine konkrete Antwort. In der Aussprache kommt es dann zu den Einschätzungen der StuRa-Mitglieder. Hier kommen neben mehrfachen positiven Bekundungen einige negative Aussprachen zusammen. Ein StuRa-Mitglied findet persönlich Yannics Antwort zum Umgang mit dem Solidarmodell (beim Semesterticket oder dem Kulturticket) nicht gut. Yannic möchte dort die Studierenden stärker einbeziehen und nicht immer alle Veranstaltungen auf den Semesterbeitrag umwälzen. Das StuRa-Mitglied stellt sich dem entgegen und meint, dass eine Umfrage zum Semesterticket zur Politisierung der Studierenden beitragen soll. Andere StuRa-Mitglieder raten Yannic, dass sich die Arbeit mehr auf Veranstaltungen und einzelne Projekte richten soll.

Bei der Wahl bekommt Yannic 25 Ja-Stimmen, 6 Nein-Stimmen, 8 Enthaltungen. Die Wahl wird angenommen, Yannic ist im ersten Wahlgang knapp gewählt (23 Stimmen waren nötig).

Das Ergebnis zeigt, dass es offene Aussprache von einigen StuRa-Mitgliedern gab, die auch erwähnten, dass es vielleicht nicht für eine Ja-Stimme reicht. Aber sollte so überhaupt bei einer Kandidatur gehandelt werden? StuRa-Mitglieder vertreten die Studierenden der einzelnen Fakultät. Generell sind sie damit eine Vertretung der Studierenden aus einem Bereich der Universität. Was wir in dieser Wahl sehen, dass einzelne StuRa-Mitglieder ihre persönliche Überzeugung oder ihren politischen Anspruch als Skala nehmen, um eine Wahlentscheidung zu treffen. Ist das im Sinne der Studierenden?

Beispielhaft ist der Umgang mit einer Umfrage zum Semesterticket: Soll so eine Umfrage die Meinung der Studierenden abfragen oder vorrangig politisieren? Meine Meinung ist da eindeutig, die Studierenden sollen in die Meinungsbildung einbezogen werden. Partizipation ist wichtig, um Entscheidungen zu legitimieren. Der Fokus auf die Politisierung bei knapp 208 Euro zu zahlenden Semesterticket erscheint am Thema und an der Realität der Studierenden, die diesen Beitrag aufbringen müssen, vorbei.

Der StuRa wird zu einer politischen Prüfung

Bei der Kandidatur für das Referat Antifaschismus und politische Bildung tritt Mary mit einer Kandidatur vor den StuRa. Nach der Vorstellung wird schnell klar, dass ein aktuelles politisches Thema im Fokus der Befragung seitens einiger StuRa-Mitglieder steht. Für Mary ist klar, sie hat eine persönliche Einstellung zu Themen und eine Einstellung zu Themen als Mitglied des AStA – hier würde für Mary eine klare Trennung erfolgen. Einige StuRa-Mitglieder können das nicht nachvollziehen und fragen immer wieder nach: Wie kann so eine Trennung erfolgen? Auch in der Aussprache wird das nochmal hervorgehoben, manche StuRa-Mitglieder können sich diese Trennung nicht vorstellen.

Dann kommt es zu einigen eher unschönen Wortbeiträgen, wo Kandidierenden diskriminierende Äußerungen angeheftet werden. Davon distanziert sich Mary eindeutig und auch die Wahlleitung muss eingreifen – die Debatte sollte gegenüber allen fair, sachlich, faktenbasiert und freundlich ablaufen. Danach wird schnell zur Wahl übergeleitet, welche Mary im dritten Wahlgang bei 21 Ja-Stimmen, 11 Nein-Stimmen und 3 Enthaltungen in den AStA delegiert.

Die Debattenkultur wird rau und hart an den Grenzen einer normalen Sitzung. Und man fragt sich so nebenbei: Sind wir im Studierendenparlament oder bei einer Podiumsdiskussion? Das man politische Fragen stellt, steht außer Frage, aber warum wird eine Kandidatur so eindimensional betrachtet und nicht an der Arbeit gemessen, die erfolgen soll?

Für mich stellen sich viele Fragezeichen im Umgang mit Kandierenden. Kann man so neue Menschen für die Studierendenvertretung begeistern? Ist der StuRa für einige Mitglieder mehr politische Spielwiese und keine Interessenvertretung der Studierenden?

Wie schaut ihr auf diese Debatte? Hinweis: Irgendwann steht das Protokoll in der StudiCloud zur Verfügung.

Eine Meinung hat uns direkt erreicht. Bruno selbst StuRa-Mitglied möchte zur dritten Sitzung und der Wahl des AStA-Referates für Antifaschismus und politische Bildung eine persönliche Einschätzung geben. Dafür geben wir Bruno den Raum für einen eigenen Kommentar.

Kommentar Bruno:

Jetzt nachdem sich der Staub gelegt hat, will ich mich als StuRa Mitglied nochmal zur Wahl der AStA-Referentin für Antifaschismus und politische Bildung äußern. Als Präsident des Studierendenrates (StuRa) obliegt es mir nicht auf der Sitzung Kommentare zu Redebeiträgen abzugeben. Allerdings bin ich auch ein Mitglied des StuRa und als dieses bin ich enttäuscht, wie mit der Kandidatur umgegangen wurde. Was gut begann, endete doch schnell in einem diskussionskulturellen Desaster. Ich will konkret werden: Die Versteifung auf die Frage, wie man die persönliche Meinung und die Haltung der Studierendenschaft in seinem Amt vereinbart, hat vor allem demonstriert, welche Redner damit Probleme haben.

Natürlich ist jedes StuRa-Mitglied seinem Gewissen verpflichtet und eine Kandidatin für ein AStA-Referat kann aufgrund ihrer Werte abgelehnt werden. Es ist aber ein riesiger Unterschied, ob man eine Kandidatin ablehnt, weil sie die Werte der Studierendenschaft nicht vertritt oder weil die Kandidatin nicht die eigenen Werte vertritt.

Die Frage nach Konflikten zwischen den Werten einer Person und den Werten, die sie als AStA-Referent vertreten muss, ist berechtigt und wichtig. Dem aufmerksamen Zuhörer auf dieser   StuRa-Sitzung wird aber nicht entgangen sein, dass diese Frage nur einer Kandidatin gestellt wurde. Die Kandidierenden für die Referate Kultur & Nachhaltigkeit und Soziales erhielten sie nicht. Aber mit gutem Willen könnt man sagen: den Rednern ist unglücklicherweise erst spät klar geworden, dass AStA-Referenten auch Privatpersonen mit Vorstellungen sind, die sich nicht zwangsläufig mit denen der Studierendenschaft decken. Nach dieser Erkenntnis wurde gleich mehrmals gefragt: „Was wäre wenn?“. Wobei die Antwort, man würde sich in solchen Fällen der Haltung von der Studierendenschaft unterordnen, nicht befriedigend war. Dieser Unwille, sich mit der Antwort der Kandidatin zufrieden zu geben, deutet an, dass die Redner vielleicht Grund zur Annahme haben, dass sie dazu nicht in der Lage wäre. Bei der Andeutung bleibt es dann auch, vielleicht, weil man sonst in die Verlegenheit gekommen wäre, diese Annahme zu begründen.

Am Ende der Fragerunde haben sich mir viele neue Fragen gestellt. Geht es hier eigentlich um konkrete Wertkonflikte? Geht es nur um ein hypothetisches „Was wäre wenn“ Szenario? Gibt es eigentlich Grund zur Annahme, dass Wertkonflikte eintreten?

Ist man ehrlich, so muss allen klar sein, dass diesen StuRa-Mitgliedern nicht erst jetzt klar wurde, dass AStA-Referenten mit Wertkonflikten zu tun haben. Aber warum wurde diese Frage, dann nur einer Kandidatin gestellt? Es ist meine Auffassung, dass es ausgerechnet diesen Rednern nicht gelungen ist ihre persönlichen Meinungen über die Kandidatin von ihrem Ehrenamt als StuRa-Mitglied zu trennen. Kurzum sie haben mit Steinen im Glashaus geworfen. Für mich ist nämlich klar, dass es hier nicht darum ging, ob die Werte der Kandidatin mit denen der Studierendenschaft übereinstimmten, sondern darum, ob ihre Werte mit denen der Redner übereinstimmen.

Das erklärt dann auch, warum die Antworten der Kandidatin nie befriedigend schienen. Denn die eigentliche Frage wurde nie gestellt: Kann sich die Kandidatin den Werten einzelner Mitglieder unterordnen? Eine Frage, die so dreist ist, dass sie die Eignung als Mitglied des StuRa zur Diskussionssache macht. Das setzt aber auch voraus, dass man sich traut sie auch wirklich auszusprechen.

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