Hallo treue Online-Leser*innen, in diesem Semester erscheint der heuler erneut ausschließlich in digitaler Form hier auf der Website. Um euch bis zur Veröffentlichung am 06.04. einen kleinen Vorgeschmack auf die neue Ausgabe zu geben, gibt es hier nun jeden Tag einen Artikel zu entdecken. Also lasst euch diese Appetizer schmecken und kommt wieder für den Hauptgang: heuler #130.
von Jule Damaske // Illustration: Rosa Staiger
Uni-Vorlesungen, Nebenjob und Freizeitangebote: Egal, was wir tun, unser gesamtes Leben spielt sich gerade vor den sich spiegelnden schwarzen Bildschirmen ab. Das Studierendenleben haben wir uns anders vorgestellt. Statt von einem Café in die nächste Bar zu ziehen, bewegen wir uns von einem digitalen Raum in den nächsten – meist mit nur einem Fingerwisch. Die Screenzeit zeigt wöchentlich erschreckende Zahlen an.
Alles spielt sich online ab
In diesen Zeiten, in denen wir kaum etwas außerhalb unserer vier Wände erleben, greifen wir häufiger zum Handy oder Laptop, um uns Input von außen zu holen. Wenn Instagram, YouTube und Netflix dabei den Großteil unseres Tages einnehmen, fühlen wir uns am Abend manchmal noch einsamer als vorher. Offline-Aktivitäten wie kochen und backen, Spaziergänge im Freien oder das Lesen von Büchern oder Magazinen sind wichtig, um nicht noch tiefer im digitalen Raum zu verschwinden und den Bezug zur Realität nicht zu verlieren.
Wer meint, dass sie oder er das eigene Medienverhalten nicht mehr bewusst kontrollieren kann und das Handy Hunderte Male am Tag checkt mit der Hoffnung auf Neuigkeiten oder Ablenkung, kann sich bei der Evangelischen Suchtberatung in Rostock melden. Dort gibt es eine Motivations- und Selbsthilfegruppe zum Thema „Medien“ für Computerspiel- sowie Internetsucht und Co., jeden zweiten Mittwoch im Monat um 18.00 Uhr.
„Die Leute zögern mehr in Zeiten des harten Lockdowns“, stellt eine Suchtpsychologin der Suchtberatung fest. „Vielen Menschen in den Selbsthilfegruppen fehlt momentan der Austausch, weil wir im harten Lockdown nur telefonische Gespräche oder Mail-Kontakt aufnehmen können“, berichtet sie. Wer sich Hilfe suchen möchte, kann einfach anrufen oder eine Mail schreiben. Der erste Kontakt bleibt anonym und das Problem wird geschildert. Auch Angehörige können anrufen, die dann beraten werden, wie mit der Abhängigkeit anderer Personen umgegangen werden und wie man ihnen helfen kann.
Tipps für einen gesunden Medienkonsum
Momentan verbringen viele Menschen mehr Zeit mit Laptop, Handy und Co. als üblich. Ab wann wird der eigene jedoch Medienkonsum problematisch? „Wenn das soziale Umfeld und das eigene Wohl, also eine gesunde und regelmäßige Ernährung, über einen längeren Zeitraum vernachlässigt wird, ist das problematisch“, meint die Suchttherapeutin. Mit verschiedenen Apps könnt Ihr Eure Screenzeit tracken und sehen, wie oft Ihr am Tag zum Handy greift. Damit verschafft Ihr Euch einen Überblick über die Nutzung.
Jetzt, wo wir oftmals vom selben Gerät aus arbeiten, Vorlesungen besuchen und in der Freizeit entspannen wollen, ist Kontrolle schwierig. „Es ist wichtig, sich Gedanken darüber zu machen, wie viel Zeit reine Arbeitszeit, Organisation und Freizeit oder Spielerei ist“, erklärt die Suchtberaterin. Schnell öffnen sich wie von allein neben den Online-Univeranstaltungen weitere Tabs mit Videos und Unterhaltung, die ablenken. Die Suchtexpertin rät dazu, Internetseiten, die nichts mit der Arbeit oder Uni zu tun haben, in der Arbeitszeit zu meiden. Hilfreich ist es, wenn dafür Zeiträume als auch richtige Räume in der Wohnung eingerichtet werden. Für die Freizeitinternetseiten müsst Ihr Euch dann in eine andere Umgebung begeben, z. B. auf die Couch. Der Schreibtisch wird nur für Uni und Arbeit aufgesucht.
Solche Methoden werden mit der Suchtberatung gemeinsam erarbeitet, um einen gesunden Umgang wiederherzustellen. Bei Alkohol- und Drogenkonsum kommt es schnell zu körperlichen Folgeschäden. Medien-, Internet- und Spielsucht gefährden vorrangig das soziale Wohl. Erschreckend ist: Die Tendenz steigt. Immer mehr Menschen, vor allem junge, suchen sich deshalb professionelle Hilfe.
Zwischen Feierabendbier und Suchtproblematik
Auch mit anderen Suchtproblemen solltet Ihr Euch so schnell wie möglich Hilfe suchen. In den Lockdownzeiten gönnen wir uns wohl öfter mal ein Glas Wein mehr als üblich. Oder wir versuchen einen frustvollen Tag, an dem wir niemanden außer unser eigenes Spiegelbild oder die Mitstudierenden über Zoom zu sehen bekommen haben, mit einigen erfrischenden Bieren aufzupimpen.
Neben der Evangelischen Suchtberatung bietet auch die Caritas in Rostock Beratungsgespräche und Gruppensitzungen für Menschen mit Suchtproblemen an, ganz egal ob Alkohol oder andere Substanzen. Seit einiger Zeit ist das auch wieder vor Ort möglich. Mit einem Anruf vorab wird ein Termin ausgemacht und in einem vertraulichen Rahmen kann offen über die Probleme gesprochen werden. Je nach Raum können nach Vorgaben des Gesundheitsamtes sieben bis zehn Personen an Gruppensitzungen teilnehmen. Es gebe sowohl Therapie- als auch offene Gruppen. Von 14- bis über 80-Jährigen sind so ziemlich alle Altersgruppen vertreten.
Gibt es aufgrund der seit einem Jahr andauernden Corona-Krise mehr Suchterkrankte als sonst? „Ich denke, die Sucht wird erst hinterherkommen“, verrät eine Mitarbeiterin der Suchtberatung der Caritas in Rostock. Noch könnten einige Menschen die Sucht nicht als solche erkennen. Gerade am Anfang fällt das schwer. „Bisher haben wir nicht das Gefühl, dass sich mehr Menschen melden als sonst“, stellt sie fest. „Zum neuen Jahr melden sich immer viele bei uns, wegen der guten Neujahrsvorsätze.“ Ob und wie lange sie regelmäßig zu Treffen gehen, hängt von den Personen und deren Motivation ab. „Es ist gut, sich so schnell wie möglich zu melden“, sagt die Mitarbeiterin. „Je früher, desto besser, bevor es zur Sucht kommt.“
Was kann ich tun?
Was kann ich also tun, wenn ich merke, dass Freund*innen in diesen schwierigen Zeiten sich isolieren und mehr Alkohol, Drogen oder auffällig viel Social Media konsumieren? Die Expertin empfiehlt, das Gespräch mit den betroffenen Freund*innen zu suchen. „Wenn jemand sich auffällig verhält, ist es hilfreich zu vermitteln, dass man sich Sorgen macht. Ein konsequentes Verhalten ist wichtig.“
Das Herunterspielen der Betroffenen sei ein typisches Zeichen der Sucht. „Letztendlich müssen die Betroffenen selbst eine Veränderung wollen, sonst halten sie es nicht lange durch“, erklärt sie. Eine Beratung gebe es auch für Angehörige, die mit der Situation überfordert sind oder Redebedarf haben.
Während des zweiten, oder vielleicht sogar im ersten Lockdown, haben wir vermutlich alle neue Gewohnheiten entwickelt. Es fällt schwer, sich für die einfachsten Sachen zu motivieren. Noch schwerer, wenn es bei den Anderen auf Instagram und Co. so viel leichter aussieht. Wenn der Frust in ungesundem Konsum ertränkt wird, solltet Ihr mit den Betroffenen sprechen und Hilfe anbieten. Wenn Ihr selbst betroffen seid, vertraut Euch jemandem an oder informiert Euch bei der Suchtberatung.
Das eigene (Alkohol-)Verhalten könnt Ihr beispielsweise über einen Selbsttest im Internet, der ehrlich beantwortet werden sollte, überprüfen. Die Mitarbeiterin der Suchtberatung empfiehlt den AUDIT-Fragebogen der Bundesärztekammer. Gegen ein bisschen Alkohol in der Woche ist ja nichts einzuwenden. Täglicher Konsum, auch wenn es nur das Feierabendbierchen oder ein Glas Wein mit den Mitbewohner*innen ist, kann jedoch bereits problematisch sein, da der Körper auch alkoholfreie Tage zum Erholen braucht. Ein gesundes Maß sollte in allen Lebensbereichen gefunden werden, ob beim Alkohol oder mit den elektronischen Endgeräten. Natürlich ist das in Zeiten wie diesen jeden Tag aufs Neue eine Herausforderung. Vielleicht könnten wir einen Tag einplanen und auf Handy, Alkohol und Co. verzichten, um wieder einen genussvollen und bewussten Umgang zu finden.