Besserer ÖPNV! Aber zu welchem Preis?

Von David Wolf // Illustration von Josephin Bauer

Die Rostocker Straßenbahn AG (RSAG) plant den Bau einer neuen Straßenbahnverbindung zwischen dem Zoo und dem Stadtteil Reutershagen. Sechs neue Haltestellen über eine Strecke von vier Kilometern sollen den größten noch nicht an das Straßenbahnnetz angeschlossene Stadtteil anbinden. Auf dem geplanten Weg befinden sich jedoch einige Kleingartenanlagen, die der neuen Strecke weichen müssten.

Mit der letzten größeren Erweiterung des Straßenbahnnetzes im Jahr 2006 wurde die Verbindung zwischen dem Goetheplatz und der Südstadt hergestellt [1]. Seit dem Beschluss der Bürgerschaft von 2021, die Straßenbahnstrecken weiterhin ausbauen zu wollen, liegt die Priorität der RSAG auf dem Ausbau der Strecke zwischen Reutershagen und dem Zoo. Dafür wurde in den letzten Jahren eine Machbarkeitsstudie durchgeführt. Die Ergebnisse zeigen, dass zwar mehrere Varianten einer Schienenerweiterung möglich wären, jedoch nur eine als „volkswirtschaftlich sinnvoll“ erachtet wird: der sogenannte Korridor West. Dieser führt vom Zoo entlang des Barnstorfer Rings vorbei an der Christophorus-Schule (CJD) bis hin zum Braesingplatz, wo er an das bereits bestehende Straßenbahnnetz angeschlossen werden soll. Insgesamt soll die Strecke ungefähr 46 Millionen Euro kosten, wovon bis zu 75% vom Bund übernommen und weitere Mittel durch das Land bereitgestellt werden könnten [2].

Die neue Verbindung soll PKW-Fahrer:innen dazu bringen, auf das Fahren mit der Straßenbahn umzusteigen. Vor allem Eltern von den etwa 1400 Schüler:innen der CJD würden entlastet werden, wenn die Straßenbahn als alternativer Schulweg zur Verfügung stünde.

Nach Schätzung der RSAG könnten täglich 4000 Fahrten auf den Korridor West verlagert werden, wodurch etwa 345 Tonnen CO₂ pro Jahr eingespart werden könnten. Wenn die Pläne der RSAG in der Bürgerschaftssitzung am siebten Juni 2023 eine Mehrheit finden, könnte die Strecke unter optimalen Rahmenbedingungen bis 2030 eröffnet werden[3].

Aus den Plänen der RSAG geht jedoch nicht eindeutig hervor, dass für die Errichtung der neuen Strecke etliche Schrebergärten weichen müssten. Wo sich heute noch die Kleingartenanlagen Am Waldessaum, Sternenwarte, Edelweiß und einige weitere befinden, sollen ab 2027 die Bauarbeiten für das neue Schienennetzwerk beginnen. Weiterhin soll ein Teil des Gebiets in Bau- und Gewerbegebiet umgewandelt werden. Insgesamt wären mit bis zu 1500 Parzellen, etwa 10 Prozent aller Rostocker Kleingärten betroffen. Dabei scheint die Kommunikation zwischen RSAG und den Kleingartenvereinen schwierig zu sein: Am 14.04.23 wurden Vorstandsmitglieder betroffener Kleingartenvereine zu einem Gespräch mit der RSAG eingeladen, in welchem die Pläne für die Streckenerweiterung vorstelltet wurden. Vorstände der Vereine Edelweiß und Barnstorf beschwerten sich darüber, keine Einladung bekommen zu haben, obwohl auch ihre Kleingartenanlagen von den Plänen betroffen sind. Dies schien der RSAG nicht bewusst zu sein.

Dass Kleingartenanlagen Bauprojekten weichen sollen, ist in Rostock keine Neuheit. Seit 2017 liegt die Anlage Grote Pohl in der Südstadt brach. Seither soll das 22 Hektar große Gebiet einem neuen Stadtteil mit bis zu 700 Wohnungen weichen. Bisher haben die Bauarbeiten aber noch nicht begonnen [4].

Obst und Gemüse anpflanzen, Blumen ziehen oder einfach nur ein Grillabend mit Freunden oder der Familie – Kleingärten erhöhen die Lebensqualität ihrer Pächter:innen. Das ist vielen vor allem während der Corona-Pandemie aufgefallen. Eine Studie der Universität Geisenheim fand heraus, dass Personen mit eigenem Garten während der Corona-Lockdowns im Durchschnitt zufriedener mit ihrem Leben waren als Personen ohne Garten [5]. Dabei werden Kleingärten in den letzten Jahren immer beliebter bei jungen Menschen [6]. Doch sie dienen nicht ausschließlich dem Eigennutz. Sie fördern die Artenvielfalt und tragen zur Verbesserung des Stadtklimas bei. Zudem bieten Kleingärten die Möglichkeit, dass Bürger:innen sich aktiv an der Stadtgestaltung beteiligen können. Dass Rostocker:innen sich an der Planung der Stadt beteiligen können, hat die Stadtverwaltung 2019 in einem Leitlinienkatalog verankert [7].

Die Machbarkeitsstudie der RSAG ergab, dass der Korridor West als einzige Variante als „volkswirtschaftlich sinnvoll“ angesehen wird. Inwieweit der Abriss der Kleingartenanlagen und somit die zurückgehende Kompensation von CO₂ in die Studie miteinbezogen wurde, ist aus den Angaben der RSAG nicht ersichtlich. Auf jeden Fall würden Pächter:innen mit ihrem Garten auch einen Teil ihrer Lebensqualität verlieren. Dass der ÖPNV weiterhin ausgebaut wird, in diesem Fall vor allem für Schulkinder, ist dennoch ein wichtiger Punkt. Die Rostocker SPD stellt sich in dieser Streitfrage klar auf die Seite der Kleingärtner:innen. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Thoralf Sens erklärt in einer Stellungnahme: „Eine Zerstörung von bis zu 1.500 Kleingärten werden wir unter keinen Umständen unterstützen!“[8] Die letztendliche Entscheidung über die Thematik wird in der Bürgerschaft gefällt.


[1] https://www.rsag-online.de/aktuell/nachhaltigkeit/strassenbahnnetzerweiterung

[2]  https://www.rsag-online.de/aktuell/nachhaltigkeit/strassenbahnnetzerweiterung/netzerweiterung-reutershagen

[3] https://rathaus.rostock.de/meldungen/344081

[4] https://katapult-mv.de/artikel/kleingartensterben-am-groten-pohl#mitgestalten-laesst

[5] https://www.hs-geisenheim.de/fileadmin/redaktion/FORSCHUNG/Institut_fuer_Logistik_Frischprodukte/Professur_fuer_Gartenbauoekonomie/2020-09_HGU_Studie_Garten_und_oeffentliches_Gruen_in_Zeiten_des_Corona-Lockdowns.pdf

[6] https://de.statista.com/infografik/25204/befragte-die-sich-vorstellen-koennen-einen-kleingarten-zu-betreuen/

[7] https://www.netzwerk-buergerbeteiligung.de/fileadmin/Inhalte/PDF-Dokumente/Leitlinien_neu/rostock_Anlage1-LeitfadenBuergerbeteiligung.pdf

[8] https://spd-fraktion-rostock.de/meldungen/alternative-route-fuer-neue-strassenbahnlinie-notwendig-keine-strassenbahn-auf-kosten-von-kleingaerten

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