„Wir wollen leben, nicht nur überleben“ – Zwei queere Stimmen im Interview

Von Vanessa Stöter // Illustration von Luca Butt

In letzter Zeit hat sich die Situation für queere Menschen massiv verschlechtert. Während Trump seit seiner Amtszeit unzählige Dekrete erlassen hat, die sich gegen queere Förderprogramme und die Rechte von Transmenschen richten, wurde Transfrauen mit dem neuen Gleichstellungsgesetz in der UK der Frauenstatus aberkannt und der damit einhergehende Schutz vor Diskriminierung stark eingeschränkt. Doch auch in Deutschland nimmt die Queerfeindlichkeit stetig zu. Passend zum Pride Month haben wir daher mit zwei queeren Menschen gesprochen, die ihre Sichtweise auf die aktuelle Entwicklung sowie ihre persönlichen Erfahrungen teilen und erklären, welchen positiven Beitrag Unbetroffene leisten können.

1. Es ist Pride Month und noch immer schimpfen Menschen darüber, dass Queerness ein ganzer Monat gewidmet wird. Würdet ihr eure Gedanken teilen, warum wir diesen Monat brauchen?

Cat (they/he): Pride ist ein Protest und keine Feier, auch wenn es viel Spaß macht.

Insbesondere weil gemeckert wird, dass uns ein Monat zusteht, wenn wir unser ganzes Leben in Queerness verbringen. Wir brauchen diese Zeit der Sichtbarkeit. Einen Monat im Jahr haben wir Zeit, unsere Sichtbarkeit aufzudrehen, mit der wir Tag für Tag leben wollen würden. Es gibt Feiertage und Celebration-Monate für viele Gruppen der Gesellschaft und keinen interessiert es. Viele, die zu ihnen gehören, vergessen es sogar und argumentieren: „warum dann kein Monat für Veteranen“, obwohl der eigentlich im Mai ist.

Wir wollen nicht vergessen werden und schlicht zeigen, wer wir sind, und denen, die das nicht können, eine Stimme leihen. Wir protestieren nicht nur für uns, sondern für die ganze queere Welt.

William Nikolaj (he/they): Die steigende Zahl der queerfeindlichen Angriffe ist in heutigen Zeiten beunruhigend. Anderswo muss man sich noch immer abwertende Kommentare anhören und ich rede nicht nur von den Kommentaren von Mitmenschen. Nein, auch die Politiker hören sich queerfeindlicher an denn je! Merz, welcher einfach die Rechte von Personen wieder einschränken möchte? Der kein Problem damit hat, dass Transmenschen in den USA ausradiert werden? Was haben wir getan, dass es euch so weh tut, uns leben zu sehen?

2. Die gesetzliche Lage um Rechte queerer Menschen verschärft sich immer mehr und viele Betroffene, insbesondere was trans*Identitäten betrifft, werden zum Schweigen gezwungen. Gibt es Dinge, die ihr zu der Debatte rund um das Vereinigte Königreich und die Weltpolitik allgemein teilen wollt?

Cat (they/he): Also erstmal boykottiert J.K. Rowling, Leben stehen auf dem Spiel! Die versuchte Ausradierung wird nicht funktionieren. Egal ob die Gesetze es zulassen oder nicht, es wird immer queere Menschen geben, immer trans*Identitäten geben.

Es macht mir zugegeben Angst, dass es heute immer noch Menschen gibt, denen es wichtiger ist, über das Leben anderer zu bestimmen, als ihr eigenes zu leben. Die jüngere Generation spaltet sich immer mehr auf, viele schauen nach rechts aufgrund von Hetze und den obersten Politikern und Stars, die Hass schüren, anstatt ihren Job zu machen und ihre Plattform für Einigkeit zu nutzen. An diese Leute: Schämt euch. Schämt euch, verzieht euch in eure mit Blut bezahlten Villen und lasst den Rest der Welt in Ruhe. Wir werden vielleicht nicht verschwinden, aber einige von uns werden eine bessere Zukunft nicht erleben können aufgrund von den Gesetzen und der Hetze dieser Leute.

William Nikolaj (he/they): Was haben wir euch getan? Wovor habt ihr Angst? Und sagt mir nicht: „was, wenn Männer…“. Männer geben sich nicht die Mühe, diesen langen, nervenaufreibenden Prozess durchzustehen, nur um dann auf die Frauentoiletten zu gehen. Und selbst wenn ihr diese Ausrede benutzt, liegt die Schuld noch immer bei wem? Genau, den Männern. Die Männer, die bei euch in der Politik sitzen und immer und immer wieder menschenverachtende Sätze im Bundestag von sich geben. Euer menschenverachtendes Verhalten ist nur ein Zeichen von Unreife, ihr wollt Probleme machen, wo es keine gibt.

Es gibt so viel weiteres zu sagen, dass man, nein, dass ich sagen möchte. Aber wir sind in einer Zeit, wo man als trans*Person nur verzweifelt die Nachrichten anschaut, in der Hoffnung, noch leben zu dürfen, in der Hoffnung: „Heute ist alles wieder gut“ denken zu können. Und das, nur um zu sehen, was Trump, Merz oder wer auch immer wieder gesagt hat, ohne überhaupt Ahnung davon zu haben. Wir existieren, wir werden existieren, und wenn ihr Angst habt, dass wir neben euch leben, dann liegt das nicht an uns, sondern an euch.

3. Das sogenannte „Gleichstellungsgesetz“ der UK bezieht sich hauptsächlich auf Transfrauen und klammert Transmänner und nicht-binäre Identitäten aus. Inwiefern beeinflusst das die Debatte? Was denkt ihr?

Cat (they/he): Die Ausklammerung von nicht-binären und transmännlichen Personen zeigt in meinen Augen, was viele schon wissen: Transfrauen sind das Hauptziel. Weibliche Identitäten werden hauptsächlich unterdrückt und diskriminiert, dieser Fokus ist ein Resultat von Misogynie und dem Wunsch, zu kontrollieren. Diese Frauen kann man nicht mit Abtreibungsverboten unterdrücken oder mit dem Argument der Schwäche, vor allem, da sie in den Augen derjenigen, die dieses Gesetz unterstützen, immer noch Männer sind. Also verscheucht man sie aus ihren Räumen und versucht sie in eine männliche Rolle zu drücken.

Oft werden Transmänner und nicht-binäre Personen von anderen als „die Schwachen“ abgestempelt, da sie in den Augen der Erlasser wieder durch Misogynie als weiblich und somit „schwächer und leicht zu verletzen“ angesehen werden. Alles in einem ist es eine Sache von Sexismus und falschem Menschenbild.

William Nikolaj (he/they): Es ist ein Witz, wenn man sich diese Debatte anschaut. Cis-Personen haben keine Angst vor trans*Frauen, sie haben Angst vor Männern. Männer sind das Problem, nicht Frauen, die in Ruhe leben wollen. Glauben diese Ankläger da draußen wirklich, dass es denen oder auch allgemein trans*Personen einfach fällt, auf die Toilette zu gehen? Dass wir nicht mit dem Kopf nach unten einen Raum betreten, in der Hoffnung, dass uns niemand anspricht? Wie sehr es uns demütigt, wenn wir auf Toilette gehen wollen? Warum sollte uns diese Sache noch schlimmer gemacht werden? Warum Probleme machen, wo es doch keine gibt.

Um nicht noch emotionaler zu werden: Es ist ein trauriges Gesetz, ein Anschlag auf Menschen, die nur leben wollen, und nichts anderes als menschenverachtend.

4. Erzählt doch gerne kurz von den Hindernissen, denen ihr als nicht-cis-Personen in Deutschland und vielleicht auch an unserer Uni begegnet. Vielleicht habt ihr ja Geschichten parat, die es uns leichter machen, einen Hauch eurer Kämpfe nachvollziehen zu können.

William Nikolaj (he/they): Geschichten habe ich, Geschichten über Geschichten, die ich gar nicht in ein kurzes Interview bringen kann. Ich glaube, viele Storys kann man in Büchern nachlesen, und auch einfach googeln, wenn man sich für das Thema interessiert. Der Fakt, dass ich über ein Jahr warten musste, um einen Platz bei einem Therapeuten zu bekommen, und die Ewigkeiten, die ich warten musste, um meinen Namen zu ändern, mein Testosteron zu bekommen, oder die Gedanken, wie es mit zukünftigen Operationen aussieht.

Ich finde den sozialen Druck auf trans*Personen dabei noch immer am schlimmsten. Die Gesellschaft, die uns weismachen will, wir müssten bestimmten Standards folgen. Die Möglichkeit, sich auszuleben, aber diese enge Gasse, in die uns eine stereotype Gesellschaft schickt, um ihnen zu gefallen. Die Gesellschaft, die einfach nicht offen ist. Die cis-Personen, die uns nicht zuhören, die denken, sie wüssten, wie unser Gehirn funktioniert!

All diese Steps: Operation, Gel, Namensänderung, ich denke, wir tun unser Bestes, damit wir uns wohl fühlen. Nur muss die Gesellschaft anfangen, sich um ihr eigenes Zeug zu kümmern, statt all das Unglück auf uns zu projizieren.

Cat (they/he): Natürlich ist die systematische Ausgrenzung und Erschwerung der Wahrnehmung von Möglichkeiten wie ein „divers“ im Ausweis durch Kosten und überdimensionale Bürokratie ein Hindernis. Ein Professor hat immer alle mit „Herr“ und „Frau“ und dann dem Nachnamen angesprochen, aber sobald ich mich meldete, war diese Regel schnell Geschichte. Irgendwie sehr affirming, weil er nach der Stunde zu mir kam und fragte, wie ich denn gern angesprochen werden würde. Um mal eine positive Geschichte zu teilen. Aber es gibt auch die, die sonst nur in tiktok karen compilations zu sehen sind und dann fragen, ob ich denn mehrere Menschen wäre (ironischer Weise ja-) oder ob ich denn aufs Katzenklo gehe, weil es gibt ja nur männliche und weibliche Menschen, ich wäre ja dann keiner.

Als nichtbinäre Person frage ich mich auch manchmal, ob ich mich nicht einfach entscheiden sollte. Das würde es durchaus einfacher machen und ich habe mit sowohl nur weiblich als nur männlich experimentiert. Daraufhin lag ich dann Nächte lang wach in einer tiefen Identitätskrise, die immer noch häufig hochkommt. Auch ob ich denn Hormone möchte oder nicht, ist schwierig zu entscheiden, wenn man selbst nicht weiß, wo man hingehört. Diskurs innerhalb der Community spricht einem öfter ab, feminin als auch maskulin zu sein und trotzdem sich nicht festzulegen. All das ist pure Verwirrung.

5. Wie können Allys euch bei derartigen Struggles helfen?

Cat: Eher weniger. Klar, der mentale Support ist nice und ich bin auch sehr dankbar dafür, aber viel weiter als dahingehend helfen, ist schlecht möglich. Wenn man natürlich Allys im Umfeld hat, die Experten in Bürokratie sind oder Leute kennen, die auch Leute kennen, die Infos haben, dann könnte es natürlich funktionieren. Aber das ist eben weniger der Fall. Ein Support-System ist trotzdem immer gut und jede Person sollte eins haben!

Auch sind Allys im Bekanntenkreis gut, wenn es um Nummern geht und um Schutz, da sie sich mit uns solidarisieren, aber bei den persönlichen Struggles ist es eher mentaler Support.

William Nikolaj: Bleibt informiert, bleibt offen und kämpft um unsere Rechte. Ihr seid Allys? Ihr seid Teil der LGBTQIA+? Whatever, dann müsst ihr um die Rechte von Menschen kämpfen. Menschen wie ihr.

6. Gibt es blinde Flecken im Verhalten von cis-Personen, vor denen ihr warnen möchtet? 

Cat: Die Welt als cis zu zentrieren! Viele cis-Menschen haben dieses Problem, aber nehmen es nicht wahr, da unsere Welt nun mal auf sie ausgelegt ist. Das ist meist nicht ihre Schuld und ich belange sie auch nicht dafür, aber alles auf ein binäres System einstellen zu wollen, kann ihnen selbst und anderen wehtun oder Chancen nehmen.

Wenn das gender binary in unser aller Köpfen gelockert wäre, würden wir uns auf mehr Sichtweisen einlassen – mehr Perspektiven, die uns sonst geschlechtlich als „komisch“ erscheinen würden. Eine Dezentrierung würde dabei helfen. Lasst die Menschen einfach Menschen sein – ohne Kategorien.

William Nikolaj: Die grundsätzliche Einstellung von: „aber du siehst nicht aus wie …“ oder „XY trägt sowas nicht“. Kleidung ist von Menschen gemacht, die Zeiten ändern sich. Keiner tut dir weh, wenn xy ein Rock oder ein Kleid trägt. Wenn man Make-up trägt oder nicht. Wenn du dich angegriffen fühlst, überlege warum und was wir dafürkönnen. Wir wollen auch nichts mehr als leben, anstatt nur zu versuchen, zu überleben.

7. Stellt euch eure persönliche Utopie vor: Welche Gesetze gelten dort? Seid kreativ und teilt gerne die Vision einer Welt, die nicht von Queerfeindlichkeit geprägt ist.

William Nikolaj: Eine Welt, wo Gesetze gelten, sodass jede Person gleichberechtigt behandelt wird? Ich will nicht pessimistisch klingen, aber sowas wird es nicht geben, leider. Schön wär’s, wenn ein Kind sich nicht mehr outen muss. Wenn man nicht Angst haben müsste, ob man akzeptiert wird oder nicht.

Vielleicht wäre meine erstrebenswerte Utopie eine Welt, wo „Phasen“ nicht als negativ betitelt werden. Wo „anders sein“ nicht existiert. Denn sind wir ehrlich: anders ist das Normative. Kein Mensch ist aufs Auge genau wie der andere. Eine heterogene Gruppe, die sich akzeptiert und offen ist, das wäre die optimale Gesellschaft.

Cat: Selbstbestimmungsgesetz, AfD- und hear me out CDU-Verbot, Ehe für alle überall, Homophobie und Transphobie aus der Religion gestrichen, denn das ist sowieso kein Argument, aber wenn die cherry picken können, dann kann ich das auch.

Drag ist eine eingetragene Kunstform. Versicherungs- und Bürokratiereform, die es leichter macht, an die Hormone ranzukommen, die man braucht. Therapie nicht, um zu beweisen, dass man trans ist, sondern gegen die Traumata, die daraus folgen können. Sportteams werden nach Klassen geteilt statt nur nach Geschlecht.  Hassverbrechen werden auch als Verbrechen gehandelt. Besonders in Deutschland wird Nationalsozialismus härter bestraft und verfolgt, wenn er überhaupt existiert. In einer Utopie gibt’s sowas gar nicht, Tomodatchi life hat gaye paare option, haha. Therapie für alle zugänglich und ich meine alle (und die muss sein, allein aus Präventionsgründen). The arts werden mehr angesehen und besser bezahlt (wenn Geld überhaupt nötig ist – in meiner Utopie gibt’s kein Kapitalismus!!), denn viele queere Menschen gehen in diese Richtung als Ausdruck geschützter queer spaces!

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