Von Sandeep Preinfalk // Illustration von Luca Butt
Kaum ein Thema erlangt so viel Aufmerksamkeit wie von Migtant:innen verübte Straftaten. Unzählige Berichte über Gewalttaten mit mutmaßlich ausländischen Tatverdächtigen erwecken den Eindruck, dass Einwanderung zwangsläufig mit einem höheren Sicherheitsrisiko einhergeht. Diesen verstärken diverse Politiker:innen der CDU und AfD mit ihren scharfen Aussagen zur Migrationspolitik. Doch inwiefern besteht tatsächlich ein Zusammenhang zwischen Kriminalität und Migration?
Zwischen 2005 und 2019 sank die Zahl der registrierten Straftaten in Deutschland deutlich. Laut dem Mediendienst Integration gingen die Straftaten ohne ausländerrechtliche Verstöße in diesem Zeitraum von 6,3 auf 5,3 Millionen zurück – ein Minus von rund 16 Prozent. Auch die Gewaltdelikte reduzierten sich um etwa 15 Prozent. Dieser Rückgang vollzog sich parallel zu einem beachtlichen Anstieg der ausländischen Bevölkerung. Denn diese wuchs zwischen 2005 und 2019 um fast 40 Prozent. Auch nach der Pandemie zeigt sich ein ähnlicher Trend. Zwar stiegen die Straftaten nach den Lockdowns wieder leicht an, liegen 2024 aber noch immer klar unter dem Niveau von 2005. Zugleich hat sich die Zahl der in Deutschland lebenden Ausländer:innen seitdem mehr als verdoppelt. Die Daten zeigen demnach, dass ein höherer Ausländeranteil an der Bevölkerung nicht automatisch zu mehr Kriminalität führt.
Allerdings sind Migrant:innen unter den polizeilich erfassten Tatverdächtigen, den gerichtlich Verurteilten sowie den Strafgefangenen überrepräsentiert. In der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) für das Jahr 2024 machten ausländische Tatverdächtige etwa 35 Prozent aller registrierten Tatverdächtigen aus, während ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung bei rund 15 Prozent lag. Dies lässt sich jedoch nicht einfach mit einer herkunftsbedingten oder kulturell verbundenen Neigung zur Kriminalität erklären, sondern beruht auf mehreren Faktoren.
Erstens ist die PKS keine Verurteilungsstatistik, sondern eine Verdachtsstatistik. Sie erfasst alle Personen, die von der Polizei als tatverdächtig geführt werden – unabhängig davon, ob später eine Anklage erfolgt oder ein Gericht eine Schuld feststellt. Zweitens verzerren selektive Polizeiarbeit und das Anzeigeverhalten die Statistiken. So offenbaren mehrere Untersuchungen, dass Personen, die äußerlich als „fremd“ wahrgenommen werden, häufiger kontrolliert und angezeigt werden (auch bekannt als racial profiling). Laut dem Mediendienst Integration wird etwa bei jugendlicher Gewalt ein nichtdeutscher oder eine nichtdeutsche Täter:in in 12 Prozent der Fälle angezeigt, während es bei deutsch-deutschen Konflikten nur 6,6 Prozent sind. Zudem begünstigt die Polizeiliche Kriminalstatistik selbst Verzerrungen. Als „ausländische Tatverdächtige“ werden nicht nur in Deutschland lebende Migrant:innen gezählt, sondern auch Tourist:innen, Saisonarbeiter:innen oder Transitkriminelle. Damit steigt der Anteil, ohne dass es sich um dauerhaft hier lebende Zuwander: innen handelt.
Drittens steigern sozio-ökonomische Lebensbedingungen und ortsspezifische Faktoren das Risiko, Straftaten zu begehen. Viele Migrant:innen sind häufiger von belastenden Lebensumständen wie Arbeitslosigkeit oder Armut betroffen. Außerdem wohnen sie an Orten, die eine überdurchschnittlich hohe Kriminalitätsdichte aufweisen. Diese Verhältnisse erschweren ihnen die soziale Teilhabe und erhöhen ihre Strafanfälligkeit.
Viertens stellt die Alters- und Geschlechtsstruktur der Zuwanderung einen wesentlichen Grund für die Überrepräsentation von Migrant:innen dar. Unter den ausländischen Staatsangehörigen in Deutschland ist der Anteil junger Männer deutlich höher als unter den Deutschen. Diese Gruppe ist generell in allen Gesellschaften stärker in der Kriminalstatistik vertreten. Studien belegen seit Jahrzehnten, dass gerade junge Männer zwischen 18 und 30 Jahren ein überdurchschnittliches Risiko haben, straffällig zu werden, und zwar unabhängig von Herkunft oder Nationalität.
Darüber hinaus lassen sich Unterschiede zwischen verschiedenen Migrantengruppen feststellen. Erwachsene Zuwander:innen der ersten Generation sind häufig weniger auffällig als Deutsche. Studien führen das auf eine hohe Motivation zur Integration und eine starke Normorientierung zurück. Dagegen zeigt sich bei Jugendlichen der zweiten Generation ein höheres Risiko für Straffälligkeit. Hier spielen Faktoren wie soziale Benachteiligung, Diskriminierungserfahrungen und Gruppendynamiken eine zentrale Rolle. Dennoch handelt es sich auch bei dieser Gruppe nur um eine kleine Minderheit, die straffällig wird.
Die Daten offenbaren also, dass Migration allein kein Risikofaktor für Kriminalität ist. Vielmehr entscheiden der Zugang zu Bildung und Arbeitsmarkt sowie die Zukunftsperspektiven und das soziale Umfeld darüber, wer straffällig wird. Dies untermauern auch internationale Studien aus den USA und anderen europäischen Ländern. Folglich müssen sich Politiker:innen auf die erfolgreiche Integration der Migrant:innen und Aufarbeitung der Kriminalstatistiken fokussieren, statt mit vermehrten Forderungen zur Zuwanderung und unhaltbaren Aussagen zur Ausländerkriminalität die Ängste bestimmter Bevölkerungsteile zu bedienen.