Die ersten Frauen an der Juristischen Fakultät der Universität Rostock

Von Hannes Goerke / Illustration: Lara Kaminski

Für die Unterstützung bei der Recherche dankt der Autor den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Universitätsarchivs Rostock.

Das Sommersemester 1919 bringt für die Universität Rostock eine ganz besondere Veränderung mit sich: Seither ist es Frauen möglich, ein Studium der Rechtswissenschaften an der Juristischen Fakultät aufzunehmen. Weil über die ersten Rostocker Juristinnen bisher wenig bekannt ist, beleuchtet dieser Beitrag die Biografien jener Frauen, die als Erste an der Juristischen Fakultät der Universität Rostock studiert und promoviert haben. Die Geschichte der ersten Rostocker Juristinnen ist dabei mehr als nur eine Aneinanderreihung biografischer Daten. Sie erzählt vom Beginn einer gesellschaftlichen Transformation, die sich langsam, aber nachhaltig vollzog. Gerade in einer Zeit, in der die Frage nach Gleichberechtigung und Chancengleichheit wieder neu verhandelt wird, lohnt der Blick auf diese Anfänge umso mehr. Er erinnert daran, dass Fortschritt selten in großen Sprüngen geschieht, sondern in den leisen, aber entschlossenen Schritten jener, die den Mut haben, sie als Erste zu gehen.

Studentinnen

Margarete Cohn

Am 29. April 1919 wurde Margarete Cohn als erste Studentin an der „Juristischen Fakultät“ [1] der Universität Rostock immatrikuliert. Die Tochter des Kaufmanns William Cohn wurde am 5. September 1900 in Rostock geboren. Ihr Elternhaus befand sich in der nördlichen Altstadt, genauer gesagt in der Koßfelderstraße. Das Matrikelbuch aus dem Jahr 1918/19 weist Margarete als mecklenburgische Staatsangehörige jüdischen Glaubens aus.

Bedauerlicherweise war Margarete nicht lange Studentin. Bereits im November 1919, nur wenige Monate nach ihrer Immatrikulation, verstirbt sie im Alter von gerade einmal 19 Jahren. Die Gründe für ihren Tod sind unklar. Margarete wurde auf dem jüdischen Friedhof im heutigen Lindenpark begraben. Auf ihrem Grabstein heißt es dort:

„Hier ruht
in der Blüte ihrer Jugend
durch ein trauriges Geschick dahingerafft
unsere innigstgeliebte Tochter
und Schwester
Margarete Cohn
stud. jur.
geb. in Rostock am 5. Septbr. 1900
gest. in Rostock am 9. Novbr. 1919.”

Einige Jahre nach dem Tod von Margarete wird die Familie Cohn aufgrund ihres jüdischen Glaubens von den Nationalsozialisten verfolgt. Die Mutter Emma Cohn (geb. Goldschmidt) wird 1943 im Vernichtungslager Theresienstadt ermordet. Der Vater William Cohn stirbt im selben Jahr, allerdings in Berlin. Margarete hatte außerdem einen jüngeren Bruder, Fritz Cohn, der am 27. Oktober 1906 geboren wurde und im Jahr 1939 ebenfalls in Berlin starb.

Elsbeth Ahnert

Nur wenige Tage nach der Immatrikulation von Margarete wurde am 2. Mai 1919 auch Elsbeth Ahnert offiziell zum Jurastudium an der Universität Rostock zugelassen. Die damals 26-jährige Tochter eines Lehrers wurde am 19. Februar 1893 in Dresden geboren und wohnt zum Zeitpunkt ihrer Immatrikulation in Gehlsdorf.

Aus dem „Vorlesungs-Verzeichnis der Universität Rostock Sommerhalbjahr 1919“ [2] ergibt sich, dass die ersten Vorlesungen bereits am 5. Mai 1919 begannen. Viel Zeit zur Vorbereitung blieb also nicht. Elsbeth besuchteim Sommersemester 1919 unter anderem die Vorlesung „Römische Rechtsgeschichte“, gelesen vom damaligen Dekan der Juristischen Fakultät Professor Franz Bernhöft [3] sowie die Vorlesung „Zivilrechtsfälle des täglichen Lebens“, gelesen von Professor Franz Haymann [4]. Dies ergibt sich aus der Studentenakte von Elsbeth.

Zum Ende des Sommersemesters 1920 ließ sich Elsbeth nach drei Semestern des Jurastudiums von der Universität Rostock exmatrikulieren. Ein Grund für ihr Ausscheiden wurde allerdings nicht verzeichnet. In ihrem Abgangszeugnis wird ihr der ordnungsgemäße Besuch von insgesamt 15 Vorlesungen bescheinigt.

Irmgard Schmitz

Die dritte Jura-Studentin an der Universität Rostock war Irmgard Schmitz. Sie war 21 Jahre alt, als sie sich am 6. Mai 1919 an der Universität Rostock immatrikulierte. Im Verlauf des Sommersemesters 1919 werden sich mit ihr noch insgesamt 669 weitere Personen an der Universität Rostock einschreiben. Irmgard wurde in einer kleinen Gemeinde im heutigen Schleswig-Holstein geboren. Ihr Vater war zum Zeitpunkt ihrer Einschreibung Pastor in Stettin. Aus dem Matrikelbuch ergibt sich außerdem, dass Irmgard nicht nur Jura-Studentin war, sondern sich gleichzeitig auch für ein Studium der Staatswissenschaften eingeschrieben hatte. Doch auch Irmgard war nicht lange an der Universität Rostock. Im September 1919 lässt sie sich wieder exmatrikulieren. Auch hier wurde kein Grund verzeichnet.

Im Wintersemester 1919/20 waren in Deutschland gerade einmal 9 Prozent der Studierenden weiblich. [5] Die Anzahl der Frauen an den Juristischen Fakultäten war zu dieser Zeit mit durchschnittlich 2,6 Prozent noch einmal deutlich geringer. [6] Dies liegt womöglich daran, dass es Frauen erst ab 1922 möglich war, auch in den klassischen juristischen Berufen zu arbeiten. [7] Vorher durften sie nur verwandte Berufe ergreifen, was das Jurastudium für Frauen deutlich unattraktiver gemacht haben dürfte.

Margarete, Elsbeth und Irmgard waren jedenfalls die Ersten. Die ersten Frauen, die an der Juristischen Fakultät offiziell studiert haben. Der Grundstein für den Zugang für Frauen an der Juristischen Fakultät der Universität Rostock war damit gelegt.

Promovendinnen

Doris Pfeiffer

Nachdem die Universität Rostock 1909 grundsätzlich für Frauen geöffnet wurde, dauerte es noch eine ganze Zeit bis die erste Frau an der Juristischen Fakultät die Doktorwürde erlangte. Soweit ersichtlich war es Doris Katharina Pfeiffer, die mit ihrer Dissertation „Arbeitsverbote und Arbeitszeitschutz für Minderjährige in gewerblichen Betrieben und im Bergbau“ im Jahr 1927 als erste Frau an der Juristischen Fakultät der Universität Rostock promoviert wurde. Dies ergibt sich aus der Promotionsakte von Doris. Dort ist aufgelistet, dass sie ihre mündliche Doktorprüfung am 20. Juli 1927 im Fakultätszimmer der „Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät zu Rostock“ bestanden hat. Im Verlaufe des Jahres 1927 wurde dann ihre Arbeit veröffentlicht.

Doris wurde in Berlin geboren, war die Tochter des Kaufmanns Otto Pfeiffer und 20 Jahre alt, als sie sich im Mai 1923 das erste Mal an der Universität Rostock immatrikuliert. Bei ihrer Einschreibung gab sie an, bereits ein Semester in Berlin studiert zu haben. Nur wenige Wochen später exmatrikulierte sich Doris jedoch von der Universität Rostock und wechselte höchstwahrscheinlich wieder nach Berlin, an die damalige Friedrich-Wilhelms-Universität. Hinweise darauf enthält das Matrikelbuch von 1926/27, denn im Februar 1927 schrieb sich Doris erneut an der Universität Rostock ein. Bei ihrer zweiten Immatrikulation gab sie nun an, zuvor ein Semester in Rostock (SoSe 1923), ein Semester in Heidelberg und 5 Semester in Berlin studiert zu haben.

Im Jahr 1927 wurde jedenfalls auch ihre Dissertation veröffentlicht. Betreut wurde die Arbeit vom Universitätsprofessor Paul Gieseke, der von 1922 bis 1929 Professor für deutsches und bürgerliches Recht an der Universität Rostock war. [8] Zu dieser Zeit war Doris Referendarin.

Hilda Kliefoth

Ein Jahr später, am 4. August 1928, schließt auch Hilda Kliefoth ihr Promotionsvorhaben an der Juristischen Fakultät ab. In ihrer Dissertation behandelt sie das Polizeiverordnungsrecht in Mecklenburg-Schwerin. Betreut wurde die Arbeit vom Universitätsprofessor Max Wenzel. Wenzel war von 1920 bis 1928 Professor für Öffentliches Recht an der Universität Rostock. [9]

Ein abgedruckter Lebenslauf am Ende von Hildas Dissertation bietet folgenden Einblick in ihren Werdegang:

„Am 16. Juni 1904 wurde ich als Tochter des Kaufmannes Heinrich Kliefoth und seiner Ehefrau Auguste, geb. Schumacher, zu Rostock geboren. Ich besuchte die Gymnasiale Studienanstalt in meiner Vaterstadt. Nach Absolvierung derselben widmete ich mich dann dem Studium der Rechtswissenschaften und studierte zunächst 2 Semester in Rostock. Darauf bezog ich die Universität Jena, an welcher ich 3 Semester lang meinen Studien oblag. Hierauf kehrte ich nach Rostock zurück, woselbst ich mein Studium am 15. Februar 1928 zunächst durch Bestehen der ersten juristischen Staatsprüfung zum Abschluß brachte. Seit dem 20. April 1928 bin ich im Vorbereitungsdienst zum zweiten juristischen Staatsexamen beschäftigt. Am 4. August 1928 bestand ich dann das Rigorosum.“

Ihr bisheriger Lebenslauf lässt vermuten, dass Hilda eine leidenschaftliche Juristin war. Und auch ihr weiterer Werdegang bestätigt dies. Aus ihrer Promotionsakte ergibt sich, dass Hilda in den Jahren nach ihrer Promotion unter anderem als Hauptsachbearbeiterin in der Universitätsverwaltung und später eine lange Zeit im Justiziariat der Universität Rostock gearbeitet hat.

Elsbeth Ahnert

Elsbeth Ahnert gehört nicht nur zu den ersten Studentinnen an der Juristischen Fakultät, sondern sie ist auch eine der ersten Frauen, die dort promoviert haben.

Wie oben bereits beschrieben, exmatrikulierte sich Elsbeth Ahnert im Juli 1920 nach drei Semestern des Jurastudiums. 10 Jahre später, im Jahr 1930, wird dann ihre Dissertation mit dem Titel „Die elterliche Gewalt der Mutter nach dem Bürgerlichen Gesetzbuche“ veröffentlicht. Rückschlüsse auf ihr Leben nach der Exmatrikulation bis hin zur Fertigstellung ihrer Doktorarbeit ergeben sich leider weder aus der Promotionsakte, noch aus ihrer Dissertation selbst. Die mündliche Verteidigung ihrer Arbeit findet erstmalig am 26. Februar 1930 statt. Doch die Verteidigung wird mit der Note „ungenügend“ bewertet, was dazu führt, dass sie diese wiederholen muss. Der zweite Versuch findet dann knapp 9 Monate später am 3. Dezember 1930 statt. Diesen Versuch besteht Elsbeth, worauf hin ihr das Doktor-Diplom verliehen wurde.

Abschließende Worte

Mit der Immatrikulation von Margarete Cohn, Elsbeth Ahnert und Irmgard Schmitz im Sommersemester 1919 begann für die Juristische Fakultät ein neues Kapitel. Ihr Mut, ein Studium aufzunehmen, das bis dahin als männliche Domäne galt, war ein stiller, aber bedeutender Akt der Emanzipation. Auch wenn viele dieser frühen Studentinnen keine juristischen Karrieren im heutigen Sinne verfolgen konnten, legten sie doch den Grundstein für jene Frauen, die später etwa als Richterinnen oder Staatsanwältinnen arbeiten konnten. Mit den ersten juristischen Promotionen von Doris Pfeiffer, Hilda Kliefoth und schließlich Elsbeth Ahnert wurde auch in Rostock der Beweis erbracht, dass wissenschaftliche Spitzenleistung kein Geschlecht kennt.

Heute sind knapp 64 % der Studierenden im Bachelor Good Governance Frauen, im Master sind es circa 60 % Frauenanteil. Es sind viele Schritte in Richtung Emanzipation gegangen, es fehlt allerdings weiterhin die schlussendliche Gleichberechtigung im Bildungsweg – Promotionen: knapp 30 % sind Doktorandinnen; Professorinnen: lediglich eine der aktuell sieben Professuren ist mit einer Frau besetzt. [10]


[1] Damals noch „Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät zu Rostock“.

[2] http://rosdok.uni-rostock.de/data/Preview-PuV/PDF/1919_SS_VV.pdf.

[3] Eintrag von „Franz Bernhöft“ im Catalogus Professorum Rostochiensium, https://purl.uni-rostock.de/cpr/00000568.

[4] Eintrag von „Franz Haymann“ im Catalogus Professorum Rostochiensium, https://purl.uni-rostock.de/cpr/00003397.

[5] Lothar Mertens, Die Entwicklung des Frauenstudiums in Deutschland bis 1945, https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/archiv/534903/die-entwicklung-des-frauenstudiums-in-deutschland-bis-1945/.

[6] Marion Röwekamp, Die ersten deutschen Juristinnen, 2011, S. 99 f.

[7] Siehe Gesetze über die Zulassung der Frauen zu den Ämtern und Berufen in der Rechtspflege vom 11. Juli 1922 (RGBl. 1922 I, S. 573).

[8] Eintrag von „Paul Gieseke“ im Catalogus Professorum Rostochiensium, https://purl.uni-rostock.de/cpr/00001847.

[9] Eintrag von „Max Wenzel“ im Catalogus Professorum Rostochiensium, https://purl.uni-rostock.de/cpr/00003446.

[10] Hochschulstatistik. https://www.dienstleistungsportal.uni-rostock.de/informationen/hochschulorganisation/hochschulstatistik.

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