Eine Rezension zur Kulturticket-Veranstaltung “Madame Butterfly” im Volkstheater Rostock
Text: Vanessa Stöter // Foto: Vanessa Stöter
Wir Studierende der Universität Rostock haben oft nicht vor Augen, welches Privileg doch das Kulturticket ist. Einmal den Studierendenausweis gezückt, bekommen wir beispielsweise an der Abendkasse im Volkstheater noch eine Karte im Parkett des großen Saales und das ohne Eintrittskosten, wenn es noch keine Pläne für den Abend gibt. Spontan mal in die Oper? An der Kasse nachgefragt, Ausweis gezeigt und schon kann man in den Empfangsbereich spazieren und Kultur der Hansestadt erleben. Natürlich gilt diese Möglichkeit nicht universell, doch weisen Websites und Programmflyer meist entsprechende Veranstaltungen als Kulturticketevents aus. Aus diesem Gedanken heraus ging ich im November in die Oper “Madame Butterfly” im Volkstheater. Vorher hatte ich nie eine Oper besucht und die Tatsache, dass mir das Kulturticket die Möglichkeit bietet, diese Kunstform kennenlernen zu dürfen, ohne dass es mich Unsummen kostet, ist sehr wertvoll.
Die Produktion rund um Madame Butterfly handelt von einem frisch verheirateten Ehepaar, wobei der Fokus auf Madame Butterfly liegt. Cio-Cio-San, wie die Protagonistin japanischer Abstammung mit Rufnamen heißt, wird im Zuge einer zwielichtigen Fernsehsendung namens “Love At First Sight” mit dem wohlhabenden amerikanischen Marineoffizier Pinkerton verkuppelt. Beide geben einander das Ja-Wort, wenn auch aus verschiedenen Absichten heraus in unterschiedliche Folgen hinein.
Die Geschichte basiert auf der gleichnamigen Erzählung aus 1898 von John Luther Long, die zwei Jahre später von David Belasco zu “Madame Butterfly. Eine japanische Tragödie” weiterverarbeitet wurde. Daraus entwickelte sich 1904 das Libretto von Giuseppe Giacosa und Luigi Illica. Wie auch in der ursprünglichen Fassung, ist die Aufführung im Volkstheater in zwei Akte unterteilt, wurde in Bezug auf die Handlung jedoch modernisiert. So steigen wir begleitet vom Kamerateam des Reality-Vermittlungsformates in die Geschichte ein. Sowohl die Film- als auch Handykamera verlässt die Hauptfigur auf ihrem Leidensweg selten, sodass sich die Figuren stets unter Beobachtung befinden, auch während ihrer intimsten Momente. Das ist ein Aspekt an der Geschichte, der mir sehr zugesagt hat, da er das permanente Beobachtetfühlen unserer Zeit neben sozialen Medien und reißerischer Unterhaltungslust passend einfängt.
Auch das Bühnenbild kann sich sehen lassen. Die Requisiten und Kostüme geben non-verbal Details über die Figuren preis, deren Bedeutung sich im Verlauf des Stückes erschließt oder ganz der freien Interpretation zur Verfügung steht.
Nichtsdestoweniger möchte ich auch meine kritischen Gedanken anbringen. “Madame Butterfly” inszeniert die Leidensgeschichte einer Frau asiatischer Herkunft, ist queerpositiv und kritisiert erzkonservative, religiöse Sitten, die an Minderjährigen praktiziert werden. Doch obwohl die Produktion bemüht ist, den Zahn der Zeit zu treffen, gelingt es ihr nicht immer.
Der Scheinwerfer des Leides richtet sich meist auf Cso-Cso-San, die eine durchweg passive, verblendete und leichtgläubige Hauptfigur abbildet. Sie erfüllt jegliche Stereotype des Archetyps blasser weiblicher Figuren. Zugegeben: sie als 15-Jährige neben einem Mann in den 30ern in einem Machtgefälle gefangen, bei dem man keine Waage hinzuzuziehen braucht. Selbst Pinkerton wirkt für einen Moment abgestoßen von der Vermählung mit einer minderjährigen Braut (allerdings nicht anhaltend genug, um seine Lust und Gier eine Szene später zu besingen). Doch Machtgefälle hin oder her: Teenager haben in ihrer Charakterisierung ebenfalls psychologische Tiefe verdient. Sie haben es verdient, neben verliebter Leichtgläubigkeit und verschämter Jungfräulichkeit sowie schüchterner Leichtgläubigkeit, ihre Klugkeit, ihre sexuellen wie emotionalen Bedürfnisse kommunizieren zu dürfen. Explizit wird es jedoch meist erst in jenen Momenten, in denen der Besitzanspruch Pinkertons geltend gemacht wird. Während Cso-Cso-San von schwammiger Liebe, Glück und der Sehnsucht in Meermetaphern singt, macht Pinkerton seine Forderungen deutlich, in die unsere Protagonistin ohne weiteres einfällt. Ich bin nun dein Besitz? Na, wenn du es sagst.
Zumal Suzuki, die Zofe und beste Freundin unserer Madame Butterfly ebenfalls im selben Alter ist, ohne Beachtung jegliche Kehrarbeit verrichtet und dabei kaum die Möglichkeit bekommt ihr Leid zu besingen. Stets existiert die Freundin nur in Bezug auf Cso-Cso-San. Selbst Antagonist Pinkerton, den doch sein Ghosting das halbe Stück hinweg kennzeichnet, bekommt die Bühne, den Schmerz seiner Reue ausgiebig zu beklagen. Ebenso sein bester Freund. Ich habe rückblickend den Eindruck, dass trotz Bearbeitung mit feministischer Intention noch immer jene Figuren ihre Perspektive teilen dürfen, die privilegierter oder den konservativen Klischees entsprechend entwickelt wurden.
Wobei sich auch argumentieren lässt, dass genau darin gezeigt wird, wem das Leiden in der Öffentlichkeit überhaupt “zusteht”, läuft doch die Kamera während der Auseinandersetzungen mit. Zwar ist die Handlung nicht selten zum Haareraufen, doch will sie wahrscheinlich genau das sein. Ich denke, die Oper eröffnet in jedem Fall interessante Räume für Gesprächsimpulse. Diese könnten für uns Studis interessanter sein als vielen bewusst ist. Das Schöne: es gibt noch Termine, die diese Tür offenhalten.
Weitere Aufführungen finden im Dezember statt, genauer am 07.12. um 15 Uhr und am 12.12. Um 19:30 Uhr. Weiterhin wirbt das Volkstheater in der Stückbeschreibung mit der Tatsache, dass die musikalische Leitung von einem neunen 1. Kapellmeister übernommen wird: Svetlomir Zlatkov. Dieser stelle sich mit dieser Produktion dem Rostocker Publikum vor. Ein neues Gesicht in einer Position, die eine Fangemeinde sucht.
Ich persönlich kann zum Thema Gesang und Orchester nicht viel Gehaltvolles sagen. Musikalisch gibt es geschultere Ohren als meine, doch habe ich dem Applaus entnehmen können, dass Kenner:innen um mich herum Begeisterung zeigten. Kulturerfahrungen wie diese würde ich genau aus solchen Gründen öfter wahrnehmen wollen. Sie erweitern den Horizont und ich bin dem Kulturticket dankbar für die Möglichkeit, auch in dieser Hinsicht diverser eintauchen zu können.
Des Übrigen halte ich es für erwähnenswert, dass es sich bei der Oper um eine italienische Produktion mit deutschen “Obertiteln” handelt. Das bedeutet, dass eine Textspur über der Bühne ausgestrahlt wird, der man folgen kann, um auch inhaltlich nicht den Faden zu verlieren. Anfangs sorgte diese Tatsache bei einigen Gästen für Irritation, mich eingeschlossen, doch gewöhnte man sich an diesen Umstand, sodass auch mein Auge (das nur mäßig von Animes mit Untertiteln geschult ist) dem Geschehen auf sowie dem Text über der Bühne folgen konnte.
