von Jolissa Rusin.
Zur Einführung meiner Rubrik Menschentypen habe ich mich genauer mit Empathen und Hochsensiblen beschäftigt. In dieser Ausgabe möchte ich daran anknüpfen, aber gleichzeitig auch einen Kontrast setzen, indem ich mich an ein sehr feinfühliges Thema herantaste, der narzisstischen Persönlichkeitsstörung.
Die empirische Erforschung setzt sich erst seit dem frühen 21. Jahrhundert mit dieser in der Gesellschaft verbreiteten Persönlichkeitsstörung auseinander und beleuchtet dabei vor allem die Kindheit und die Zeit des Heranwachsens der Betroffenen, aber auch die sozialen Netzwerke und deren Einfluss. Belegte methodische Studien zur Ursache dieser Erkrankung sind noch nicht existent, da die narzisstische Persönlichkeitsstörung ein sehr breites Spektrum mit vielen nicht abgrenzbaren Merkmalen zu anderen Erkrankungen ist. Es gibt auch keine Persönlichkeitsstörung, in welcher der Narzissmus nicht eine spürbare Rolle spielt. Dieser Artikel bietet keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern nimmt eine aufklärende Funktion ein, da er auf eine umfangreiche und wissenschaftliche Recherche sowie auch auf Erfahrungen aus meinem persönlichen Umfeld zurückführt.
Das Wort Narzisst hat seinen Ursprung in der altgriechischen Sage. Narziss war ein Jüngling, der so stolz auf seine eigene Schönheit war, dass er alle Verehrer und Verehrerinnen ablehnte. Doch der letzte Verehrer war so tief getroffen, dass er sich selbst umbrachte. Vor seinem Tod rief er die Götter auf, seinen Tod zu rächen und Narziss dafür zu strafen. Diesem Wunsch gingen die Götter nach und sorgten dafür, dass sich Narziss beim Blick in eine Wasserquelle in sein eigenes Spiegelbild verliebte. Bei dem Versuch, sich mit seinem Spiegelbild zu vereinen, ertrank Narziss. Seither gilt ein Narzisst als eine selbstverliebte Person. Im Duden wird Narzissmus als übersteigerte Selbstliebe definiert. Für mich ist das ein Grund dafür, dass viele Menschen in unserer heutigen Gesellschaft Probleme damit haben, sich selbst zu lieben und stattdessen etwas grundlegend Schlechtes und Falsches mit Selbstliebe assoziieren. Was denkt Ihr darüber? Wenn Ihr Euch jetzt angesprochen fühlt und Euch für dieses Thema interessiert, dann schreibt bitte Eure Gedanken nieder und teilt sie in den sozialen Netzwerken unter dem Hashtag #heulerkeinTabu. Vielleicht können wir so behutsam auf psychische Erkrankungen in unserer Gesellschaft aufmerksam machen und weiter Aufklärungsarbeit leisten.
Ab wann sind wir Narzissten?
Für unser eigenes Wohlbefinden ist eine gesunde Selbstliebe absolut fundamental. Uns selbst zu mögen, für uns selbst einzustehen und da zu sein, ist wesentlich für unser Leben. Nun lässt sich der Narzissmus in gesunder und pathologischer Narzissmus unterscheiden. Die narzisstische Persönlichkeitsstörung ist eine tief greifende Erkrankung mit signifikanten Beeinträchtigungen der sozialen Fähigkeiten, welche mit bestimmten Merkmalen einhergeht. Narzissten können starke, erfolgreiche, charismatische Persönlichkeiten sein, die Menschen anziehen und begeistern können. Doch krankhafte Selbstbezogenheit macht sich beispielsweise durch ihre fehlende Fähigkeit, Emotionen korrekt zu nehmen oder abzubilden, bemerkbar. Betroffene der narzisstischer Persönlichkeitsstörung weisen Merkmale aus den Feldern der Autonomie, der Identität, der Selbstlenkung, dem Empfinden von Empathie, emotional-sozialer Intelligenz, Intimität und Sexualität auf und sind Schwierigkeiten in der Funktionalität der Persönlichkeit ausgesetzt. Der Kern ihres Wesens ist auf ein sehr geringes Selbstwertgefühl begründet, welches eine Anfälligkeit gegenüber negativer Kritik aufweist. Diese auffallende Empfindlichkeit gegenüber Kritik kann zu einer schamhaften, wütenden Reaktion der Betroffenen führen. Sie ziehen sich lieber zurück und meiden den Kontakt. Die Betroffenen, welche nicht den scharmbesetzten Rückzug antreten, möchten alles richtigstellen oder abstreiten. Diese negative Kritik führt zu einer ganz hohen Selbstabwertung, da die Narzissten nicht anerkennen können, dass sie auch mit ihren Fehlern geliebt werden und kein Vertrauen in sich selbst an den Tag legen.
Wie entsteht eine narzisstische Persönlichkeitsstörung?
Viele verschiedene biologische, psychische, umweltbezogene Anteile oder Ursachen werden untersucht. Die zwei am häufigsten diskutierten Theorien, auf die wir treffen, sind die psychoanalytische Theorie und die Perspektive der sozialen Lerntheorie. Die Vertreter der psychoanalytischen Theorie sind der Auffassung, dass die Störung durch wenig oder fehlende Liebe, Anerkennung und Zuneigung im Elternhaus oder von anderen Bezugspersonen begünstigt wird. Emotionale Inkompetenz oder inkompetente Handlungen der Eltern wirken sich sehr schädlich auf die Entwicklung des Kindes aus und führen durch die fehlende, aber benötigte Bestärkung zu einem Zustand der emotionalen oder seelischen Verwahrlosung beim Heranwachsen des Kindes zu einer selbstständigen Persönlichkeit. Wenn die Betroffenen keine Bestärkung bekommen, sie diese aber dringend in der Persönlichkeitsausbildung brauchen, geben sie sich diese selber, jedoch ohne ein Maß. Dadurch lernen die Betroffenen, ihre Fähigkeiten zu übertreiben und immer als besonders toll darzustellen, um diese fehlende Geborgenheit von ihren Eltern ein kleines bisschen zu neutralisieren und einen Ausgleich zu erzielen.
Eine weitere Theorie beschreibt einen genetischen Zusammenhang zur Entstehung einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Menschen werden mit messbaren Hirnanomalien geboren, die nicht heilbar und zumeist nicht einmal ansprechbar sind, Störungen im limbischen System. Dabei liegt eine Verdünnung der grauen Hirnsubstanz der Hirnrinde vor. Doch die stärkste Form, die ich innerhalb meiner Recherche kennenlernte, ist der verdeckte Narzissmus. Menschen mit Zügen einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung können Opfer vom verdeckten Narzissmus sein, wenn ihre Eltern oder andere enge Bezugspersonen Narzissten waren. Sie spielen von außen die Vorzeigepersonen, die ganz wundervoll und liebevoll mit ihren Kindern umgehen, doch im Inneren sind sie hoch negativ und werten ganz perfide ihr Kind permanent ab. In diesem Fall handelt es sich, psychologisch gesehen, um eine getarnte Feindseligkeit, psychische Gewalt, seelische Grausamkeit und ist mit dem trojanischen Pferd vergleichbar, da sich dieses Verhalten überhaupt nicht greifen lässt. Verdeckte Narzissten begründen ihre Handlungen mit dem gesunden Menschenverstand. Sie möchten ihre Kinder nur auf das Leben vorbereiten und aus ihren Bestrebungen schnellstmöglich einen Nutzen ziehen. Diese Narzissten haben das Verlangen danach, sich selbst auf Kosten ihrer Kinder zu erheben, immer oben zu sein, immer recht zu haben. Obwohl sie sich gern zuvorkommend, freundlich und großzügig geben, sind sie nur vom Verlangen angetrieben, selbst im besten Licht zu stehen. Betroffene, die das in ihrer Kindheit erfahren haben, durchleben einen Einstieg mit großen Störungen im selbstständigen Leben. Die Vertreter der sozialen Lerntheorie wiederum vermuten das Gegenteil. Sie finden, dass Betroffene in ihrer Kindheit durch ihr persönliches Umfeld zu sehr idealisiert und vergöttert wurden und dadurch zu der Überzeugung gelangt sind, dass sie etwas ganz Besonderes seien. Sie fordern ihren Platz in der Welt. Einen großen Raum nehmen sie ein, da ihnen dieser durch das künstliche Hochspielen des begeisterten Umfelds gegeben wurde und sie es einfach so gewohnt sind.
Wie gehe ich als Außenstehende/r mit einem Menschen mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung um? Kränkung oder fehlende Beachtung?
Die narzisstische Persönlichkeitsstörung zeichnet sich dadurch aus, dass die Betroffenen nach außen ein positives Selbstbild darstellen aber eigentlich ein sehr geringes Selbstbild haben. Durch den Mangel an Einfühlungsvermögen und Empathie neigen die Betroffenen dazu, zu lügen, andere Menschen für das Erreichen ihrer Ziele auszubeuten und auszunutzen. Sie können sich vor anderen idealisieren, benötigen besondere Anerkennung, Bewunderung, können chronisch eifersüchtig auf Menschen sein, die sie für erfolgreicher halten. Ihre zwischenmenschlichen Beziehungen leiden stark darunter. Konfrontative Situationen sind nicht zielführend und bewirken eher eine Ablehnung. Helfen können wir ihnen als Außenstehende, indem wir liebevoll, fürsorglich und zugewandt agieren, damit sie die Erfahrung machen können, unabhängig von Leistungen und Status wertgeschätzt zu werden. Sie brauchen Liebe und müssen gestärkt werden, da sich ihr Selbstgefühl autonom nicht selbst regulieren kann. Mithilfe von Rollenspielen kann das Einfühlungsvermögen erhöht werden. Den Narzissten wird verdeutlicht, welche Auswirkungen ihr Verhalten und ihre Art auf andere Menschen haben und auf ihre Beziehungen.
Wie kann eine narzisstische Persönlichkeitsstörung behandelt werden?
Oftmals nehmen Betroffene erst dann außenstehende Hilfe in Anspruch, wenn andere begleitende Störungen auftreten und behandelt werden wie zum Beispiel Depression, histrionische Persönlichkeitsstörung oder emotional-instabile Persönlichkeitsstörung (Borderline-Typus). Allein wegen ihrer narzisstischen Persönlichkeitsstörung suchen sie keine Hilfe auf, da sie sich für etwas Besonderes halten und glauben, dass sie keine Hilfe bräuchten. Diese Art von Persönlichkeitsstörung ist eher schwer zu behandeln, da Betroffene sehr schwer ihr übertriebenes Selbstbild aufgeben. Die Inanspruchnahme einer Psychotherapie ist dennoch ein erster Schritt, um mit dieser Erkrankung angenehmer leben zu können. Innerhalb der Psychotherapie ist es essentiell wichtig, dass die Betroffenen ihre Denkmuster bearbeiten, um zu verstehen und zu verinnerlichen, dass sie nicht in allem gut sein müssen, um von anderen geliebt zu werden. Betroffene mit dieser Persönlichkeitsstörung benötigen eine intensive Änderung sowie Unterstützung durch ihr Umfeld, doch sie müssen ins erster Linie selbst bereit sein, diesen Weg zu gehen. Die Selbstreflexion über die eigene Person und die Anerkennung nicht perfekt zu sein, können Schritt für Schritt eine zunehmende Entspannung bewirken und die Betroffenen stehen nicht mehr ständig unter Strom. Über die Zeit kann sich ein positives Selbstbild entwickeln.
Abschließend äußere ich noch Gedanken, die mir beim Verfassen dieses Artikels in den Sinn gekommen sind. Wir leben im Überkonsum, in einer Ellenbogen-Gesellschaft, leistungsorientiert, technisiert, zunehmend narzisstisch, mit zu wenig Wissen über unsere eigene Psyche. Wie viele Menschen gibt es, die gar nicht mehr arbeits- oder beziehungsfähig sind? Genügend. Woran liegt das? Zu wenig Anpassbarkeit am System, zu wenig Kraft, zu wenig Unterstützung? Zu wenig Selbstliebe? Zu viel Orientierung an falschen Idealen? Es ist ein Grundbedürfnis von uns allen, geliebt, beachtet und anerkannt zu werden. Unsere heutige Gesellschaft formt Menschen mit Störungen der Empathie und Selbstachtung zu sich selbst sowie in der Interaktion mit anderen, die mit einem starken Gefühl der Empfindungslosigkeit und Leere einhergeht. Diese legen einen fruchtbaren Boden für die Entstehung von Erkrankungen wie Schizophrenie, Borderline-Syndrom und eben auch von Persönlichkeitsstörungen wie der Narzissmus. Das Leben kann sich wie ein Spiel anfühlen, wenn wir uns unsere Leichtigkeit bewahren, loslassen und nicht an Vergangenem festhalten, welches uns schwer im Magen liegt. Sobald wir uns emotional nackig machen, sind wir verletzlich und ehrlich. Wir wissen, wer wir sind, stehen dazu und leben es auch.
Quellen:
Diercks, Nicole: Götterdämmerung. Der nette Psychopath von nebenan – Narzisstischen Missbrauch erkennen, Norderstedt 2019.
Duden: Das Fremdwörterbuch, 9. aktualisierte Aufl., 2009, 691.
Sprenger, Bernd / Peter Joraschky: Mehr Schein als Schein? Die vielen Spielarten des Narzissmus, Berlin 2015.
Es ist wirklich schlimm Narzissten in der Umgebung zu haben, oft will man gar nicht glauben das die Person Narzisst ist oder man hat gar nicht die Möglichkeit darüber nach zu denken.
Lg Imelda