Kultur auf Stillstand?

von Alina Boie. Illustrationen: Steffen Dürre

Friseursalons, Buchläden und Baumärkte dürfen wieder öffnen. Theater, Literaturhäuser, Clubs, Kinos und Museen bleiben weiterhin geschlossen. Rostocks lebendiger und bunter Kulturlandschaft ist der Stecker gezogen worden.
Anfang April hat sich der Landesverband für Clubs und Livespielstätten Mecklenburg-Vorpommern gegründet und umfasst derzeit ca. 30 Kulturstätten aus ganz MV, darunter aus Rostock der M.A.U. Club, Zwischenbau, Bunker, JAZ, Peter-Weiss-Haus, der St-Club und Helgas Stadtpalas. Im Interview mit dem heuler berichtet Johanna Trepmann, Mitarbeiterin des Landesverbandes, wie es um Rostocks Kulturlandschaft derzeit steht.


heuler: Wie schätzt Du die Auswirkungen der aktuellen Situation auf Kultureinrichtungen in Rostock und Umgebung ein? Werden sie die Krise Deiner Meinung nach überstehen?

Für die Kultureinrichtungen und für alle Wirtschaftszweige, die mit diesen verknüpft sind, wie Gastronomie oder Tourismus, sind die Auswirkungen verheerend. Diese Krise können sie nicht ohne Unterstützung überstehen. Wir haben Umfragen unter den Clubs durchgeführt, die verheerende Auswirkungen der Corona-Krise prognostizieren. So gaben 64 Prozent der befragten Einrichtungen an, bis Ende Juli ihren Betrieb am Leben erhalten zu können. Die verbliebenen 36 Prozent würden im September/Oktober folgen und endgültig schließen.


heuler: Vor welchen Herausforderungen stehen Kulturschaffende derzeit konkret?

Die Clubs stehen aktuell ohne Einnahmen da, haben aber weiterhin alle Ausgaben. Angefangen bei Miete, Versicherungen oder Personalkosten, sehen sich viele Einrichtungen von den Kosten erdrückt und sind verzweifelt.

64 Prozent der befragten Clubs können ohne Unterstützung nur bis Ende Juli ihren Betrieb am Leben erhalten.

Johanna Trepmann


heuler: Was ist das Ziel des Kulturwerks MV? Vor welchem Hintergrund wurde es gegründet und warum unterstützt Du es?

Die Idee eines Landesverbandes ist schon etwas älter. Seit über einem Jahr wurden Vorbereitungen dazu getroffen, Gespräche mit Clubs geführt und sich mit anderen Landesverbänden ausgetauscht. Ziel ist es, dass Clubs sich gegenseitig unterstützen und gemeinsam für Forderungen einstehen können. Das Netzwerk bietet eine Plattform für Wissenstransfer untereinander und zum Künstlerinnenaustausch, setzt sich aber auch für den Erhalt von Einrichtungen ein. Die heranrückende Gentrifizierung hinterlässt auch in MV ihre Spuren. Kultureinrichtungen müssen um ihre Standorte bangen, denn im Club von gestern kann morgen schon ein Bürokomplex entstehen. „Wir wollen helfen, dass die Clublandschaft MVs divers bleibt.“ Jetzt kam die Corona-Krise, die die Gründung des Verbandes beschleunigt hat und die bestehenden Probleme nochmal verstärkt hat. Wir wollen allen Livespielstätten helfen und dafür sorgen, dass die Clublandschaft MVs divers bleibt und nicht durch das Clubsterben ausdünnt. Ich durfte schon bei meiner Zeit beim AStA einen Einblick in die Kulturlandschaft Rostocks werfen und Akteurinnen kennenlernen. Ich bewundere immer wieder, wie divers sich Clubkultur gestaltet und welchen musikalischen und kulturellen Einfluss Einrichtungen auch über ihren Standort hinaus haben. Sie bieten Bühnen, vernetzen Kultur und sind Schnittstelle zwischen Künstlerinnen und Publikum. Darüber hinaus sind Clubs ein wichtiger Standortfaktor für eine junge Generation, die nicht nur an den Universitätsstandorten, sondern auch im ländlichen Raum die Entwicklung nachhaltig beeinflusst. „Ein digitales Angebot kann niemals den Besuch im Club ablösen“

heuler: Was hältst Du von „Kultur online“: Ein längst überfälliges Update oder nicht mit Vor-Ort-Angeboten zu ersetzen?

Meiner Meinung nach kann die Digitalisierung kulturelle Angebote wertvoll ergänzen, aber niemals ersetzen. Klar können Streams im begrenzten Rahmen die Musik, den Auftritt einer Band oder künstlerische Aspekte wie Lichtshows und Dekoration skizzieren. Diese Sehnsucht nach dem Erlebnis versuchen wir auch in unseren Livestreams zu wecken und einen Einblick in den Club zu geben. Aber dieses Angebot kann niemals einen Besuch ablösen. Allein die Interaktion der Gäste untereinander und mit den Acts vor Ort kann man zuhause vor dem Fernseher nicht simulieren. Und das ist es auch, was einen Besuch so besonders macht. In Stimmung und Atmosphäre eintauchen, wie in eine andere Welt. heuler: Wie ist die Nachfrage Eurer Live-Streams? Wie ist das Feedback? Unsere Livestreams kann sich jeder Interessierter kostenlos auf Facebook und über unseren YouTube-Channel ansehen. Wir sind überwältigt von dem positiven Feedback und freuen uns über all die Zuschauerinnen. Wir erreichen tausende Menschen mit unseren Streams und Viele schauen sich die Clubführungen und die Konzerte, bzw. den DJ-Auftritt auch noch im Nachhinein an. Wir zeigen jeden Samstag einen anderen Club aus einer anderen Stadt mit Acts, bzw. DJs, die lokal sind und oft auch eng mit der jeweiligen Einrichtung verknüpft sind. Das wird positiv von den Zuschauer*innen aufgenommen, da diese auch einen Blick hinter die Kulissen von Spielstätten werfen können, in denen man vorher nicht war.

heuler: Wie können Privatpersonen gerade ihre Lieblingskultureinrichtungen unterstützen?

Wir freuen uns über alle, die samstags einschalten, uns abonnieren und uns Feedback geben. Darüber hinaus haben wir eine Spendenaktion ins Leben gerufen, mit denen wir den Clubs schnell und unbürokratisch unter die Arme greifen wollen. (https://www.betterplace.me/rettet-unsere-clubs-und-livespielstaetten-in-mv) Hier ist schon Einiges zusammengekommen und wir freuen uns über jede Spende! An dieser Stelle würden wir uns auch gerne dafür bei allen Unterstützer*innen bedanken.

heuler: Welche Termine stehen als Nächstes an?

Welche Location wir als Nächstes anfahren, geben wir immer erst am Ende des vorherigen Livestreams bekannt. Der nächste Stream findet am 16. Mai statt. Einerseits wollen wir es spannend gestalten und unsere Zuschauer*innen „überraschen“, andererseits hat das auch ernste Gründe. Wir wollen bei der Clubtour flexibel bleiben. Wie schon erwähnt, tickt für viele Einrichtungen die Uhr. Falls es bei einem Club kritisch wird und er vor dem Aus steht, können wir diesen nochmal anfahren, auf die Problematik vor Ort aufmerksam machen und Spenden sammeln.

Stimmen aus Rostocks Kultureinrichtungen

Wie wird in den Kultureinrichtungen selbst mit den Herausforderungen umgegangen? Ende April verkündete Kulturstaatsministerin Monika Grütters, dass Künstlerinnen ein Ausfallhonorar bis zu 60 Prozent ihrer Gage gezahlt wird, wenn die Veranstaltung wegen der Corona-Pandemie abgesagt werden musste. Wie bewerten sie die Unterstützung von politischer Seite? Sechs Stimmen aus Rostocks Kultureinrichtungen über Planungsunsicherheit und Finanzierung – und welche Hilfe jetzt wichtig ist.

M.A.U. Club:

Für die Planung von Veranstaltungen nehmen wir derzeit den 31. August als Referenz und arbeiten an Veranstaltungsverlegungen und vereinzelten Absagen. Sobald der rechtliche Rahmen auf Bundesebene geschaffen wurde, können wir entsprechend alle abgesagten und verlegten Events zum Storno freigeben. Wir werden als Veranstalter nicht von der Gutscheinlösung Gebrauch machen. Von der 60-Prozent-Regelung bei den Gagen profitiert der Clubbereich nicht besonders, denn sehr viele Konzerte werden nicht ausschließlich über feste Gagen vergütet, sondern über erfolgsabhängige „Deals“. In einer Zeit, in der die Menschen keine Tickets kaufen, wäre für uns jede Berechnungsgrundlage ein Konfliktfall. Zum Glück erfahren wir branchenintern eine hohe Akzeptanz und gute Zusammenarbeit, damit jede einzelne Veranstaltung erfolgreich sein kann – auch wenn das heißt, dass die Veranstaltung auf einen neuen Termin verlegt werden muss. Der M.A.U. Club hat eine Startnext-Kampagne online und bietet viele schöne Dankeschöns und Abo-Modelle an. Mit der limitierten „teilbaren Jahreskarte“ bieten wir einen kleinen Meilenstein für unseren Club an.

Literaturhaus:

Das Literaturhaus lebt – wie die meisten Kulturveranstalterinnen – davon, dass sich Menschen begegnen. Das ist gerade kaum möglich. In der derzeitigen Situation galt es, schnell alternative Konzepte zu entwickeln und sich den digitalen Raum Stück für Stück zu erschließen. Damit sind wir derzeit hauptsächlich beschäftigt. Durch den sich immer weiter fortsetzenden Ausfall unserer Veranstaltungen standen wir nicht nur vor der Aufgabe, Autorinnen abzusagen, Hotelzimmer zu stornieren und neue Termine zu finden (denn wir hoffen, Vieles im Herbst nachholen zu können). Uns bewegte zugleich die Frage: Wie können wir erreichen, dass die Rostockerinnen miteinander im Gespräch bleiben, dass Kultur und vor allem Literatur sichtbar bleiben?

Support: Unterstützen könnt Ihr uns, indem man sich bei der Startnext-Kampagne des Peter-Weiss-Hauses einmal durch die Dankeschöns klickt. Denn: 10 Jahre sind nicht genug #savepwh

Wie können wir erreichen, dass Kultur und vor allem Literatur sichtbar bleibt?

(Literaturhaus)

JAZ:

Unsere Veranstaltungsplanung ist im Moment eingestellt, bis es grünes Licht bzw. eine Tendenz von oben gibt. Das viel zitierte „auf Sicht fahren“ trägt uns solange noch, solange etwas Diesel im Tank ist, sprich, wir die Miete stemmen können. Die angebotene Stundung ist nicht wirklich eine Perspektive auf lange Zeit. Von der Politik wünschen wir uns ein Bekenntnis zum gesellschaftlichen Wert und Bedeutung der bestehenden Kulturlandschaft und entsprechend finanzieller Sicherung und Erhaltung dieser.

Zwischenbau:

Da die derzeitige Situation jedem bewusst ist, braucht man leider keine Veranstaltungen mehr offiziell abzusagen. Viele Veranstaltungsankündigungen werden erhalten bleiben, damit man darin die Online-Streams promoten kann. Mit Lockerungen planen wir derzeit ab September – wobei auch hier auf die dann aktuelle Lage hingewiesen wird. Die Gagen-Regelung ist eine schöne und hoffentlich unbürokratische Hilfe für alle Künstler*innen, welche auch dringend notwendig ist. Ähnliches würden wir uns auch für uns als Clubbetreiber wünschen. Die bisherigen Soforthilfen sind für uns Clubs, die monatliche Fixkosten im fünfstelligen Bereich haben, leider nur sehr kurz hilfreich und reichen nur bis Ende Mai.

Support: Wir Clubs sitzen alle im selben Boot. Der Verein, des Kulturwerks MV sammelt derzeit für alle Clubs in MV spenden.

Denn eins sollte klar sein: Ohne kulturelle Einrichtungen fehlen unserem Land, gegenüber Hamburg und Berlin, wichtige Standortfaktoren, die nicht nur bei der Wahl des Studienortes ins Gewicht fallen.

(Helgas Stadtpalast )

Helgas Stadtplast:

Wir waren die ersten Einrichtungen, die geschlossen haben und werden wohl auch die letzten sein, die Gäste wieder empfangen dürfen. Für die Wiedereröffnung unserer Spielstätten gibt es leider keine verbindlichen Szenarien. Wir können weder kleine Veranstaltungen noch Konzerte planen, sodass wir im Moment bereits gebuchte Veranstaltungen auf den Winter verschieben, ohne zu wissen, ob dies realistisch ist und ob es uns dann noch gibt bei laufenden Kosten wie Miete, Personal, Versicherungen, Beiträgen und Vielem mehr. Ohne Bühne gibt es keine Künstler*innen, keine Studierenden am Tresen und keine Solo-Selbständigen, die die Technik wuppen. Wir sitzen alle im selben Boot und sollten auch alle für die Interessen der anderen kämpfen. Bei aller Unterstützung aus dem Freundeskreis, Spenden und Stundungen von Zahlungen hilft nur eine große Lösung, um unsere Standorte zu erhalten. Die Soforthilfe hat uns zwar Zeit verschafft, gelöst ist das Problem allerdings nicht. Wir haben die Problematik auf Landesebene klar dargestellt und verwiesen auf Lösungen wie in Berlin und Hamburg. Denn eins sollte klar sein, ohne kulturelle Einrichtungen fehlen unserem Land, gegenüber Hamburg und Berlin, wichtige Standortfaktoren, die nicht nur bei der Wahl des Studienortes ins Gewicht fallen.

Support: Wir benötigen jede Unterstützung und sind auch für jede Unterstützung dankbar. Wir freuen uns über ehrenamtliche Hilfe für unser Netzwerk, die uns bereits angeboten wird, genauso wie Spenden für das Kulturwerk über unsere betterplace-Kampagne. Wir freuen uns aber auch über den Support, den wir über unsere Social-Media-Kanäle erfahren und werden in Kürze auf unserer Facebook-Seite auch weitere Aktionen präsentieren. Ganz lieben Dank an dieser Stelle allen, die uns schon geholfen haben, ohne Euch schaffen wir es schon mal gar nicht.

ST Club:

Die Planungsunsicherheit sorgt dafür, dass wir keinerlei Veranstaltungen mehr planen, die unserem regulären Clubbetrieb entsprechen. Erst wenn es einen Perspektivplan gibt, kann man wieder planen. Daran mangelt es aber zurzeit, zumindest für die Veranstaltungsbranche. Diese Maßnahme mit der 60-Prozent-Gage ist sehr begrüßenswert, da sie vor allem für kleine Künstler*innen wenigstens ein kleines Auffangnetz darstellt, wo sie doch aus vielen Rastern rausfallen. Die Umsetzung gestaltet sich derzeit jedoch etwas holprig, da hier wieder eine Staffelung zum Einsatz kommt. Eine weitere begrüßenswerte Maßnahme wäre es, ein Auffangnetz für Minijobber zu gestalten. Viele Studierende haben zurzeit ihre Nebenjobs verloren und sitzen auf dem Trockenen. Es werden zwar Kredite bereitgestellt für die Studierenden, aber viel zu spät. Außerdem sollte eine Verschuldung nicht die Antwort auf diese Krise sein. Was uns Clubs angeht, wäre eine weitere Soforthilfe sehr wünschenswert, sollte in den nächsten Wochen keine Perspektive für uns zu sehen sein.

Support: Wer den ST-Club unterstützen möchte und dabei sogar noch etwas für sich nach Hause bekommen will, kann auf unsere Facebook-Seite oder auf Instagram den STay@Home Bag bestellen. Ein stylischer Beutel mit ein paar flüssigen Leckerlis als Inhalt. Der Beutel kann abgeholt werden oder wir liefern ihn sogar nach Hause, solange Ihr ihn in die Innenstadt bestellt.

Quellen:
rbb24.de: Bund zahlt in Corona-Krise Ausfallhonorar an Künstler. https://www.rbb24.de/kultur/thema/2020/coronavirus/beitraege_neu/2020/04/bund-zahlt-ausfallhonorar-kuenstler-krise.html (29.4.20)

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