aus dem Archiv: Heft Nr. 127.
von Charlotta Sieve. Fotos: Annemarie Schütz/TI-OF.
Isabella Kratzer beschäftigt sich den ganzen Tag mit Stellnetzen – und das, obwohl sie keine Fischerin ist. Wir könnten jetzt das Spiel Wer bin ich? spielen, verschieben es aber an dieser Stelle auf ein anderes Mal.
Isabella Kratzer hat in Rostock ihren Bachelor in Maschinenbau und ihren Master in Aquakultur gemacht. Mittlerweile ist sie Doktorandin am Thünen-Institut für Ostseefischerei in Rostock undforscht für das Projekt STELLA. Das ist eine Abkürzung für STELlnetzfischerei LösungsAnsätze. Seit 2017 sucht sie ein Doktorand*innen-Team, bestehend aus zwei Fangtechniker*innen, einer Soziologin und einer Person für die Datenauswertung sowie Lösungen dafür, wie die Stellnetzfischerei und der Naturschutz ohne Konflikte auskommen. In der Stellnetzfischerei fungieren die Fischernetze wie eine Wand, die im Meer aufgespannt wird. In ihr bleiben dann die gewünschten Fische hängen. Allerdings nicht nur diese, sondern auch der unerwünschte Beifang, unter anderem Schweinswale.
Warum die Meeressäuger die Netze nicht wahrzunehmen scheinen, ist noch nicht ganz sicher. „Schweinswale loten, ähnlich wie Fledermäuse, via Echo aus, ob sich vor ihnen ein Hindernis befindet“, erklärt Kratzer. Die Stellnetze aus dünnem Nylongarn scheinen sie allerdings nicht als Hindernis wahrzunehmen. Schon seit vielen Jahren beschäftigen sich weltweit Forscher*innen mit dieser Problematik. Sie versuchen, die Netze für Schweinswale sichtbarer zu machen. „Allerdings war das vorher verhältnismäßig unsystematisch“, sagt die Doktorandin. Die Forscher*innen des Thünen-Instituts seien die ersten, die die Lösungsfindung so groß aufziehen. Kratzer erklärt: „Die Versuche sind schon aufwändig. Da machen wir uns vorher viele Gedanken.“ Das Netz selbst dürfe sich nicht verändern, da sich sonst keine Fische mehr darin verfangen würden. Die Lösung muss also an den Netzen installiert werden. „Die Bedingungen waren, dass es möglichst klein ist, die Dichte von Seewasser hat und natürlich für Schweinswale erkennbar ist“, so die Forscherin. Viele Berechnungen am Computer seien notwendig gewesen, bis sie beim jetzigen Forschungsstand angelangt waren: Acrylglaskugeln. „Die Kugeln haben ein Echo, wie ein Tischtennisball, sind aber wesentlich kleiner und haben die gleiche Dichte wie Seewasser“, erläutert Kratzer. Von Schweinswalen werden diese Kugeln also größer wahrgenommen, als sie in der Realität sind.
Soweit zur Theorie.
Im August wird das Forscherteam in die Türkei ans Schwarze Meer fliegen, um die Netze in der Praxis zu testen. Einen Praxis-Versuch hatte das Team schon in Dänemark. Der ist allerdings gescheitert, weil die Meeressäuger eine andere Route geschwommen sind als in den Jahren zuvor. „Das war schon sehr deprimierend“, sagt Kratzer. Nach der Recherche, welche Orte für ihre Testversuche noch geeignet wären, sei die Wahl dann auf die Türkei gefallen. Ein Team aus türkischen Wissenschaftler*innen wird ihnen vor Ort helfen. Obwohl die Lösung auch für die Ostsee besonders wichtig ist, macht ein Beobachtungsexperiment dort keinen Sinn. Die Zahl an Fällen sei zu gering, als dass sie in kurzer Zeit genügend Daten sammeln könnten. Die Doktorandin überlegt: „Das würde wahrscheinlich zwei Jahre brauchen.“ Die Zeit hat das Team nicht, denn im Februar 2020 endet das Förderprogramm des Bundesamtes für Naturschutz. Deshalb geht es nun ans Schwarze Meer. Dort gibt es mehr Schweinswale. „Hoffentlich“, ergänzt Kratzer mit einem Lachen. Sie werden mit zwei Kilometern Stellnetzen anreisen – mit und ohne die Acrylglas-Kugeln. Bisher haben sie die kleinen Kugeln einzeln an die Netze geklebt. Das sei allerdings keine dauerhafte Lösung. „Falls jemand eine Idee hat, wie man die Netze und die Kugeln verbinden kann – wir sind offen für Vorschläge“, sagt sie. Priorität haben jetzt aber zunächst die Versuche in der Praxis, denn wenn das funktioniert, wären die Weichen für eine nachhaltigere Stellnetzfischerei gestellt. Wir drücken die Daumen!