Engagement ist Herzenssache – Der Jugend-, Sprach- und Begegnungszentrum Mecklenburg-Vorpommern e.V. im Interview

von Jolissa Rusin. Fotos: Janna Pflugstert.

Euer Verein wurde 1992 gegründet. Wie hat er sich seitdem entwickelt?
Susanne Müller: „Im Jahr 1992 sind viele Vereine und Organisationen durch das Sonnenblumenhaus in Rostock entstanden, die sich gegen die vorherrschende politische Meinung stellen wollten. Soweit ich weiß, gab es damals viele junge Ehrenamtliche, die gesagt haben, dass sie gern die Migrantinnen unterstützen möchten. Besonders im Bereich der Sprachförderung und der sozialen Integration setzten sich viele Ehrenamtliche ein.“

Seit wann seid ihr beim Jugend-, Sprach- und Begegnungszentrum Mecklenburg-Vorpommern e.V. aktiv?
Andrea Pecnik: „Ich bin seit 2013 dabei und habe zu Beginn meiner dortigen Arbeit an einem Grundschulprojekt mitgewirkt.“
Susanne Müller: „Ich arbeite seit 2010 im Jugend-, Sprach- und Begegnungszentrum, war aber schon seit 2007, während meines Studiums, als Ehrenamtliche dort aktiv.“

Warum seid ihr dem Verein beigetreten?
Andrea Pecnik: „In Rostock lebe ich seit 2011, da ich hier meinen Master in Interkultureller Kommunikation absolvierte. Dann begab ich mich auf die Arbeitssuche und engagierte mich ehrenamtlich bei dem Bürgerradio LOHRO, indem ich ein Projekt einleitete, welches in der Jugendarbeit verankert war. Im Anschluss habe ich ein Jugendprojekt beim AWO Jugendmigrationsdienst geleitet, wodurch ich auch den JSB kennengelernte. Da dann später das Projekt ausgelaufen ist, konnte ich beim JSB anknüpfen und mit der Projektarbeit fortsetzen.“
Susanne Müller: „Ich habe Erziehungswissenschaften auf Diplom an der Universität Rostock studiert. Im Jahr 2006 hat der Verein angefangen, noch intensiver als sonst mit Schulen und Kindern zusammenzuarbeiten. Dabei entstand unter der Leitung von Cäcilia Wenzel in Kooperation mit Prof. Dr. Wolfgang Nieke von der Universität Rostock das Mercator-Projekt, bei dem es Lehramtsstudierenden ermöglicht wird, neben ihrem Studium auch praktische Erfahrungen an Schulen zu sammeln, indem sie mit jugendlichen Migranten im Bereich der Sprachförderung arbeiten und ihnen helfen, schulische Inhalte besser zu verstehen. Durch die Vorstellung dieses Projektes an der Universität lernte ich den JSB kennen und betreute dort unterschiedliche Gruppen. Nach Abschluss meines Studiums hatte ich das Glück, 2010 ein neues Projekt beim JSB übernehmen zu dürfen.“

Frau Pecnik, Sie sprachen auch das Grundschlprojekt an. Wie lief das ab?
Andrea Pecnik: „Es war ein dreijähriges Projekt zur Sprach- und Sozialförderung von Kindern mit und ohne Migrationshintergrund, welches 2013 entstand, als ich meine Arbeit beim Jugend-, Sprach- und Begegnungszentrum begann. Die Kinder wurden in kleinen Fördergruppen, den Mini- Clubs, an den Schulen kreativ gefördert.“

Glaubt ihr, dass ihr in Rostock und Umgebung ausreichend als Verein wahrgenommen werdet?
Andrea Pecnik: „Es hängt davon ab, in welchen Kreisen. Im Netzwerk der Jugend- und Integrationsarbeit auf jeden Fall, da ein festes und gut verknüpftes Netzwerk in Verbindung mit Schulen existiert. Wir werden sehr oft weiterempfohlen. Auch in der Studierendenlandschaft herrscht eine gute Mundpropaganda.“

Wie sieht die Zusammenarbeit mit der Stadt Rostock, insbesondere dem Jugenddezernat aus?
Susanne Müller: „Wir arbeiten seit Beginn mit dem Jugendamt in Rostock zusammen. Früher wurden auch viele Projekte des JSBs von der Stadt gefördert, doch leider wurden die Gelder immer weniger. Es gibt aber immer mal wieder Projekte, die finanziell unterstützt werden.“

Bekommt ihr Unterstützung, werdet ihr genug mit eingebunden?
Susanne Müller: „Ich glaube schon, dass wir genügend vom Jugendamt wahrgenommen werden. Die Mitarbeitenden des Jugendamtes wissen auf jeden Fall, wer wir sind und was wir machen. Es ist jetzt aber nicht so, dass wir gemeinsam mit dem Jugendamt Fälle besprechen.“
Andrea Pecnik: „Ja, genau! Für kleine Projekte, wie zum Beispiel die Ferienangebote wurden und werden wir aktuell noch finanziert.“
Susanne Müller: „Wir sind im Netzwerk des Jugendamtes eingebunden, denn es gibt auch regelmäßige Treffen.“

Wie haben Interessierte die Möglichkeit dem Verein beizutreten?
Andrea Pecnik:
„Wer Interesse hat, kann sich persönlich, telefonisch, per E-mail oder auf unseren Sozialen Netzwerken bei uns melden.“

Gibt es auch einen Tag der offenen Tür, an dem ihr zu neuen Mitgliedern aufruft?
Susanne Müller: „Der Name Jugend-, Sprach- und Begegnungszentrum klingt nach einem großen Raum, ähnelt einem Jugendclub. In Wirklichkeit setzt sich das JSB aber aus drei kleinen Büros zusammen, da unsere Arbeit an den Schulen in den verschiedenen Stadtteilen stattfindet. Wir sind immer mal wieder auch in Vorlesungen oder Seminaren, um auf unsere Arbeit und Projekte aufmerksam zu machen. Momentan versuchen wir Postkarten zu entwickeln, die wir überall auslegen können. Wir haben keinen Tag der offenen Tür. Dafür haben wir aber ein jährliches Sommergrillen am Stadthafen, zu dem wir unsere Ehrenamtlichen einladen, die gern neue Interessierte mitbringen können.“
Andrea Pecnik: „Wir machen unsere Ehrenamtlichen mithilfe von Weiterbildungen und Workshops fit. Einem Workshop darf man auch beiwohnen, wenn noch keine aktive Beteilung an Projekten des Vereines erfolgt ist. Die Teilnahme an einem Workshop dient somit auch dem Kennenlernen des Vereines sowie der anderen Ehrenamtlichen. “

Gibt es Modularitäten, um bei euch mitwirken zu können?
Susanne Müller:
„Alle, die das Interesse haben, mit Kindern und Jugendlichen zusammen zu arbeiten, können bei uns mitwirken. Es ist auch egal, ob du im ersten oder im achten Semester bist. Um sich bei uns zu engagieren, musst du auch nicht zwingend studieren. Es gibt bei uns die Möglichkeit, eine Einzelförderung durchzuführen und sich innerhalb dieser auszuprobieren. Wir haben ganz unterschiedliche Projekte, in denen du dich einbringen kannst.“

Wie viele Studierende wirken derzeit bei euch mit?
Susanne Müller:
„Ungefähr 35 Studierende, davon sind einige wirklich aktiv wöchentlich in einer Gruppe, die sie betreuen. Es gibt natürlich auch Studierende, denen gerade weniger Zeit neben der Uni, bedingt durch Praktika oder anderen Jobs, zur Verfügung steht. Weiterhin gibt es einen Großteil an Studierenden und anderen Ehrenamtlichen, die Tagesausflüge betreuen und Stadtführungen durchführen.“
Andrea Pecnik: „Es gibt auch Stadtführende, die ebenfalls in der Sprachförderung aktiv sind. Stadtführungen führt der Verein seit Beginn seiner Entstehung durch. Die Idee war, dass junge Stadtfürherinnen Kinder- und Jugendgruppen durch die Stadt führen. Dieses Ziel hat der Verein auch beibehalten. Wir versuchen, einmal jährlich eine Ausbildung zur Stadtführerin beziehungsweise zum Stadtführer für Kinder- und Jugendgruppen anzubieten.“

Auf welchen Sprachen bietet ihr die Sprachführungen an?
Andrea Pecnik:
„Hauptsächlich auf Deutsch, weil sie für Kinder- und Jugendgruppen aus Rostock gedacht sind, um sie an die Stadtgeschichte kind- und jugendgerecht heranzuführen. Dabei werden weniger historische Vorträge gehalten, sondern den Kindern und Jugendlichen mithilfe von Spielen, Rätseln und anderen Aktivitäten die Stadtgeschichte nähergebracht. Darüber hinaus bieten wir die Stadtführungen auch auf Englisch und Russisch an.“

Könntet ihr euch vorstellen, Stadtführungen auf Arabisch durchzuführen?
Andrea Pecnik:
„Ja, das ist eine gute Idee! Wir schmieden gern Zukunftspläne. Unser Ziel ist es, die Stadtführungen auch mit der allgemeinen Sprachförderung zu verknüpfen. Es finden auch Rallyes statt, an denen auch arabische Kinder und Jugendliche teilnehmen, um sich mit unserer Kultur vertraut zu machen und ihre Identität in ihrer neuen Heimat finden zu können.“
Susanne Müller: „Wenn wir bei den Rallyes und Stadtführungen Kinder und Jugendliche dabeihaben, die noch großen Sprachbarrieren unterliegen, werden mehr Aktivitäten durchgeführt und die Sprache auf ein Minimum heruntergebrochen.“
Andrea Pecnik: „Jährlich haben wir einen Pool an Grundschulen, die Stadtführungen buchen, da sich die Schulen in der Klassenstufe vier mit der Rostocker Stadtgeschichte befassen. Nach und nach melden sich auch Jugendgruppen aus anderen Bundesländern wie beispielsweise Thüringen für eine Führung an. Zukünftig sollen die Führungen noch inklusiver gestaltet werden.“

Welchen besonderen Reiz haben die Studierenden, bei euch mitzuwirken?
Andrea Pecnik:
„Lehramtsstudierende können praktische Erfahrungen sammeln.“
Susanne Müller: „Ich habe während meiner Arbeit beim Jugend-, Sprach- und Begegnungszentrum viel über Menschen, andere Kulturen und Lebensentwürfe gelernt. Auch in meiner Rolle als Pädagogin bin ich über mich hinausgewachsen und konnte mich ausprobieren. Als ich meine Arbeit dort angefangen habe, wusste ich nicht, ob ich überhaupt mit Jugendlichen arbeiten kann. Ich habe gelernt, wie ich authentisch mit ihnen umgehe, wie ich eine emotionale Beziehung zu ihnen aufbaue und ihnen auch Grenzen aufzeigen kann. Die Studierenden, die bei uns mitwirken, können sich die Arbeit auch als Sozialpraktikum anrechnen lassen.“
Andrea Pecnik: „Bei uns ist es möglich, das Praktikum studienbegleitend durchzuführen. Einmal in der Woche wird eine Gruppe studienbegleitend gefördert. Weiterhin ist es auch möglich die Kinder und Jugendlichen bei Freizeitangeboten zu betreuen, denn wir machen Tagesausflüge an Samstagen oder in den Ferien.“
Susanne Müller: „Die Lehramtsstudierenden lernen bei uns in ihrer Funktion als Betreuer*innen der Kinder und Jugendlichen wie sie eine Klassenfahrt gestalten könnten oder wie das System Schule funktioniert.“

Welche Projekte werden von euch in diesem Jahr durchgeführt?
Susanne Müller: „Im Rahmen unserer Sprachförderung sind die Ehrenamtlichen einmal die Woche an Schulen in Rostock, von Grundschulen über weiterführende Schulen bis hin zu Berufsschulen. Beispielsweise arbeiten wir mit dem Schulcampus Evershagen zusammen. Darüber hinaus gibt es die gruppenübergreifenden Angebote, wie zum Beispiel Tagesausflüge und Workshops. Außerdem schauen wir uns mit den Kindern und Jugendlichen Betriebe an, um ihnen ein Bild von verschiedenen Berufen zu geben. Weiterhin bieten wir Workshops zum Bildungssystem an. Viele, die in einem anderen Bildungssystem groß geworden sind, müssen sich erstmal orientieren. Wir versuchen mit Partnern, Jugendlichen und deren Eltern in Workshops neue Wege in die Arbeitswelt aufzuzeigen.“
Andrea Pecnik: „Projektschwerpunkt ist in diesem Jahr die Entwicklung von inklusiven Stadtrundgängen, bei denen die Ehrenamtlichen mit den jungen Heranwachsenden möglichst barrierefreie Standrundgänge entwickeln. Unsere Projekte berühren einander häufig.“

Welche weiteren Kooperationspartner habt ihr noch?
Andrea Pecnik:
„Wir stehen im engen Austausch mit dem AWO Jugendmigrationsdienst Rostock. Die Rostocker WIRO unterstützt unsere Sprachförderung jährlich finanziell. Sowohl der Rostocker Port als auch die Warnowquerung sind treue Kooperationspartner.“
Susanne Müller: „Wir arbeiten außerdem mit dem Rostocker Freizeitzentrum und LOHRO zusammen. Bei LOHRO haben wir unsere Rapsongs vorgestellt. Seit ein paar Jahren haben wir eine Kooperation mit dem einzigen Rap-Pädagogen aus Deutschland. Der Berliner Nico Hartung führt Rap-Workshops durch. In diesen Workshops können Jugendliche ihre selbstgeschriebenen Songs aufnehmen, welche dann auf CD gepresst werden und von den Jugendlichen mit nach Hause genommen werden können. Auf unserer Homepage gibt es zwei Songs zum Reinhören.“

Wie seht ihr die Zukunft des Vereins?
Susanne Müller: „Sowohl die Zukunft des Vereins als auch die Qualität der Projekte sind davon abhängig, wie gut wir finanziert werden. Die nächsten drei Jahr sind abgesichert, da gerade ein Projekt bewilligt wurde. Seit langem werden wir auch von Aktion Mensch unterstützt. Wir müssen immer wieder neue Projekte mit einem neuen Fokus entwickeln. Dabei müssen wir uns vergegenwärtigen, was gerade aktuell ist. Wir beachten dabei auch, dass keine Parallelstrukturen in Rostock entstehen und setzten uns mit unseren Ehrenamtlichen und Kooperationspartnern zusammen.“
Andrea Pecnik: „Schwer zu sagen, da wir nicht länger als drei Jahre vorausblicken können.“
Susanne Müller: „Der Fokus des Vereins wird weiterhin auf die Kinder- und Jugendarbeit im Bereich der Migrationsarbeit gesetzt.“

Das Team des heulers bedankt sich bei Susanne Müller und Andrea Pecnik für dieses sehr angenehme und aufschlussreiche Interview.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert