What doesn’t kill you still sucks – eine Kritik an „Toxic Positivity“

Von Lara Tiefensee // Illustration von Josephin Bauer

Widerstehe negativen Emotionen! Wähle die positiven! Good vibes only!
Solche Tipps haben die meisten wahrscheinlich schon einmal gehört, ob von Freund:innen, der Familie oder auf Social Media. Was im ersten Moment gut klingen mag, kann auch schnell problematisch werden und wird daher auch häufig als „Toxic Positivity“ beschrieben. Was genau an solchen Tipps problematisch sein kann und warum schlechte Laune ab und an vielleicht auch gar nicht so schlimm ist, steht in diesem Artikel.

Du wirst schon darüber hinwegkommen! Bleib einfach positiv! Vor allem auf Social Media liest man viel über solche vermeintlichen Lebenstipps. Selbsternannte “life coaches” versuchen zu erklären, dass der Umgang mit schwierigen Phasen lediglich eine Einstellungsfrage ist.
Auf Instagram finde ich Kanäle, die sich „power of positivity“ nennen und ihren 8 Millionen Follower:innen predigen, dass sie für ein glücklicheres Leben nur ihren negativen Emotionen widerstehen und sich für die positiven Emotionen entscheiden müssen.¹

Und je länger ich auf Instagram nach „Positivity“-Accounts suche, umso tiefer falle ich in ein Rabbit Hole aus Optimismus und allumfassender guter Laune. Dabei merke ich schnell, dass mich irgendetwas an diesem ganzen Trend stört.

Ich finde einige Artikel, die sich mit diesem Phänomen befassen und es als „Toxic Positivity“ beschreiben. Bei „Toxic Positivity“ handelt es sich demnach um einen Druck oder ein nahezu zwanghaftes Verhalten, negative Emotionen zu unterdrücken und lediglich positive Emotionen zuzulassen.²

Das ist aus verschiedenen Gründen problematisch: Zum einen schwindelt dieser Trend vor, Emotionen wären etwas, für das man sich entscheidet, und negative Emotionen wären somit nur etwas, für das man sich fälschlicherweise entscheidet.
Tatsächlich führt dies aber einfach nur dazu, dass negative Emotionen – die wir alle hin und wieder spüren – unterdrückt werden und die Bandbreite der verschiedenen Emotionen, die Situationen bei Menschen auslösen, auf die „erlaubten“ positiven Gefühle reduziert wird.

Darüber hinaus habe ich aber auch den Eindruck, dass hinter solchen Trends ein gesellschaftlicher Druck steckt, jede noch so schlimme Erfahrung oder Emotion irgendwie produktiv einordnen zu müssen. Als müsste jede Erfahrung oder jedes Erlebnis mit irgendeinem bestimmten Mehrwert oder einer Lernerfahrung einhergehen.

Was aber, wenn eine bestimmte Erfahrung mit wenig positivem Mehrwert einhergeht? Wenn der erste Liebeskummer oder das zuletzt gewählt werden im Sportunterricht einfach eine blöde Erfahrung war, die einen auch im Rückblick nicht unbedingt stärker gemacht hat?

Sicher kann eine schlechte Erfahrung unter bestimmten Umständen auch eine Lernerfahrung sein oder langfristig einen positiven Effekt haben. „Toxic Positivity“ vermittelt aber das Gefühl, man hätte irgendetwas falsch gemacht, wenn dem nicht so sein sollte.

Ich denke, dass es völlig normal ist, auch negative Erfahrungen zu erleben und negative Emotionen zu haben und dass „Toxic Positivity“ etwas problematisiert, dass eigentlich gar kein Problem sein sollte.
Stattdessen wäre wahrscheinlich viel daran getan, schlechte Erfahrungen und negative Emotionen hin und wieder auch einfach als das anzuerkennen, was sie sind, ohne zwanghaft zu versuchen, irgendetwas Positives daraus zu machen oder sie einfach gar nicht erst zuzulassen und somit völlig zu verdrängen.

Dieser Text ist somit auch ein kleines Plädoyer dafür, schlechte Erfahrungen und negative Emotionen einfach mal schlechte Erfahrungen und negative Emotionen sein zu lassen und diesen lieber mit radikaler Akzeptanz statt mit Toxic Positivity zu begegnen.

Insofern würde ich der Positivity-Bewegung und ihren vermeintlichen Gute-Laune Sprüchen gerne entgegnen: What doesn´t kill you, still sucks. Und das ist okay.

Quellen:

[1] Instagram: Power of Positivity (Power of Positivity (@powerofpositivity) • Instagram-Fotos und – Videos ) [Letzter Zugriff: 28.04.2023]

[2] Barmer. Toxic Positivity – wann positives Denken schaden kann (Toxic Positivity: Optimismus kann schädlich sein | BARMER) [Letzter Zugriff: 28.04.2023]

[3] International Institute of Information Technology, Hyderabad: Towards toxic positivity detection. (Upadhyay, I. S., Srivatsa, K. A., & Mamidi, R. (2022, July). Towards toxic positivity detection. In Proceedings of the tenth international workshop on natural language processing for social media (pp. 75-82)) [Letzter Zugriff: 28.04.2023]³

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