Migrant:innen im Visier – Warum der aktuelle Umgang mit der Migrationskrise problematisch ist

Von Sandeep Preinfalk // Illustration von Luca Butt

In den letzten Monaten erfuhr die Migrationsdebatte einen erheblichen Aufschwung und veränderte damit den gesellschaftlichen sowie politischen Diskurs. Folglich befassten sich neben der AfD und CDU auch vermehrt die Regierungsparteien mit dem Thema und einigten sich dabei auf teils fragwürdige Lösungen. 

Laut dem ARD-DeutschlandTrend empfinden die Deutschen die Migrationspolitik derzeit als wichtigstes politisches Thema.[1] Dieser Umstand lässt sich durch diverse Faktoren wie dem andauernden Zustrom an Zuwander:innen, der populistischen Agenda der CDU und AfD in der Migrationsfrage oder dem zunehmenden Problem der irregulären Einwanderung erklären. Doch unabhängig davon, was der Migrationsthematik neuen Auftrieb verschaffte, beunruhigen die Reaktionen der Politik auf diese Entwicklung. So haben erst kürzlich der Bund und die Länder entschieden, die Leistungen für Asylbewerber:innen zu kürzen, indem sie ihnen erst nach 36 (statt wie zuvor 18) Monaten Sozialleistungen in Höhe der regulären Sozialhilfe zugestehen. Außerdem sollen Flüchtlinge Bezahlkarten anstelle von Bargeld bekommen.[2] Überdies hat die FDP in MV weitgehende Reformen gefordert. Sie verlangt unter anderem, dass Asylbewerber:innen bis zum Abschluss ihres Asylverfahrens in den Erstaufnahmeeinrichtungen verbleiben und zum Besuch von Integrationskursen verpflichtet werden, sobald sie ein Bleiberecht erhalten.[3]

All diesen Maßnahmen ist gemein, dass sie nicht auf das Wohlergehen der Flüchtlinge, sondern ihren Nutzen für Politik und Gesellschaft abzielen. Die Kürzung der Hilfsleistungen etwa soll den Anreiz des Sozialstaats für potentielle Flüchtlinge schmälern[4] und die Integrationskurse deren Einstieg in den Arbeitsmarkt beschleunigen. 

Zweifellos sind eine Begrenzung der Zuwanderung und eine rasche Integration von Flüchtlingen erstrebenswert, jedoch dürfen Letztere dabei nicht als bloße Last oder Arbeitskraft betrachtet werden. Denn zahlreiche Asylbewerber:innen flüchten tatsächlich aufgrund von Kriegen oder politscher Verfolgung, sodass deren Notlage und Unterstützung im Vordergrund stehen sollten. Die Kürzung von Sozialleistungen widerstrebt diesem Ziel und damit zugleich dem Art. 23 der Genfer Flüchtlingskonvention.[5] Zudem begünstigen geringere Hilfeleistungen für Migrant:innen und die daraus resultierende Armut Kriminalität und soziale Ungleichheiten. Darüber hinaus müssen die schwierigen Lebensbedingungen von Flüchtlingen auch bei der Integrationspolitik berücksichtigt werden. Das gilt heute umso mehr, da zunehmende Fremdenfeindlichkeit[6] Migrant:innen die Integration erschwert. 

Die Regierungsparteien scheinen allerdings die Unterstützung von Flüchtlingen dem Ziel, einen weiteren Zuwachs der AfD zu verhindern, unterzuordnen. Diese Vorgehensweise ist höchst problematisch, da sie die Idee des Asylrechts verkennt. Die verantwortlichen Politiker:innen müssen daher mit anderen Mitteln versuchen, die Migrationskrise zu bewältigen. Zugleich muss sich die Gesellschaft bemühen, ihre Vorurteile gegenüber Flüchtlingen abzubauen und ihnen mit mehr Offenheit und Verständnis zu begegnen. Zwar können Maßnahmen zur Eindämmung der Migration (wie etwa die auf dem Migrationsgipfel beschlossenen verstärkten Grenzkontrollen)[7] diskutiert und auch Erwartungen an Migrant:innen gestellt werden. Allerdings sollten wir Letztere dabei in erster Linie als notbedürftige Menschen und nicht als Bedrohung wahrnehmen.


[1] tagesschau: Migrationspolitik für Mehrheit am wichtigsten. URL: https://www.tagesschau.de/inland/deutschlandtrend/deutschlandtrend-moma-102.html [11.11.2023].

[2] tagesschau: Was Bund und Länder beschlossen haben. URL: https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/migration-asyl-beschluesse-100.html [11.11.2023].

[3] Süddeutsche Zeitung: FDP in MV fordert „klare Kante in der Migrationspolitik“. URL: https://www.sueddeutsche.de/politik/parteien-guestrow-fdp-in-mv-fordert-klare-kante-in-der-migrationspolitik-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-231105-99-832081 [11.11.2023].

[4] Siehe [2]

[5] UNHCR: Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951. URL: https://www.unhcr.org/dach/wp-content/uploads/sites/27/2017/03/GFK_Pocket_2015_RZ_final_ansicht.pdf S. 18 [11.11.2023].

[6] Zeit Online: Zahl rechter Straftaten laut Regierung fast verdoppelt. URL: https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2023-11/rechtsextremismus-straftaten-anstieg-antisemitismus-polizei [11.11.2023].

[7] Susanne Kusicke: Das haben Bund und Länder zur Migration beschlossen. URL: https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/migrationsgipfel-das-haben-bund-und-laender-beschlossen-19296234.html [11.11.2023]. 

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