von Vanessa Stöter // Illustration von Luca Butt
Croissants vom Bäcker, Milchkaffee aus hübschen Sammeltassen, klassische Lektüren bei Sonnenuntergang, unterlegt mit weichen Filtern – kein seltener Anblick in den sozialen Medien. Egal ob auf Pinterest-Moodboards oder monthly Recap Tiktoks: immer mehr Menschen – insbesondere Studis – ästhetisieren den eigenen Alltag und führen einen Lebensstil als würde ein Soundtrack jeden ihrer Schritte mit Musik unterlegen. „You are the main character of your own life!“ So heißt es in den ‚How To Romanticize Your Life Guides‘ auf YouTube, Instagram und Co. Von den einen wird der Glück versprechende Lifestyle begeistert aufgenommen, während andere die verträumte Blase selbstvergessener Genussmenschen belächeln. Doch worum geht es eigentlich bei diesem Lifestyle? Inwiefern arbeitet er der rationalisierten Arbeitskultur entgegen und welche Tücken hält er vielleicht auch bereit? Dieser Artikel mäandert zwischen hedonistischen Lebensphilosophien, klassistischen Privilegien sowie achtsamen Gesten und kleinen Dankbarkeitsmomenten. Also lehnt euch zurück, vielleicht mit einer getöpferten Teetasse oder einem einfachen Glas Wasser, und taucht ein in den Trend, der tiefere Wurzeln schlägt, als Social Media vermuten lässt.
Dass der Begriff „romantisch“ sprachlich mehr als eine Bedeutung hat, ist mittlerweile vielen Menschen bekannt. Die meisten von uns wurden in der Schule mit der europäischen Epoche der Romantik vertraut gemacht, haben tragische Musikstücke analysiert und sehnsüchtige Balladen rauf und runter zitiert. „Romantik“ meint im Kontext dessen also eine künstlerische Bewegung von 1795 bis 1835. Nichtsdestotrotz passen Motive und Themen jener Zeit auch zu unserer heutigen Standardauffassung von Romantik. Zwar sprechen wir im modernen Kontext hauptsächlich über Rom Coms in New York oder New Adult Romane auf Bestsellerlisten, doch liegt beidem der Rückzug ins Private, Gefühlvolle zu Grunde. Wir entwickeln uns weg von rein heteronormativen Romanzen und zugleich sind aufmerksame Gesten wie das Schenken von Blumen nach wie vor in unserem Verständnis von Romantik verankert.
Der Romanticize Your Life-Lebensstil wiederum nimmt diese Gewandtheit zum Inneren, Empfindsamen, auf und priorisiert das „Schöne“. Ein großer Aspekt des Ganzen liegt in der Weltenflucht. Statt sich dem ständigen Leistungsdruck einer rationalisierten, kritischen Gesellschaft, Auswirkungen der Klimakrise oder Kriegsbildern auszusetzen, errichten sich selbst ernannte Protagonist:innen sogenannte „Safespaces“ und reden lieber über Bücher, Serien oder Kunst.
Vielen Menschen geht es darum, Achtsamkeit in ihr Leben zu integrieren. Statt zu essen, um einfach mit genügend Energie durch den Tag zu kommen, wird das Frühstück fast schon zelebriert. Kleinigkeiten im Alltag, die scheinbar sinnlos sind und keinem Zweck dienen, erhalten Aufmerksamkeit und Zeit. Sieht man sich selbst als Hauptfigur der eigenen Geschichte, lässt sich das Leben proaktiv führen und man entkommt einem roboterhaften Abarbeiten von Aufgaben. Zumal dem Gefühl der eigenen Bedeutungslosigkeit zwischen der Masse an Mitmenschen entgegengewirkt wird.
Eine zentrale Rolle spielen dabei auch die unterschiedlichen Richtungen einer Ästhetik. Die Romantik als Literaturepoche recycelte die Nostalgie des Mittelalters und auch das scheint sich zu wiederholen. Cottage Core, Coquette, Fairy-, Mermaid-, Goblin Core und Dark Academia sind nur einige Beispiele für populäre Stilrichtungen, die für viele Personen maßgeblich Einfluss auf ihre Klamottenwahl und Lebensweise nehmen. Nicht selten schwingt dabei ein Hauch Phantastik mit. Dessen sind sich die meisten sogar bewusst. Die oben beschriebene Safespaces bilden bewusst erzeugte Blasen, in denen man sich trotz der Umweltprobleme, politischen Konflikte, Genozide und moralischen Streitpunkte wohl und geborgen fühlen kann. Ein Ort zum Abschalten, Herunterfahren, Energie tanken.
Taylor Swift beschreibt es in ihrem neuen Song „I Hate It Here“ ganz ähnlich. Zugleich geht sie jedoch auf die Kehrseite des Ganzen ein: „Nostalgia is a minds trick. If I`d be there, I`d hate it.“ Sich selbst als Hauptfigur zu sehen, fiktionalisiert die Realität auf riskante Weise, ebenso wie die Vergangenheit. Der performative Charakter des eigenen Lebens überträgt sich allzu schnell auf das Selbstbild und kann im Umkehrschluss sogar dazu führen, dass man Opfer einer Abhängigkeit der schön geredeten Welt wird, die mehr Phantasieland als Wirklichkeit ist. Leben als Performance wird insbesondere durch Social Media als Katalysator gepusht und die Romanticize Your Life-Bewegung kann sich infolgedessen wie so vieles in eine ungesunde Richtung entwickeln. Zumal sie an Privilegien geknüpft ist, die nicht jedem Menschen zur Verfügung stehen.
Klassismus, Privilegien und Eurozentrismus können durchaus Bedingungen sein, die den Grad der Möglichkeiten zur Verwirklichungen jenes Lifestyles maßgeblich beeinflussen. Manche Personengruppen werden somit ausgeschlossen und ihre Kultur und Lebensweise als weniger wünschenswert wahrgenommen. Und auch finanziell rutscht man schnell in Probleme ab. Wenn man täglich ein Croissant mit heißer Schokolade beim Bäcker frühstückt und auch die übrigen Mahlzeiten ähnlich verbringt, rechnet sich das zum Ende des Monats. Knüpft man dann das eigene Glück an diesen Moment des Genusses, entsteht schnell das Gefühl, diese teuren Konsummittel seien unabdingbar. Statt nun also achtsam und selbstbestimmt den Alltag mit schönen Dingen zu füllen, wird man wieder zum Automaten eines kapitalistischen Systems mit dem Zusatz, dass man dem eigenen fiktiven Selbstbild glaubt, man würde ein selbstbestimmtes Leben leben.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Romanticize Your Life-Bewegung durchaus Vorteile für die mentale Gesundheit bereithalten kann und gepaart mit tatsächlich gelebter (und nicht vermeintlicher) Achtsamkeit für Zufriedenheit sorgt, so lange die Ausmaße nicht durch Abhängigkeit und totale Weltenflucht gekennzeichnet sind. Es scheint also als würde dieser Artikel wie so viele in der Ansicht münden, es müsse ein Mittelweg gefunden werden, da Extreme selten eine gute Wahl sind.
Jedoch soll es nicht ausschließlich dabei belassen werden. Zunehmend stellt sich in den Medien nämlich die Frage, ob wir überhaupt ein „romantisches“ Leben, zurückgezogen ins Private leben dürfen. Die Globalisierung und sozialen Medien lassen uns zu jedem Zeitpunkt in jeder Hinsicht mit der Öffentlichkeit in Verbindung stehen. Sogar wenn wir nicht selbst aktiv einen Account betreiben oder Content produzieren, sorgt unser Konsumverhalten dafür, dass Algorithmen, Marktstrategien und politische Entscheidungen getroffen werden. Jede noch so kleine Entscheidung hat Einfluss auf andere Bereiche, die uns viel ferner sind als die unmittelbare scheinbar harmlose Auswirkung einer Handlung. Man spricht in diesem Kontext auch von dem „Schmetterlingseffekt“: Selbst ein Flügelschlag unsererseits kann woanders zu einem bärengroßen Ergebnis führen. Die globalen Krisen, die medial präsenten Kriege und Genozide, diskriminierendes Verhalten, Femizide, mentale Erkrankungen, Missbrauch – all diese Probleme erfordern Solidarität. Die Partizipation in aktivistischen Prozessen lässt sich kaum auf dieselbe Weise romantisieren wie der Verzehr eines Stück Kuchens im Lieblingscafé. Die Kritik besagt: wir biedermeiern durch unser Leben, während andere sich tagtäglich dem Kampf um eine lebenswerte Welt für alle unterziehen. Statt nur dem eigenen Glück hinterherzujagen, sei Nachhaltigkeit ein Ziel, welches im Fokus stehen sollte. Man könnte natürlich fragen, ob die Bewältigung dessen denn auch unsere Verantwortung ist. Müssen wir uns diesen Schuh anziehen? Und wenn wir es nicht tun? Wer tut es dann?