von Karl Hoffmann // Fotos von Karl Hoffmann // Illustrationen übernommen von Maria Thomaschke
„Zauberhaft, mir ging mein Herz auf.“ – So beschreibt die Autorin, Journalistin und Verlegerin Hannelore Brenner-Wonschick die Aufführung ihres Kinderbuchs „Brundibár. Wie Aninka und Pepíček den Leierkastenmann besiegten“ in der jüdischen Gemeinde in Rostock. Das Buch wurde 2023 von ihr mit Illustrationen von Maria Thomaschke veröffentlicht und kurze Zeit später auf Ukrainisch übersetzt. Am 30. Mai boten 6 Kinder und 3 etwas ältere Puppenschauspieler*innen der Theatergruppe Lomir die Geschichte auf Ukrainisch dar. Teil der Darstellung waren u.a. Viktoria Prokofjeva, Ruslan Chystiakov und Margarita Vishnyakova. Mit viel Herzblut zauberten die Mitglieder der Theatergruppe in wenigen Wochen wundervolle Kulissen sowie Puppenkostüme und untermalten ihre Sprechanteile mit schöner Stimme und Mimik. Die Aufführung fand in Kooperation mit dem Deutsch-Ukrainischen Zentrum Rostock statt, welches ukrainische Kinder und ihre Familien eingeladen hatte. Zudem fand die Aufführung im Rahmen des Projekts „Brundibár-Buch an ukrainische Kinder schenken“ von „Room 28 e.V.“ statt. Die Autorin und Projektinitiatorin Hannelore Brenner war bei der Aufführung in der jüdischen Gemeinde zu Gast.
Brundibár ist eine Kinderoper des tschechischen Künstlers und Librettisten Adolf Hoffmeister und des tschechischen Komponisten Hans Krása aus dem Jahr 1938. Nach der Zerschlagung der Tschechoslowakei durch Nazideutschland konnten ab Juli 1941 nur noch heimliche Proben und Aufführungen dieser Oper im Jüdischen Waisenhaus für Jungen in Prag stattfinden. 1942 wurde Krása in das KZ Theresienstadt deportiert, 1943 auch alle Kinder des Jüdischen Waisenhauses samt Leiter. Dort wurde die Oper neu einstudiert und bis zum September 1944 über 50-mal aufgeführt. Während die Hauptrollen gleich besetzt blieben, mussten Nebenrollen immer wieder neu besetzt werden, weil Kinder in eines der Vernichtungslager deportiert wurden. Die meisten Mitwirkenden wurden im Oktober 1944 im KZ Auschwitz ermordet, darunter auch der Komponist Hans Krása.
Hannelore Brenner veröffentlichte 2004 das Buch „Die Mädchen von Zimmer 28 – Freundschaft, Hoffnung und Überleben in Theresienstadt“. Es handelt von Mädchen, die im Ghetto Theresienstadt zusammen im Mädchenheim L410 wohnten. Einige von ihnen wirkten bei den Brundibár-Aufführungen mit. Auf der Webseite der Gedenkstätte Yad Vashem ist eine Rezension des Buchs „The Girls of Room 28“ zu finden. Hannelore Brenner erhielt für ihre Verdienste um die Erinnerungsarbeit das Bundesverdienstkreuz.
heuler: Frau Brenner, wie kam es nun zum Brundibár-Kinderbuch?
Ich wollte bereits vor Jahren, Anfang der 2000er Jahre, ein Kinderbuch schreiben, zusammen mit einem Künstler, mit dem ich mich zusammengetan hatte. Der Text war schon geschrieben. Doch in jener Zeit wurde Brundibár auch in den USA bekannt, und der berühmteste amerikanische Kinderbuchillustrator Maurice Sendak kaufte die Rechte und brachte 2003 ein Kinderbuch heraus. So war es lange gar nicht möglich für das Buch einen Verlag zu finden. Durch die Recherchen für mein Buch „Die Mädchen von Zimmer 28“ hatte ich Überlebende des KZ Theresienstadt kennengelernt, von denen manche bei den Brundibár-Aufführungen mitwirkten. Alle in diesem Kreis der Holocaust-Überlebenden waren nicht zufrieden mit dem Buch des amerikanischen Autors – es hatte nichts vom Zauber der eigentlichen Geschichte, die der Oper zugrunde liegt. Es war in seiner Lieblosigkeit wie ein Affront gegenüber den Schöpfern der Oper.
Daher schließt sich für mich nun ein Kreis: Ich bin glücklich, dass ich die deutsche Ausgabe des Brundibár-Kinderbuches im letzten Jahr gemeinsam mit dem Musikverlag Boosey & Hawkes, der die Aufführungsrechte vertritt, herausbringen konnte.
heuler: Es heißt ja oft, Brundibár sei eine Oper aus Theresienstadt. So wie ich sie in der Jüdischen Gemeinde erlebt habe, war nichts davon zu spüren.
Genau das wollte ich: die Geschichte für alle Kinder erzählen. Die Geschichte selbst hat nichts mit Theresienstadt, Auschwitz und dem Holocaust zu tun. Hans Krása und Adolf Hoffmeister konnten 1938 nicht ahnen, wo und in welchem Kontext ihre Oper erstmals ihre innerste Kraft entfalten und dass sie zu einem Denkmal an die Kinder von Theresienstadt werden würde. Das wird sie immer bleiben. Untrennbar bleibt das Schicksal dieser Kinder mit der Oper Brundibár verbunden. Und doch – Künstler wollen ja meist etwas Universelles, Zeitloses schaffen. Etwas für alle, in diesem Fall ein musikalisches Werk für alle Kinder. Ich freue mich sehr, dass ich heute nach einer wundervollen Performance im Stile eines Puppentheaters dieses Buch ukrainischen Kindern schenken durfte.
heuler: Frau Brenner, was ist nun die Vorgeschichte zu Ihrem Buch „Die Mädchen von Zimmer 28“?
Ich war in den 1990er Jahre freie Hörfunk-Autorin und habe für den Sender Freies Berlin das Hörfunkfeature „Brundibár und die Kinder von Theresienstadt“ produziert. Die Recherchen dazu führten mich zu einer besonderen Gruppe von Überlebenden, die Theresienstadt und Auschwitz überlebten: „Die Mädchen von Zimmer 28“. Einige von ihnen hatten in der Oper mitgespielt, z. B. Ela Weissberger, geb. Stein. Sie spielte die Katze. Alle haben die Oper gesehen. Alle liebten sie und kannten die Melodien.
heuler: Wie kamen Sie darauf, ein Buch über diese „Mädchen von Zimmer 28“ zu schreiben?
Zunächst war es nicht mein Plan, ein Buch über die Geschichte dieser Frauen zu schreiben. Mein Anliegen war es, die Frauen dabei zu unterstützen, ein Gedenken an die Kinder, die in Auschwitz umgekommen sind, zu schaffen. Zwei von ihnen – ich nenne sie gerne die „Urmütter“ des Erinnerungsprojektes – Anna Hanusová/ Brünn und Helga Kinsky/Wien – hatten sich damals schon zusammengetan, um Erinnerungen und Dokumente von ihren Freundinnen, die den Holocaust überlebt haben, zusammenzutragen. Wir befreundeten uns. Ich flog nach Israel und lernte die weiteren Überlebenden und deren Geschichte kennen.
heuler: Wie kam es dann zum Buch? Dem muss doch viel Arbeit vorausgehen?
Anna Hanusova organisierte für September 1998 eine Zusammenkunft in Spindlermühle im Riesengebirge. Das erste Treffen war so schön, die Frauen so glücklich, zusammen zu sein, dass wir uns von da an immer wieder im September in Spindlermühle trafen. Es waren Urlaubstage, aber auch Arbeitstage. Wir kamen zu Workshops zusammen, um gemeinsam über das Erlebte in ihrer Kindheit zu sprechen. Ich führte mit allen Frauen Interviews. Irgendwann war klar, dass es nicht reichte, Erinnerungen und Dokumente zu sammeln – es galt, eine Geschichte zu erzählen. Diese Rolle habe ich dann im Bündnis mit ihnen übernommen.
heuler: Es entstand dann auch eine Wanderausstellung, ebenfalls mit dem Titel „Die Mädchen von Zimmer 28“. Diese wurde dann unter anderem in der Europäischen Kommission in Brüssel und im Deutschen Bundestag ausgestellt. Wie kam es dazu?
Es war von Anfang an klar, dass ein Buch allein nicht ausreichen würde, jene zu erreichen, die wir mit dieser Geschichte erreichen wollten: junge Menschen. Das “Room 28 Erinnerungsprojekt“ umfasst einen Schatz an authentischen Dokumenten und Erinnerungsstücken: ein Poesiealbum, ein Tagebuch, ein Notizbüchlein, Gedichte, Briefe, Kinderzeichnungen. All dem wollte ich Raum geben. Ich wollte ein Medium schaffen, das es den Überlebenden möglich macht, ihre Geschichte anhand dieser Dokumente jungen Menschen zu erzählen. Daher entstand im selben Jahr noch eine gleichnamige Ausstellung. Und diese Ausstellung, die in Schwerin erstmals gezeigt wurde, wurde im Nu zur Wanderausstellung und konnte bis heute an etwa 70 Orten in Deutschland gezeigt werden. Dass die Ausstellung so erfolgreich wurde, hat auch damit zu tun, dass die Kinderoper Brundibár immer öfter gespielt und sehr bekannt wurde.
heuler: Frau Brenner, vielen Dank für das Gespräch.