von Karl Hoffmann // Fotos TuS Makkabi, Karl Hoffmann
Wusstet ihr, dass es Rollstuhlfechten gibt? Wusstet ihr, dass es eine Disziplin bei den Paralympics ist? Und wusstet ihr, dass der Rollstuhlfecht-Nationaltrainer Alexander Bondar aus Rostock kommt? Ich bisher nicht.
An einem verregneten Tag im Juli besuche ich ein Training in einer Turnhalle in Reutershagen. Ich treffe mehr Teilnehmer:innen von EMs, WMs und Olympiaden, denn je zuvor. Da ist zum einen Alexander Bondar selbst, der ukrainischer Jugendmeister und 3. Platz bei der Jugend-EM im klassischen Fechten war. Nun ist er als Landes- und Bundestrainer ohnehin bei allen Wettbewerben dabei. Ebenfalls beim Training dabei ist Sylvi Tauber, die an Rollstuhlfecht-WMs teilnahm und für die Paralympics in Paris qualifiziert war. Aufgrund von Verletzungsproblemen und Krankheit kann sie nun leider nicht teilnehmen. Außerdem ist Balwinder Cheema dabei, Deutscher indischer Herkunft. Balwinder nahm u.a. an den Paralympics in Rio de Janeiro 2016 teil – er sagt: „Die beste Zeit meines Lebens“. Aktuell hat auch er mit Krankheit und Verletzung zu kämpfen. Und so fährt dieses Jahr aus Rostock nur Alexander Bondar mit seinem bundesweiten Kader zu den Rollstuhlfecht-Paralympics in Paris. In Stuttgart findet vom 16.08.-27.08. das vorbereitende Trainingslager statt, dann ist sein Team vom 27.08.-09.09. in Paris. Sie sind im olympischen Dorf untergebracht.
„En garde“ schallt es oft durch die Halle. Ein Kommando, dass den Fechter:innen signalisiert in Gefechtsstellung zu gehen. Die Sportler:innen sitzen mit den Rollstühlen auf festen Plätzen, sind mit Masken sowie Fechtanzügen ausgestattet und mit Kabeln vernetzt. Die elektronische Erfassung der Treffer ist wichtig, weil mit bloßem Auge kein einziger Treffer zu erkennen wäre – so schnell gehen die Schläge. Ich versuche selber zu erkennen, wer den letzten Treffer gelandet hat, aber liege immer daneben. Zwischen den Fechter:innen gibt es eine digitale Anzeige, auf der bei einem Punktgewinn ein grünes Licht leuchtet. Alexander Bondar steht neben den Sportler:innen, beobachtet und gibt Hinweise, was zu verbessern ist. Die Altersspanne reicht von Jugendlichen bis hin zu mittelalten Erwachsenen. Bondar sagt, dass Inklusion bei TuS Makkabi Rostock nie ein Thema war. Es haben immer alle zusammen Sport gemacht – sowohl nicht-behinderte Menschen wie auch behinderte Menschen, die auf den Rollstuhl angewiesen sind.
Alexander Bondar entspannt gerade mit Frau und Enkel im warmen Warnemünde am Strand und sonnt sich, als ich ihn das erste Mal kontaktiere. Das Meer ist passenderweise ein verbindendes Element in seinem Leben. Die Judenverfolgungen der Jahrtausende brachten seine Vorfahren von der Iberischen Halbinsel und aus Venedig nach Osteuropa. Sie ließen sich in Odessa am Schwarzen Meer nieder. Bondars Vater war Fechter, er selbst sollte Geige spielen, ging aber heimlich zum Fechten. Sein Vater erfuhr dann aus der Zeitung, dass er Stadtmeister geworden war. Durch ein Gesetz der letzten DDR-Regierung, das von der BRD als ‚Kontingentflüchtlingsgesetz‘ übernommen wurde, eröffnete sich die Möglichkeit für jüdische Menschen nach Deutschland zu kommen. 1995 kam er mit Bruder und Eltern nach Mecklenburg-Vorpommern. Nach NS- und DDR-Zeit wurden in Schwerin, Wismar und Rostock in den 1990ern die jüdischen Gemeindestrukturen gerade wieder aufgebaut. Und seine Familie entschied sich für Rostock als Wohnort, wegen der Infrastruktur, und: natürlich der Nähe zum Meer.
Die 1990er-Jahre waren nicht leicht für Eingewanderte in MV. Erst 1992 gab es die fremdenfeindlichen Angriffe auf das Sonnenblumenhaus in Rostock-Lichtenhagen, die Stadt war in Aufruhr. Bondar sagt, er war fremd, der einzige Ausländer in seiner Schule – nur durch den Sport fand er Kontakte und Freunde. Einige Jahre später baute er den Verein TuS Makkabi Rostock mit einer Rollstuhlfecht- und einer Schachabteilung auf – er erwarb die A-Trainerlizenz und ist heute in Vollzeit Rollstuhlfecht-Bundes- und Landestrainer und hat auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Bei TuS-Makkabi ist nur ein kleiner Teil der Mitglieder jüdischer Abstammung – der Großteil hat verschiedene Migrationshintergründe. Bondar sagt: „Für mich gibt es nur eine Nationalität: Fechter oder nicht.“ Dazu passt, dass er vor einigen Jahren Integrationsbotschafter von MV war. Die neugewählte Europaabgeordnete Sabrina Repp (SPD) sagt dazu: „Es ist wichtig, dass sich alle religiösen Gruppen und Menschen mit Migrationshintergrund in Mecklenburg-Vorpommern und darüber hinaus willkommen und wohlfühlen können.“ Was sind Alexander Bondars Zukunftspläne? Eventuell noch das Trainer-Diplom machen und vor allem erst einmal: Erfolge bei den Paralympics in Paris 2024.
Die heuler-Redaktion wünscht viel Erfolg bei den Paralympics!
Weiterführender Link:
https://www.juedische-allgemeine.de/unsere-woche/ich-glaube-an-den-sport/