Von Hannes Goerke // Fotos: Jonathan Andreas
Der Rostocker Große Atlas ist einer der bedeutsamsten Schätze unserer Universitätsbibliothek und feiert in diesem Jahr seinen 360. Geburtstag. In aufgeschlagener Form verzeichnet der Atlas eine Breite von mehr als 2 Metern. Darüber hinaus ist er über 1,60 Meter groß und damit das drittgrößte Buch der Welt. Vergleichbare Werke finden sich lediglich in Berlin und London. Der Rostocker Große Atlas wiegt 120 Kilogramm und enthält 32, meist doppelseitige, geografische Karten mit Darstellungen von Erdteilen, Ländern und Regionen, welche von den damals anerkanntesten Kartografen, darunter Joan Blaeu und Nicolaes Visscher, aufwendig koloriert und kunstvoll dekoriert wurden. Neben kontinentalen Übersichten finden sich detaillierte Karten einzelner Länder und Regionen im Atlas wieder, beispielsweise eine Abbildung Mecklenburgs. Auffällig ist dabei, dass viele Karten aus dem niederländischen Raum stammen. Wirklich verwundern tut dies jedoch nicht, denn der Atlas wurde im Jahr 1664 in der niederländischen Hauptstadt hergestellt.
Amsterdam war damals die Drehscheibe des Welthandels. Nicht nur die Stadt erlebte im 17. Jahrhundert ein goldenes Zeitalter, sondern das gesamte Land. Die Niederlande waren zu dieser Zeit der Frachthafen Europas und Amsterdam der kulturelle Mittelpunkt und das Zentrum des Geschehens. Durch die ausgebildete Handelsmacht und den zahlreichen Kolonien in Afrika, Amerika und Asien kamen bedeutsame geografische Erkenntnisse immer wieder nach Amsterdam. So entstand die kartografische Hochburg im Herzen des Landes. Die hergestellten Karten dienten nicht nur der Orientierung auf hoher See, sondern enthielten Angaben zu Handelsstützpunkten und weitere Hinweise zu den abgebildeten Regionen. Zum Beispiel befanden sich auf einigen Karten Informationen zu Handelsgütern, wie Gewürzen oder Illustrationen von regionalen Tieren. Sie sorgten für einen sichereren und schnelleren Handel.
Doch die Karten waren nicht nur für Kaufleute und Seereisende von großem Wert. Die prachtvoll dekorierten Meisterwerke waren im 17. Jahrhundert ein beliebtes Mittel der Inneneinrichtung und galten als stilvolles Designelement. So verwundert es nicht, dass sie in vielen Häusern als Wanddekoration genutzt wurden. Die allermeisten Karten konnten mit den sich schnell entwickelten geografischen Erkenntnissen nicht mithalten. Galten sie zum Zeitpunkt ihrer Entstehung noch als hochaktuell, konnte sich dies in nur wenigen Jahren ändern, womit sie schnell zu Gebrauchsgegenständen wurden. Da die Karten meist in offenen Räumen über Kaminen oder Kerzen hingen, konnten viele Karten nicht erhalten bleiben, weil sich schnell Schimmel oder Verfärbungen bildeten. Umso eindrucksvoller ist es, dass der Rostocker Große Atlas in seiner heutigen Form erhalten geblieben ist, was nicht zuletzt daran liegt, dass der Atlas in den 1980er Jahren aufwendig restauriert wurde. Um die Bewahrung des Atlas sicherzustellen wird er der Öffentlichkeit nur selten präsentiert, das letzte Mal vor 10 Jahren. Nachdem 1772 der Atlas seinen Weg in die Bibliothek der Universität Bützow gefunden hatte, gelangte er durch die Vereinigung mit der Universität Rostock 1798 schließlich nach Rostock, wo er seitdem behütet wird.
Der Atlas wurde von Herzog Christian I. Louis von Mecklenburg-Schwerin (1623-1692) in Auftrag gegeben. Der Riesenatlant stand stellvertretend für den prestigeträchtigen Bücherbesitz des Herzogs und war Ausdruck von Macht und Bildung. Außerdem schienen Mathematik, Geografie und Kartografie besondere Interessen des Herzogs gewesen zu sein. Christian I. Louis wurde 1623 in unruhigen Zeiten geboren. Erzogen in Schweden, kehrte er später nach Mecklenburg zurück und übernahm schließlich das Herzogtum. Doch am Hofe war er selten. Zeit seines Lebens verbrachte er viel im Ausland und verweilte lange in Frankreich, am Hofe von Ludwig XIV. So geschah es, dass Christian I. in Ehren des Sonnenkönigs den Namen Louis annahm. Als 1688 zwischen Frankreich und dem Heiligen Römischen Reich der Pfälzische Erbfolgekrieg begann, stand Christian I. Louis automatisch auf der Seite des feindlichen Frankreichs. Ihm war somit sowohl der Aufenthalt am mecklenburgischen Hofe als auch in Frankreich verwehrt. Er zog nach Den Haag, Niederlande. In seinen späten Jahren litt Christian I. Louis unter körperlichen Beschwerden. Er starb 1692 in Den Haag. Sein Leichnam wurde schließlich nach Schwerin zurückgebracht und am 24. August 1692 in Bad Doberan in der Gruft seines Vaters beigesetzt. Herzog Christian I. Louis gehört aufgrund seiner vielfältigen Auslandsaufenthalte, seinen einflussreichen Beziehungen und seiner untypischen Herrschaft zu den bemerkenswertesten Figuren der mecklenburgischen Landesgeschichte des 17. Jahrhunderts.
Noch bis zum 06. Oktober 2024 habt ihr die Möglichkeit euch den Riesenatlanten und einige Eindrücke über das Leben von Christian I. Louis in einer Sonderausstellung im kulturhistorischen Museum Rostock anzusehen. Das Museum befindet sich direkt neben dem Universitätshauptgebäude in der Innenstadt. Der Eintritt ist gratis. Auf der Webseite der Universitätsbibliothek finden sich zudem zwei sehr informative Videos rund um den Atlas und seine Geschichte1.
- https://www.ub.uni-rostock.de/universitaetsbibliothek/ueberblick/universitaetsbibliothek/rostocker-grosse-atlas/. ↩︎