von Anna // Fotos von Luca Butt
„Bagehl bleibt!“ So lautet seit einem halben Jahr der Aufruf der Rostocker Szenehäuser (Instagram: bagehl.bleibt). Nachdem die Stadt Rostock im Zuge einer Zwangsversteigerung im September 2024 die beiden Gebäude gekauft hat, möchten wir nun herausfinden, wie die aktuelle Lage ist und worum es dabei überhaupt geht. Zwei Bewohner:innen erklärten sich bereit, mit dem HEULER zu sprechen (Namen von der Redaktion geändert).
Für die Leute, die euch nicht kennen: Was ist das Bagehl?
I.: Ich würde sagen, dass das Bagehl ein Hausprojekt ist, das schon seit einigen Jahren besteht. Seit wann gibt es das jetzt schon in dieser Form?
M.: Seit ungefähr 30. Ich bin vor 17 Jahren hier eingezogen und da war das schon eine „Institution“.
I.: Im Prinzip sind wir so eine Art alternatives Wohnprojekt.
Was wisst ihr über die Historie des Bagehls? Und welche Ereignisse wirken sich bis heute auf das Leben im Haus aus?
M.: Also erstmal hat das Ganze hier vor über 30 Jahren um die Ecke am Schwibbogen angefangen. Das Viertel sah damals noch ganz anders aus, als es heute der Fall ist. Es war richtig kaputt, mit zerbombten Häusern aus dem Weltkrieg usw. Also ohne Übertreibung. Es gab viel Leerstand und am besagten Schwibbogen hat sich über die Zeit eine Gruppe Punks angesammelt. Irgendwann sind die dann mit dem Arche e. V. zusammengekommen, der denen dann das Angebot unterbreitete, gemeinsam zwei Häuser zu sanieren, damit die Punks darin wohnen können. Und so ist das Bagehl entstanden. Die Leute haben neben richtigen Handwerker:innen angefangen, das Projekt anzupacken, und sind am Ende hier eingezogen. Der Arche e. V. bekam dann die Mieten und schlussendlich konnten alle selbst entscheiden, wer hier einzieht, wer hier auszieht und was weiterhin passieren sollte.


Also war Arche e. V. euer Vermieter?
M.: Die haben das Mietverhältnis mit den Punks sozusagen erhalten und mit verwaltet. Am Ende sind auch nur die Leute her- und reingekommen, die wirklich hierherwollten. Also verblieb das Ganze logischerweise innerhalb der Szene. Und das ist auch bis heute so. Irgendwann sind ein paar von den Bewohner:innen u. a. nach Hamburg verschwunden oder innerhalb von Rostock umgezogen und Zimmer wurden frei. Über die Jahre haben sich auch Leute in der Nachbarschaft gefunden, die ab und an mal vorbeikommen. Einer davon ist sogar über 60. Ein anderer Nachbar hilft uns, wenn wir Probleme mit der Heizung haben. Wer kommen will, kommt vorbei, und wer nicht, der nicht.
I.: Da gibt es eine Sache, die vielleicht nochmal gerne richtiggestellt werden kann. Zwischenzeitlich gab es hier einen anderen Vermieter, der insolvent gegangen ist. Weißt du, von wann bis wann das war?
M.: Nein, aber den hatten wir ziemlich lange. Der ist sogar mehrmals insolvent gegangen, aber ist beim Vermieten geblieben. Der ist auch eigentlich stadtbekannt, damit hatten nicht nur wir unsere Probleme. Mittlerweile ist der aber, soweit ich weiß, endgültig insolvent.
I.: Da gab es das Problem, dass der mit unserer Miete nicht die erforderlichen Kosten für das Haus gedeckt hat, sondern sich das Geld auch selber eingesteckt hat. Es gab zu der Zeit das Gerücht, dass das Haus so runtergekommen ist, weil keine Miete bezahlt wurde, aber das stimmt halt einfach nicht. Der Vermieter hat das Geld nicht in die Häuser rückinvestiert. Und darunter haben am Ende die Menschen im Haus gelitten.


M.: Einmal hat er neue Briefkästen angebracht. Da hat er uns dann Flugblätter reingeworfen, auf denen stand, dass die Miete jetzt auf ein anderes Konto überwiesen werden solle. Das haben wir ihm logischerweise nicht geglaubt.
I.: Das rechnet sich über die Jahre halt hoch. Es gibt Schimmel in manchen Räumen, die Fenster oder das Dach sind teilweise einfach undicht. In einer anderen Zeitung wurde es mal so dargestellt, als ob das die Schuld der Bewohner:innen gewesen wäre. Das stimmt aber einfach nicht.
Gab es in den letzten 30 Jahren einen Zeitraum, in dem das Haus mal nicht von szeneinternen Menschen bewohnt wurde?
M.: Es gab wohl einmal den Versuch von einem Vermieter, andere Leute einziehen zu lassen, aber die wollten das am Ende selbst gar nicht. Die haben das dann gelassen und der Vermieter zum Glück auch.
Wie sieht euer Selbstbild im Rostocker Stadtkontext aus?
I.: Erstmal sind wir eine verhältnismäßig sehr bunte Mischung. Es macht vor allem viel aus, dass hier mehrere Generationen zusammenkommen und gemeinsam voneinander lernen können. Das ist meiner Meinung nach ein ganz wichtiger Punkt. Es kann viel Austausch stattfinden und die Akzeptanz für andere Lebensweisen spürt man auch. Das finde ich ziemlich schön.
M.: So viele andere Projekte gibt es ja nicht mehr.
I.: Ein paar schon noch, wobei ich aber nicht genau weiß, wie das bei denen alles läuft. Wir haben uns allerdings in der Zeit, als das mit der Häuserversteigerung anfing, Hilfe von anderen Menschen geholt, die uns bei der eigenen Organisation unterstützt haben. Zumindest in dem Zuge haben wir mit anderen Hausprojekten Kontakt aufgenommen. Nachdem die Stadt das Haus gekauft hat, gab es aber auch im Allgemeinen viele Solidaritätsbekundungen und Veranstaltungen, die uns in der Vernetzungsarbeit weitergeholfen haben.
Wie seid ihr selbst im Bagehl gelandet und was waren Gründe für euch, zu bleiben?
M.: Ich?
I.: Ja, gerne, du bist ja auch in einer anderen Zeit hier gelandet.
M.: Ich habe damals viel mit den Leuten zu tun gehabt, die hier gelebt haben. Früher sah ich auch noch ganz anders aus, mit einem Irokesenschnitt und Stiefeln und so weiter. Und hier habe ich mich zugehörig gefühlt. Irgendwann sind die dann ausgezogen und ich bin eingezogen. Am Ende wollte ich halt mit einer Gruppe Gleichgesinnter zusammenleben. Damals habe ich sowieso in der Nähe gewohnt und davor in besetzten Häusern, die es heute alle nicht mehr gibt. Und als junger Mensch wollte ich auch so leben, wie ich das in den Häusern gesehen hatte. In einer Gemeinschaft und nicht so anonym. Also heute könnte mich keine:r mehr in eine Plattensiedlung schicken. Da schlaf ich lieber auf der Straße, als mir das nochmal anzutun.
I.: Ich glaube, für mich macht auch das Gemeinschaftliche am meisten aus. Vorher habe ich mich dort, wo ich wohnte, oft einsam gefühlt und hier fühle ich mich das erste Mal richtig zuhause, seitdem ich von Zuhause ausgezogen bin. Und das ist einfach schön.


Wo liegt der Unterschied zwischen euch und einer Studierenden-WG mit 15 Leuten?
I.: Unabhängig von den verschiedenen Generationen ziehen die Menschen hier ein, weil sie ein Zuhause suchen und nicht nur einen zeitbegrenzten Ort zum Wohnen. Ich könnte mir vorstellen, dass eine Studierenden-WG zweckmäßiger ist als unser Zusammenleben. Es ist schon so, dass wir uns hier wegen unserer Ansichten und der Art und Weise, wie wir leben wollen, zusammengefunden haben.
2024 wurde auf die beiden Häuser eine Zwangsversteigerung angesetzt. Die endete damit, dass die Stadt die beiden Häuser kaufte. Wie funktioniert es für euch, nun mit der lokalen Politik zusammenzuarbeiten? Und was heißt das für euren Handlungsspielraum?
I.: Wir hatten erstmal Glück mit ein paar Leuten aus der Bürgerschaft und unserer Oberbürgermeisterin Kröger. Sonst hätten wir jetzt nicht die Grundlage, mit der wir arbeiten können. Für uns selbst heißt das konkret, dass wir uns besser organisieren müssen. Unser Ziel ist ja am Ende, die Häuser irgendwann mal selber verwalten zu können. Also arbeiten wir daran, das irgendwie möglich zu machen. Wir versuchen z. B., mit dem Mietshäusersyndikat zusammenzuarbeiten und darüber das Hausprojekt als solches zu erhalten. Die Stadt will die Häuser ja langfristig auch nicht behalten, sondern hat uns mit dem Kauf die Möglichkeit gegeben, ihr die Häuser auch wieder abzukaufen.
Welche Tipps hättet ihr für Leute, die selbst ein Hausprojekt in Rostock initiieren möchten?
M.: Viel Geld haben.
I.: Ja, das ist natürlich von Vorteil. Ansonsten ist Vernetzungsarbeit mit anderen Hausprojekten sehr hilfreich. Die Szene lebt ja auch viel von der Solidarität füreinander. Wir haben auf alle Fälle schon mal den Vorteil, dass das Hausprojekt an und für sich schon seit einer Weile besteht. Es gibt auch Wohnprojekte, die erst noch nach einem Haus suchen müssen. Ansonsten lohnt es sich, die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Wichtigkeit von alternativem Wohnraum zu lenken und Menschen von außerhalb Möglichkeiten zu bieten, unterstützen zu können.


Was sind denn die konkreten Möglichkeiten, euch zu unterstützen?
I.: Einerseits können wir bei Renovierungsarbeiten Hilfe gebrauchen, da das Haus an verschiedenen Stellen schon runtergekommen ist. Also können sowohl handwerklich begabte Menschen als auch Leute mit gutem Zugriff auf Baumaterialien helfen. Da kann man uns auch über Instagram erreichen. Wir wollen so viel wie möglich mit eigener Kraft hinbekommen. Auf der anderen Seite benötigen wir am Ende finanzielle Unterstützung, also Menschen, die uns Direktkredite geben oder selbst spenden können. Das mit den Direktkrediten werden wir, wenn es so weit ist, auch nochmal bei Instagram erklären. Das ist langfristig der Plan. Wenn wir das Haus von der Stadt abgekauft haben, können wir über unsere Mieten dann auch die Kredite zurückfinanzieren.
Am Ende seid ihr ein Hausprojekt, in dem auch Leute wirklich wohnen, was, wie für jedes Zuhause, bedeutet, dass das hier auch einen Schutzraum für euch privat darstellt. Wie balanciert ihr aus, wie viel die Öffentlichkeit an eurem Zuhause Anteil nehmen soll und darf?
M.: Die Öffentlichkeit muss jetzt nicht alles sehen (lacht).
I.: Es kommt natürlich darauf an, an was für Leute das immer gerät. Also prinzipiell sind wir auch irgendwo ein Szenetreffpunkt und das führt dazu, dass Mundpropaganda meistens bei Leuten landet, die auch ähnliche Werte vertreten und uns auch aus Eigeninteresse unterstützen möchten. Auf der anderen Seite diskutieren wir gerade, inwiefern und in welchem Rahmen wir eine Art Gemeinnützigkeit herstellen können. Zum einen haben wir hier schon einen Proberaum, der genutzt wird und genutzt werden kann. Für den Sommer überlegen wir gerade, ob es für uns möglich ist, Küfas („Küche für alle“) zu organisieren oder die Öffentlichkeit konkret in Kunst- und Bauprojekte einzubeziehen.


I.: Ja, prinzipiell ist das online mit unserem Instagram-Kanal oder den öffentlichen Medien im Allgemeinen eine schwierige Sache. Man hat im Internet natürlich keine Übersicht, wer die Posts sieht.
M.: Ansonsten können wir z. B. darauf achten, mit wem wir, wie jetzt, sowas wie Interviews machen. Wir würden uns das z. B. zweimal überlegen, ob wir mit der OZ reden wollen. Auf der anderen Seite saugen die sich bei der Berichterstattung ohne unser Mitwirken auch alles aus den Fingern, das ist schon ein Problem. Sagt man dann was oder nicht? Oder schreiben manche sowieso nur das, was sie wollen? Das ist schon nicht so einfach.
Wie viel Zeit bleibt euch, um eure Vorhaben umzusetzen?
M.: Für den Aufkauf des Hauses haben wir erstmal noch ungefähr ein Jahr.
I.: Ja, das ist relativ knapp bemessen. Wir müssen uns auf alle Fälle mit der Stadt nochmal in Verbindung setzen, um zu schauen, wie realistisch das ist, wobei wir da gerade noch auf eine Antwort für unsere letzte Anfrage warten. Da ging es um konkrete Termine, bis wann sie welche Unterlagen oder Anzahlungen von uns brauchen.
M.: Es steht auch die Frage im Raum, was passiert, wenn wir mehr Zeit benötigen.
I.: Eine erneute Zwangsversteigerung wäre schlecht. Aber, wie gesagt, warten wir gerade auf eine Nachricht von der Stadt. Vielleicht haben die Leute da gerade zu viel zu tun, aber eine Antwort wäre gut, damit wir zielführend weitermachen können und vor dem Eintreten welcher Konsequenzen auch immer handeln können. Das Bagehl soll schließlich bleiben.


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