Ein Kommentar von Zoe Ebert // Foto: Vanessa Stöter
Was sich für ältere Semester wie eine Parodie der 2000er anfühlen mag, ist auf TikTok und Instagram längst wieder Realität: Passend zu Hüftgürteln, Eyeliner und Low Waist Jeans sind auch flache Bäuche und dünne Körper seit einiger Zeit wieder hoch im Kurs. Der Trend zur Schlankheit um jeden Preis ist zurück!
Nichts davon ist neu: Sophie Passmann berichtet in ihrem Roman „Pick Me Girls“ (2023) sehr persönlich davon, wie magersüchtige Mädchen auf tumblr ihr eigenes Körperbild in ihrer Jugendzeit und lange darüber hinaus prägten. Mit Social Media hat der Schlankheitswahn nun eine neue Komponente bekommen, denn es gibt mit dem viel besprochenen Algorithmus einen weiteren, sehr intransparenten Faktor in der Gleichung. Die Inhalte allerdings sind unverändert erschreckend, über sie allein ließen sich ganze Artikel schreiben. Das würde hier leider den Rahmen sprengen; konzentrieren wir uns stattdessen lieber darauf, was an diesem wiederbelebten Trend so gefährlich ist.
Zunächst muss eines klargestellt werden: Selbstverständlich ist es mehr als in Ordnung, Sport zu treiben, auf seine Ernährung zu achten – ja, natürlich auch, abnehmen zu wollen. Verschiedenste Umstände führen dazu, dass Menschen sich in ihren Körpern unwohl fühlen. Schwierig wird es nur dann, wenn Schlankheit mit Gesundheit gleichgesetzt und in der Folge als ultimatives Ziel aller Menschen propagiert wird. Denn wieviel wir wiegen, hängt bei Weitem nicht nur davon ab, was wir (nicht) essen oder wieviel Selbstdisziplin wir haben. Laut der Charité ähnelt sich der BMI (Body-Mass-Index) von eineiigen Zwillingen beispielsweise zu 40 bis 70 Prozent – und zwar auch, wenn sie nicht in der gleichen Familie aufwachsen. Das ist ein Indiz dafür, dass genetische Faktoren eine bedeutende Rolle dafür spielen, welche Zahl auf der Waage steht. Dabei kann Genetik allein Mehrgewicht natürlich nicht erklären – soziokulturelle Faktoren, wie Bewegung, Essverhalten oder Willensstärke sind ebenso Teil der Gleichung.
Hierbei wird nur oft vergessen, dass wir auch diese Variablen nicht so frei verändern können, wie oft behauptet wird. Denn wie wir aufwachsen, was wir vorgelebt bekommen, welche Diskurse in unseren Herkunftsfamilien über (weibliche) Körper herrschen – all das suchen wir uns ja nicht aus. Wer von früh auf gesundes, ausgewogenes Essverhalten vorgelebt bekommt, hat es später deutlich einfacher, dies im eigenen Leben umzusetzen. Das gilt genauso auch andersherum.
Und auch wer sich dann entgegen der eigenen Prägung für ein gesundes Verhältnis zum eigenen Körper entscheidet, der findet im Abnehmen nicht immer die richtige Lösung. Es ist wenig überraschend, dass Diäten sich negativ auf die psychische Gesundheit auswirken können. Aus dem freiwilligen Protokollieren jeder Mahlzeit kann schnell ungesunder Zwang entstehen. Und Essstörungen sind leider relevant wie eh und je. So berichtet die Krankenkasse KKH von einem rapiden Anstieg an Essstörungen unter Mädchen und jungen Frauen. Dabei berufen sie sich auf Daten über ihre Mitglieder.
Wie naiv ist es da zu denken, dass wir uns in all dem gänzlich frei und selbstbestimmt für ein Abnehmen entscheiden können. Genau das behaupten aber zahlreiche Menschen unter dem Hashtag #skinnytok. Der Subtext ist dabei immer derselbe: Es ist okay, wenn du deinen Körper verändern willst – solange du es aus freien Stücken tust, ist daran nichts Schlimmes. Die taz beschreibt, wie das Skinny Girl Mindset behauptet, schlank sein funktioniere auch ohne strenge Diäten und Sport – es sei nur eine Frage der „Lebenseinstellung“. So kriegt der immense Druck auf vor allem weiblich gelesene Körper einen trügerischen Touch von Empowerment.
Das ist nicht nur falsch, das ist brandgefährlich. Nicht nur aufgrund der eben beschriebenen steigenden Zahl an Essstörungen bei Mädchen und jungen Frauen. Zudem droht sich der Trend so jeder feministischen Kritik zu entziehen, wenn er uns vorauseilend entgegenzuschreien scheint: „Aber du musst ja gar nicht, wenn du nicht willst!! Das ist ja nur für die, die wollen!“ Denn was passiert mit Menschen, die eben nicht wollen oder können? Sie werden für ihre Körper geshamed.
Dieses Phänomen nennt sich fatphobia (dt.: Fettphobie). Der englische Begriff beschreibt die Diskriminierung von mehrgewichtigen und fetten Menschen aufgrund ihres Gewichts. In der Medizin kann die sog. medical fatphobia die psychische Gesundheit betroffener Personen belasten und mitunter zu Fehldiagnosen führen.
Aber auch im Alltag gilt „fett“ immer noch oft Beleidigung, als ein unerwünschter, zu vermeidender Zustand. Ein gutes Beispiel ist ein Standardausspruch in Umkleidekabinen sämtlicher Kleidungsgeschäfte: „Sehe ich darin dick/fett aus?“. Über all dies klären Aktivist:innen wie Charlotte Kuhrt auf Social Media auf. Kurzum: Fathobia steckt in uns allen. Komplett frei werden wir wohl erst über unser Körpergewicht sprechen können, wenn es genauso akzeptiert ist, zunehmen zu wollen wie abzunehmen – egal, wie der eigene Körper gerade aussieht. Bis es so weit ist, allerdings, sind die Gedanken eben nicht frei.
Dabei ist es kein Wunder, dass vor allem weiblich gelesene Personen in so großen Zahlen dem Schlankheitswahn verfallen. Die taz berichtet beispielsweise, dass das negative Reden über den eigenen Körper für weiblich gelesene Personen geradezu identitätsstiftend sein kann. Man denke doch mal an die vielen verschwörerisch-vertrauten Momente, die einzig und allein auf der Abwertung des eigenen Körpers beruhen. So sprechen jedes Frühjahr weiblich gelesene Menschen in den verschiedensten Situationen intensiv über die Winterpfunde, die sie nun abkämpfen müssen. Und ich will gar nicht darüber nachdenken, wieviel Lebenszeit ich damit verschwendet habe, mit Freund:innen über angebliche „Problemzonen“ zu reden. Kein Wunder, wenn das Maß an gesellschaftlicher Anerkennung, das uns entgegengebracht wird, zu einem so großen Teil davon abhängt, wie wir aussehen. Aber es ist eben auch Teil der Wahrheit, dass dies oft auch verbindende Momente waren.
Der Deutschlandfunk spricht passend dazu davon, dass in einigen Teilen der Gesellschaft geradezu Erleichterung über das Ende von Body Positivity zu spüren war. Es fühlt sich für weiblich sozialisierte Personen wohl einfach gewohnter an, Kontrolle über den eigenen Körper auszuüben. Die Referenz an die ach-so-trubligen Zeiten, in denen wir leben, würde ich mir an dieser Stelle eigentlich gerne sparen. Irgendwie ist es doch immer so schlimm, wie es überhaupt noch nie war; irgendwie kommt immer jetzt alles zu einem multifaktoriellen Clusterfuck zusammen.
Interessant ist hierbei jedoch, dass die politische Lage und der Diskurs rund um v.a. weibliche Körper zumindest zu korrelieren scheinen. Charlotte Kuhrt stellt die These auf, dass der Trend zurück zu schmalen Körpern mit dem Rechtsruck zusammenhängt. Beide Phänomene hätten nämlich eines gemeinsam: weiblich gelesene Körper sollen möglichst wenig Raum einnehmen.
Ob das nun stimmt oder nicht: In jedem Fall kann man es als grob fahrlässig betiteln, wenn sich einzelne Feminist:innen dann unter Berufung auf ihre Selbstbestimmtheit ihre Entscheidungen feministisch reden. Passmann kommt beispielsweise zum Schluss, dass ausgeglichene Frauen die größte Bedrohung für das Patriarchat seien. Damit scheint sie in ihrer persönlichen Entscheidung für Schönheitsoperationen einen Funken Feminismus zu finden zu versuchen. Sie habe durch die Eingriffe langsam gelernt, ihren Körper abstrakter, quasi als Leinwand zu betrachten. Die Entspanntheit, die sie dadurch gewonnen habe, schirme sie ab gegen den patriarchal-sexistischen Druck, einem bestimmten Schönheitsstandard zu entsprechen.
Das sagt sich einfach, wenn man es sich leisten kann. Nicht alle können ihren Körper quasi auf Knopfdruck verändern. Außerdem verkennt sie – ob bewusst oder unbewusst -, dass eben nicht alle Menschen gleichermaßen vom gesellschaftlichen Druck auf ihre Körper betroffen sind. Das Konzept des Intersektionalismus wurde Ende der 1980er von Kimberlé Crenshaw geprägt, bekannte US-amerikanische Zivilrechtlerin und eine der führenden Wissenschaftler:innen im Bereich der critical race theory. Der Begriff beschreibt den Umstand, dass sich Diskriminierungsformen nicht addieren, sondern multiplizieren. Soll heißen: Schwarze mehrgewichtige Frauen erleben Rassismus, Fatphobia und Sexismus auf besondere Art und Weise, eben weil sie drei Formen der Diskriminierung gleichzeitig erleben.
Statt dies anzuerkennen, betreibt Passmann Choice Feminism: Jede Entscheidung kann feministisch sein, wenn ich es nur gut genug begründen kann. Das ist eine verlockende Idee – und es steckt ein Stückchen Wahrheit in ihr: Wenn jede unserer Entscheidungen von patriarchalen, misogynen, rassistischen Denkmustern durchzogen ist wie Brot, dem man den Schimmel nur noch nicht ansieht, dann ist jede Entscheidung gleich feministisch – oder unfeministisch.
Denn was ja auch stimmt: Hinter der feministischen Kritik an Diäten und Schönheits-OPs steckt öfter, als manche Feminist:innen es sich eingestehen wollen, auch eine ordentliche Portion Misogynie vermischt mit einer Prise Arroganz. Ich brauche das ja nicht, mich zu schminken. Ich mag Bier sowieso lieber. Und Frauen sind eh so zickig, deshalb bin ich nur mit Männern befreundet. Ach, ich könnte das nicht – mich den patriarchalen Erwartungen so beugen, wie sie das tut. All diese Aussagen sind Musterbeispiele für Pick Me Girls, den Namensgeberinnen für Passmanns hier besprochenes Werk. Diese befeuern unbewusst Konkurrenz zwischen weiblich gelesenen Personen – und spielen damit am Ende dem Patriarchat in die Hände.
Wäre es da nicht viel schöner, zu sagen: Wir FLINTA sitzen doch alle im selben Boot. Wir haben es alle gleich schwer, auf verschiedenste Arten und Weisen. Auch schmal gebaute Menschen mit einem schnellen Stoffwechsel müssen sich beispielsweise regelmäßig anhören, dass „sie ja gleich vom Fleisch fallen“ oder dass „Männer Kurven mögen“. Ist es da nicht der purste Akt von Feminismus, wenn wir Menschen dafür empowern, selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen – frei davon, was aktuell als feministisch gilt?
Doch damit argumentiert Passmann postfeministisch in einer Zeit, in der sich immer mehr Menschen vom Feminismus abwenden. Passmanns persönliche Entscheidungen, ihren Körper zu verändern, gehen uns nichts an. In ihrer individuellen Lebensgeschichte mag dieser Entschluss tatsächlich Empowerment bedeuten.
Am Ende geht es aber gar nicht um die Privatperson Sophie Passmann, sondern darum, was an ihrem Beispiel so unverkennbar wird: dass Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, sich nicht der gesellschaftlichen Wirkung ihrer privaten Entscheidungen entziehen können. Insbesondere, wenn diese Entscheidungen öffentlich nachvollziehbar sind, wie es bei Schönheitsoperationen nun mal der Fall ist. Das mag unfair sein, aber es ist eben die Realität. Unsere Körper – und damit meine ich hier vor allem weiblich gelesene Körper – sind politisch und werden es bleiben. So wie alles immer politisch sein wird. Wir können nur hoffen, dass sie in Zukunft nicht mehr normativ behaftet sind und an Erwartungen und Änderungsdruck geknüpft sein werden.
Und bis dahin? Der Hashtag #skinnytok ist mittlerweile auf TikTok gesperrt. Dies ist kaum ein Eingeständnis von Zuckerberg und co. an ihre gesellschaftliche Verantwortung, sondern wohl eher ein Ergebnis eines überraschend schnell entstandenen politischen Drucks. Wenn sogar der Bürokratie-Riese Europäische Union es schafft, bei drängenden Themen einigermaßen dynamisch zu agieren, muss das schon was heißen. Johannes Drosdowski hat natürlich Recht, wenn er in der taz schreibt, dass die Sperrung des Hashtags trotzalledem zu spät kommt. In wenigen Wochen wird es den nächsten Hashtag geben, unter denen sich ungesunde Gesundheitstipps tummeln werden.
Eines bleibt aber: Schnelle Veränderungen zum Positiven sind durchaus möglich – nicht nur im Kleinen, sondern auch im großen Rahmen. Mir zumindest gibt das etwas Hoffnung.
