©Friederike Schulz
Lieber Leser*innen,
die letzten Wochen, die geprägt waren von schwarzen Posts bei Instagram, gewaltsamen und stillen Protesten, sowie bewegenden Geschichten von Betroffenen, führten uns wieder einmal vor Augen, wie allgegenwärtig das Thema Rassismus ist. Da diese Problematik auch vor der Universität Rostock nicht Halt macht, besitzt der AStA eine eigene Stelle, an die sich Betroffene von Diskriminierung und Gleichstellungsdefiziten wenden können und Missstände aufgearbeitet werden. Wir haben mit der Referentin Hanna Kröll schon im Januar über ihre Arbeit und den alltäglichen Problemen gesprochen.
Caro: Stell Dich am besten erstmal kurz vor, damit unsere Leser*innen schon mal wissen, wen sie heute kennenlernen dürfen.
Hanna: Moin, ich bin Hanna. Ich bin 20 Jahre alt und studiere Politik im Erstfach und Philosophie im Zweitfach. Ich bin jetzt im zweiten Semester und wohne auch erst seit Oktober in Rostock; also noch relativ neu hier. Ich bin auch selbst noch ganz überrascht, dass ich schon jetzt im AStA bin. Das hat sich irgendwie so ergeben. Aber so laufen die Dinge nun manchmal.
Caro: Aber da können wir ja gleich mit der nächsten Frage anknüpfen: Wie bist Du überhaupt zum AStA gekommen? Gerade weil Du ja erst im ersten Semester warst. Da ist man ja froh, wenn man überhaupt erstmal alle Gebäude und Räume findet.
Hanna: Als ich in einem Tutorium von Charlotta saß, der Referentin für Soziales, haben wir dort über Hochschulpolitik gesprochen. Sie hat durch Nachfragen meinerseits bemerkt, dass ich mich für Hochschulpolitik interessiere und mich daher angesprochen, dass noch eine Referentin für AntiDis und Gleichstellung gesucht wird. Dann hat es sich so ergeben, dass ich mich beim AStA beworben habe, weil ich den möglichen Gestaltungraum von Anfang an spannend und wichtig fand. Es hat sich auch noch eine weitere Person aufstellen lassen, das wusste ich aber nicht. Dadurch, dass ich erst im ersten Semester war, war ich zu diesem Zeitpunkt unsicher, was meine gesammelte Erfahrung in der Hochschulpolitik anging. Hochschulpolitik mit ihren Gremien und Ordnungen kann nämlich auf Außenstehende abschreckend wirken. Außerdem wollte ich einer anderen Person den Vortritt lassen, die selbst Erfahrung mit Rassismus machen musste. Diese wichtige Perspektive kann ich nicht mit in das Referat bringen.
Caro: Die StuRa-Wahl konntest Du ja dann für Dich entscheiden?!
Hanna: Ja, aber die Wahl wurde erst nach dem dritten Wahlgang entschieden, wodurch es relativ knapp ausgefallen ist. Wir beide waren sehr unterschiedlich und daher auf verschiedene Weise qualifiziert.
Caro: Du hast davon gesprochen, dass Du ein engagierter Mensch bist. Hast Du schon vor Deinem Studium Dich in gewissen Bereichen engagiert, auch vielleicht schon politisch?
Hanna: Ja, ich war im Kinder- und Jugendparlament meiner Stadt, welche in der Nähe von Bremen liegt. Nach meinem Auslandsjahr in Chile hat sich mein gesellschaftliches Engagement und Interesse entwickelt, weil es gerade in Chile sehr viele Familien gibt, die strukturelle Ungerechtigkeit erleben müssen. Chile ist zwar ein sicheres und reiches Land, der Reichtum verteilt sich allerdings nur auf einzelne Schichten. Sehr viele Rohstoffe sind dort privatisiert. Sogar Wasser! Das sollte den Menschen gehören, die dort leben und es benötigen und nicht denen, die damit Profite machen. Ich habe einige Missstände gesehen und da hat sich mein gesellschaftliches Interesse noch mehr entwickelt. Und dann bin ich ins Kinder- und Jugendparlament gegangen. Dort war ich im Umweltausschuss als beratendes Mitglied und saß dann da, mit den ganzen gestandenen Politiker*innen. Und als dann die erste Vorstellungsrunde kam, da ging mir echt der Puls. Die Szenerie war wirklich einschüchternd. Aber mit der Zeit lernte ich, meine Meinung auch vor Autoritäten zu verdeutlichen, die sich diskriminierend gegenüber Jugendlichen äußern und der Meinung sind, dass Jugendliche sowieso nur vorm PC hängen. Das dementiert und leugnet das Engagement von all den Jugendlichen, die sich zum Beispiel in der Hilfe für Geflüchtete engagieren.
Caro: Also bist Du auf jeden Fall schon seit vielen Jahren sehr engagiert. Das mit dem Kinder- und Jugendparlament finde ich definitiv richtig cool! Man kennt das so ja vom Hören und Sagen, aber mit jemanden gesprochen, der sich darin aktiv beteiligt hat, habe ich noch nie. Ich glaube, dass bedarf ein extra Interview!
Warum bist Du dann nach Rostock gekommen? Bremen ist doch auch eine schöne norddeutsche Stadt!
Hanna: Ja, Bremen ist auch schön, aber ich bin ein freidenkender Mensch. Ich brauche meinen Freiraum auch von meiner Familie. Ich fand die Idee von einem nicht ganz Neuanfang, aber von „neuen Menschen, neue Umgebung kennenlernen“ ganz schön. Daraus konnte ich in der Vergangenheit schon wachsen. Es gibt dir die Möglichkeit, neue Erfahrungen und Erkenntnisse in dieser prägenden Phase zu sammeln. Ich wollte aus meiner Komfortzone raus, um mich weiter zu entwickeln. Es haben aber nicht alle Studierende diese Möglichkeit, weil sich einige um Angehörige kümmern müssen und nicht alle wollen weg von zu Hause. Aber wir finden alle unterschiedliche Wege, sich weiter zu entwickeln. Und auch hier müssen wir uns unseren Privilegien und der Chancenungleichheit bewusst werden, die sich in der Gesellschaft aus unserer sozialen Herkunft, unserem Geschlecht, unserer Sexualität und unserer Migrationsgeschichte ergeben. Zu der Entfernung von meiner Heimatstadt kommt auch, dass meine Großeltern in Stralsund wohnen und mein zweites Zuhause daher immer ein Campingplatz auf Rügen war. Deswegen bin ich auch so verbunden mit dem Meer.
Caro: Ich wollte gerade fragen, ob das Meer eine große Rolle für Dich spielt?
Hanna: Natürlich!
Caro: Bist Du dann auch ein Mensch, der, wenn er schlecht drauf ist und den Kopf frei kriegen will, ans Meer fährt und spazieren geht?
Hanna: Ich fahre dann definitiv nach Warnemünde. Gerade in den kälteren Monaten, wenn die Sonne untergeht, ist das schon echt sehr entspannend. Auch wenn ich nicht spirituell bin, aber der Wind hat schon eine Energie. Der kann einem dann irgendwie die anstrengenden Gedanken vertreiben. Das ist schon eine wichtige Abwechslung.
Caro: Ja, der Wind macht schon frei…das stimmt. Kommen wir wieder zu Deiner Arbeit hier beim AStA zurück: Du machst das ja jetzt schon seit November letzten Jahres. Mit welchen Aufgaben wirst Du seitdem konfrontiert?
Hanna: Ich bin ja Referentin für Antidiskriminierung und Gleichstellung. Damit habe ich die Aufgabe Menschen, die diskriminiert werden oder schlechte Erfahrungen gemacht haben, zu beraten. Sie können sich an mich wenden und ich unterstütze sie bei ihren Problem/en. Also traut Euch ruhig und kommt bei mir vorbei oder schreibt mir eine Mail! Das geht natürlich auch anonym! Ich weiß zwar nicht, ob ich dann immer die perfekte Ansprechpartnerin bin, aber ich kann es an die richtigen Stellen weiterleiten, die richtige Qualifikationen und Kompetenzen haben. An der Uni kam es schon öfter zu Diskriminierung von Menschen aus marginalisierten Gruppen. Wir sind nun mal auch eine große Universität mit strukturell eher männlich gelesenen Menschen in Führungspositionen, da ist es nicht verwunderlich, dass auch hier sexualisierte Gewalt vorkommt und wir daher die nötigen Stellen haben und brauchen. Aber an sich ist sexualisierte Gewalt bzw. Diskriminierung ein gesellschaftliches Problem von Machtverhältnissen, die strukturellen Ursprung haben. Da unsere Universität einen Teil der Gesellschaft bildet, finden auch gesellschaftliche Probleme hier ihren Platz, wie Diskriminierung am Arbeitsplatz und belästigendes Verhalten, dem muss ein Ende gesetzt werden und dafür kämpfe ich. Außerdem arbeite ich auch mit dem Referat der Politischen Bildung zusammen, um Veranstaltungen zu organisieren. Aber auch mit dem Lehramtsreferat betreibe ich Bildungsarbeit zum Thema Antidiskriminierung, Sexismus und Gleichstellung.
Caro: Wenn ich mal fragen darf: Kommen viele mit den eben genannten Problemen zu Dir oder hält es sich noch in Grenzen?
Hanna: So genau kann ich gar nicht sagen, ob alle Betroffene zu mir kommen. Die Dunkelziffer ist bestimmt sehr, sehr hoch! Also seit ich hier arbeite, hat mich eine Gruppe von Betroffenen per Mail kontaktiert. Meistens sind‘s eben nur Mails und die Leute kommen nicht direkt vorbei. Bei einem Fall ging es mal um Rassismus in der Disco. Als Leute nicht ins LT reingekommen sind, weil sie keinen richtigen deutschen Personalausweis hatten, sondern nur eine Aufenthaltsgenehmigung. Das Problem ist nun mal, dass das LT kein Uni-Club ist und wir daher nicht viel machen können.
Caro: Also rufst Du auf jeden Fall dazu auf, dass man sich trauen soll, wenn man von Antidiskriminierung, Rassismus etc. betroffen ist, sich bei Dir zu melden!?
Hanna: Auf jeden Fall! Und denkt ja nicht „Es gibt Menschen, den geht es schlimmer!“. Das ist komplett irrelevant! Egal wie klein das Problem scheint, kommt auf mich zu und wir können das mit anderen Gleichstellungsbeauftragten der Universität auseinandersetzen. Egal ob es gezielt was bringt, aber den Druck, den wir dadurch aufbauen, ist enorm wichtig, um zukünftig diese Probleme kleiner werden zu lassen.
Caro: Jetzt haben wir sehr ausführlich, was natürlich bei der Thematik sehr wichtig ist, über Deine Arbeit gesprochen. Weißt Du denn jetzt schon, ob Du nach dieser Legislatur das Amt weiterführen möchtest? Oder hast Du Lust auf neue Aufgaben in einem neuen Referat?
Hanna: Generell finde ich das Thema sehr spannend! Aber auch Politische Bildung wäre sehr interessant. Das sind nun mal auch zwei Referate, die viel zusammenarbeiten. Also wenn ein anderes Referat, dann auf jeden Fall im gesellschaftlichen Kontext, aber ich weiß auch nicht, was mich in diesem Jahr noch alles erwartet. Ich stoße auf viele neue Sachen, in die man sich immer wieder neu einarbeiten muss und die wirklich schwierig sind und ich glaube, dass man ein besonders geiles AStA-Jahr machen kann, wenn man die Erfahrung aus dem Vorjahr hat. Es wäre daher schon wirklich gut, es mehr als ein Jahr zu machen.
Caro: Der AStA raubt Dir bestimmt auch genügend Zeit und Kraft. Gibt es dennoch weitere Bereiche oder Institutionen, die Dir am Herzen liegen und wo Du Dich engagierst?
Hanna: In meiner Vergangenheit habe ich mich auch parteipolitisch engagiert, um auf allen Wegen für soziale Gerechtigkeit zu kämpfen, aber durch den Umzug und das Studium, habe ich dafür aktuell keine Kapazitäten. Ich bin sonst noch in einer politischen Jugendgruppe tätig – in Bezug auf Antirassismus- und Antifaschismusarbeit. Das ist leider gerade mit dem aufkommenden Rechtsruck und der AfD auch eine notwendige Sache.
Caro: Super Sache auf jeden Fall! Wie schafft man das überhaupt alles, schließlich ist man ja eigentlich hauptberuflich Student*in?
Hanna: Multitasking?! Nein, ich beantworte in den Veranstaltungen der Politikwissenschaft meistens meine Mails, wo es viel Anwesenheitspflicht gibt, was ich im Übrigen sehr verschult und anstrengend finde. Ganz ehrlich, wenn ich eine*n Dozenten bzw. Dozentin habe, die mir nichts beibringt und ich gerade darin keine Klausur schreibe, sondern erst im nächsten Semester bei einem anderen Dozenten, dann muss ich da auch nicht hingehen. Ich gehe da jetzt hin und bin auch sehr produktiv, aber auf anderer Art und Weise. Ich muss parallel zu Lehrveranstaltungen Emails beantworten, sonst ist es zeitlich sehr schwierig. Aber ansonsten lerne ich gerade, meine eigenen Erwartungen an mich selbst herunterzuschrauben, weil sonst stresst du dich ungemein. Gerade die Themen aus meinem Bereich sind persönliche und die liegen einem dann noch mehr am Herzen, als bürokratische. Auch wenn wir offiziell für bestimmte Stunden des Ehrenamts entschädigt werden, übertreffen wir diese schnell.
Caro: Wie schaffst Du es dann, Dich wieder runterzufahren und einfach mal zu entspannen? Fährst Du am Wochenende dann mal nach Hause oder genügt Dir ein guter Film oder ein gutes Buch?
Hanna: Ich fahre eher selten nach Hause, schließlich ist Bremen schon eine weite Strecke. Am liebsten fahre ich am Wochenende zu meinen Großeltern nach Stralsund. Die haben nämlich auch kein WLAN. Das ist gerade für die Prüfungsphase super! Dann legt man sich schön ins Bett und Omi wäscht die Wäsche für einen und bekocht einen auch. Das ist schon schön! Mein Opa könnte das allerdings auch mal machen. Aber der Kampf für Gleichberechtigung geht dann doch über Generationen. Ich finde generell muss ich gar nicht so dolle runterkommen, weil ich die meisten politischen Sachen mit Freunden mache, das ist mir sehr wichtig. Man kann sich über das Geschehen austauschen und dann parallel zusammen z.B. ein Brettspiel spielen. Sowas macht auch mal Spaß!
Caro: Da gebe ich Dir auf jeden Fall recht! Da wir schon am Ende unseres kleinen Interviews angekommen sind, bedanke ich mich nochmal ganz herzlich bei Dir für Deine ehrlichen Antworten und drücke Dir ganz fest die Daumen, dass Du Deine Ziele und Pläne für die weitere Legislatur umsetzen kannst!
Interview vom 15.01.2020