Ist das Kunst oder kann mein Bildschirm Weg?

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Hallo treue Online-Leser*innen, in diesem Semester erscheint der heuler erneut ausschließlich in digitaler Form hier auf der Website. Um euch bis zur Veröffentlichung am 06.04. einen kleinen Vorgeschmack auf die neue Ausgabe zu geben, gibt es hier nun jeden Tag einen Artikel zu entdecken. Also lasst euch diese Appetizer schmecken und kommt wieder für den Hauptgang: heuler #130.

Von Milad Khoshdel // Illustration: Rosa Staiger // Fotos (soweit nicht anders benannt): Jonas Müller

Aktuell wird die Welt durch Covid-19 bestimmt und insbesondere ist die gesamte Kulturbranche schwer getroffen. Aber wo Probleme auftauchen, findet der Mensch auch kreative Lösungen oder zumindest Lösungsansätze. So auch die Kunstbranche in Form von Online-Ausstellungen. Und um genau diesen Besuch in einer Kunstausstellung soll es hier gehen. Kann man Kunst überhaupt über den Bildschirm genauso erfassen wie an Ort und Stelle? Bedeutet das eine Herausforderung für die Künstler*innen oder Aussteller*innen? Kann der Online-Besuch auch zu einem Teil der Kunst werden? Diese Fragen stellten sich mir und so begab ich mich als Kunst-Laie auf die Suche nach Antworten, um endlich mal wieder Kultur erleben zu können.

Kunsthalle Rostock:

Auf meiner Suche nach einer Online-Kunstausstellung wollte ich lokal beginnen und begab mich entsprechend auf die Website der Kunsthalle Rostock, wo man in erster Linie die aktuelle Ausstellung von Michael Triegel beworben sieht: „Cur Deus – Warum Gott?“. Diese soll bis zum 06.06.2021 verfügbar sein. Klingt soweit doch mal vielversprechend, bis man weiterliest, dass die Kunsthalle Rostock vorerst geschlossen ist und man sich auf Besucher*innen freut, sobald sie wieder öffnen dürfen. Tja, konnte man sich ja denken. Das dämpft die Freude nun wieder, dennoch wird es doch wohl eine Möglichkeit geben, momentan Kunst zu erfahren, oder? So suchte ich auf der Seite weiter und nach einem Klick auf den „Cur Deus“-Banner, konnte ich weitere Informationen zur Ausstellung finden. Dazu gehörten einige Beispielbilder der Ausstellung und Bilder von der Eröffnung, welche am 05.12.2020 in einem Livestream stattfand. Na wunderbar, ich habe den Zeitpunkt verpasst. Aber weiter scrollend fand ich das VoD (Video on Demand), womit ich zumindest auf diese Weise eine Online-Ausstellung sehen konnte.

Die Ausstellungseröffnung wurde als ein Drei-Mann-Gespräch begonnen. Die drei Teilnehmende waren der Ausstellungsleiter Uwe Neumann, der Künstler und gleichzeitige Kurator der Ausstellung Michael Triegel und der Erzbischof von Hamburg, Dr. Stefan Heße. Zunächst wurden die Teilnehmende vorgestellt und da die Ausstellung ein religiöses Thema behandelt, wurde erwähnt, dass man nicht bibelfest sein muss, um die Ausstellung genießen zu können, es aber hilft, wenn man sich mit der christlichen Religion auskennt. In diesem einleitenden Gespräch erfährt man viel über den Künstler und seinen Bezug zur Religion.

So ist Michael Triegel in der DDR aufgewachsen und war von den alten Künstler*innen stets begeistert, was er auch in seine Kunst einfließen lässt. Als Kind wurde er nicht getauft, sondern entschloss sich erst im Jahr 2014 dazu, sich taufen zu lassen. Der Künstler war schon immer skeptisch gegenüber der Religion, ihrer jedoch nicht abgeneigt, sondern eher von ihrer Welt fasziniert und suchte das typisch religiöse Bild. Auch nach seiner Taufe blieb er zweifelnd gegenüber der Religion und suchte nach der Ursache für seine Zweifel und Fragen. Diese Suche versucht er in seinen Bildern darzustellen.

Im weiteren Verlauf des Gespräches geht es dann noch um die Gesellschaft, den Menschen und die menschliche Würde in der vorhandenen Pandemie. Dabei ist das Resümee kurz gesagt, dass der Mensch seiner ihm innerlichen Würde niemals beraubt werden kann und darf, wie es auch im ersten Artikel des Grundgesetzes verankert steht. Nach etwa 45 Minuten endet dieses einführende Gespräch und es werden vereinzelte Kunstwerke in der Sammlung besprochen und gezeigt. Zu diesem Zweck sollte sich jeder von den drei Teilnehmern eines ihrer liebsten Werke aus der Ausstellung aussuchen, welches dann näher besprochen werden sollte.

Michael Triegel, Adam und Eva; 2008, Mischtechnik auf MDF
Michael Triegel, Adam und Eva im Paradies, 2008, Mischtechnik auf MDF, Privatbesitz

Uwe Neumann suchte sich ein Werk aus, welches die Ausstellung eröffnet, aber leider nur durch den Bildband in die Kamera gehalten wurde und nicht am Ort gezeigt wurde. Es handelt sich um ein Werk, welches Adam und Eva womöglich erschöpft darstellt unter dem Apfelbaum, von welchem sie nicht essen durften. Und genau dies soll mit dem Bild wohl gezeigt werden. Dabei sieht man beide Figuren erschöpft und gelangweilt auf dem Boden ruhend und voneinander abgewandt. Dies kann man mit der Frage nach dem Grund für den Baum der Erkenntnis in Zusammenhang bringen. Denn wieso hat ein Gott den Menschen diesen Baum in das Paradies gestellt und das Essen seiner Früchte verboten? Nach den Gästen zu Urteilen liegt es daran, dass Gott dem Menschen einen freien Willen gab, die Möglichkeit, eigenständig eine Entscheidung zu fällen und mit den Konsequenzen leben zu müssen. Dies ist vielleicht ebenfalls im Bild dargestellt, die Entscheidung in einem Stillstand oder einer Langeweile zu verweilen, anstatt etwas dagegen zu tun.

Michael Triegel, Imago, 2019, Mischtechnik auf MDF, 129,5 x 75 cm, Privatbesitz, Foto: Galerie Schwind, © VG Bild-Kunst, Bonn 2020
Michael Triegel, Imago, 2019, Mischtechnik auf MDF, 129,5 x 75 cm, Privatbesitz, Foto: Galerie Schwind, © VG Bild-Kunst, Bonn 2020

Das nächste Werk ist jenes, welches sich der Erzbischof Dr. Stefan Heße ausgesucht hat. Den Blick lenken zwei präsente Motive in der Mitte des Bildes, zum einen ein Rollstuhl ohne Person und über diesem schwebend Jesus Christus. Dieser ist eindeutig an der blutenden Wunde seiner rechten Seite erkennbar (auch für Bibel-Laien). Der Rollstuhl selbst hat eine höchst aufwendige Verzierung mit einem hellblauen Untergrund und goldfarbenen Blumenverzierungen.

Der Erzbischof interpretiert das Werk im folgenden Gespräch: So steht Christus für das göttliche Gericht und der Rollstuhl vielleicht für kranke, behinderte oder exkludierte Menschen. Das Interessante ist dann, dass der*die Betrachter*in des Rollstuhls je nachdem, wie er den Menschen im Rollstuhl sieht, die Grundlage für den Maßstab des heiligen Gerichts legt und von diesem entsprechend beurteilt oder verurteilt wird. Dabei wirkt der Rollstuhl selbst wie ein Thron, allein schon durch seine Darstellung, aber es ist ein Thron, auf dem niemand wirklich Platz nehmen will, da es eben auch das Exkludieren symbolisiert. Die Schmetterlinge könnten dabei durch ihre Metamorphose ein Bild der Auferstehung symbolisieren. So kann der Schmetterling auf der Lehne als Symbol dafür gesehen werden, dass man jemandem, der in einem Rollstuhl sitzt, die Hand reicht, wodurch dieser eine Auferstehung erfährt, so wie man auch selbst durch diese Tat eine Auferstehung erfahren kann. Das wiederum bringt Licht in das Dunkel der Welt, was als die brennende oder eher leuchtende Kerze gezeigt wird, die sich in der recht sterilen oder kargen Welt befindet, die den Hintergrund und Ort des Werkes darstellt.

Michael Triegel, Deus absconditus, 2013, Mischtechnik auf Leinwand, 160 x 260 cm, Foto: Galerie Schwind, © VG Bild-Kunst, Bonn 2020
Michael Triegel, Deus absconditus, 2013, Mischtechnik auf Leinwand, 160 x 260 cm, Foto: Galerie Schwind, © VG Bild-Kunst, Bonn 2020

Das Bild, welches sich Michael Triegel ausgesucht hat, hängt an der rechten Seite des Raumes und ist sehr groß. In der Mitte ist jemand gekreuzigt und hinter einem hängenden Tuch verdeckt. Auf der linken Seite sieht man eine weibliche Gestalt, deren Gesicht vom*von der Betrachter*in weggedreht ist. Vor ihr ist ein Tisch zu sehen, der sich bis zur rechten Seite des Bildes erstreckt. Weiterhin ist am Bein des Gekreuzigten ein beschriebenes Blatt Papier gestellt. Auch ist der Hintergrund des Bildes komplett in Schwarz gehalten und links und rechts sind jeweils eine Steinmauer zu sehen.

Dieses Bild wird durch den Hintergrund dominiert, denn wenn man sich alles im Vordergrund wegdenkt, bleibt nur noch das Schwarz, das Nichts oder die Leere. Was wohl auch unsere heutige Zeit darstellen soll, um genau diese Leere zu füllen, stellen wir ihr alles mögliche Sinnvolle oder nicht Sinnvolle entgegen bzw. ihr vor. Das Tuch verdeckt den gekreuzigten Menschen und nimmt einem jeden Blick auf diesen. Die Figur in der Box, welche die Auferstehung darstellen soll, ist auch nur noch ein Requisit, somit ist fast alles Menschliche aus diesem Bild genommen worden. Nur die Beine des Gekreuzigten, an welchen die Wunde und sogar das Blut zu sehen sein sollen, sind vorhanden, aber selbst dies wird durch ein Blatt Papier, welches scheinbar eine zentrale Rolle spielt, verdeckt. Das Blatt wiederum ist beschriftet und stellt ein Diagramm dar, um sich den dreieinigen Gott vorstellen zu können, also Vater, Sohn und Heiliger Geist in einer Person. Dabei steht oben links auf dem Papier „pater“, rechts in der Ecke „filius“ und unten „spiritus“, dazwischen steht immer „non est“. Entsprechend bedeutet dies, dass der Vater nicht der Sohn ist, dieser nicht der Geist ist und so weiter. In der Mitte des Blattes wiederum steht „deus“ und „est“, also der Vater ist Gott, der Sohn ist Gott und der Geist ist Gott. Und dieses Blatt, das einem eine Antwort geben soll, verdeckt in diesem Bild das Einzige, was man als menschlich sehen könnte, bzw. was die Menschwerdung zeigt, nämlich eben die Wunden der einzigen Person im Bild. So zumindest die Erklärung des Künstlers.

Daraufhin geht die Gruppe durch die Ausstellung und bespricht vereinzelte Werke innerhalb der Ausstellung. So ist der Raum 2 der Ausstellung komplett mit Porträts gefüllt. Eines davon wird intensiv besprochen und birgt eine höchst interessante Geschichte. Zu sehen ist das Porträt eines alten Mannes mit einem sehr voluminösen grauen Bart, welcher eine rote Cap trägt. Sein Ausdruck wirkt sanft und doch etwas vom Leben gezeichnet. Letztlich bewegt die Hintergrundgeschichte dieses Porträts.

Römischer Bettler, 2018, Eitempera und Öl auf MDF, Privatbesitz
Michael Triegel, Römischer Bettler, 2018, Eitempera und Öl auf MDF, Privatbesitz

Denn dieser Mann ist ein Obdachloser, der an einer Kirchenpforte bettelte, dabei trägt er eben eine Ferrari-Cap, was eine vollkommen inkongruente Szenerie darstellt. Für Michael Triegel war dies sein heiliger Petrus. Somit fragte dieser den Bettler, ob er ihn zeichnen dürfe und gab ihm Geld für diesen Dienst. Womit es eben auch keine Almosen waren, sondern der Mann für dieses Bild arbeiten musste, in seinem Fall eine Stunde stillsitzen. Dabei war dem Künstler durchaus klar, dass er sein Gewissen durch das Geld freigekauft hat, er aber nicht von oben herab sich diesem Mann näherte, sondern eine Stunde lang sich auf seine Höhe begab, um eben ein Porträt zu schaffen, das auf Augenhöhe entstand. Wenn man sogar genau hinsieht, zeigt das Werk den Porträtierten etwas höher im Winkel, als der*die Betrachter*in darauf blickt. Ebenfalls ist ihm klar gewesen, dass er diesem Mann gar nicht Würde geben musste, sondern nur als Maler diese herausarbeiten muss.

Letztlich hat dieses Eröffnungsgespräch einen schönen Eindruck in die Kunst von Michael Triegel gegeben und mir zumindest mal wieder gezeigt, wie vielschichtig die Interpretation von Kunst sein kann und in wie vielen Details man sich verlieren kann. Das Video selbst hatte mit dem einen oder anderen Bild- und Tonverlust zu kämpfen und wirkte nicht komplett durchgeplant, eben durch das händische Bildband-in-die-Kamera-zeigen, anstatt ein digitales Bild in die Szene zu setzen.

ZDF Digitale Kunsthalle:

Dieses Video des Eröffnungsgespräches ist allerdings nicht gänzlich das, was ich unter dem Begriff Online-Ausstellung erwartet habe. Nach einer kleinen Suche durch eine bekannte Suchmaschine fand ich eine Seite des ZDF, und zwar die ZDF Digitale Kunsthalle. Auf dieser Website stellt das ZDF drei Ausstellungen aus verschiedenen Museen und Kunsthallen online zur Verfügung. Aktuell (Stand: 04.03.2021) kann man folgende Ausstellungen besuchen:

Berechenbar – Unberechenbar:

Hierbei handelt es sich um eine Ausstellung von digitalen Kunstwerken, die größtenteils aus der Sammlung des ZKM stammt, dem Zentrum für Kunst und Medien, Karlsruhe. Sobald man die Ausstellung betritt, findet man sich in einer weißen digitalen Halle wieder, in dessen Mitte sich dreizehn Werke befinden. Diese sind als längliches Gebilde dargestellt, welche man entsprechend anklicken kann, um sich das dahinter befindliche Werk näher anzusehen.

Bei den Werken handelt es sich eher um Informationen, Selbstversuche und die Erklärung von Computer-generierten Mechanismen. Somit ist es keine klassische Kunstausstellung, sondern wirkt eher wie ein Aufzeigen von technischen Meilensteinen und der Auseinandersetzung des Menschen mit dem Computer und der durch ihn hervorgerufenen Veränderung seiner Realität. Hinter jedem Werk befindet sich ein Informationstext und ein Beispiel zum Verständnis. Dies sind teilweise Videos, einfache Programme oder Bildergalerien.

Gerade diese Thematik ist für eine Online-Präsentation sehr gut gemacht, da man alles Notwendige am Computer gut erfahren kann. Es ist eben nicht nötig, das Werk von verschiedenen Blickwinkeln aus der Nähe oder der Ferne wahrzunehmen, sondern genauso, wie es dargestellt wird.

Max Beckmann, weiblich – männlich:

Bei dieser Ausstellung geht es um Bildnisse von Frauen, Männern und dem Künstler selbst, also den Blick auf die Geschlechter. Die Werke der Ausstellung wurden von der Hamburger Kunsthalle zur Verfügung gestellt.

Auch hier können wir eine Kunsthalle digital betreten und wir sehen die Werke an der Wand „hängen“. So können wir uns von Raum zu Raum bewegen und alles so wahrnehmen, wie der Kurator es für die Ausstellung geplant hat. Dabei gibt es sieben Räume zu durchqueren, von denen jeder sein eigenes Thema hat.

Jedes Werk hat dabei einen Informationstext oder wir können uns den Text in einer Sprachdatei wiedergeben lassen. Wie bei einem realen Ausstellungsbesuch müssen wir uns entsprechend vor das Werk stellen, um es in seiner Gänze zu sehen. Es gibt keine Möglichkeit darauf zu klicken für eine Vergrößerung. Wir müssen uns im Raum und durch die Gegebenheiten des Raumes positionieren. Es soll eben den Gang durch eine Kunsthalle simulieren.

Felix Nussbaum, Leben und Werk:

Dieser Künstler hat den Holocaust in Europa künstlerisch dokumentiert. Er selbst wurde 1944 in Auschwitz ermordet. Eine Ausstellung, die auch in heutiger Zeit kein Stück an Aktualität oder Wichtigkeit verloren hat.

Auch hier haben wir die Möglichkeit, digital durch die Ausstellung zu gehen und uns die ausgestellten Bildwerke anzusehen. Dabei sind uns vier Räume zur Besichtigung verfügbar, allerdings steht hier nicht jeder Raum unter einem bestimmten Thema, sondern einzelne Werke, die unter einem bestimmten Thema nebeneinanderstehen.

In dieser Ausstellung können wir durch einen Klick auf das Werk ein Informationsfenster öffnen, das uns Hintergrundinformationen liefert und auch ein frei gestelltes Bild vom Werk, sofern wir den Vergrößerungsknopf am Beitragsbild klicken. Auch hier können wir nah an die Werke herantreten, allerdings ist der Winkel bzw. die Größe des digitalen Selbst zu groß, um das Werk in einer Frontalansicht zu betrachten. Dadurch ist der Gang durch eine Kunsthalle nicht vollständig geglückt.

Kann denn nun mein Bildschirm weg?

Mein Fazit und damit die Antwort auf diese Frage zu den Online-Ausstellungen der Kunsthalle Rostock und der ZDF-Kunsthalle findet Ihr ab dem 06. April in der PDF unseres neuen Heftes hier auf unserer Website. In dem Artikel “Kann Kultur digital?” hat sich die heuler-Redaktion ebendiese Frage in Bezug auf die Online-Angebote verschiedener Kulturstätten in Rostock gestellt. Also seid gespannt und schaut vorbei.

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