Arbeiten im Impfzentrum

Countdown 5

Helfen im Akkord

Hallo treue Online-Leser*innen, in diesem Semester erscheint der heuler erneut ausschließlich in digitaler Form hier auf der Website. Um euch bis zur Veröffentlichung am 06.04. einen kleinen Vorgeschmack auf die neue Ausgabe zu geben, gibt es hier nun jeden Tag einen Artikel zu entdecken. Also lasst euch diese Appetizer schmecken und kommt wieder für den Hauptgang: heuler #130.

Von Carla Radtke // Illustration: Rosa Staiger

6:45 Uhr. Ich stehe vor einer riesigen Veranstaltungshalle in Babelsberg bei Berlin. Im Gegensatz zu meinen Vorstellungen über das Studierendenleben bin ich nicht auf dem Rückweg von den dort sonst stattfindenden Partys oder Konzerten, nein, ich arbeite in einem Corona-Impfzentrum.

Durch einen Notausgang betrete ich die Halle, lehne mich gegen die schwere Eisentür und schlängle durch Gänge, die mithilfe von großen Plastiktrennwänden konstruiert wurden.

Heute helfe ich das erste Mal, ich habe keine Ahnung, wo genau ich hingehöre oder was meine Aufgabe sein wird. Ein Mann Mitte dreißig läuft geschäftig durch die Gänge, er trägt ein Namensschild, darum spreche ich ihn an. Vage zeigt er in eine Richtung und weist mich gen Anmeldetresen. Dort stelle ich mich vor, doch man sagt mir, die Ärztinnen und Ärzte samt Pflegepersonal wären in einem anderen Bereich der unüberblickbaren Halle. Ich schlängle mich durch die Gänge, die Wegbeschreibung stimmt nicht so richtig. Egal, denke ich mir. Das wird schon. Rechts, dann dem Gang folgen, durch eine Metalltür, — „Vorsicht, schwer zu öffnen“ — weiter dem Gang folgen, dann links und schwuppdiwupp bin ich bei der Einweisung der „Impfteams“.

Irgendwie unorganisiert kommt mir das hier vor. Menschen wuseln überall herum. Suchend überblicke ich den Raum, um nach bekannten Gesichtern Ausschau zu halten und bereue es kurz, mein Bett um fünf Uhr verlassen zu haben, bis ich mein mir zugewiesenes Impfteam entdecke.

Mit fünf weiteren Teams, bestehend aus einer Ärztin oder einem Arzt und zwei Helfer*innen, von denen mindestens eine*r eine medizinische Fachausbildung und damit die Berechtigung zum Impfen haben muss, werden wir in unsere Arbeit eingewiesen. Weil ich als einfache Studentin mithelfe, werde ich die nicht-medizinische Aufgabe der Datenerfassung übernehmen, indem ich die Antworten auf Fragen nach dem gesundheitlichen Befinden, Vorerkrankungen und Allergien mitschreibe und in das Computer-interne System übertrage.

Soweit ziemlich einfach. Als ich aber mit meinem Impfteam das kleine Kabuff betrete, kann ich auch hier das Gefühl eines großen Durcheinanders nicht abschütteln. Unser Abteil besteht aus zwei kleinen Räumen, die durch einen offenen Durchgang miteinander verbunden sind. In Raum Nummer eins befindet sich nichts weiter als ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen, um die Aufklärungsgespräche zu führen. Der zweite Raum wurde mit einer Liege, einem Schreibtisch mit Computer und einem Rollwagen, auf dem allerlei Impfutensilien und Nierenschalen liegen, ausgestattet. An den Plastikwänden, die den Raum von den Fluren abtrennen, hängen Plakate. Sie zeigen mithilfe kleiner Bildchen, wie man den Impfstoff mischen soll.

Komische Zeiten. Das Impfpersonal muss erst lernen, wie man impft. Ich schaue dabei zu und fühle mich meiner Illusion beraubt, dass Ärzt*innen irgendwie alles können und kennen würden.

Nachdem mehrmals durchgesprochen wurde, wie der Prozess des Impfens und Vorbereitens ablaufen sollte, beschlossen wir, das ungünstig gestellte Mobiliar des kleinen Raums zu verrücken. Während ich die Liege in die andere Ecke des Raums schiebe, schaue ich kurz verstohlen zu der Ärztin und der medizinischen Fachangestellten unseres Teams. Die zwei bitten gerade einen Organisator um Händedesinfektion, welches in unserer Kabine leider nicht vorhanden ist. Das wäre doch wohl ein relativ wichtiges Arbeitsmittel, merkt die Ärztin an.

Was für ein Durcheinander. Ich versuche mir nichts anmerken zu lassen und nehme im Drehstuhl vor dem Computer Platz, um mich in schon mal vorsorglich in meine Aufgabe einzufuchsen.

Das Programm ist zwar relativ selbsterklärend (ich muss nichts weiter tun, als Häkchen zu setzen sowie Uhrzeiten und Krankheiten eintragen), doch bald schon fühle ich mich völlig überflüssig. Die Zweiteilung des Raums hat zur Folge, dass die Ärztin den Anamnesebogen (Fragen über den gesundheitlichen Zustand) ausfüllt, die Patient*innen anschließend den zweiten Raum betreten und ich entweder sämtliche Fragen zu Gesundheit und Leben erneut abfragen oder aber das Papier mit der berühmten, unlesbaren Ärzt*innen-Handschrift erst entziffern und dann abtippen muss.

Dieses Impfzentrum setzt sich bestimmt dafür ein, dass das Wort „Digitalisierung“ aus dem Duden gestrichen wird, denke ich, als ich „Hypertonie“ in der Spalte der Vorerkrankungen eintrage.

Bereits nach kurzer Zeit kann ich jedes Gespräch prophezeien:

– „Haben Sie chronische Krankheiten, Herr Sowieso?“

– „Nein.“

– „Nehmen Sie Medikamente, Herr Sowieso?“

– „Ja, gegen Bluthochdruck und Diabetes.“

– „Okay, zwei chronische Krankheiten.“

– „Ach so, das wusste ich nicht.“

So läuft es sieben Stunden lang, eigentlich relativ entspannt. Die Patient*innen sind ausnahmslos freundlich, bedanken sich überschwänglich und beklagen sich nicht über die zum Teil recht langen Wartezeiten. Nach und nach legt sich außerdem das anfängliche Chaos. Im Gegensatz zum Morgen wirkt nun alles wie ein riesiges Uhrwerk: Jeder hat eine feste Aufgabe, alle Arbeiten greifen zahnradartig ineinander.

Am Ende des Tages bleiben sogar einige Dosen übrig, weshalb eine große Ansammlung an Polizist*innen und Feuerwehrleuten in das Zentrum gerufen wird, um sich ebenfalls impfen zu lassen.

Todmüde, aber irgendwie euphorisiert von den gesammelten Eindrücken (man sieht zurzeit nicht alle Tage so viele Menschen auf einem Haufen!) fahre ich nach Hause.

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