Kein Tabuthema!

Kein Tabuthema

Liebe Website Besucher*innen, da psychische Probleme unter den aktuellen Umständen der Isolation keine Seltenheit sind, haben wir entschieden, einen Artikel aus dem Archiv diesen Freitag zu veröffentlichen. Der Artikel stammt aus dem Heft Nr. 126 vom Juli 2019 Seite 24-25.

Du hast das Gefühl, der Leistungsdruck wird immer mehr zum Leidensdruck? Dir fällt es schwer, Dein Leben wie bisher weiterzuführen und Deine Gedanken kreisen immer um die gleichen Probleme? Dann hab keine Angst, Dir Hilfe zu holen. Psychische Anfälligkeit und
Krankheiten sind weit verbreitet und werden doch noch immer häufig verschwiegen. Es wird Zeit zu zeigen, dass dies keine Schwäche ist und darüber gesprochen werden sollte.

Autorin Lena Pflugstert // Grafik von Steffen Dürre // Aus dem Archiv: Heft Nr. 126, Seite 24-25

Viele Studierende waren schon einmal in dieser Situation: Obwohl Du neben der Uni wenige andere Aktivitäten hast, fühlst Du Dich gestresst, müde oder überfordert. Die einfachsten Situationen stellen Dich vor große Probleme und irgendwann fragst Du Dich, an welchem Punkt es so bergab gegangen ist. Oder Du merkst, dass alle Sachen, die Du früher einfach geschafft und gerne gemacht hast, nur noch zum Stressfaktor werden.

Aber mit wem jetzt darüber sprechen? Mit den Freund*innen und Kommiliton*innen, die offenbar alles hinbekommen und jeden Stress einfach bewältigen?

Es ist nicht immer einfach, sich Hilfe zu holen, weil man sich dafür erst einmal eingestehen muss, dass man sie braucht. Besonders psychologische Hilfe ist noch immer ein Thema, über das nicht viel gesprochen wird. Das Anvertrauen gegenüber einer nahestehenden Person kann dann entlasten und Dir vielleicht auch bei der Suche nach Beratung helfen.

Du kannst zunächst auch einen Selbsttest durchführen. Sei Dir aber bewusst, dass diese Selbsttests keine zuverlässigen Diagnosen stellen, sondern lediglich aussagen, ob es ratsam ist, sich Hilfe zu suchen. Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe hat einen solchen Selbsttest auf ihrer Internetseite.

Wichtig ist es vor allen Dingen, Dich nicht dafür zu schämen oder Dich schlecht zu fühlen, weil Du Deine Probleme nicht allein bewältigen kannst. Laut des Barmer-Arztreports von 2018 sind ca. 17 %1 der Studierenden von starkem psychischen Leidensdruck betroffen.

An vielen Unistandorten bieten die Studierendenwerke eine psychologische Beratung an, die kostenlos in Anspruch genommen werden kann. Beim Studierendenwerk Rostock findest Du die Beratung in der Erich-Schlesinger-Straße 19. Donnerstags zwischen 09:00 Uhr und 10:30 Uhr ist es möglich, dort zur offenen Sprechstunde zu gehen.

Wenn Du das Gefühl hast, Dein Anliegen ist sehr dringlich oder wenn Du noch nicht weißt, ob Du die Beratung überhaupt brauchst, dann bist Du hier gut aufgehoben.

Da Du für die Beratung kein Geld bezahlen musst und jederzeit in die Sprechstunde gehen kannst, sind die Angebote des Studierendenwerkes eine sehr schnelle und unkomplizierte Hilfe.

Zwei Studierende haben uns ihre Erfahrungen mit der Beratung der Uni geschildert.

Ich bin zur psychologischen Beratung der Uni gegangen, weil ich mich zu nichts mehr aufraffen konnte. Alles in Bezug auf die Uni hat mich unter Druck gesetzt und Zukunftsängste bei mir ausgelöst, mit denen ich nicht umgehen konnte. Aus Angst, mich anderen anzuvertrauen, habe ich mich isoliert und auch mit Angehörigen nicht über das eigentliche Problem gesprochen, sondern lediglich gesagt, ich wäre schlecht drauf. Als ich die Situation überhaupt nicht mehr allein bewältigen konnte, habe ich mich meiner Schwester anvertraut.

Mit ihrer Unterstützung bin ich in die offene Sprechstunde der Beratungsstelle des Studierendenwerkes gegangen und habe den Antrag zu psychologischen Beratung ausgefüllt. Die Informationen zu der Beratung habe ich der Internetseite entnommen.

Das Angebot des Studierendenwerkes war eine gute Lösung, da ich mir weder über die Finanzierung Gedanken machen musste, noch darüber, ob die Menschen vor Ort wissen, wie sie mit Studierenden und ihren Anliegen umgehen müssen. In der Beratungsstelle habe ich mich gut aufgehoben gefühlt, da alle Mitarbeiterinnen sehr freundlich waren und mir zudem vermittelt wurde, dass es gut ist, herzukommen und mir Hilfe zu suchen. Die regelmäßigen Termine in der Beratung haben mir geholfen, wieder zuversichtlicher in die Zukunft zu sehen und mir weniger Druck im Studium zu machen. Ich habe mich später auch getraut, mich meinen Kommilitoninnen anzuvertrauen und das Bewusstsein entwickelt, dass es wichtig ist, offen über seine psychischen Probleme zu sprechen. Ich denke, es ist wichtig, dass alle Studierenden wissen, dass sie die Angebote der Beratungsstelle wahrnehmen können und damit nicht allein sind.

Es fing ganz langsam und schleichend an. Anfangs schaltete ich nur einfach mal mein Handy aus, damit mich niemand mehr nerven konnte. Erst ein paar Stunden, dann auch mal ein Wochenende lang. Ich wollte niemanden mehr hören, niemanden mehr sehen. Und dann kaufte ich in Ruhe für das Wochenende ein, schloss die Tür meiner Wohnung und war allein. Zwei Tage lang allein mit mir selbst. Da scherte es niemanden, ob ich aufstand, frühstückte, aufräumte oder produktiv war. Von meinen Freund*innen wusste das fast niemand. Was denn auch, wenn ich es noch nicht einmal selbst benennen konnte? Freund*innen und der Familie erzählte ich mal dies, mal das. Da ich die restliche Zeit immer sehr aktiv und unterwegs mit Menschen war, kaufte man mir die kurzen „Ruhepausen“ auch locker ab. Als ich dann frisch mit meinem jetzigen Partner zusammen war, wurde die Situation schwieriger: Verstecken ging nun nicht mehr, auch wenn ich es anfangs versuchte. Ich versprach ihm, mir Hilfe zu suchen, und die bekam ich beim StuWe. Über Bekannte hörte ich davon und nach langem Ringen mit mir selbst und der Unterstützung meines Partners meldete ich mich endlich dort. Danach ging es aufwärts. Auch wenn ich noch weit davon entfernt bin, wieder vollständig gesund zu sein – ein erster Schritt ist gemacht. In zehn Sitzungen konnte ich völlig im Vertrauen ohne großartige Bürokratie – lediglich ein Anmeldebogen musste ausgefüllt werden – mir meine Sorgen und Nöte von der Seele sprechen und lernte vor allem eines: Worte dafür zu finden und mich Vertrauten gegenüber zu öffnen. Dank einiger Methoden, die mir an die Hand gegeben wurden, kann ich meine Stimmungslage nun besser einschätzen und im rechten Moment signalisieren, dass etwas nicht stimmt. Und wenn es wieder schlimmer wird, weiß ich, dass ich mich jedes Mal wieder beim Psychologen der Beratungsstelle melden kann.

Anmerkung: Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes haben beide Kommiliton*innen darum gebeten, anonym zu bleiben. Der Redaktion sind die Namen bekannt.

An den beiden Erfahrungsberichten kannst Du sehen, dass es sich lohnt, die eigene Hilflosigkeit anderen mitzuteilen. Nicht nur Deinen Vertrauenspersonen, sondern auch Fachpersonal, das weiß, wie es Dir in Deiner Situation helfen kann. Manchmal kann nur die Hilfe anderer zu einer Besserung der eigenen Umstände verhelfen. Schäme Dich nicht dafür, dass Deine Belastbarkeit Grenzen hat und dass diese Grenzen woanders liegen als bei Deinen Freund*innen. Trau Dich darüber zu sprechen, um Dich selbst zu entlasten und zu zeigen, dass psychische Probleme kein Tabuthema mehr sein sollten.

Neben den Angeboten des Studierendenwerkes gibt es auch andere Anlaufstellen in Rostock, die Du aufsuchen kannst:

Die Beratungsstelle der Diakonie

Diese befindet sich in der Bergstraße 10 und hat freitags von 14:00 bis 16:00 Uhr eine offene Sprechstunde. Genau wie bei den Angeboten des Studierendenwerkes ist die Beratung der Diakonie kostenlos. Sie ist somit ebenfalls eine schnelle und unkomplizierte Möglichkeit, um Hilfe zu erhalten. Weitere Infos findest Du unter: https://rostocker-stadtmission.de/beratung/beratungsstellen/

Telefonseelsorge

Natürlich kannst Du auch immer in der Telefon-Seelsorge unter der Nummer 0800/1110111 anrufen, wenn Du nicht weißt, mit wem Du sprechen sollst.

Was natürlich auch immer geht, ist, Dich über Deine*n Hausarzt*Hausärztin an eine*n Psychotherapeut*in zu wenden. Allerdings übernimmt hier die Krankenkasse nur bei klarer Indikation die Kosten, weshalb dies vielleicht eher ein Schritt nach der ersten Beratung an anderer Stelle ist.

1Barmer Arztreport 2018

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