von Julius Richert // Foto von Sabrina Scholz
Wir schreiben den 26.04.2023 und vor und in den Seminarräumen herrscht gespenstische Stille. Es finden keine Vorlesungen und keine Übungen statt. Gibt es einen neuen Feiertag, den wir verpasst haben? Nein, heute gibt es keine Lehrveranstaltungen, damit alle Studierenden die Gelegenheit bekommen, zur studentischen Vollversammlung gehen zu können. 2019 fand sie das letzte Mal statt – nach einer pandemiebedingten Pause ist es in diesem Semester wieder so weit. Nachdem die Bewerbung zunächst recht zurückhaltend begann, kam man in den letzten Wochen kaum noch um die Plakate herum. Die heuler-Redaktion war für euch vor Ort.
Nachdem der Audimax und der Arno-Esch-Hörsaal sich gegen 10:30 langsam gefüllt haben, beginnt die Vollversammlung, leicht verspätet, mit den Grußworten der AStA-Vorsitzenden Kristin Wieblitz und der frisch gewählten Rektorin Frau Prof. Prommer. Sie hat in den vergangenen Wochen immer wieder betont, wie wichtig es ihr ist, mit allen Mitgliedern der Universität ins Gespräch zu kommen und dieses Versprechen hält sie auch. Sie erklärt noch einmal, warum der Dialog mit den Studis so wichtig ist. Ihr Grußwort endet mit einer aktionsreichen Showeinlage und einem Korb voller Nüsse. Diesen hatte sie zur Investitur vom AStA geschenkt bekommen – ein Sinnbild für die harten Nüsse, die es als Rektorin zu knacken gilt. Nun wurden einige dieser Nüsse von Frau Prommer ins Publikum geworfen – wer eine fängt, soll sich mit Kritik und Wünschen bei der Rektorin mit einer E-Mail melden. Es bleibt zu hoffen, dass einige der gefangenen Nüsse tatsächlich in konstruktiven Mails münden – mit Frau Prommer steht jedenfalls jemand an der Spitze dieser Uni, die aufrichtiges Interesse auch an den kleinen Problemen zeigt.
Bis die Technik für den offiziellen Teil läuft, vergehen weitere Minuten. Es geht wieder Zeit und Geduld verloren. Aber im Vergleich zu 2019 wird der Fortschritt, den die Pandemie gebracht hat, eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Der Stream ins Foyer und den Arno-Esch-Hörsaal funktioniert, bis auf kleine Ausnahmen, sehr gut. Die vielen Wortmeldungen werden, dank der Meldekarten, zügig erfasst.
An 2019 fühlt man sich aber an anderer Stelle erinnert. Studentische Mobilität ist ein Dauerbrenner und auch dieses Mal dreht sich der erste Antrag ums Semesterticket.
Das 49-Euro-Ticket hat ohne Frage frischen Wind in diese Debatte gebracht. Es ist also durchaus angebracht, in großer Runde einmal darüber zu diskutieren. Vivienne Reuter, die auch 2019 dabei war, findet aber: “Ich muss ehrlich sagen, im Prinzip war das die gleiche Diskussion wie 2019. Die Wortbeiträge haben das gleiche wie letztes Mal gefordert, das hätten wir uns auch sparen können.”
Zum Ende der Antragsdiskussion zeigt sich ein klares Bekenntnis zum bestehenden Solidarmodell. Über die genauen Rahmenbedingungen ist man sich nicht ganz so einig. Man hätte gerne viel Leistung, kosten soll es aber auch nichts. Fahrradmitnahme, Hundemitnahme, Personenmitnahme – die Wünsche und Bedürfnisse sind unterschiedlich. Die Forderung eines kostenlosen ÖPNVs für alle steht im Raum – und verpufft wie heiße Dieselabgase. Im Ergebnis aber bekommen der AStA und der StuRa ein starkes Mandat für ein lokales (Solidar-)Semesterticket. Es bleibt spannend, wie es zusammen mit dem 49 €-Ticket weitergehen soll.
Während die Vollversammlung in vollem Gange ist, füllt sich allerdings auch die Mensa direkt um die Ecke. Ist die Information nicht zu allen durchgedrungen, erschummelt man sich einen freien Tag oder fehlt es an Interesse? Wir haben uns umgehört. Eine Studentin aus dem zweiten Semester meint: „Also habe ich schon mitbekommen, dass die Vollversammlung ist. Ich finde das auch gut, dass es das gibt, aber so richtig weiß ich nicht, was ich da soll. Ein paar Sachen sind bestimmt interessant, aber das kann mir dann ja jemand erzählen, der da war.”
An den anderen Tischen hört es sich ähnlich an: “Mitbekommen habe ich es vor allem durch die Mails der Dozierenden, dass die Seminare ausfallen. Aber worum es genau geht, weiß ich nicht.”
Leckeres Essen gibt es aber auch bei den fleißigen Debattierenden auf dem Ulmencampus. Zwischen den Anträgen gibt es im Foyer des Audimax eine Auswahl von Suppen – übrigens auch frisch aus der Mensa geliefert. Schnell bildet sich eine kleine Schlange, die perfekte Gelegenheit, um auch hier einige Impressionen des Tages einzufangen. Die Studis vor Ort sind sich einig: Auch wenn die meisten vorher nicht wussten, was sie erwartet, sind sie froh da zu sein, auch wenn die Mehrheit eher als stille Zuhörer:innen teilnehmen. Zwei Worte fallen besonders häufig: Die Vollversammlung sei sehr spannend, aber auch sehr anstrengend.
Im Foyer treffen wir Philipp Gustke, der seit letztem Oktober StuRa-Mitglied ist. Er findet: “Es ist unglaublich toll, dass so viele Leute gekommen und dem Aufruf gefolgt sind. Wir konnten hier wirklich viele Studierende versammeln, die Reihen im Hörsaal waren gerade wirklich dicht besetzt. Beeindruckend finde ich, dass die Studis auch motiviert waren, echte Debatten zu führen und vor allem, dass auch Anträge gestellt wurden. Die kommen auch nicht nur von StuRa-Mitgliedern, sondern auch andere Studis haben sich Gedanken gemacht, worüber wir heute reden könnten. Es ist natürlich immer schwierig, alle Meinungen unter einen Hut zu bringen und ich glaube, für die Zukunft muss man sich besser auf den Andrang und die Bedeutung der Versammlung einstellen. Es muss zeitiger geplant und besser vorbereitet werden. Da müssen der StuRa und die Vollversammlungs-AG jetzt selbstkritisch reflektieren. Für den Moment bin ich aber sehr zufrieden und hoffe, dass die Debatte jetzt produktiv weiter geht.”
Diese Hoffnung soll leider nur in Teilen erfüllt werden. Nach dem Antrag zum Semesterticket ist es schon halb zwei – 16:30 müssen alle aus dem Audimax raus, dann ist der Raum wieder vergeben. Noch drei Stunden und es stehen noch immer weit über zehn Anträge auf der Tagesordnung. Die Debatte zieht sich hin, Anträge werden zurückgezogen oder vertagt, am Ende ist die Vollversammlung nicht mehr beschlussfähig.
Besprochen werden noch zwei weitere Anträge, der Rest wird an den StuRa weitergeleitet. Mit großer Mehrheit sprechen sich die Studis für verpflichtende hochschuldidaktische Weiterbildungen für alle Dozierenden aus und kritisieren die schlechte bauliche Lage der Uni. Die Studierendenschaft fordert mehr Geld vom Land Mecklenburg-Vorpommern, sodass existierende Gebäude vernünftig saniert und neue gebaut werden können.
Am Ausgang treffen wir noch einen Studenten, der den Tag wie folgt zusammenfasst: “Ich fand es gut, wie stark im Vorfeld auf die Vollversammlung aufmerksam gemacht wurde. Dementsprechend war ich dann aber auch enttäuscht davon, wie wenige Studis letztendlich mitgemacht haben. Es war doch sehr bezeichnend, dass wir nach dem dritten TOP einfach nicht mehr beschlussfähig waren, weil das Fünf-Prozent-Quorum nicht erfüllt war. Ich selber bin hingegangen, um ein Teil eben dieses Quorums zu sein und damit zu zeigen, dass ich die Demokratisierung auf dieser Ebene unterstützen möchte. Es ist halt schade, wenn Teilhabe ermöglicht, aber nicht genutzt wird. Ich würde aus Prinzip wieder hingehen und werde es auch tun, sofern ich bei der nächsten noch immatrikuliert bin.”
Auch wenn an diesem Tag vielleicht nicht alles rund lief: Es haben über 600 Studierende unter Beweis gestellt, dass sie an Beteiligung interessiert sind. Mit dem Semesterticket und der Gebäudesituation wurden zwei brandaktuelle Themen in großer Runde besprochen. Und auch die Anträge, die nicht besprochen wurden, laufen nicht ins Leere. Als von allen Studierenden gewähltes Gremium kann sich der StuRa nun mit diesen Anträgen befassen und wer weiß – vielleicht hat ja auch der:die ein oder andere Studierende, der:die an der Vollversammlung teilgenommen hat, Lust, zukünftig für den StuRa zu kandidieren. Die Wahlen stehen direkt vor der Tür, mehr erfahrt ihr unter wahlen.stura-rostock.de oder hier auf heulermagazin.de.