Eine kleine Besetzungsgeschichte
von Annalena Hotho // Fotos und Illustrationen von Luca Butt
Von Samstagmorgen den 14.10.2023 bis Sonntagabend den 15.10.2023 wurde die Liskowstr. 37 [im Folgenden „Liszy“ genannt] besetzt. Die Gruppe „BrunchBande“, welche im Zuge ihrer Besetzung die Liszy zur „BrunchBude“ erklärte, hat sich mit dem heuler getroffen.
heuler: Wer seid ihr?
Torte: Wir sind Grütze und Torte.
Grütze: Und wir sind Teil einer Gruppierung, die sich organisiert hat, um ein Haus zu besetzen. Ansonsten sind wir aus verschiedenen Lebensbereichen bunt zusammengewürfelt und haben uns in einem ähnlichen politischen Feld zusammengefunden. Kennen tun wir uns aber auch noch nicht so wahnsinnig lang.
Torte: Bzw. vor allem sehr unterschiedlich lang.
Grütze: Ja genau und uns verband letztendlich eine spannende Idee (lacht).
Ihr seid auch nicht die Ersten, die die Idee einer Hausbesetzung in Rostoc umgesetzt haben. Steht Ihr in irgendeiner Art und Weise mit früheren Rostocker Besetzer:innen in Verbindung? Oder was wisst ihr allgemein über die lokale Szene?
Torte: Im Zuge der Besetzung haben sich uns gegenüber z.B. ein paar Leute von der „Betty“ [ehemalige Besetzung des Elisabethheims in der Ulmenstraße] geöffnet. Ansonsten laufen Menschen normalerweise nicht herum und erzählen, dass sie bei dieser und jener Besetzung dabei waren. Eine Sache gilt es jedoch zu korrigieren: Aufgrund unseres Recherchemangels kam es zu der Falschaussage, dass wir die zweite Besetzung in über 30 Jahren wären. Es kann auch dem Fakt geschuldet sein, dass niemand von uns direkt aus Rostock kommt und wir dadurch nicht genug mit der Geschichte der Szene vertraut sind. Inzwischen wissen wir da auch von einigen anderen, sind jedoch nicht in direktem Kontakt.
Grütze: Was auch Schade ist, weil diese Verbindungen für unsere eigene Besetzung super viel wert gewesen wären.
Torte: Es gibt nebenbei einen tollen Wikipedia-Artikel, der extrem viel Hausbesetzungen in Europa auflistet. Was Ostdeutschland anbelangt, ist jedoch bloß die Ost-Geschichte vor und zur Wendezeit aufgeführt. Wir überlegen die Besetzung der Liszy auch einzutragen und es wäre toll, wenn frühere Besetzungen sich da anschließen würden.
Wieso habt ihr euch eigentlich für die Liskowerstr. 37 entschieden?
Torte: Ja, ein Haus zu finden war schwierig (lacht).
Grütze: Stimmt. Wir haben eine ganze Weile geschaut und haben dann aus unserem back -office Informationslagen zu unterschiedlichen Häusern bekommen. Bei der Liszy hatten wir schließlich vergleichsweise viele, wobei wir am Ende einiges Wichtiges auch nicht wussten. Es ist aber Fakt, dass die Liszy schon länger ein Politikum in Rostock ist, schon relativ lange leer steht und wir von anderen Gruppen wissen, die sich schon einmal damit beschäftigt haben. Um dieses Haus herum riecht es irgendwie nach komischen Fragen – warum steht es bei so viel Interesse leer? Wir konnten dieses Politikum neu aufleben lassen und nochmal darauf hinweisen, dass trotz Wohnraummangel absurderweise viel Leerstand existiert.
Was war ansonsten eure Intention mit der Besetzung?
Torte: Ein Hauptziel war erstens ein Hausprojekt zu etablieren.
Grütze: Und gesamtgesellschaftlich etwas zu erreichen. Ich habe z.B. ein Zuhause und suche ja gerade nicht akut nach Wohnraum, sondern möchte etwas Übergreifendes erschaffen. Und das kann ich nur, wenn ich möglichst viele Menschen erreiche, was bedeutet, auch mit Menschen außerhalb der Szene oder mit der Politik zu reden. Am besten könnten so ganze selbstverwaltete Strukturen mit mehreren Hausprojekten entstehen.
Kurz dazu; wisst ihr von anderen aktuellen Hausprojekten?
Grütze: Es gibt die „AWIRO“ [Alternatives Wohnen in Rostock e.V.], das „NoBell“ und die „VILLAsturmfrei“, welche aber zurzeit meines Wissens noch ein Haus suchen oder Gruppierungen wie z.B. die „AZwanzig“.
Torte: Es gibt am Ende wahrscheinlich mehr als uns auf die Schnelle einfallen. Manche sind vielleicht auch nicht sonderlich öffentlich. Beispielsweise kann ich nicht beurteilen, inwiefern die Klopstockstraße unter Hausprojekt läuft oder einfach nur eine Ansammlung von WGs ist, was glaube ich ihrem Eigenverständnis entspricht. Es ist schon spannend, wen wir so gar nicht auf dem Schirm hatten. Für mich war das „NoBell“ z.B. gar nicht auf dem Radar und dann kommen die auf einmal bei der Liszy vorbei und bringen einen großen Sack mit Äpfeln mit.
Uns ist zwar bewusst, vor welchem Hintergrund diese Frage läuft, aber was könntet ihr zum Ablauf eurer Besetzung sagen? Wie viel Vorplanung benötigt man und was lief gut, schlecht oder einfach sehr unerwartet?
Grütze: Vorplanung ist eine Menge nötig. Am Ende wäre bei uns auch mehr gut gewesen, jedoch hatten wir das Minimum für die Umsetzung erreicht. Entsprechend lief dann auch die Besetzung ab. Vor allem dauerte sie kürzer, als wir uns das vorgestellt hatten. Im Vorhinein sprachen wir darüber, dass das Ganze entweder zwei Tage bis zu zwei Wochen dauern kann und wir viele warme Klamotten brauchen würden. Bei jedem Plenum hieß es: Was brauchen wir noch? Irgendwann waren wir, unter der Annahme dort potentiell 14 Tage zu verbringen, auch so frei Instrumente, Yogamatten oder Kartenspiele zusammenzusammeln.
Torte: (lacht) Spannend, dass wir das auch alles hineinbekommen haben.
Grütze: Ja absolut. Schön, dass es bei den ganzen Sachen nicht schon am Anfang gescheitert ist.
Torte: Am Ende waren wir allerdings alle ständig aktiv und eine Person musste sich immer ausruhen, da wir extremen Schlafmangel hatten. Eine:r war für Telefonate und Social Media ständig am Handy. Dafür wären zwei Leute gut gewesen. Die nächste Person war ständig damit beschäftigt, wie wir Türen stabiler bekommen, da etwas zu besorgen oder hier zusammenzufegen etc. Vier Leute waren da zu wenig, aber das haben wir uns vorher schon gedacht. Allerdings gab es in unserem Umfeld keine Leute, die sich eine Besetzung gerade, bzw. kurzfristig nicht mehr, zugetraut haben.
Grütze: Im Hintergrund hatten wir zwar Unterstützung, aber es hätte auch mehr sein können. Für das nächste Mal wärenmindestens 10 Menschen gut. Gerne auch außerhalb vom Haus, denn drinnen ist es schon leichter, sich mit weniger Menschen abzusprechen. Social Media Arbeit könnte man aber teilweise auslagern.
Torte: Und Ressourcen zum rotieren, sodass immer mal wieder zwei Leute ins Haus gehen und dafür zwei raus können, um ohneständige Alarmbereitschaft zwischendurch irgendwo duschen und schlafen zu können.
Am Ende dauerte die Besetzung zwei Tage, doch wie lang hat es sich für euch angefühlt?
Torte: Wie zwei Wochen. Irgendwann haben wir gemerkt, dass wir eigentlich vor ein paar Stunden meinen, wenn wir von gestern sprechen. Grütze: Ja. Wir sind nun mal in den frühen Morgenstunden rein und hatten ab da einen sehr komischen Schlafrhythmus. Langfristig wären wir vielleicht mehr zur Ruhe gekommen. Sich entwickelnde Strukturen wie die Mahnwache Sonntagabend haben uns z.B. entlastet. Aber das ist wahrscheinlich die typische Anfangsphase, in der man erst mal schauen muss, wie die Situation im Haus etc. aussieht.
Torte: Auch muss man sich an die Klangkulisse gewöhnen. Ständig polterte es.
Grütze: Oh ja. Wir haben versucht die Transbis [Transbarente] mit Holzstücken zu beschweren, sodass die nicht immer an die Fenster schlagen.
Torte: Es klang, als würde jemand die Treppe hochkommen.
Grütze: Auf jeden Fall war das nicht ohne. Nachdem wir Samstagmorgen die Besetzung bekannt gegeben haben, ist über die nächsten 2 Tage dann soviel passiert, dass wir zu dem Schluss kamen, das Haus zu verlassen.
HINWEIS des heulers: Wer sich für den genaueren Ablauf der Besetzung oder zukünftige Initiativen der Brunch Bandeinteressiert, kann gerne auf Social Media vorbeischauen: brunchbudehro (Instagram) und BrunchBudeHRO (Twitter bzw.X)
Wie bekannt ist eure Aktion in der kurzen Zeit geworden? Wo gab es Kritik oder Zuspruch?
Grütze: Als wir am Samstag mit der Arbeit auf Twitter und Instagram starteten, sind die Kanäle in kürzester Zeit explodiert. Das war ziemlich krass.
Torte: Es wurde auch nachgefragt, ob wir etwas brauchen, und nach einem Post hat es vielleicht eine Stunde gedauert, bis wir alles hatten. Es wurde auch ungefragt Wasser oder Süßkram vorbeigebracht und schon bei den kleinsten Sachen wie einer Tafel Schokolade haben wir uns irrsinnig gefreut. Das war überwältigend. Ich habe mich zwischenzeitlich kurz schlecht gefühlt, bis mir auffiel, dass ich wahrscheinlich das gleiche machen würde, wenn ich nicht Teil der Besetzung wäre. Außerdem gab es viele Soli[daritäts]-Bekundungen, „Ende- Gelände-Deutschland“ hat uns auch geteilt.
Torte: Die am weitesten Entfernteste kam aus Zürich. Größere Kritik hingegen gab es eher, als wir uns dazu entschlossen haben, das Haus zu verlassen. Die kam dann v.A. aus der eigenen Szene, beispielsweise so etwas wie „Zwei lustige Übernachtungen in einem Haus“ sind keine Besetzung. Das kann ich zwar irgendwo verstehen, allerdings haben wir uns beraten und gesehen, dass es für uns hier keinen Blumentopf mehr zu gewinnen gibt. Auch wollten wir die Ressourcen, die wir gewonnen hatten, nicht verlieren.
Was habt ihr durch die Vermeidung einer Räumung außer dem Eigenschutz gewonnen?
Grütze: Zu unserem Sonntagsbrunch kamen neben der eingeladenen Nachbarschaft weitere lokale Unterstützer:Innen, was total schön war. Sonntagabend gab es eine Mahnwache mit über 100 Leuten, was eigentlich eine ziemlich gute Ausgangssituation war. Allerdings kam zum Brunch auch die Polizei vorbei, hat eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch ausgesprochen und die Personalien unserer Brunch Gäste aufgenommen. Zu der Zeit haben wir angefangen, zu überlegen, was wir tun sollen, da uns bis dato leider weder lokale Medien noch persönliche Anfragen für Interviews o.Ä. erreicht hatten.
Torte: Auch hatten wir weder mit der Oberbürgermeisterin noch der Hauseigentümer:Innen gesprochen.
Grütze: Nach der Mahnwache erhielten wir jedoch den Kontakt zu Andreas Crusius, der bis vor kurzem Chef der Ärztekammer war, welchem das Haus bis vor Kurzem gehört hat. Er wusste nichts von der Besetzung, war allerdings derjenige, welcher bisher die Absagen geschrieben hat, wenn es Anfragen zur Liszy gab. Sogar die Stadt durfte für den potentiellen Bau eines Geflüchtetenheims keinen Gutachter hinschicken. Im Telefonat verneinte Herr Crusius etwaige gestellte Anfragen (außer die der Stadt). Das Geflüchtetenheim wäre am Ende auch von der Stadt doch abgesagt worden. Er meinte, dass die Wohnungen außerdem asbestverseucht wären und damit nicht vermietbar. Auch ohne vorliegendes Gutachten zogen wir das bei der Entscheidung, ob wir bleiben oder gehen, mit in Betracht. Schlechte Zustände von Häusern waren ein Grund gewesen, warum wir uns im Vorhinein gegen sie entschieden hatten. Man kann mit der Besetzung eines Hauses, das im kritischen Zustand ist, auch ein politisches Symbol setzten, aber kein langfristiges Hausprojekt etablieren. Dazu bedarf es einer anderen Strategie.
Und was war dann die positive Ressource, die Ihr gewonnen habt?
Grütze: Am selben Abend hatten wir noch ein sehr gutes Telefonat mit Frau Kröger. Sie war sehr interessiert daran, Menschen zu sehen, die sich für mehr selbstverwalteten oder alternativen Wohnraum einsetzten wollen. Auf stadtpolitischer Ebene gibt es schon Strukturen wie der „Agenda 21-Rat“, die sich ebenfalls mit solchen Thematiken befassen. Frau Kröger meinte, dass sie gerne mit uns über unsere Ideen und Meinungen reden würde. Des Weiteren hat sie uns angeboten den/die Hauseigentümer:In ausfindig zu machen.
Torte: Es ist uns sehr wichtig, zu betonen, dass im Zuge dieser Angebote nicht die Bedingung gestellt wurde, dass wir die Besetzung beenden! Das wurde teilweise leider falsch dargestellt.
Grütze: Dies war also unsere relativ gute Ausgangslage für den Sonntagabend. Im Falle einer Räumung am Montagmorgen wären wir mit der folgenden Repression und Handlungsunfähigkeit konfrontiert worden.
Torte: Wir wussten auch nicht, wie es explizit weiter gehen soll, wenn wir nicht wissen, ob wir die Liszy instand setzen können. Unsere Asbestrecherchen ergaben am Ende Sinn. Trotz des Alters hat das Haus nicht modrig gerochen, was auf Asbest hindeutet.
Grütze: Uns war bewusst, dass wir vielleicht eine „epische“ Räumung und ein stärkeres politisches Symbol verhindern. Wir wissen auch, dass Revolutionen eigentlich immer in Kämpfen enden. Im Nachhinein bin ich jedoch der Meinung, dass wir eine absolut richtige Entscheidung getroffen haben. Die Anzeige wurde zurückgezogen und wir können als Gruppe weiterhin aktiv bleiben.
Torte: Bei unseren Brunch Gästen waren auch nicht nur krasse Polit[ische]aktivist:Innen dabei, sondern auch
„Mutti von nebenan“. Und dass die raus sind, ist eine große Erleichterung. Gerade wegen denen haben wir uns vorgenommen, die Aktion so friedlich wie möglich zu halten. Am ersten Morgen haben wir Flyer an die umstehenden Häuser verteilt und erklärt, dass wir nebenan das Haus besetzt haben und uns schon mal für eventuelle Unannehmlichkeiten entschuldigt. Gespräche am Fenster haben auch zu irrsinnig gutem Feedback geführt. Viele Nachbarn haben sich unfassbar gefreut, dass wir da sind, was in politischen Kämpfen selten ist. Gerade in einem Viertel, wo hauptsächlich Familien und Omis wohnen, war das wunderschön zu sehen.
Wie geht es nun weiter?
Grütze: Unsere Besetzung endete nicht in einer riesigen politischen Schlacht, aber die Verhandlungen laufen. Frau Kröger hat ihr Versprechen gehalten, kommuniziert weiterhin mit uns und hat uns die Information zukommen lassen, dass das Haus jetzt der Ärzteversorgung gehört. Ein Gutachten bestätigt auch das Vorhandensein von Asbest. Wir würden dies gerne selber einsehen, haben uns dadurch aber auch leider von der Liszy verabschiedet. Jedoch besteht noch Kontakt zu den Nachbarn. Wir wollen weiterhin wissen, ob da Wohnraum entsteht, der den Menschen zugutekommt, die es brauchen oder nicht. An welcher Stelle kann die Stadt Gelder bereitstellen, wo kann woanders ein Projekt entstehen. Wir tragen Erfahrungswerte und Informationen zusammen. Am Ende sind wir aber nicht abhängig von der Stadt! Wir bleiben, wie schon davor, weiterhin aktiv.
Torte: Im Nachhinein haben wir an die Nachbarn nochmal Flyer verteilt, um ihnen die Möglichkeit zu geben, mit uns in Kontakt zu bleiben. Ich glaube, es ist wichtig, die Menschen am Ball zu halten, da teilweise einige vorher noch nie politisch involviert waren, jedoch beim Brunch meinten: „Och, das ist ja spannend“. Und das ist manchmal der Anfang von ganz vielem. Eine letzte Anekdote zum Schluss: die Polizei ist tatsächlich am Montag in die Liszy rein, obwohl wir über mehrere Kanäle mitgeteilt hatten, dass wir gegangen sind. Am Ende haben wir also die richtige Entscheidung getroffen.