von Carolin Grub, Lena Pflugstert und Johannes Krüger.
Fotos Jolissa Rusin.
Ein Gespräch über Eure Anliegen mit dem Oberbürgermeister Claus Ruhe Madsen.
(Interview vom 04.03.2019)
Hinweis: Hierbei handelt es sich um das komplette Interview. Eine gekürzte Version findet ihr in unserem Heft.
heuler: Hallo Herr Madsen, schön, dass Sie sich für uns Zeit nehmen!
Herr Madsen: Gerne!
heuler: Wir sind vom Studierendenmagazin heuler.
Herr Madsen: Kenn ich!
heuler: Oh, das freut uns! Damit wir heute nicht über irgendwelche Themen mit Ihnen sprechen, haben wir vorab per Instagram eine Umfrage gestartet, was unsere Leserschaft von ihrem Oberbürgermeister wissen möchte.
Herr Madsen: Oh ja, sehr coole Idee! Die Umfrage habe ich sogar geteilt.
heuler: Wir wollen mit dem Slogan, den Sie auch in Ihrem Wahlkampf vertreten haben, beginnen. Nämlich: „Mein Kopf für die Wirtschaft, mein Herz für Gerechtigkeit, meine Hände für Umwelt und Ökologie, meine Beine um Rostock zu bewegen“. Das hat mich irgendwo auch sehr beeindruckt, denn so ein Spruch zeigt auch schon, dass Sie wussten, worauf Sie sich mit der Kandidatur zum Oberbürgermeister einlassen und was es für Sie bedeutet – nämlich ein körperlicher Kraftakt. Sie waren sehr motiviert und haben viele Punkte in Ihrem Wahlkampf angesprochen, die Sie für Rostock verändern möchten. Wie sieht es jetzt nach 6 Monaten im Amt aus? Ist diese Motivation immer noch da oder kam schon die Ernüchterung: „Schade, ich schaffe es leider nicht, das alles umzusetzen, was ich mir vorgenommen habe“?
Herr Madsen: Ich glaube, das ist immer so eine Kombination aus allem. Natürlich kann man im Vorfeld nicht genau wissen, worauf man sich einlässt. Jeder, der das behauptet, war dann schon mal Oberbürgermeister. Ansonsten kann man es eigentlich nicht wissen. Es sind auch immer wieder neue Herausforderungen, die einem vorher natürlich nicht bewusst sind. Also wenn plötzlich Kräne in den Hafen reinfallen, wie kriegen wir die da wieder raus? Wer hat sie da reinfallen lassen? Oder wenn plötzlich ein Virus aus China kommt, wie stellen wir uns darauf ein? Was müssen wir als Stadt machen? Was für Vorkehrungen? All das… Zumindest habe ich mich im Vorfeld damit nicht auseinandergesetzt. Das kommt dann einfach on top, neben der ganz normalen Herausforderung.
Was einen überrascht, und überrascht ist so eine Sache – wenn man eine Quizfrage bekommt, hätte man vielleicht geantwortet: Die erste große Überraschung für mich war, dass man nicht mehr Claus ist. Man kennt Menschen, auch wenn man sie nur mittelmäßig kennt, die einen aber immer Claus genannt haben und jetzt nur noch Oberbürgermeister sagen oder einen sogar siezen. Das ist etwas befremdlich und das ist es für alle Menschen in diesem Moment. Da ist auch egal, ob ich mit der Badehose in der Schwimmhalle stehe – da bin ich noch immer Oberbürgermeister. Wenn man das hört, denkt man sich, das ist ein wirklich sehr merkwürdiges Gefühl. Man möchte da ja gerne als sich selber wahrgenommen werden. Ich bin nicht in der Funktion, wenn ich mit meiner Tochter da in der Badehose stehe. Also das ist zumindest etwas, was mich ein bisschen überrascht hat. Es ist nachvollziehbar, dass man 24 Stunden lang Oberbürgermeister ist, aber trotzdem denkt man hier und da würde ich schon gerne Mensch sein – auch gerne wie alle anderen Menschen an etwas teilnehmen.
Es ist aber auch gleichzeitig Action. Denn ich darf nun einiges und komme hin, wo ich sonst nicht hingekommen wäre. Wenn man plötzlich auf einem Feuerwehrlöschboot ist und man sich das alles angucken darf – ich wollte schon als Junge Feuerwehrmann werden – dann denkt man sich schon: „Boah, jetzt habe ich sogar meine eigene Feuerwehr“. Das ist echt spannend. Die Kommunalaufsicht hat auch gesagt, ich bin jetzt oberster Feuerwehrmann und wenn es einen Einsatz gibt, kann ich hingehen und sagen: „Ich übernehme jetzt hier das Kommando. Gibt mir meinen Helm!“
Also deswegen die Ernüchterung. Oder besser gesagt, man ist in einem Hamsterrad, welches ganz früh morgens anfängt. Man muss nicht nur mit dem Physischem anwesend sein, sondern man muss eigentlich schon, wenn man schlau ist, bevor man das Haus verlassen hat, die meisten Medien gelesen haben. Wenn der erst Beste, den man begrüßt, sagt: „Oh, das ist heute aber nicht gut in der Zeitung“ oder „Das find ich super!“ und dann sagen zu müssen: „Was denn?“, das wäre schon sehr unangenehm.
Die meisten Menschen stehen sehr selten in der Zeitung. Wenn man aber Oberbürgermeister ist, steht man da fast jeden Tag in irgendeiner Form drinnen. Wenn nicht ich, dann die Stadt oder einer der Mitarbeiter. Das heißt, die Erwartungshaltung desjenigen, der es gerade gelesen hat, ist sehr hoch und er denkt: „Der muss das doch wissen, der ist ja schließlich in der Zeitung“. Damit fängt der Tag früh an und endet in der Regel sehr spät. Wenn alle meine Termine zu Ende sind, pflege ich so eine Regel, dass ich meinen Schreibtisch am Ende eines Tages immer leergeräumt habe. Das versuche ich zwar tagsüber immer weg zu haben, aber wenn nicht, nehme ich es abends noch mit nach Hause, so dass ich wenigstens am nächsten Morgen an einen sauberen Tisch wieder anfangen kann. Denn nur so geht’s mir seelisch gut. Ich kann das nicht verkraften, wenn ein Aktenstapel nach dem anderen da rumliegt.
So, also zu alldem, was man sich jetzt vorgenommen hat – Kopf, Hände, Herz, Beine – muss man auch wiederum sagen, dass man es sich natürlich ein Stück leichter vorgestellt hat. Bei einem Wahlkampf ist es normal, dass die Menschen gegeneinander agieren. Dann ist man gewählt und man denkt, jetzt gehen wir alle den gleichen Weg – das ist aber nicht so. Das ist die erste Erkenntnis, die etwas schwierig ist. Ein Stück weit, glaube ich, hat man natürlich auch nicht die gleiche politische Überzeugung, wie was am besten gelöst werden soll. Das war mir schon klar, dass es nicht immer in die gleiche Richtung geht. Also das heißt, sie befinden sich quasi nach der Wahl, vor der Wahl. Das heißt auch, dass es vielleicht, und das ist nicht auf jeden Einzelnen bezogen, nicht immer gut ist, wenn alles glänzt und toll aussieht. Das ist auch ganz gut, wenn da immer mal ein wenig Klinsch reinkommt.
Das ist neu, wenn du vorher Unternehmer warst oder so. Denn da ist man es gewohnt, dass alle gemeinsam für die gleiche Sache kämpfen. Jetzt muss man schon ausloten, mit wem irgendwie gut zu tanzen ist. Das ist eine neue Erkenntnis und wirklich sehr neu für mich, etwas mit Vorsicht zu bewahren. Ich sehe auch immer, dass ich immer alles erzähle und dann feststellen muss, wenn es gedruckt oder im Netzt zu lesen ist, dass es wiederum andere Menschen dazu bringt, Gegendarstellungen zu schreiben und man sich aber eigentlich denkt: „Das ist doch jetzt eigentlich gut für unsere Stadt.“ Menschlich ist das schon ein ganz schwerer Druck. Also nicht mehr Claus, sondern plötzlich Bürgermeister zu sein und Vorsicht zu bewahren, bei dem was du sagst – denn es wird jeder irgendwas daraus machen.
Dann hat man sich viele Sachen vorgenommen, die man gerne umsetzen möchte. Ich möchte gerne Radwege. Dann erlebe ich, dass wo Radwege kommen sollen, auch Bäume wegmüssen. Ich lerne Menschen kennen, die wollen jeden Baum retten. Das steht dann plötzlich gegeneinander. Ein schöner Wunsch von beiden – also Radwege und Bäume – finde ich super! Und dann merkst du diese Konflikte. Das ist auch so ein bisschen was Neues, wenn du Bürgermeister bist. Es wird einem nie gelingen, wenn man sich hinstellt und sagt: „Ich möchte etwas beschließen, was für alle gut ist.“ Das funktioniert nicht. Es gibt keinen Beschluss, der für alle gut ist. Es gibt Beschlüsse, die sind für viele gut und für andere nicht ganz so toll. Der nächste Beschluss ist dann für andere viele gut und wiederum für andere wieder nicht. Irgendjemand sagte auch neulich: „Wenn du nach fünf Jahren einen Freund hast, warst du ein schlechter Bürgermeister.“ Daran merkt man, dass es jetzt echt interessante Jahre werden, weil jede Entscheidung irgendjemanden weh tun wird.
Ich hatte mal so eine Idee vorgeschlagen: Wir verzichten auf Fleisch bei offiziellen Empfängen im Rathaus. Da denkt man sich, dass tut keinem weh. Man kommt ja schließlich für Inhalte und nicht wegen der Bulette. Was da medial los war, hier im Rathaus! Da haben sich Verbände, Minister, Landtagsfraktionen, Metzger und normale, private Menschen beschwert. Unser Mailfach war unglaublich voll wegen so einer kleinen Sache – aber erstens, wie viele dieser Menschen kommen generell zu einem offiziellen Empfang ins Rathaus? Und zweitens, können die nicht einfach ein Baguette essen, wenn es sein muss? Wenn nicht, dann iss doch vorher deine Wurst, wenn du hier reinkommst!
Hier im Rathaus hat man auch beschlossen, dass wir einen Weltklimanotstand haben. Da muss man natürlich auch reagieren und was beschließen. Das ist auch das, was ich total interessant finde, als Politiker. In dem Moment, in dem man sagt: „Lasst uns was machen!“, weil auch alle anderen sagen, das sei wichtig, sagen sie dann wiederum: „Nein, das geht nicht. Überall woanders wäre das ok, aber hier nicht!“ Wir sind also so, dass wir eine Erwartungshaltung haben und alle etwas tun sollten, aber wir selber eben nicht. Aber das Schlimmste ist – was wir alle auch schon mal erlebt haben – wenn du sagst: „Ich verzichte auf Fleisch“. Dann kommt gleich: „Ja, aber du fährst doch auch Auto oder fliegst in den Urlaub?“ Also was hat das miteinander zu tun? Natürlich ist es gut, wenn jeder für sich was tut. Darin liegt nämlich auch die Lösung. Jeder muss sein Verhalten ändern. Du sagst, du fährst immer Fahrrad, dafür esse ich Samstag immer ein Dobi-Döner. Dann mach das! Warum soll ich dich denn verurteilen, wegen deines Dobi-Döners? Da gehen die Leute aufeinander los. Wehe du sagst, du verzichtest auf Fleisch, weil das nicht so wichtig für dich ist. Aber dafür fliegst du jetzt nach Amerika, weil du das mal gesehen haben willst. Dann kommt gleich: „Was? Das ist aber unerhört!“ Warum kann man nicht versuchen, dass jeder das lobt, was der andere gut macht? Dann sucht man lieber das, was er schlecht macht.
Ich war zur Innovationsmesse in Finnland und da hat ein Startup-Unternehmen aus Berlin berichtet, dass die größte Umweltkatastrophe, die wir eigentlich haben, ihre Ursache bei den Klamotten findet – immer neue Schuhe und immer neue Mode. Also viel, viel schlimmer als unser Reisen. Es muss daher ein Bewusstsein in uns geweckt werden: mit diesem Verhalten lösen wir das und das aus. Wo kann ich zum Beispiel mal, ohne dass es mir wehtut, etwas bewirken? Das wäre echt was Schönes, wenn es gelingen würde. Das jeder einen kleinen Schritt macht und daraus zieht, dass, wenn man das schon kann, auch den nächsten Schritt gehen kann. Dann mach ich auch das und das, usw. Dann gibt es den Dobi-Döner halt nur jeden zweiten Samstag. So findet man, meiner Meinung nach, den richtigen Weg.
Also was ich sagen will, war: Man hat tausend Sachen, die man sich vorgenommen hat und stellt fest, dass manches gegeneinander spricht und manches sich miteinander ganz gut vereinbaren lässt, braucht aber viel, viel länger, als man es gehofft hat.
Alleine nur der Wille nach Radwegen – und ich habe einen sehr großen Willen danach. Es ist unglaublich, wie zäh das ganze verläuft und das ist noch freundlich ausgedrückt. Ein guter Spirit für alle, die mal Verwaltung erlebt haben und für alle außerhalb, die dachten „Mein Gott dauert das lange.“ Ich dachte, dass liegt überhaupt an mir und das mein Job so klein ist. Nein, auch wenn der Bürgermeister etwas möchte, dauert es sehr lange. Von daher stellt man fest, dass ist einfach so, dass der Prozess eben so lange dauert. Unsere Organisationsleiter ist nun mal so linear aufgebaut. Das dauert nun mal. Wir hatten 500 Vorschläge zur Bewältigung des Klimanotstandes von Bürger*innen – bis das durch die Institutionen und Verwaltungen durch ist, bis eines Tages eine Vorlage entsteht, vergeht viel Zeit. Selbst wenn, dann würde es sechs Wochen dauern, bis sie überhaupt beschlussfähig ist. Von daher ist das nun mal alles so. Das wundert einen schon und dann denkt man: „Ach komm, lass den Kopf nicht hängen und konzentrier dich auf die wichtigen Sachen“, so dass irgendwie doch Sachen bewegt werden, auch wenn der Tag von früh bis abends durchgetaktet ist. Man kann daher leider nur sehr wenig Innovation bringen. Man hat keine Luft zum Atmen oder Energie zum Bewegen – die Zähheit frisst einen auf. Es haben auch viele Menschen und Vereine Wünsche, die man auch begegnen will.
heuler: Sie haben ja wirklich viele Ideen. Selbst wenn man über die lange Prozessdauer ernüchtert ist, sind Sie dennoch dabei diese umzusetzen. Wie schwer ist es in der Bürgerschaft, wo die Parteien, die Sie unterstützt haben, keine Mehrheit besitzen, diese durchzusetzen? Wie viel Überzeugungskraft müssen Sie leisten, damit die Vorschläge auch bei den anderen Parteien gut ankommen?
Herr Madsen: Das ist auch ganz interessant, weil der Bürgermeister eher der Chef einer Verwaltung ist. Ich glaube, meine Aufgabe besteht darin, Menschen zu motivieren, das umzusetzen, was wir uns vorgenommen haben. Im Grunde beschließt die Bürgerschaft, was wir machen sollen und das Rathaus, also die Verwaltung und der Oberbürgermeister, sind die Handwerker, die das dann ausführen. Das heißt, meine Ideen muss ich nur in den politischen Raum einbringen und dann sagt mir die Bürgerschaft, wie man diese am Besten umsetzen kann. Die Parteien, die mich unterstützt haben, gab es ja nicht. Ich bin, wie ich es auch gerne betone, parteilos! Deswegen ist das auch eine so schöne Rolle. Denn ich habe keine Pflicht, das so zu sagen oder zu machen, was irgendwelche Parteien sagen oder denken. Ich bin ziemlich frei dadurch. Natürlich ist es auch ein Nachteil. Wäre ich jetzt von einer Partei, die die Mehrheit hätte, könnten wir vermeintlich relativ gut durchregieren. Ich stelle aber auch immer wieder fest, dass das wiederum auch nicht so leicht wäre. Denn innerhalb von Parteien kann es auch unterschiedliche Meinungen zu einem Thema geben, wie z.B. bei der BuGa. Das ist so ein Thema, welches nicht so wirklich parteiengebunden ist. Da gibt es viele unterschiedliche Meinungen. Manche sagen, dass es super wegen der Umwelt sei. Andere sagen wiederum: „Ach so ein Quatsch, wozu brauchen wir das?“
Ich glaube, da ist es das Wichtigste, dass man einen kühlen Kopf bewahrt und ein bisschen Vernunft beibehält. Die Vorschläge, die der Stadt nicht super gut gefallen, in eine andere Richtung lenken, die dann wieder befürwortet wird. Man darf schließlich nicht vergessen, in der Bürgerschaft sitzen ehrenamtliche Menschen, die ganz normal arbeiten gehen. Sie stellen auch mal einen Antrag, der dann nicht so funktioniert. Und das ist nicht böse gemeint. Daher muss man auf freundlicher Art und Weise mitteilen, dass das so eben nicht geht. Zurzeit haben wir gerade sehr politisch gesteuerte Vorschläge, die aber immer mehr in Richtung „Ich bin Rostocker Bürger und möchte das es gut wird und deswegen gehen wir mit“ gehen. Da gibt es natürlich Parteien. Wenn die etwas vorschlagen würden, würden wir in hundert Jahren keine Mehrheit kriegen. Also so politisch diszipliniert bleibt der Laden dann am Ende doch. Aber ansonsten glaube ich, dass es auch vernünftige Vorschläge später geben wird.
heuler: Sie haben gerade gesagt, dass Sie eigentlich von keiner Partei unterstützt wurden. Sie sind parteilos – das ist Fakt! Trotzdem verbinden viele Leute mit Ihnen die CDU und FDP. Wurden Sie nach den Vorkommnissen in Thüringen häufig darauf angesprochen?
Herr Madsen: Gar nicht! Nee, ich glaube glücklicherweise ist ein halbes Jahr vergangen und in einem halben Jahr können auch Menschen, die sich intensiv mit dem beschäftigen, was sie festgestellt haben, dass ich überhaupt keine Bindung/ Parallelen zu diesen Parteien habe. Das macht es natürlich super leicht. Denn man kann dadurch sehr leicht erkennen, dass ich nicht bevorzugt mit dem einen oder anderen arbeite, sondern mit meiner Verwaltung. Das hat sich also gelegt. Ich glaube, das war auch eher ein Wahlmanöver meiner Mitstreiter, die versucht haben mich quasi auch in einen Karton reinzuschieben – so habe ich das immer beschrieben. Das klingt natürlich böse und das tut mir auch immer ein bisschen leid, wenn ich Parteien als Schuhkartons bezeichne, aber für mich ist das eben Schuhkarton-Denken. Man hat so eine Ideologie, an der man sich festhält und das ist auch eine gute Richtschnur. Damit meine ich nicht den einzelnen Menschen, der großartige Arbeit leistet, weil er sich politisch engagiert, sondern dass man fest gebunden ist. Es haben auch wirklich viele Spitzenpolitiker zu mir gesagt: „Du kannst Dir gar nicht vorstellen, was es für ein Segen ist, nicht in dem drinnen zu sein.“ Sie müssen ja manchmal Sachen vertreten, die sie wahrscheinlich persönlich nicht so gut finden. Aber das ist nun mal Parteilinie. Es ist aber traurig, wenn z.B. Bürgerschaftssitzung ist und ich innerhalb der Pause der Einzige bin, der dann immer ganz alleine hier sitzt und sie sitzen oben zusammen in ihren Parteibüros. Es hat ein bisschen was Komisches, wenn alle ihre Partei haben, nur ich nicht. Es ist ja kein anderer Parteiloser hier in diesem Bereich tätig. Aber das Gute ist: Man hat immer Mehrheiten auf seinem Parteitag und man kann jeden Morgen sein Parteiprogramm neu schreiben!
Nein, Spaß beiseite. Die Leute sprechen mich darauf nicht mehr an. Ich walte aber auch große Vorsicht dabei! Ich hatte z.B. eine Einladung zum Jahresempfang der Linken, wohin ich sofort gefahren bin, was aber keiner medial kommentiert hat. Jetzt ist natürlich die große Frage; wenn ich bald zum Jahresempfang der CDU fahre, wird bestimmt irgendjemand dies kommentieren. Man fühlt sich deswegen immer verpflichtet, als Musterbürger unterwegs zu sein oder generell darauf zu achten, wie man etwas sagt. Aber die Zeit heilt dies, sodass man dies auch erkennt.
Eine Fraktion, die mich z.B. wegen des „fleischfreiem Essen im Rathaus bei Empfängen“ attackiert hat, war die CDU-Landtagsfraktion. Daran erkennt man schon, dass ich auch bei diesen Jungs und Mädchen keinen Welpenschutz besitze. Das ist ja auch richtig so. Das erwarte ich ja schließlich auch nicht. Ich halte mich bei denen aber auch nicht zurück, wenn ich unzufrieden bin! Von der Warte her ist das ein ganz normales Verhältnis. Man kann im Übrigen auch mal überlegen, wie das wohl ist, wenn man ein ganz einfaches FDP-Mitglied irgendwo in Deutschland ist. Man ist ein super engagierter Mensch und setzt sich für ihr Hauptding Freiheitsdenken und Steuersenkung ein und dann passiert so etwas wie in Thüringen. Boah, was macht man dann? Das ist echt übel. Man wird nicht mehr gelobt für das Vorherige, was man gemacht hat. In dem Moment, in dem sich jemand fehlverhält, muss man den Preis dafür bezahlen. Das ist auch, glaube ich, das Problem, welches wir am Parteipolitischen haben: Wir haften immer für das, was einer oben sagt – für die gute Arbeit kriegen wir das Lob nicht so richtig mit. Deswegen ist es manchmal auch echt schön, keiner Partei anzugehören.
heuler: Bei der Podiumsdiskussion im Audimax im letzten Sommer, sagten Sie, wie wichtig Ihnen die Zusammenarbeit zwischen Rathaus und Universität sei und dass Sie diese auch als Oberbürgermeister unbedingt stärken wollen. Als mögliche Verbindungsstelle schlugen Sie damals einen studentischen Mitarbeiter im Rathaus vor. Wie sieht es da aus? Gibt es diese Stelle bereits oder ist diese Idee gar nicht umsetzbar? Und wie wird diese Person ausgewählt, die 13.000 Studierende vertreten soll?
Herr Madsen; Man könnte jetzt wirklich denken, ich habe euch gebeten, genau diese Fragen zu stellen. Denn es wird tatsächlich ab nächster Woche eine solche, leicht umgewandelte Stelle geben. Und zwar ist es mir gelungen, die Universität und die Stadtverwaltung davon zu überzeugen, dass ich einen Referenten/eine Referentin für Start-Ups, Digitalisierung und Innovation in den Bereich des Oberbürgermeisters integrieren kann, der/die zur Hälfte Studierende*r der Universität ist und zur anderen Hälfte von der Hansestadt ist. Damit wollte ich also die direkte Brücke zwischen Uni und Rathaus schaffen. Im Nachhinein kam auch oft die Frage, was mit dem Studierenden passiere, wenn er/sie hier viel im Rathaus arbeiten müsse und wie es dann mit dem Studium vereinbart wäre. Wie machen wir das? Nach den einzelnen Semestern? Wie lange darf man das überhaupt machen? Wer wählt ihn aus? Könnte man da nicht den Prorektor Titus einsetzen? Aber Titus ist auch schon mit dem was er macht, sehr stark eingebunden. Bei all den Fragen merkt man natürlich, dass die Idee sicherlich gut ist, aber noch umgeformt werden muss. Deswegen bin ich darüber total glücklich, dass wir diesen Weg gefunden haben. Ich bin gespannt, weil wir daraus tatsächlich auch was machen wollen, wie z.B. den Protokollraum nebenan, der wirklich sehr trist ist. Darin möchte ich so eine Art Maschinenraum der Hansestadt bauen. Dort will ich Innovation darstellen. Also alles, was am Tag für Daten erhoben werden können: wann wurde wer geboren, wo steht gerade jemand im Stau, wo haben wir Baustellen, warum ist sie da und wie lange. Also alles, was an Daten und Bewegung abzulesen ist, richten wir dort ein.
Und dann werden wir alle 3 Monate darin einen studentischen „Demo-Day“ veranstalten. Da kann man verschiedene Projekte aus den unterschiedlichen studentischen Bereichen vorstellen und sagen, dass es ein gutes Projekt sei und wie man daran weiterarbeiten könnte. Damit können wir die Dimension der Innovation und Digitalisierung ein bisschen auf einen Startpunkt, mit den Köpfen die wir hier haben, bringen. Daran arbeiten wir zusammen mit der Berufsschule Wismar und natürlich der Uni Rostock.
In der unteren Etage des Rathauses würde ich gerne einen weiteren Raum machen zum Thema „Wie sieht Verwaltung von oben aus?“ In den Raum soll dann mein Amtsleiter kommen und sagen: „Die will ich auch in meinem Bauamt“ oder „So möchte ich es umgesetzt haben.“ Also das Ganze ein wenig aufrütteln.
Ich habe auch den Begriff fastling hier eingeführt. Das sind sogenannte Arbeitsgruppen. Heutzutage ist es ja so, dass wenn man Radwege plant, einem ein Radwegeplan vorgestellt wird. Ich habe da einen kleinen Schock bekommen, weil mein Finanzer mir sagte, dass die Umsetzung 33 Jahre dauern würde. Da bin ich doch schon lange kein Bürgermeister mehr. Da sind wir doch erledigt. Nein, das schaffen wir niemals. „Pack es weg“, sagte ich dann nur noch. Eine Woche später kam Holger wieder zu mir und sagte: „10 Jahre.“ Ich sagte darauf wiederum: „Holger, wir machen das in vier!“ Es ist dann vielleicht nicht der letzte Meter da drin, aber es muss signifikant für den Bürger erkennbar sein, dass wir es jetzt ernst meinen mit den Radwegen. Dafür habe ich eben nun mal nur vier Jahre! Es ist irgendwo eine neue Art des Arbeitens. Bis jetzt trifft man sich in der Arbeitsgruppe einmal im Monat. Da kommt einer aus dem Liegenschaftsamt, also für die Grundstücke, ein Stadtplaner, ein Tiefbauunternehmen und einer vom Grünamt. Alle kommen zusammen und diskutieren. Dann legen sie fest, wo der Radweg liegen wird und gehen wieder auseinander. Einen Monat später kommen sie wieder zusammen. Der vom Grünamt hatte zuerst gesagt, dass sie nur eine Reihe Bäume haben möchten. Nach der internen Diskussion nun aber zwei oder drei. Ok, dann verlegen wir das ganze etwas weiter nach links. Aber dann sagt das Liegenschaftsamt wiederum, dass wir da kein Grundstück haben. Ach so, na dann fangen wir nochmal von vorne an. Daran sieht man, dass alle Beteiligten eigentlich permanent zusammensitzen müssten. Sie dürfen nicht auseinandergehen. Sie arbeiten neben der Verwaltung her. Sie sitzen immer zusammen und verhandeln über jeden Meter Radweg. Bisher wurden nur Grundstücke gekauft und verwaltet, ohne zu wissen, wo der Radweg zur Kita langführen sollte.
Jetzt frage ich also, wer will da freiwillig mitmachen? Wer hat da Bock drauf? Wer will diesen Erfolg mittragen? Der sitzt dann hoffentlich jeden Morgen ganz heiß mit einer Idee da. Das ist meine Hoffnung. Das wird dann dadurch quasi mit mehr Schwung beladen, wenn wir sagen, das es eine freiwillige Arbeitsgruppe ist. Also der Studierende sollte die Innovation reinbringen. Jetzt wird es ein Angestellter bzw. eine Angestellte der Universität sein. Die Idee ist aber am Ende noch nicht ganz ausformuliert. Wenn es mir jetzt noch gelingen kann, zumindest anzubieten, dass wir studentische Kräfte bei uns eingliedern, dann machen wir das auch!
Was wir aber auch schon haben: in einigen der städtischen Gemeinden oder Firmen gibt es „Werksstudenten“. Das könnte man natürlich auch verstärken, um diese Verknüpfung zwischen starke Verwaltung mit starken Firmen herzustellen. Wobei ja das Schlimmste ist, dass Menschen hierher zum Studieren kommen und schöne Jahre haben, weg sind, weil sie ein tolles Angebot in Koblenz oder wo auch immer haben. Die Innovationskraft ist dadurch auch verschwunden. Wir müssen es deshalb noch stärker hinbekommen, dass sie sich hier zu Hause fühlen und nicht mehr weg gehen möchten.
heuler: Die Einrichtung von Werksstudenten-Stellen ist ja irgendwo eine Win-win-Situation. Es macht den Studiumsstandort Rostock noch wesentlich attraktiver. Neben diesen Punkt hat Rostock noch viel weiteres zu bieten, gerade was das kulturelle Leben angeht. Die Frieda 23 steckt voll von innovativen Projekten, aber eher im künstlerischen und medialen Bereich. Da sitzen vor allem junge Leute, unter anderem Studierende, die Innovation bringen und ein Netzwerk schaffen, das es schwer macht, Rostock wieder zu verlassen. Wie könnte man solche kulturellen Projekte noch weiter fördern?
Herr Madsen: Das ist eine gute Frage! Das müsstest Du mir eigentlich beantworten. Nein, ich glaube, man müsste dieses Thema, was mir sehr wichtig ist, die Wirtschaft insgesamt mehr stärken. Da haben wir mit der Frieda und ein paar anderen kleinen Co-Workspaces etwas, was später eine gute Mischung aus Wirtschaft und Kultur sein kann. Die kreativ-Wirtschaft ist extrem wichtig und leider nicht so anerkannt. Ansonsten müssen wir Ehrenamts-Initiativen stärken. Da will ich gerade eine politische Diskussion zum Thema Ehrenamt und Vereine schaffen, die gerade diese Themen etwas präsenter macht. Ich bin auch selber ehrenamtlich tätig und das ist gerade das, was eine Gesellschaft und eine Stadt zusammenhält. Man hat irgendwann genau da seine Freunde, seine Zufriedenheit und deswegen ist man irgendwann gerne Rostocker*in. Das man konkret sagen kann, was wir wie und wo planen, ist echt, echt schwierig. Da würde ich gerne Anregungen bekommen, wo man das kann.
heuler: Ich denke, Repräsentation ist schon immer ganz wichtig. Also das solche Projekte auch gezeigt und vorgestellt werden und auch publik gemacht wird, dass die Stadt dahinter steht und das auch unterstützt.
Herr Madsen: Einen Job, den der Oberbürgermeister hat, ist es, Teil von all dem zu sein. Daher waren auch schon die „Krümelkekse“, ein Sonntagskinderprogramm, bei mir und die waren echt cool. Ich hatte sie eingeladen, was für mich ein kleiner Beitrag war, aktiv mitzumachen und die Aufmerksamkeit für sie zu stärken. Ich habe gesehen, dass z.B. die Frieda oder Lohro beim Girls-Day mitmachen. Auch dadurch wird die Wahrnehmung, besonders eben für Frauen, für spannende Berufe geweckt. Wenn wir können, machen wir gerne etwas.
heuler: Aber es gibt auch Projekte, die über Rostock hinausstrahlen, z.B. das Fish- Festival, welches immer sehr beliebt ist und viele junge, kreative Menschen nach Rostock holt.
Herr Madsen: Genau, so etwas muss in der Tat weiterhin erhalten bleiben, gerade weil es so ein großer Erfolg geworden ist. Auch wenn ich sehr beschäftigt bin, so etwas bekommt man immer mit.
heuler: Viele Rostocker kennen es leider nicht! Lohro z.B. auch nicht.
Herr Madsen: Ich würde aber sagen, dass viele Lohro kennen! Also es wird viel gehört. Ich kenne zwar nicht die konkreten Zuhörerzahlen, aber ich stelle immer wieder fest, wenn ich dort einmal zu Besuch war, dass viele Menschen mich darauf ansprechen. Also muss es ja irgendwer gehört haben. Natürlich nicht die ganz große Reichweite, wie es der NDR hat, aber immerhin. Da bin ich auch immer wieder überrascht. Das guckt irgendwie jeder, wie vor allem das „Nordmagazin“. Wenn man da einmal zu sehen war, dann steht das Telefon nicht mehr still. Das ist eben so ein Ding, was jeder guckt. Diesen Trailer am Anfang kennt doch auch wirklich jeder! Es ist ja auch sehr sympathisch. Wenn ihr älter werdet, dann werdet ihr diese beruhigende Wirkung merken.
heuler: Ein Thema, was auch bei der Umfrage sehr dominant war, ist die Problematik der Wohnungsnot. Das ist natürlich eine Thematik, die die Studierendenschaft sehr bewegt und auch vielen unter den Nägeln brennt. Wir wissen auch, dass Sie z.B. bei dem Arbeitsgespräch mit dem AStA dabei waren und es auch sehr produktiv war. Können Sie dazu noch einmal den aktuellen Stand beschreiben? Wie geht es voran? Was ist bis dato schon passiert?
Herr Madsen: Man stellt erstmal fest, dass es in sich ein sehr komplexes Thema ist und das aus unterschiedlichen Gründen. Die meisten Studierende bekommen irgendwann einen Wohnraum, aber eben nicht in der Sekunde, in der sie es wirklich benötigen. Das primärste Problem haben dabei die internationalen Studierenden. Das ist dann auch sehr schwer dieses zu lösen, denn sie haben zumeist erstmal kein Konto, sondern bringen Geld mit. Sie haben kein Bankkonto. Sie bekommen dies aber nicht, weil sie keine Adresse haben und bekommen aber wiederum keine Wohnung, weil sie kein Bankkonto haben. Sie durchlaufen also einmal den Teufelskreis.*
Das Andere ist, dass wir nicht über genügend Studierendenwohnheimsplätze verfügen — auch rechnerisch nicht! Das stellt mich als Bürgermeister vor die erste kleinere Hürde. Dafür ist nämlich das Land zuständig und nicht die Stadt. Ich kann natürlich viel auf das Land einwirken, aber wenn dieses sich allmählich bedeckt hält, ist es quasi für mich schon erledigt. Ich habe aber neulich versucht, alles miteinander zu kombinieren. Ich habe die Möglichkeit erhalten, wie man als Stadt gegen die Selektion, die fehlende Vermischung, handeln kann. Also was wir für Vorschläge haben – z.B. der soziale Wohnungsbau. Das ist in meinen Augen kein Mittel, weil wir dann genau das Gegenteil haben.
Man muss eigentlich in Vierteln, in denen wir gerade eine sehr starke soziale Verdichtung haben, hingehen und neue Wohnformen z.B. Kreativkindergärten, andere Schulformen cool machen und – und diesen Vorschlag habe ich dem Land gemacht, weil es vom Land Fördermittel gibt – wie wäre es, wenn sie mir Fördermittel geben für das Errichten von Studentenwohnheime in einem Gebiet, in dem ich dann danach für Kreativ-Wirtschaft etc. sorge? Das Land geht so seinen Pflichten für die Studierendenschaft nach und ich als Bürgermeister könnte meiner Aufgabe nachgehen, dass meine Stadtteile besser vermischt werden. Da bin ich sehr gespannt, wie das Land darauf reagiert. Ansonsten ist diese Thematik schon in unserer Bürgerschaft.
Ich war in der Tat schon bei zwei AStA-Terminen. Einmal konkret zum Thema Wohnen und an einem anderen Abend bei einer allgemeinen Sitzung, was auch echt cool war. Da habe ich auch gefragt, wie wir mehr Studierende nach Rostock bekommen. Da wurde auch das Wohnen erwähnt oder die Kosten für das Semesterticket in MV. Also Sachen, wo man ganz gut verstehen kann, woran die Attraktivität hängt und warum wir den Studierenden Wohnraum ermöglichen sollten. Das Problem löst sich nicht von heute auf morgen. Ich glaube, eine Lösung dafür liegt auch auf der Hand, was mir Studierende selber berichtet haben: Sie haben überhaupt kein Problem mit dem oder dem Stadtteil, sondern mit der Erreichbarkeit. Sie sagen, sie ziehen da auch hin, wenn die Wohnung ein bisschen preiswerter ist und vor allem groß, aber sie auch noch spätabends mit der Bahn oder dem Bus überall hinkommen. Das ist aber leider nicht gewährleistet. Wäre es das, dann würden das auch viele wahrnehmen. Wenn wir das stärken könnten, könnten wir auch einige andere Probleme besser lösen. Sehr viele Studierende und kreative junge Familien wollen gerne in der KTV leben. Sie müssen aber eben auch verstehen, dass die KTV irgendwann voll ist. Und trotzdem stehen sie an und wollen einen Wohnraum dort. Es ist ja auch vollkommen nachvollziehbar. Es ist nah und hat viele Vorteile. Aber auch andere Stadtteile haben ihre Vorteile und an denen müssen wir gemeinsam arbeiten. Das Problem ist also nicht aus dem Auge, aus dem Sinn, sondern es ist omnipräsent.
Jetzt ist es ruhiger, wird aber im September wieder deutlich stärker. Es ist für mich gerade stärker und wichtiger, weil ich an einer Kurve erkennen kann, dass wir deutlich weniger Studierende werden. Man sagte mir wohl, dass es daran läge, dass Rostock ganz früher ohne Studiengebühren auskam und sich mit der komischen Kampagne „oben ohne“ schmückte. Und dass viele andere Standorte und Hochschulen nachlegten und dieses dann eben nicht mehr da war. Jetzt müssen wir neue Themen finden, mit denen wir als Universitätsstadt punkten können. Ich würde mal behaupten – meine Nichte und mein Neffe studieren beide in Köln – dass wir im Vergleich dazu noch einen entspannten Wohnungsmarkt haben. Das ist wirklich so. Da habe ich gesehen, wie sie hausieren und mit wie vielen. Das ist stellenweise schon krass! Und was sie vor allem bezahlen! Naja, sie wollen das unbedingt und Köln als Studierendenstandort ist nun mal cool. Aber das heißt nicht, dass wir aufgeben. Das klingt immer nach „Na gut, Pech gehabt“, aber nein.
Wir legen nach, wenn sich das Angebot bietet und wir noch was weiterentwickeln können. Das sollte unsere Motivation sein und irgendwann kippt der Schalter. Dann seid ihr zwar schon lange fertig – hoffentlich – aber das kriegen wir hin. Ihr sucht dann wiederum ganz anderen Wohnraum und geht zum Bürgermeister und wollt Einfamilienhäuser – wo sollen wir mit unseren Familien hin? Nein, das ist wirklich etwas Erschreckendes. Die neusten Zahlen und Statistiken, zeigen, dass die 0-3 – Jährigen aus Rostock ausziehen. Da dachte ich mir: „Hä? Wie geht das?“ Dann steht aber wiederum weiter unten, dass es auch die 30-Jährigen betrifft. Es geht also um die Familien, die alle in den Landkreis ziehen. Das ist eine ganz schlimme Entwicklung. Gerade weil diese Menschen dann anfangen gutes Geld zu verdienen und dann nach Außerhalb ziehen. Damit belasten sie wiederum den Pendlerverkehr, da sie in Rostock arbeiten. Da benötigen sie wiederum einen Kita-Platz. Und dann fahren sie wieder nach Hause, um nachmittags wieder zum Handballtraining nach Rostock zu fahren. Von daher sind das alles viele schöne Herausforderungen. Aber wir haben, wie gesagt, keine echte Wohnungsnot. Das größere Problem kommt in 10, 15, 20 Jahren. Viele Menschen, die in den Wohnblöcken wohnen, haben ein gewisses Alter erreicht. Sie werden eines Tages nicht mehr leben. Was machen wir dann. Wer zieht dann dort hin? Wie wird dieser Wandel stattfinden? Das wird eine Frage sein, die wir noch zu klären haben.
heuler: Gerade in Anbetracht der Schreckensmeldungen, die uns von der griechischen Grenze erreichen, sollte da eine Stadt wie Rostock seine Solidaritätsbekundung, welche sie im Zuge der Mitgliedschaft im Bündnis Seebrücke eingeht, erneuern und sich für eine europäische Lösung medienwirksam stark machen?
Herr Madsen: Ich bin sehr froh darüber, dass es keine einfältige Frage ist. So nach dem Motto: „Mach doch mal!“ Das, was wir können, nenne ich gerne „Plakatpolitik“ bzw. eben „Symbolpolitik“. Ich kann nicht einfach sagen, ich möchte das, denn so sieht das Gesetz nicht aus. Wir wollten gerne freiwillig Kinder und Jugendliche aufnehmen, aber das durften wir nicht. Das muss erst alles geregelt werden. Das heißt, ich will nicht wie ein Plakatpolitiker dastehen und sagen: „Wir wollen, können bzw. dürfen aber gar nicht.“ Die richtige Einstellung ist, Druck auszuüben und das auch auf allen Ebenen. Das müssen Studierende, das müssen Bürger, Bürgermeister, die Verwaltung und die Politiker sein, auf denen dieser Druck lasten soll. Wir kennen den Preis und wir möchten, dass ihn auch alle mittragen. Denn die Lösung wäre niemals, dass Rostock alleine sagt: „Wir übernehmen jetzt das Problem.“ Das können wir auch gar nicht.
Es gibt dazu auch eine Stellungnahme aus meinem Amt von Herrn Bockhahn. Es ist nicht so, dass wir gerade in der Lage wären, etwas zu tun, sondern wir können viel besser Druck ausüben. Wir möchten, dass Deutschland sich aktiv einbringt und das den Griechen nicht alleine überlässt. Von mir aus möchte ich natürlich, dass Rostock als „sicherer Hafen“ proklamiert wird. Und natürlich bin ich auch bereit, mehr zu leisten und als Stadt ein Signal zu setzen. Da müssen wir wiederum schauen, wie wir dies umsetzen können. Es gibt gerade große Diskussionen innerhalb unserer Lokalpolitik, dass man an einem Fond arbeitet. Das ist aber, meiner Meinung nach, eher nur eine Scheinlösung, um Menschen dort zu unterstützen.
heuler: Ein weiterer kritischer Aspekt, leider auch aus aktuellem Anlass, ist die Ausländerfeindlichkeit und rassistische Übergriffe, die immer mehr ansteigen. In diesem Zuge wurde kürzlich auch eine Gedenkveranstaltung zum Todestag von Mehmet Turgut veranstaltet, an dem Sie unseres Wissens nach nicht teilgenommen haben. Was denken Sie denn, welche Maßnahmen sind wichtig, um ein Zeichen gegen Rassismus, Faschismus und Antisemitismus zu setzen, für Rostock, aber auch ganz allgemein?
Herr Madsen: Ja, genau, ich war nicht da. Ich war circa 15.000km weit weg. Generell finde ich, das habe ich gerade auch schon beim Thema Ökologie mit erwähnt: Der generelle Umgang miteinander. Bereits einfache Artikel in der Zeitung lösen Kommentare im Netz aus, bei denen man denkt: „Was ist mit dir nicht in Ordnung?“. Und das auch von gestandenen Politikern! Man kann also auch nicht sagen, das machen nur ganz einfache Bürger.
Also erstens: Jeder achtet bitte darauf, wie er selber im Netz agiert. Würdest du auch face-to-face so reagieren und solche Wörter verwenden? Manche würden das sicherlich auch mit Ja beantworten. Es ist aber immer der Spiegel. Wie verhalte ich mich? Wie ist meine Grundeinstellung? Wie bin ich als Mensch? Das ist nicht vom Bürgermeister anzuordnen. Ich habe aber auch eine Verantwortung, es nicht zu weit zu treiben. Das klingt merkwürdig, aber ich bekomme viel mehr Aufmerksamkeit, wenn ich ständig poste. Ich habe das schon oft diskutiert. Ich hatte eine wahnsinnige Reichweite und habe sie auch immer noch. Diese kann ich mir ganz klug einteilen, in dem ich manche Dinge nicht kommentiere. Ich würde sonst ganz virale Kommentare erhalten.
heuler: Aber glauben Sie gerade beim Thema Rassismus, wo so viele schlimme Sachen passieren in Deutschland, ist es richtig, nichts zu sagen?
Herr Madsen: Nein, nicht unbedingt. Aber ich glaube, dass es manchmal nicht richtig ist, genau mitten ins Herz rein, etwas zu sagen. Sondern vielleicht dann, wenn es auf eine sachliche Ebene gehoben wurde. Ich will schließlich auch nicht als politischer Profiteur dastehen, indem ich sage, dass wir das hier nicht dulden können. Man ist auch sehr schnell ein Trittbrettfahrer. Es kann anders aufgegriffen werden. Aber ich mag es eben sehr gerne, nicht gerade, wenn es am heißesten ist, etwas zu sagen und als Heiliger zu kommen. Das Interessante ist ja auch, dass ich selbst Ausländer bin. Was soll ich denn da bitte gegen Ausländer haben? Ich bin umgeben von 94% Ausländer, wenn man es so will. Wenn man genau genommen meinen persönlichen Weg betrachtet – meine alte Firma bildet Menschen aus, die nicht nur „normale Ausländer“ sind, sondern eben auch Geflüchtete. Wir haben uns immer für solche Projekte engagiert, aber nie eine riesige Kampagne daraus gemacht. Das macht man aus mehreren Gründen, z.B. damit meine Mitarbeiter auch mal einen Geflüchteten kennenlernen und auch mal merken „Oh, der ist ja sehr beliebt, weil er gut bäckt.“ Das ist aber genau das, was geschehen muss. Man muss sich kennenlernen. Ich bin wirklich kein Freund davon, dass man in dem Moment über eine Thematik herfällt. Ich bin vielleicht was das angeht sehr, sehr unpolitisch, in allgemeinen Statements.
Ich war auch erst ein einziges Mal in meinem Leben auf einer Demo und zwar im Sommer. Da wollte ich im Rosengarten Unterschriften für den Beratungsentscheid abgeben und da war gleichzeitig die Demo „Her mit dem schönen Leben“. Es ging um Wohnraum und eben auch um Geflüchtete. Da bin ich mitgegangen, weil es mir in diesem Moment auch nicht wehtat. Aber allgemein müsste ich mir im Vorfeld viel mehr darüber anhören, bevor ich irgendwo mitlaufe. Das sollte im Übrigen jeder vorher machen. Kennt ihr das typische Bild von Demos, in denen die Politiker alle in der ersten Reihe mitlaufen? Ich möchte dafür nicht gerne in die Zeitung. Ich möchte gerne ein Signal setzen, aber mich eben nicht verkaufen.
heuler: Aber es lässt sich doch ganz gut auf Rostock anwenden, da die Familie von Mehmet Turgut sich schon sehr lange dafür einsetzt, dass der Platz, an dem er getötet wurde, nach ihm umbenannt wird. Bis heute ist in dieser Richtung noch nichts passiert. Wäre das nicht eine Möglichkeit, ein Signal zu setzen?
Herr Madsen: Das ist auf jeden Fall ein super Vorschlag! Ich habe es nur erlebt, wie schwer es in Warnemünde war, eine Straße in Stephan-Janzen-Platz umzubenennen. Da gab es eine wahnsinnige Diskussion. Jetzt weiß ich leider nicht, wie die Straße heute heißt. Hoffentlich nicht Richard Wagner oder so, wo dann halt alle „Um Gottes Willen!“ schreien. Diese Idee nehme ich auf jeden Fall aus unserem heutigen Gespräch mit, denn das ist genau das, was ich meinte.
Ich habe z.B. auch eine Kranzniederlegung, für das 75-jährige Jubiläum der Befreiung, niedergelegt. Das war für mich sehr komisch, denn ich habe im Namen der Deutschen einen Kranz niedergelegt, obwohl ich eigentlich Däne bin. Das hat nichts damit zu tun, dass ich nicht bereit bin, ein Signal zu setzen. Aber es war irgendwie merkwürdig. Müsste ich mich für etwas entschuldigen, was die Wikinger getan haben, dann gut, aber so war es echt ein sehr emotionales Gefühl. Ich habe es im Namen meines Amtes getan, um später nicht wieder falsch dazustehen, obwohl man mir erzählte, dass mein Vorgänger die letzten 14 Jahre nicht dort war.
Ich versuche alle Signale, die in meiner Macht stehen, zu senden. Aber wenn ich es noch im größeren Umfang betreiben würde, benötige ich irgendwann Polizeischutz. Das muss man sich auch bewusst machen, ob man das wirklich will. Bei jedem kleinen Post bekomme ich Hasskommentare oder Sprachnachrichten und die will man eigentlich gar nicht haben. Von der Warte her muss man das alles mit Vorsicht angehen und mit Intelligenz einzelne Themen ansprechen. Denn es wird einem auch schnell vorgeworfen, wenn man manche Dinge zu billig verkauft! Der komische Ex – AfD-Typ, der rausgeflogen ist, weil er zu radikal war, der hat im Wahlkampf ein Video gepostet, in dem er gesagt hat: „Bockhahn ist der größte Schwachmat, also nicht viel weniger Schwachmat als der Madsen, aber wenn ich unter beiden Vollidioten wählen müsste, dann würde ich Madsen nehmen!“. Und dann haben alle, insbesondere aus dem linken Spektrum verlangt, dass ich eine Gegendarstellung verfasse. Da denkt man sich nur, warum soll ich jetzt sein Video noch mehr interessanter machen, indem ich noch ein Gegenstatement sende? Die Linke hat dann dieses Video immer wieder in meinen Verlauf reinkopiert. Da fragt man sich dann schon, ob man das politisch überhaupt alles will!
heuler: Das alles zeigt ja, wie sehr Sie unter einem öffentlichen Druck stehen. Wie können Sie dann überhaupt noch zu Hause abschalten? Wie schaffen Sie es, damit umzugehen und sich das alles nicht zu sehr zu Herzen zu nehmen, um dann am nächsten Tag wieder motiviert hier ins Rathaus zu kommen?
Herr Madsen: Wenn man abends nach Hause fährt, fühle ich immer Stolz und Frohsein darüber, was Rostock doch für eine tolle Stadt ist. Wir haben wirklich eine super Stadt! Ich fahre nach Hause und denke mir: „Wow, ich bin Bürgermeister!“.
Übrigens, am ersten Tag haben sie mich hier rein gelassen – Tür zu – und da musste ich mich erstmal setzen, da man das alles noch gar nicht so schnell realisieren kann. Das kann man ja schließlich nicht vorher spielen. Das ist man nun einfach und darüber ist man auch einfach stolz. Wenn wir dann noch Sachen erledigt bekommen, und das passiert nicht häufig, dann freut man sich an diesem Tag umso mehr. Wir hoffen z.B. auf eine Sondergenehmigung für eine Brücke. Dann bekommen wir diese auch und sind darüber im Team total happy.
Sich Ablenken kann man wiederum fast gar nicht. Denn ich nehme in der Regel immer Unterlagen mit nach Hause und arbeite immer bis 1 Uhr nachts, um die letzten Papiere einfach weg zu haben. Von daher ist das wirklich echt schwierig.
Parallel bin ich auch noch Handballtrainer beim SV Warnemünde. Das ist dann so ein kleiner Ausweg, wenn ich mit den Mädels unterwegs bin. Das ist eine ganz andere Welt. Aber auch da kommen z.B. die Gegner und sagen: „Was? Das ist der Bürgermeister?“ Nein, lasst mich heute doch einfach nur Trainer sein. Das macht es wirklich schwer.
Ich hatte früher auch eine kleine Tradition: Ich habe morgens im Café immer meinen Kaffee getrunken und meine Zeitung gelesen. Das ging am Ende dann leider nicht mehr, weil bereits morgens Leute anfingen sich anzustellen, um mit mir zu reden. Sie haben sich nicht mal hingesetzt. Sie standen einfach nur da und ich musste diese Tradition abschaffen. Das sind natürlich Einschränkungen, die nicht ganz so toll sind. Aber ich finde dennoch, dass es wichtig ist, in einem Dialog zu stehen. Die Bürger*innen haben ihren Repräsentanten gewählt und deswegen ist der Ausschluss von Dialogen mit ihnen nicht der richtige Weg. Man kann und sollte mit ihnen reden, mit jedem von ihnen, egal welche Meinung er, sie oder es vertritt, aber dann müssen sie mit Inhalten kommen. Das heißt nicht, dass ich sie respektiere und gut finde. Aber es ist eben auch die Pflicht eines Bürgermeisters, meiner Meinung nach, alle Gewählten Anwesenheit zu gewähren. Ich kann also auch nicht so tun, als wären sie nicht da. Wir müssen dabei auch immer über Inhalte und nicht über Stigmata kommen, denn bei manchen kommt nicht viel über Inhalt. Dieser Weg wäre viel schlauer! Sie kommen eben auch oft mit Anträgen, die nur auf Hass beruhen und beim Abstimmen ist sich aber der Rest einig: „Nein, danke und weiter!“
Das klingt zwar sehr skandinavisch, aber wir denken in Deutschland in schwarz und weiß. Wehe, man bekennt sich nicht gleich zu schwarz oder weiß, dann löst das bei vielen Menschen Entsetzen aus. Da sind die Leute in Skandinavien viel offener für Dialoge. Da gibt es Grauzonen, die nicht immer gut sind, aber für die Demokratie wiederum schon. Denn wenn ich jemandem verbiete, das zu sagen, dann wird seine Meinung vermutlich radikaler, als wenn ich mit denen auf einer Ebene eine Diskussion geführt hätte. Aber das beruht einfach auch auf meiner Erziehung. Auch wenn viele kulturell immer wissen wollen, wie wir das in Dänemark machen, dann muss ich immer sagen, dass das hier nicht funktionieren würde, weil die deutsche Gesellschaft anders ist und sich erstmal in diese Richtung bewegen muss.
heuler: Vermissen Sie manchmal Ihren alten Job?
Herr Madsen: Eigentlich komme ich gar nicht dazu, darüber nachzudenken. Ich bin immer erschrocken darüber, wie schnell die Zeit vergeht. Ich vermisse manchmal wirklich nur Claus. Einfach mal in Ruhe eine Bockwurst oder ein Eis zu essen oder im Alex zu sitzen. Heute Morgen kam ich z.B. ins Büro und da war eine Kindergarten-Truppe hier. Das war so stark. Sie hatten alle gute Laune und ich habe ihnen mein Büro gezeigt. Dann denkt man sich wirklich: „weltbester Job“! Gut gelaunte Kinder, die ein paar Räubergeschichten erzählen und ich habe ihnen auch noch den Bürgerschaftssaal gezeigt, damit sie ein wenig Verständnis für Politik bekommen. Das macht dann wirklich Spaß. Aber gleichzeitig kommt auch so ein wenig durch, dass man irgendwie nie alleine ist. Ein Bürgermeister ist wirklich niemals alleine! Überlegt mal, wann seid ihr wirklich nie nie alleine. Das gibt es bei mir nicht! Da denkt man natürlich, in der Dusche hat man mal seine Ruhe, aber da rennen dann meine beiden Mädels, meine Frau und meine Tochter, morgens rum. Da sie mich natürlich fast nie sehen, haben sie großen Bedarf mir etwas zu erzählen, aber man möchte eigentlich nur in Ruhe duschen.
Der Oberbürgermeister hat hier im Rathaus sein eigenes WC und später habe ich auch gemerkt, was das für ein toller Raum ist. Da ist so ein flower-power Duft drinnen und der erinnert mich irgendwie an Freiheit. Sonst steht man ja dauerhaft unter Beobachtung und die Leute starren einen an. Und das ist eben auch gewollt. Die Leute sagen auch immer, dass ich es mir ja schließlich selbst ausgesucht hätte. Mein Lieblingsbeispiel ist, „der/ die Florist*in zu sein“. Du hast dir den Job ausgesucht, weil du kreativ bist und Menschen gerne eine Freude bereiten möchtest und nicht, weil du morgens um 4 Uhr im Großmarkt stehst. Da sagt auch niemand, dass hättest du dir selbst ausgesucht. Na klar, habe ich mir das alles ausgesucht. Aber die Bürger habe ich mir nicht ausgesucht. Ich glaube, dass man das alles auch mit etwas Humor nehmen muss. Es ist ja auch irgendwo toll, dass die Menschen das so engagiert mitnehmen. Während eines Live-Interview mit dem dänischen Fernsehen nach der Wahl kam auch ein Bürger und fragte mich, ob er mir ein Eis schenken dürfte. Ich nahm das Eis und da kam auch schon der nächste und wollte mir auch eins schenken. Da sagte der Journalist zu mir: „Claus, ich habe gerade eine Reportage gehabt, da habe ich einen Politiker begleitet und wenn ich mit dem irgendwo hinkam, da sind die Leute förmlich weggerannt.“ Na klar, ist das irgendwo schon eine Besonderheit, worauf wir als Rostocker*innen stolz sein können: ein ausländischer Bürgermeister. Das ist doch mega cool! Also das beziehe ich jetzt nicht auf mich, sondern auch deutschlandweit.
Eine Produktionsfirma sagte einmal zu mir, wie toll junge Hamburger*innen über Rostock denken. Was wir hier erleben, ist echt Wahnsinn. Viele haben immer gesagt, wenn ich das gewinne, dann wäre das so großartig für Rostock, gerade wegen diesem Ausländeraspekt hier. Aber dann gucke ich in die Rostocker Medienlandschaft, die das komplette Gegenteil tun. Sie sollten doch mal so schlau sein und zeigen, was Rostock alles kann und wie toll es ist. Das hätte ich zumindest gemacht. Irgendwie sind wir immer so selbst vernichtend. Es wäre so clever gewesen, diesen Stolz zu vermarkten. Dabei geht es nicht um mich, sondern um dieses weltoffene Rostock. Rostock hat sich bewegt und ist nicht mehr nur noch ein Haus mit einer Sonnenblume! Das macht die ganze Welt, nur eben Rostock nicht! Das ist nun mal so und da müssen wir eben leider durch.
In meinen Augen werden positive Nachrichten nur ganz klein abgedruckt, wie die zusätzlichen 40 Millionen Euro, die wir für die BuGa bekommen haben. Das Verbot von Fleisch bei öffentlichen Empfängen war hingegen riesengroß auf der Titelseite. Im Nachhinein teilte man mir mit, dass sie dachten, die Menschen würden über mich herfallen — aber im Gegenteil, ich habe mehr positive Mitteilungen bekommen. Ich habe über Nacht über 100 vegane Freunde bei Instagram dazu gekriegt. Dieser Journalist schrieb mir dann „Gurkenguru“. Darauf habe ich am nächsten Tag ein Bild gepostet, wie ich Gurken schneide, weil ich Gäste bekam. Ich wollte das schließlich ein wenig auf die Schippe nehmen und dann schreiben mir Leute, ob ich nicht Präsident von Österreich werden würde. Kann man nicht gleichzeitig etwas fürs Rathaus machen und trotzdem weiter sein Leben führen? Ich esse schließlich auch super gerne Currywurst. Da sieht man auch, wie wenige es begriffen haben, worum es in meinem Job eigentlich geht und das bedarf große Veränderungen in unserem Verhalten.
heuler: Ein schöner Schlusssatz! Vielen Dank für die ausführliche Beantwortung unserer Fragen und die kleinen Anekdoten aus dem Alltag eines Oberbürgermeisters.
* Anm. d. Red.: Das Eröffnen eines Bankkontos kann für die Internationals schwierig sein. Das hat aber wenig Einfluss auf die Wohnungssuche. Internationals benötigen, um in Deutschland studieren zu können im Vorfeld 10.200€ auf einem Sperrkonto. Für eine Verlängerung des Übergangsvisums benötigen sie eine Wohnung. Um bei der WIRO (Wohnungsgesellschaft der Stadt Rostock) eine Wohnung zu bekommen, benötigen sie ein Visum und einen Arbeitsvertrag oder eine (deutsche) Bürgschaft – die 10.200€ zählen nicht als Sicherheit. Der Teufelskreis besteht also zwischen Visum, Bürgschaft und Wohnung und da könnte die Stadt Verfahren ändern.