von Jolissa Rusin.
Über persönliche Impulse für einen bereichernden Umgang und einen unbeschwerten Alltag ohne Reizüberflutung.
Aus dem Archiv: Heft Nr. 123.
Im Märchen „Die Prinzessin auf der Erbse“ von Hans-Christian Andersen schlief die Prinzessin auf zwanzig Matratzen, mit zwanzig Daunendecken obendrauf und einer Erbse ganz unten, auf dem Boden der Bettstelle. Am Morgen danach wurde sie gefragt, wie sie geschlafen hätte. „Oh, entsetzlich schlecht!“, sagte die Prinzessin. „Ich habe fast die ganze Nacht kein Auge geschlossen! Ich habe auf etwas Hartem gelegen, sodass ich am ganzen Körper ganz blau bin! Es ist ganz entsetzlich!“
Diese Feinfühligkeit besaß niemand außer einer echten Prinzessin. Doch wie sieht die Realität fernab vom Märchen aus? Was genau zeichnet Menschen mit einem Konglomerat aus Feinfühligkeit, Hochsensibilität und Empathie aus? Wie können sie ihre Fähigkeiten in ihren Alltag integrieren und als Vorteile nutzen?
Hochsensibilität – Von wegen Mimose!
Hochsensible Menschen erleben die Welt mit ein wenig anderen Augen. Sie erleben die Welt ein wenig mehr, ein wenig intensiver, ein wenig heller, ein wenig lauter. Manchmal ist dieses „ein wenig“ ein „Zuviel“. Dein „Zuviel“ verwandelt sich in Stärke und Kraft, wenn Du weißt, wie Du mit Deiner Fähigkeit umgehst. Was wir Menschen am meisten benötigen, ist, uns zu fühlen. Nur so kann Heilung und Liebe entstehen.
Das Phänomen der Hochsensibilität wurde Ende der 90er Jahre von der amerikanischen Psychologin Elaine Aron beschrieben und untersucht.
Eine neurowissenschaftliche Definition gibt es allerdings nicht. Ihr zufolge reagieren hochsensible Personen empfindlicher als andere Menschen auf Reize, sowohl innere als auch äußere, und verarbeiten diese auch intensiver. Basierend auf den wissenschaftlichen Arbeiten von Alice Miller, Carl Gustav Jung, Iwan Pawlow und Jerome Kagan entwarf sie ihre Theorie, dass 15 bis 20 Prozent der Menschen Reize stärker aufnehmen als andere und somit als hochsensible Persönlichkeiten (HSP) bezeichnet werden können. Hochsensible Menschen sind besonders leistungsfähig und gehen mit einer anderen Grundhaltung auf die Welt zu. Übererregbarkeit und starke Gefühlsreaktionen, genaues Wahrnehmen von Details, Fantasie und Kreativität in Musik, Kunst und Literatur, Hilfsbereitschaft, Engagement für Schwächere, Verbundenheit zur Tierwelt und Natur, hohe emotionale Intelligenz, Sinn für Planen und Vorausdenken sowie die Liebe zur Harmonie sind Merkmale, die den Hochsensiblen zugesprochen werden. Eine intensive Wahrnehmung führt dazu, dass sie weitaus mehr Informationen aufnehmen und verarbeiten können. Diese Fähigkeit kann sie aber gleichzeitig auch überlasten, sodass sie sich gestresst und von umgebenden Reizen überflutet fühlen.
Gehe dorthin, wo Liebe für dich ist!
Die situationsabhängige Stimmung des eigenen Ichs sowie die Gefühle anderer Menschen sind Beispiele für die inneren Reize. Äußere Einflüsse können Benzingeruch, starke Duftstoffe wie in Parfüms, Chemikalien in Putzmitteln, Tabakrauch und Straßenlärm sein. Abwehrreaktionen des Körpers und sich entwickelnde Allergien können auftreten. Momentan wird das Phänomen der Hochsensibilität von vielen Psychologen und Wissenschaftlern kritisch betrachtet und ist weit umstritten. Dabei handelt es sich nicht um eine psychische Störung, sondern um eine besondere Form der Reizverarbeitung.
Empathie – Fundament pädagogischer Professionalität?
„Als Empath ist es mein größter Wunsch, dass es meinen Mitmenschen gut geht.“
Empathie bedeutet Mitgefühl, die Blicke des anderen zu lesen, zu deuten, mit den Augen des anderen zu sehen, auf Emotionen einzugehen, Motive des anderen zu verstehen, mit den Ohren des anderen zu hören, mit dem Herzen meines Gegenübers zu fühlen und noch viel mehr. Empathie lässt sich mit dem Wort Einfühlungsvermögen definieren, beruht auf der kognitiven Ebene und beschreibt die Einnahme der Perspektive einer Person und das Nachempfinden ihrer Gefühlswelt in Abhängigkeit von persönlichen und sozialen Handlungsweisen. Die Gedanken und Gefühle des Gegenübers werden verstanden, indem man sich in die Lage des anderen versetzt, ohne es selbst zu erleben. Die Empathie ist einer der umstrittenen Teilbereiche der Hochsensibilität. Doch nicht jeder Hochsensible ist ebenso empathisch begabt. Im Gegensatz dazu, ist jeder Empath jedoch hochsensibel. Rund 10 bis 20 Prozent aller Menschen sind empathisch begabt. Auch Menschen, die nicht besonders hochsensibel oder empathisch veranlagt sind, können ihre empathischen Fähigkeiten durch Bewusstsein über ihre Fähigkeiten, Reflexion, Techniken und eine natürliche Lebensweise steigern.
Empathische Menschen lassen sich generell sehr von außen beeinflussen. Umgeben von Menschen, die sich gegenseitig fördern, ehrlich und aufrichtig sind, die sich Komplimente machen, Vertrauen schenken, die gegenseitig geben und nehmen, die sich lieben, fühlen sie sich verstanden, wertgeschätzt und pudelwohl.
Nun stelle ich Euch meine Tipps vor, die Euch als Empathen und Hochsensible das Leben leichter machen können:
Erkenne Deine Grenzen!
Reflektiere Dich selbst und Deine Gefühle. Was kommt von mir? Was von den anderen? Es ist in unserer leistungsorientierten Welt kein Phänomen, dass Menschen sich unautorisiert verhalten und verstecken, nicht preisgeben, wer sie sind, weil sie bestimmte Merkmale ihrer Persönlichkeit nicht mögen. Ein Empath hingegen besitzt die Fähigkeit, dies zu reflektieren.
„NEIN!“
Eine große Herausforderung für Empathen ist es, oft „Nein!“ zu sagen, da sie zuerst an die Bedürfnisse, Gedanken und Gefühle der anderen denken. Wenn Du Dich als Empath dazu entschließt „Ja!“ zu sagen, dann vergewissere Dich auch, dass dieses „Ja!“ kein „Nein!“ zu Dir selbst ist. Sehr wichtig dabei ist, dass Du Deine Integrität bewahrst und Deine Liebe zu Dir selbst aufrechterhältst. Ein authentisches Leben mit Liebe zu Dir selbst, Respekt vor Dir selbst und eigenen klar gesetzten Grenzen zeigt auch anderen, wie sie mit Dir umgehen müssen. Nutze Deine Empathie, um die Menschen um Dich herum einschätzen zu können. Gibt es jemanden, der Dein „Nein!“ nicht akzeptiert?
Spare Dir das „WEIL“!
Empathen verstricken sich oft in Erklärungen und Rechtfertigungen. Manchmal ist die klügere Art und Weise, einfach nur seine Meinung zu äußern und sich die Begründung zu sparen. Vorsicht! Narzisstische Personen nutzen Deine Erklärungen und Rechtfertigungen aus, um Dich von Anderem zu überreden, was diesen Personen besser gefällt.
Wenn Du doch das Gefühl haben solltest, Dich erklären zu müssen, stelle sicher, dass Du es nicht aus Druck, Unsicherheit oder Angst machst. Mache deutlich, dass Du mitteilen möchtest, was in Dir vorgeht.
Habe Mut zur Lücke!
Versuche Menschen mit Deinem Übermaß an Gefühlen nicht zu überfordern und gebe ihnen Zeit.
Energiesparmodus und Zeitmanagement
Plane Deine Zeit frühzeitig, übernimm nicht zu viele Projekte auf einmal. Gönne Dir Pausen und erledige Aufgaben möglichst nacheinander. Versuche Abschaltrituale in Deinen Alltag zu integrieren.
Wähle Deine Freunde bedacht!
Je mehr Du Deine Entscheidungen liebst,
desto weniger musst Du diese vor anderen rechtfertigen.
Freunde, die Dich ständig kritisieren oder Dir als Witz getarnte stichige Seitenhiebe geben, die Dich unter Druck setzen, kannst Du streichen. Du kannst Dich von Menschen entfernen, die Dein „NEIN!“ nicht akzeptieren, die in Konfliktsituationen die Achtung vor Dir verlieren oder unehrlich zu Dir sind. Trenne Dich von Menschen, die Dir generell ein schlechtes Gefühl geben. Wenn Du Dich derzeit innerhalb eines falschen Freundeskreises befindest, ist genau der Freundeskreis dafür da, um Dir zu sagen, dass es an der Zeit ist, weiterzugehen. Dorthin, wo Liebe für Dich ist. Dein eigener Freundeskreis ist immer auch ein Spiegel dafür, wie Du zu Dir selbst stehst. Bringe den Menschen bei, wie sie mit Dir umgehen sollen, indem Du Dich selbst liebst und achtest.
Gehe dorthin, wo Liebe für Dich ist!
Quellen
Aron, Elaine: The Highly Sensitive Person. How to Thrive When the World Overwhelms You. Replica, Bridgewater 1996.
Aron, Elaine: The Highly Sensitive Person in Love. Understanding and Managing Relationships When the World Overwhelms You. Broadway, New York 2000.
Illustrationen: Rosa Staiger
Danke für diesen wunderbaren Artikel über Hochsensibilität und Empathie!