von Maxi Perten. Illustrationen: Steffen Dürre
aus dem Archiv: Heft Nr. 124.
Was ist eigentlich typisch deutsch? Laut Mythos sind es weiße Socken in Sandalen, Oktoberfest, Bierbauch und Sauerkraut. Doch stimmt das wirklich? Auf meiner Suche habe ich mich mit Erasmus-Studenten, die seit einem halben Jahr in Deutschland wohnen, unterhalten und sie gefragt, was ihrer Erfahrung zufolge den typischen Deutschen ausmache. Beim Zusammentragen der Ergebnisse konnte ich mir zwei Dinge nicht verkneifen: zu lachen und mich so deutsch zu fühlen, wie wahrscheinlich nie zuvor. Der typische Deutsche, so die einhellige Meinung, ist immer und überall nackt. Nackt beim Sich- Umziehen am Strand – Ganz ehrlich, das zählt doch nicht! – oder beim Duschen in Fitnessstudios oder Schwimmbädern – Gut, das zählt und machen wohl auch die meisten Deutschen unter 25, mich eingeschlossen, ziemlich verlegen. Kinder sieht man im Sommer am Strand und in den Brunnen der Innenstadt grundsätzlich nackt. Letzteres fanden alle Erasmus-Studenten ziemlich unglaublich. Als ich das erste Mal mit einer Studentin aus England am Pornobrunnen – Ein zutiefst unpassender Name an dieser Stelle! –, in dem nackte Kinder spielten, vorbeiging, schaute sie mich mit riesigen Augen an und fragte: „Habt ihr Deutschen denn gar keine Angst vor den Pädophilen?“, als wäre die Rede von einer Alien-Invasion. Der typische Deutsche geht niemals bei Rot über die Ampel, wenn ein Kind zusieht. Das ist mir noch nie aufgefallen. Doch es stimmt: Wenn ich an einer roten Ampel stehe und weit und breit kein Auto kommt, dann schaue ich mich erst um, ob Kinder in der Nähe sind. Kann ich keine Kinder entdecken, dann gehe ich über die Straße; sehe ich ein Kind, bleibe ich stehen und warte. Der typische Deutsche wird im Supermarkt zum Tier. Wir Deutschen sind wirklich ein sehr höfliches und zivilisiertes Völkchen – doch nur genau so lange, bis wir im Supermarkt an einer langen Schlange stehen und eine neue Kasse aufmacht. In diesem Moment vergessen wir ganz plötzlich unsere jahrelang hart antrainierten Manieren und werden zu keuleschwingenden Neandertalern, die, andere Kunden aus dem Weg boxend, wie Wilde die neu geöffnete Kasse stürmen.
Der typische Deutsche gratuliert anderen nie im Voraus zum Geburtstag, da dies Unglück bringe. „Ihr spinnt doch, ihr Deutschen!“, war hier die allgemeine Ansicht. Lauthals versuchte man, mir von allen Seiten aufgebracht zu erklären, dass es doch viel besser sei, schon bis zu einer Woche (!) vor dem Geburtstag Glückwünsche und nette Worte zu empfangen. An dieser Stelle konnte ich mir, ganz die Deutsche, ein „Mag sein, bringt aber Unglück“ nicht verkneifen. Der typische Deutsche trägt eine Jack-Wolfskin-Jacke. Das typisch deutsche Ehepaar über 40 trägt Jack-Wolfskin-Jacken im Partnerlook. Der typische Deutsche hat ein Fahrrad; doch anstatt damit zu fahren, nimmt er es lieber mit in Bus oder Bahn und sorgt damit für akuten Platzmangel. Der typische Deutsche muss in Restaurants oder Cafés für Leitungswasser bezahlen. Der typische Deutsche findet dies nicht unglaublich geizig. Der typische Deutsche isst mehrmals die Woche Döner und schmiert auf alles Remoulade – außer auf Döner.
Ich denke, dass weiße Socken in Sandalen und Sauerkraut mittlerweile einfach einer anderen Generation angehören – und vielleicht sind die Entdeckungen der Erasmus-Studenten eben die Stereotype von uns, einer neuen Generation.
Kommentar: Auch Ihr seid deutsch!
von Oliver Kleinert
Gebt‘s zu, auch Ihr habt beim Lesen die Stereotype mit Euch selbst abgeglichen. Tut lieber nicht so scheinheilig, denn auch in Euch steckt etwas typisch Deutsches. Ist das jetzt schlimm? Macht das krank? Kann man davon sterben? Nein, im Normalfall nicht. Nichtsdestotrotz hat es etwas Belustigendes, auch mal die kleinen kulturellen Macken, über die man bei anderen so oft lacht, schmunzelnd bei sich selbst zu erkennen. Lacht über Euch, lacht über uns, denn Lachen macht gesund. Und Döner macht schöner.