Text: Jonathan Pfeufer // Foto: Vanessa Stöter
Heute liegt der Wortschatz einer:s deutschen Muttersprachler:in bei ungefähr 300.000 bis 500.000 Wörtern, von denen wir gerade einmal 12.000 bis 16.000 aktiv benutzen und knapp 50.000 passiv verstehen. Bei der Menge an möglichen Wörtern und dem geringen tatsächlichen Gebrauch verbleiben viele jedoch im Reich der Vergessenheit. Doch dieses vergessene Wortmeer bietet uns gleichzeitig die einmalige Chance, auf eine sehr ungewöhnliche Schatzsuche zu gehen. Eine, die auch schon die Brüder Jakob und Wilhelm Grimm antraten. Sie sammelten nämlich nicht nur Märchen und Volkserzählungen, sondern auch Wörter, und legten dabei den Grundstein des „Deutschen Wörterbuches“ (von 1852 bis 1971 herausgegeben). Welches mit einem Umfang von ungefähr 450.000 Stichwörtern, dem Wortschatz von heute recht ähnlich sieht. Der Unterschied liegt allerdings dabei, dass viele dieser Wörter längst nicht mehr im Gebrauch sind, also endgültig auf dem Grund des Meeres versunken sind. Aber genau dort soll es hingehen, in die Sphäre der vergessenen Wörter vergangener Zeit, Zeiten unserer Eltern und Großeltern: In das Antiquariat der Wörter. Und wer weiß, welche Wortperlen für kommende Gespräche sich dort noch finden lassen.
Nun soll hier nicht plump gefischt werden! Daher will ich den Worten erst einmal neues Leben einhauchen, sie in eine lebendige Welt setzen und dort ihre verblasste Kraft in neuem Glanz erstrahlen lassen:
„Heute war es endlich soweit. Er freute sich schon seit Tagen auf das ausgemachte Stelldichein im Café zur goldnen Sonne, hier direkt an der Ecke seines Wohnblockes und gegenüber des wunderschönen Josephinenparks. Er hatte dafür extra den heutigen Tag ausgesucht, da eine Musikgruppe spielen sollte und so die Gesellschaft gleich noch besser werden würde. Das Programm passte fabelhaft, da hauptsächlich Gassenhauer aller Art das Repertoire der Musiker:innen schmückten. Die Freude, die er verspürte, war auch auf ihrer Seite mit starken Gefühlen vernehmbar, da sie sich beim letzten Mal so gut zu unterhalten wussten, wie sie es lange nicht mehr erlebt hatte. Sie litt unter viel unromantischem Brimborium, durch Herren, die es nicht verstanden, eine gute Unterhaltung mit ihr zu führen. Heute jedoch verlief der Nachmittag wie im Traume. Sodass man sich noch entschied, das Apostelpferd reitend, den Josephinenpark zu besuchen. Kaum hatten sie die Hälfte des Parks – weiter vertieft in ihre schmeichelnden Gespräche – durchquert, da schlug das Wetter plötzlich um. Es begann zu schütten, wie aus Eimern. Daher wurde, der vorher als Spazierstock genutzte Paraplü, kurzerhand zum mobilen Unterstand umfunktioniert, und beide schmiegten sich eng aneinander unter den Regenschutz. Dicht an dicht und weiter fröhlich plaudernd, kamen sie bei ihrer Haustür an. Beide verabschiedeten sich herzlich und voller Freude über diesen Tag. Er sah sie noch mit wehendem Rock die Treppe hinauf huschen und weg war sie. Da trat er zurück auf die Straße, wusste fest, dass er sie wiedersehen würde und ging mit hohem Herzen Heim.“
Die Wunderwaffe des Verstehens ist der Kontext, der auch hier unseren Wörtern das Leben einhaucht. Doch soll jedes noch um seine ganz eigene Geschichte erweitert werden.
Das Stelldichein ist eine von Joachim Heinrich Campe vorgeschlagene Eindeutschung des französischen Begriffs Rendez-vous aus dem Jahr 1791. Genau bezieht es sich nur auf eine Verabredung oder Zusammenkunft, wird aber später sehr stark auf eine romantische Verabredung bezogen, besonders in der Literatursprache. Ein Gassenhauer ist ein sehr bekanntes, meist volkstümliches Lied. Er wurde in der Ursprünglichkeit meist von Spielmännern auf der Straße geleiert, meist dort, wo es auch viele Menschen gab, die es hören konnten. Heute wäre der Begriff Hit wohl am besten geeignet, den Gassenhauer zu beschreiben. Das Brimborium verdankte seine Bekanntheit einem der berühmtesten Deutschen Werke, Goethes Faust. Es entstammt ursprünglich aus dem Französischen und bedeutet dort Lappalie oder unnützer, überflüssiger Aufwand. Das Apostelpferd reiten war ein humoristischer Ausdruck für zu Fuß gehen. Heute natürlich längst vergessen, dennoch gibt es noch vergleichbare Floskeln im aktuellen Jargon, die auf ähnlich humoristische Art und Weise ausdrücken wollen, dass es nur noch zu Fuß weiter geht. Abschließend noch das schönste Wort, wenn man rein den Klang betrachtet, der oder das Paraplü. Heute noch im Kölschen Raum regulär verwendet, entstammt es ursprünglich, wie vieles dieser Zeit, dem Französischen. Dabei gehört es, wie das Brimborium, zu den sogenannten Gallizismen und bedeutet hier ganz einfach Regenschirm.
Jetzt bietet es sich an dieser Stelle an, die Geschichte erneut zu lesen, falls vorher noch Fragezeichen über den Worten standen, sollten sie jetzt verschwunden sein. Hinzu kommt die Möglichkeit, den neu gewonnenen Wörtern einmal selbst das Leben einzuhauchen. Deshalb viel Spaß beim Benutzen, Ausprobieren und Experimentieren.