von Vanessa Stöter // Illustration von Luca Butt
“Arbeit mit Kindern kann Spaß machen.” Diese Aussage ist mehr als nur ein Ideal. Viele Projekte machen den Wunsch vom Lernen pädagogischer Methoden zur Realität und bringen Menschen verschiedenster Alters- und Berufsgruppen zusammen – unter dem Umbrella Term Ehrenamt. Freiwilliges Engagement im Sportverein, an der Tafel, Mitarbeit in Ferienlagern, Jugendtreffs und Workshops: dieser Artikel setzt sich näher mit einem Thema auseinander, das meist mit Mühe, Schweiß und Tränen assoziiert wird. Warum diese Assoziationen irreführend sind und zugleich den Kern der Sache treffen, wird dieser Artikel versuchen zu klären.
Nicht nur aber insbesondere Bildungswissenschaftler:innen und Lehramtsstudis wünschen sich oft mehr Praxis als ein Studium bieten kann. Die Praktika decken selten den Bedarf an praktischer Erfahrungssammlung ab, den sich angehende Didaktiker:innen wünschen. Vielleicht weist das Ausüben einer ehrenamtlichen Leistung eine tolle Richtung hinaus aus der Elfenbeinturmpädagogik und hinein ins tatsächliche Getümmel. “Arbeiten mit Menschen” – das sollen Kinder- und Jugendhilfe, Bildungsprojekte und Lehrtätigkeiten doch verkörpern, oder nicht? Dieser Beitrag richtet sich an alle, die sich eine Navigationsstütze durch den Theoriewald wünschen und tatsächlich im “Einfach mal Machen” ankommen wollen.
„Ehrenamt geht vor Hauptamt.”
In Zeiten von Workaholic Coachings, Hustle Culture Lifestyles und maximaler Selbstoptimierung scheint es absurd, Energie und Zeit in ein Projekt zu stecken, das neben Studium, Job und Co. Anstrengung abverlangt – und das ohne Vergütung. Ackern statt Freizeit? Warum sollte man “sich das antun”?
Im Gespräch mit der diesjährigen Leitung des Kindercamps “Ratz Platz” – einem kirchlichen Zeltlager auf dem Gelände des Schlosses Dreilützow definierten Orgateammitglieder Sara und Patrick folgende Gründe für ihr persönliches Engagement: Soziale Wurzeln lockern sich – nicht nur bei den Kindern, sondern auch im Team. Alle packen an und das verbindet. “Vergangenes Jahr hatten wir beispielsweise einen Jungen, der starkes Heimweh hatte. Man hat im Umgang damit so seine Möglichkeiten und im Versuch den Jungen aufzufangen, kam es irgendwann dazu, dass sich das Kind sehr an mich gebunden hat. Er hat viel gebastelt, wir waren gemeinsam im Kreativzelt oder haben Zeit am Bauwagen beim Camppostkasten verbracht. Das war schön, aber auch nicht immer leicht. Aber ganz ehrlich: zu sehen, wie stolz dieses Kind am Ende der Woche auf sich war, weil es durchgehalten hat und seinen Eltern begeistert vom Klettern, Basteln und Spielen erzählte – das hat mich fast genauso stolz gemacht.”
Ein Lehramtsstudent unserer Uni berichtet Ähnliches: “Ich probiere viele verschiedene Projekte aus. Sei es nun eine Naturfreizeit wie Kanusommer oder ein Zeltlager wie das Lalula: ich finde es toll, Kindern Freude zu schenken. Persönlich nehme ich natürlich auch das Erfolgserlebnis gerne mit, treffe Menschen mit ähnlichen Werten und Vorstellungen, probiere aus und entdecke meinen eigenen pädagogischen Standpunkt. Aber am Ende tun wir das nicht nur für uns, sondern in erster Linie für die Kinder. Und auch wenn es kräftezehrend sein kann, haben sowohl wir als auch die Kinder – hoffentlich – Spaß dabei.” Speziell in Bezug auf Menschen erzieherischer und lehrtätiger Berufszweige zeigt sich zudem eine Beobachtung auf, auf die eine Erzieherin aufmerksam machte, die ebenfalls seit Jahren neben ihrem Job Raum für Sommerfreizeiten schafft. Sie macht vom sogenannten Bildungsurlaub Gebrauch. In Mecklenburg-Vorpommern ist die Freistellung von bis zu zehn Tagen innerhalb von zwei Jahren möglich (siehe Bildungsurlaub Mecklenburg-Vorpommern: Infos & Angebote ). Außerdem habe sie das “Privileg eines tollen Chefs.” Er formulierte auf ihren Antrag hin die Aussage: “Ehrenamt geht vor Hauptamt.” Eine Aussage, die ruhig mal auf sich wirken lassen kann.
“Erst der kleine Finger, dann die ganze Hand” – Herausforderungen
Natürlich ist jedes Projekt unterschiedlich, doch sind in Camps und/oder Ferienlagern oft freie Verpflegung, Kooperationstools zur freien Verfügung und eine Unterkunft inbegriffen. Allein dadurch steigert sich die Attraktivität der Projekte, insbesondere für Studis. Doch neben all diesen Vorteilen muss man sich auch Herausforderungen stellen, die über die momentane Anstrengung und Erschöpfung hinausgehen. Manche Projekte konfrontieren Ehrenamtliche mit ihren Grenzen, was Entwicklung fördert aber auch Stress und Erschöpfung kostet. Als Gruppenleiter oder Gruppenleiterin hat man auch immer eine Verantwortung den Kindern gegenüber. Kirchlich gestützte und geförderte Projekte der EJM (Evangelisches Kinder- und Jugendwerk) bestehen beispielsweise auf das Unterschreiben einer Bestätigung von Verhaltensregeln zum Fördern von Vertrauen und Verhindern von Gewalt. Die Trägerin von Ratz Platz beschreibt es beim Vortreffen wie folgt: “Stellt euch vor, die Eltern kommen auf den Platz und vertrauen euch ihren wertvollsten Schatz an. Jedes Elternteil für sich gibt ja gerade ihren Sohn oder ihre Tochter in die Obhut einer fremden Person. Das ist nicht zu unterschätzen. Ihr als Gruppenleitende und wir als Team haben da eine große Verantwortung.”
Neben dieser Verantwortung und dem Umgang mit eigenen Grenzen ist auch die Frage nach Kapazität entscheidend. In manchen Kreisen gilt das Bekleiden eines Ehrenamtes sogar als Privileg. “Zwar ist ein Ehrenamt kein Privileg an sich, aber Zeit zu haben, ist ein Privileg.” Der Erfahrungsschatz eines Studenten der Mathematik und Physik auf Lehramtsbasis bietet dort Einblicke in den Diskurs. “Je mehr man sich beteiligt, desto mehr Leute kommen natürlich auch dich zu. Zumindest kann es so sein. Und wenn man sieht, das Hilfe gebraucht wird, packt man mit an. Nicht immer bleibt da groß Zeit zum Reflektieren und Auswerten – später schon und dann ist es auch wertvoll, aber nicht unmittelbar.” Manche Teamer und Gruppenleitende beschreiben die Wochen in denen sie ihre Tätigkeiten bekleiden als Blase oder Rausch. “Wenn das Sommercamp vorbei ist, nehme ich mir immer erst einmal zwei Tage frei. Einen Tag zum Schlafen und einen weiteren, um darauf klarzukommen, was überhaupt alles passiert ist. Manchmal weine ich auch, wenn ich plötzlich wieder in meiner Wohnung sitze oder von Freund:innen höre. Nicht weil ich unglücklich bin oder so. Außerhalb meiner Zeit vom ständigen an-Grenzen-stoßen-und-daran-wachsen-müssen-weil-die-Situation-das-fordert, hat sich hier in den letzten sieben Tagen der Alltag in denselben Kreisen gedreht wie sonst auch. Das kann irgendwie überfordern. Zugleich bin ich stolz auf mich. Bei mir hat sich ja in kurzer Zeit viel getan.” Im Voraus lässt sich das selten abschätzen. Ein Ehrenamt zu bekleiden und/oder das generelle Engagement in verschiedenen Projekten ist ein bisschen wie “erst der kleine Finger, dann die ganze Hand”. Viele Projekte sehen dort auch die Leitung und die Organisator:innen der Projekte in der Pflicht, dort ein Sicherheitsnetz zu spannen – durch Präsenz auf dem Platz, durch Vor- und Nachbereitung, Respekt und Vertrauen.
Wo kann ich mich denn nun konkret engagieren? Impulse zur Orientierung
Prinzipiell empfehlen erfahrene Hasen verschiedener pädagogisch versierter Projekte zum Start das Belegen eines JuLeiKa Lehrgangs. “Juleika” ist die Abkürzung für den Erwerb einer Jugendleiter:in-Card (siehe juleica.de), womit ein bundesweit anerkannter Ausweis gemeint ist, der Basiswissen im Umgang mit Menschen aus der Gruppenleitungsperspektive garantiert. Allgemein gibt es verschiedene Stufen und Seminare – sodass man sich stetig weiterbilden kann – doch das Absolvieren des Grundkurses ist für viele Projekte die Voraussetzung, um mitwirken zu können. Das Wissen baut u.a. Grundlagen der Entwicklungspsychologie, Präventionsarbeit und Kommunikationsmodelle auf, wobei der Fokus stark auf die Anwendung ausgerichtet ist. Gemeinsam lernt man learning-by-doing wie man einen sicheren Nährboden für Gruppendynamiken schafft, Spiele anleitet, vorausschauend plant und Eskalationsmomente auffängt oder ausmoderiert. Ein Studium bietet meist einen wissenschaftlichen Kenntnisstand, der jedoch in konkreten Situationen nicht so sicher stützt, wie man es sich wünschen würde. Nebenbei bemerkt ist die Juleika auch ein Nice-to-have im Lebenslauf.
Im nächsten Schritt, nach dem Absolvieren des Basiskurses bietet die Juleika einige Empfehlungen für Projekte, die es in der Nähe des Standortes gibt. Dabei spalten sich die Kinder- und Jugendfreizeiten in rein ehrenamtlich gestützte Freizeitlager und solche mit hauptamtlicher Unterstützung. Welche der beiden Formen besser geeignet, ist eine individuelle Entscheidung. Auch dort ist das Ausprobieren hilfreich, denn die Organisation jedes Projektes ist einzigartig und nicht pauschal kategorisierbar. Möchte man beispielsweise einen kirchlichen Bezug oder nicht? Ist man eher für Shows, Musik und Co. oder holen einen Wildnispädagogik und Outdooraktivitäten wie Klettern und Paddeln eher ab? Für den Einstieg in die Recherche könnten folgende Ideen erste Impulse liefern:
– Pfadfinder:innen, Kanusommer und Naturcamps
– Ratz Platz – eine Art “Festival für Kinder”
– Das große Lalula und die Fette Weide
– Lokale Sportvereine (möglicherweise in Kombination mit einem Trainerschein?)
– Das Soja Projekt
– Das Netzwerk “engagierte Stadt Rostock”
– Beteiligung in der EJM
Pädagogik – “Mach doch keine Wissenschaft draus”
Didaktische Methoden, Psychologie und Erziehungstheorien sind wichtig und berechtigte Disziplinen, die die Qualität von pädagogischen Berufsfeldern bereichern. Aber vielleicht lohnt sich mal Auftauchen aus Langentwürfen, Klausuren und Fragenkatalogen. Mal beiseite mit dem Fachgeplänkel. Ehrenamtliche Arbeit lebt vom Lernen ohne Fachtermini. Patrick Ortel beschreibt sein Team als “eine Truppe cooler Leute, die Bock haben anzupacken.” Soziale Schichten, Stigmata aufgrund von Ausbildung und/oder Berufe, Altersunterschiede, Geschlecht, Sexualität, Hautfarbe – mitmachen kann, wer sich engagieren möchte. Der eigene Hintergrund schmälert niemandes Kompetenz, im Gegenteil: jede*r bringt mit, was mitgebracht werden kann. Dadurch geschieht keine Ideen- und Methodeninzucht, sondern man bereichert sich gegenseitig. Abgesehen davon “sind wir alle gleich”, wie Patrick es ausdrückt. Bringst du dein Engagement mit, bist du an Board. “Dieser Platz macht etwas mit uns.”
Ratz Platz ist ein Beispielprojekt unter vielen. Es treffen Menschen verschiedenster Kreise aufeinander und können voneinander lernen. Eine Studentin aus Leipzig beschrieb beispielsweise Erfahrungen von Spontanität in einer Woche, die auf Papier durchgeplant war, aber dieses Kontrollversprechen dahinter nicht halten konnte. “Ich hatte eine Person in meinem Gruppenleitertandem, die vom Naturell selbst eher spontan unterwegs war. Das war in der Hinsicht hilfreich, als dass er die Energie der Kinder auffangen konnte, um sie im nächsten Moment positiv und produktiv umzulenken. Daraus ergaben sich manchmal viel spannendere Situationen, die für die Kinder besser waren als eine vorher geplante Methode. Kinder sind ja keine Strohpuppen, die stets so handeln wie man es erwartet.” Dies überträgt sich auch auf die Tatsache, dass man Kinder in verschiedenen Umgebungen verschieden wahrnimmt. Schließlich sind Schüler:innen im Unterricht oftmals ganz anders als in ihrer Freizeit und den Ferien. Die Reflektion dessen zeigt, dass der Umgang im Rahmen von ehrenamtlichen Projekten zugleich eine Lektion in Sachen Menschlichkeit mitbringen kann. “Mal raus aus dem Machtgefälle Lehrkraft – Schulkind. Ich wusste gar nicht, dass ich das brauche.”