Kommentar von Sandeep Preinfalk // Illustration von Luca Butt
In Deutschland ist die Debatte um seine Verteidigungsfähigkeit wieder lauter geworden. Das Bundeskabinett hat bereits einen Gesetzesentwurf zur Stärkung der militärischen Kapazitäten Deutschlands verabschiedet und die Bundesregierung trifft erste Anstrengungen, um junge Menschen von der Bundeswehr zu überzeugen. Zwar setzen diese Maßnahmen bislang überwiegend auf Freiwilligkeit, jedoch bezweifeln Kritiker wie der Landesvorsitzende des Reservistenverbands Bayern oder diverse CDU-Politiker, dass sie zur Deckung des militärischen Bedarfs genügen werden. Demzufolge rückt auch die Diskussion um eine allgemeine Wehrpflicht in den Fokus der Politik. In diesem Beitrag möchte ich diese Entwicklung und insbesondere die Schwierigkeiten einer möglichen Wehrpflicht thematisieren.
Neue Bedrohung führt zu Gegenmaßnahmen
Die Bedrohungslage in Europa hat sich durch den Ukraine-Krieg zweifellos verschärft. Russland hat als ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrats zwingendes Völkerrecht gebrochen und die Bedeutung des Völkerrechts durch seinen Angriffskrieg auf die Ukraine geschwächt. Zudem dringen vermehrt russische Drohnen und Kampfflugzeuge unautorisiert in den NATO-Luftraum und zeigen, dass Russland vor keiner Aggression zurückschreckt. Diese neue Realität wirft berechtigterweise die Frage auf, wie der Westen Russland von weiteren Souveränitätsverletzungen abhalten kann und seine Sicherheit im Falle eines nicht mehr undenkbaren Krieges zu gewährleisten vermag.
Folglich lässt sich das Vorhaben unseres Verteidigungsministers, Boris Pistorius, Deutschlands Kriegstüchtigkeit zu steigern, begründen. Vor diesem Hintergrund erscheinen die Maßnahmen der Bundesregierung bezüglich der Förderung eines freiwilligen Wehrdienstes zunächst unproblematisch. Ihr Gesetzesentwurf sieht vor, dass junge Männer (verpflichtend) und Frauen ab dem nächsten Jahr einen Fragebogen zu ihrer Bereitschaft und Eignung zum Dienst an der Waffe ausfüllen. Außerdem möchte die Regierung durch Werbekampagnen und Anreize wie einen kostenlosen Führerschein oder eine bessere Besoldung neue Anwärter für die Bundeswehr gewinnen. Gegen diese Pläne ist wenig einzuwenden, denn sie passen Deutschland an die neue Bedrohungslage an und ermöglichen weiterhin eine Entscheidung gegen den Wehrdienst.
Probleme einer allgemeinen Wehrpflicht
Allerdings ist die freiwillige Komponente begrenzt und vermutlich nur von kurzer Dauer. Denn zum einen soll ab Mitte 2027 für alle jungen Männer eines Jahrgangs eine verpflichtende Musterung stattfinden. Zum anderen behält es sich die Bundesregierung vor, bei Verschlechterung der sicherheitspolitischen Lage die Wehrpflicht wiedereinzuführen.
Eine allgemeine Wehrpflicht, die vor allem die junge Generation betreffen würde, wäre höchst fraglich. Zunächst kollidiert eine solche Wehrpflicht meines Erachtens mit den Grundwerten unserer Demokratie. Wir leben in einer freiheitlichen und liberalen Demokratie, in der aus historischen und kulturellen Gründen die Freiheit des Individuums einen besonders hohen Stellenwert einnimmt. Zwangsmaßnahmen wie eine verpflichtende Musterung und insbesondere eine Wehrpflicht stellen einen erheblichen Eingriff in die Freiheit der Person dar und lassen sich nur schwer mit der normativen Basis unserer Demokratie vereinbaren. Natürlich kann ein Wehrdienst zur persönlichen Entwicklung beitragen und sich auch als wegweisend erweisen. Doch nicht jeder braucht oder will eine derartige Erfahrung. Das gilt übrigens auch für die Einführung eines verpflichtenden sozialen Jahres beziehungsweise Ersatzdienstes (was seinerseits einen eigenen Artikel rechtfertigen würde).
Überdies wird die Wehrpflicht damit begründet, dass die Betroffenen lediglich für die Freiheit und Sicherheit unseres Landes einstehen würden. Um solche Ansprüche zu stellen, müsste meiner Meinung nach der zu schützende Staat, also Deutschland, einem idealen Staat sehr nahekommen oder zumindest ein hohes Maß an Gerechtigkeit aufweisen. Angesichts der zunehmenden sozialen Ungleichheit, Chancenungleichheit und ungleichen Verteilung von Macht sowie Einfluss lässt sich ein solcher Zustand nur schwerlich behaupten.
Vor allem die junge Generation wird benachteiligt
Dies sind lediglich generelle Probleme einer Wehrpflicht. Da sie sich aber nur auf eine bestimmte soziale Gruppe fokussiert, kommen diverse Schwierigkeiten hinzu. Eine allgemeine Wehrpflicht würde wahrscheinlich (vorerst) nur Männer zwischen 18 und 25 Jahren betreffen. Zugleich würde sie aber mit der erhöhten Gefährdungslage und militärischen Erforderlichkeit gerechtfertigt werden. Dies ziehe unweigerlich die Frage nach sich, inwieweit auch andere Altersgruppen oder Geschlechter in die Wehrpflicht einbezogen werden könnten oder müssten. Zudem könnte man von allen Nicht-Wehrpflichtigen verlangen, sich anderweitig für den Schutz des Landes einzusetzen (etwa durch finanzielle Unterstützung des Militärs). Schließlich wäre es widersprüchlich und ineffizient, im äußersten Bedrohungsfall von nur so einem kleinen Teil der Bevölkerung einen Beitrag für unsere Sicherheit zu fordern.
Darüber hinaus würde eine solche Wehrpflicht eine besondere Ungerechtigkeit für die junge Generation bedeuten. Diese ist ohnehin politisch unterrepräsentiert, da sie einen eher geringen Anteil an der Bevölkerung ausmacht und auch keine Lobby hat, die sich umfassend für ihre Interessen einsetzt. Dieser Missstand wird noch dadurch verschärft, dass die meisten politischen Wahlen ein Mindestalter von 18 voraussetzen und demnach viele Betroffene einer Wehrpflicht ihren Standpunkt kaum politisch geltend machen konnten.
Aufgrund dieser Unzuträglichkeiten halte ich eine Wehrpflicht, vor allem wie sie im Moment geplant wird, für äußerst schwierig. Was eine geeignete Alternative wäre, kann ich allerdings nicht sagen. Ich wollte hiermit auch lediglich einige Denkanstöße zu einem immer heikleren Thema geben.