Oder „Der große Selfcarewahnsinn“
Von Carla Radtke // Illustration von Josephin Bauer
Es ist Hausarbeiten-Endspurt. Ein bisschen ungeduscht am Schreibtisch, in der Bibliothek oder auf dem Bett sitzen und stundenlang recherchieren, das gehört irgendwie dazu. Snacks rechts und links, irgendwo steht noch Geschirr, das mindestens so ungewaschen ist wie die Schreibenden und drei alte PET-Flaschen.
Gerade in dieser Phase, oft ohne viel Tagesstruktur, kann ein bisschen Inspiration helfen: So kümmerst du dich um dich selbst, wenn’s stressig wird. So wirst du glücklich und organisiert. Oder noch schlimmer: Mit diesen 10 Tipps wirst du nie wieder prokrastinieren. Haha.
Mich stört diese Art von Tipps. Denn sie machen „Um-sich-Kümmern“ zu Konsumgut. Teures Öl in Pipetten auf die Haut tropfen, Gesichtsmasken auftragen, täglich drei Liter Wasser trinken (mindestens, du Untermensch!), jeden Tag meditieren (am besten mit einer kostenpflichtigen Mindfullness-App), in pastellenen Leggings das Gym besuchen.
Selfcare rückt damit immer weiter weg vom eigentlichen Zweck, stattdessen wird es zu einem weiteren Leistungsfaktor, auch hier entsteht Stress und permanentes Vergleichen. Keine Creme der Welt kann sich um jemanden kümmern. Statt dass wir uns also tatsächlich mit uns selbst von innen beschäftigen, geht es wieder nur um Äußerlichkeiten, die doch viele Probleme überhaupt erst bedingen. Kein materielles Gut, keine Aktivkohlemaske oder Duftkerze kann innere Probleme beseitigen. Man muss sich schlicht gedanklich damit auseinandersetzen.
Oft sind in sozialen Netzwerken Videos von Menschen zu sehen, die Produkte präsentieren, „Selfcare-Favoriten“ zeigen. Schöpfe dein Potenzial aus oder so. Eigentlich geht es immer um Superlative: So holst du das Beste aus dir heraus und wirst endlich glücklich. Der Trend setzt einen guten Kontrapunkt für ein langsames Normalisieren psychischer Erkrankungen. Denn es wird sichtbarer, dass es wirklich viele mental belastete Menschen gibt. Doch im gleichen Instagram-Feed wird die perfekte Lösung, der ultimative Gegenspieler für jedes psychische Leiden präsentiert. Ganz so, als würden Duftkerzen und ein positives Mindset vor der nächsten Depression schützen. Wenn du viel arbeitest, dann kannst du genauso glücklich werden wie ich.
Misserfolge im Leben werden auf einer viel persönlicheren Ebene gehandelt, weil wir nur unser Denken in einem gesellschaftlichen und politischen System kritisieren und nie das System selbst.
Den Ansatz, sich um sich zu kümmern, ist trotz aller Kritik in meinen Augen grundsätzlich positiv. Er sollte nur eine andere Art von Umsorgen meinen und intrinsisch motiviert sein. Sport machen, weil es gut tut und nicht, weil die körperlichen Resultate gut zu den mintfarbenen Leggings und Top-Sport-Set und zum Social-Media-Account passen. Wir brauchen eine bessere Balance zwischen innerer Balance und Systemkritik. Es ist okay, nicht glücklich zu sein oder morgens nur Matcha Latte zu trinken.
In diesem Sinne: viel Spaß mit euren Hausarbeiten. Lasst euch nicht nerven, schaltet die Handys aus und seid euch bewusst, dass es stressig sein darf.
Hier hat Annabell aus unserer Redaktion einen Artikel zum aktuellen „That-Girl Trend“ geschrieben, der sich mit Leistungsdruck und selbstgeschaffenem Perfektionismus beschäftigt.