Bin ich eigentlich (un)höflich?

von Ayleen Rauschenbach // Illustration von Julia Michel

Ich denke, diese Frage hat sich jede Person von uns schon einmal gestellt. Bin ich höflich, wenn ich älteren Menschen meinen Platz in der Bahn anbiete, wenn ich „Bitte“ und „Danke“ sage oder wenn ich andere Leute auf der Straße grüße?

All diese Sachen werden von der Gesellschaft als „höflich“ angesehen. Vor allem unsere Großelterngeneration, die immer wieder über unsere Generation den Kopf schütteln, sehen diese Taten als respektvoll an. Dabei legen sie Wert darauf, dass wir Jüngeren immer respektvoll und höflich zu ihnen sind. Sie sind es aber teilweise selbst nicht einmal.

Aber was versteht man eigentlich genau unter Höflichkeit?

Solche Taten werden als höfliches Raumverhalten gesehen. Dabei wird zwischen drei unterschiedlichen Raumverhalten differenziert:

Einmal die Elementare Höflichkeit: Diese wird von Brauch und Sitten festgelegt. In unserem Alltag gibt es verschiedene Verhaltensformen, die nicht unbedingt als höflich angesehen werden, aber dann als unhöflich erscheinen, wenn diese Form ausfällt. Das kann bereits das ausbleibende Grüßen eines/einer Nachbar:in sein.

Eine andere Form wäre die Kodifizierte Höflichkeit, die über Etikette und Protokolle festgelegt werden. Wahrscheinlich hat jede Person dieses Verhalten unabsichtlich und absichtlich verinnerlicht. „Man isst mit Messer und Gabel.“ „Man räumt älteren Personen den Platz.“ Oder „Man lässt dem Chef den Vortritt.“ Diese Höflichkeiten werden auch als Manier-Regeln bezeichnet. Diese Regeln muss irgendwann jemand eingeführt und sie sich weitläufig etabliert haben, sodass wir sie noch heute als Höflichkeit ansehen.

Die letzte Form wäre die Reflektierte Höflichkeit. Diese ist durch unsere eigene Entscheidung festgelegt. Sie ist nicht status- oder situationsgebunden wie die anderen beiden, sondern richtet sie sich immer nach einer bestimmten Person. Ein Beispiel wäre die Form des Lobens einer Person. [1]

Eine Umfrage hat ergeben, dass die ältere Generation die Jugend heutzutage unhöflich findet. Die jungen Leute stehen nicht mehr in der Bahn auf, grüßen nicht mehr und Türen werden auch nicht mehr aufgehalten. Kurz gesagt, die kodifizierte Höflichkeit schwächt immer weiter ab. Andererseits befindet die jüngere Generation das anders. Natürlich fällt auf, dass nicht jede Person im Alltag die klassische Höflichkeit an den Tag legt, dennoch sind die jungen Erwachsenen der Meinung, dass sie die höflichen Tätigkeiten vollbringen. Dies sei unter anderem vom Alter abhängig – während sie selbst noch immer aufstehen und Türen aufhalten, so sei das bei Jugendlichen und Teenagern schon anders. Diese werden immer „respektloser“. Allerdings darf man die Sichtweise unserer Generation nicht vergessen. Diese beschweren sich auch über die Älteren, denn die Senioren scheinen nicht unbedingt höflich zu sein. Wird ihnen ein Platz angeboten, wird man ganz oft angemeckert, dass man sie für schwach hält. Sie halten auch nicht unbedingt die Tür für die Jüngeren auf, obwohl sie dies selbst erwarten. Wer nun unhöflicher ist und wer höflicher, sieht jede Generation aus unterschiedlicher Perspektive.

Eine Sache ist sicher: In den letzten Jahren hat gerade unsere Generation sehr für Gleichberechtigung und für Abschaffung der sozialen Hierarchien gekämpft. Kein Mensch steht über einem anderen und wir alle besitzen die gleichen Rechte – auch wenn viele der älteren Generation dies vielleicht noch nicht richtig anerkennen mögen. Viele Menschen in Deutschland leben nach dem Motto: Bist du respektvoll zu mir, so bin ich respektvoll zu dir. Deshalb ist meiner Meinung nach die reflektierte Höflichkeit sehr wichtig, da sie der Person an sich gilt und nicht seinem Status, Alter etc. Man weiß, wie man sich nach einem bestimmten Verhaltenskodex richten soll und nicht blind irgendwelchen Regeln folgt.

Es ist wichtig, konstruktive Kritik äußern zu können. Niemand ist dankbar, wenn man falsche Höflichkeit vorspielt und den Menschen nur das sagt, was sie hören wollen. Wenn dein positives Face davon bedroht wird, ist es dennoch wichtig deine eigene Meinung kund zu tun und zum Beispiel deinen Mitbewohner:innen zu sagen, dass sie aufräumen sollen, anstatt zu schweigen. So ist auch überschwängliche Höflichkeit problematisch, da dies oft als Lüge getarnt ist. So ist die Wahrheit doch oft gerne gesehen.

Ein solches Verhalten wäre in vielen asiatischen Ländern kaum vorzustellen. Dort ist es geradezu ein Muss, die Älteren zu respektieren und sich automatisch unterzuordnen. Zum Beispiel ist es in Korea respektvoll, immer zu warten, bis die ältere Person anfängt zu essen. Danach darf erst die jüngere Person anfangen. Ein weiterer Unterschied ist das Verbeugen: eine der wohl bekanntesten Höflichkeiten in Asien, um sich zu begrüßen, zu verabschieden, sich zu bedanken, zu entschuldigen oder gar, um seinen Respekt zu zeigen. So etwas würde hier in Deutschland eher Spott und Lachen hervorbringen und würde uns zurück in die Zeit des 20. Jahrhunderts, wenn nicht früher bringen. Sogar die Sprache unterscheidet sich in den verschiedenen Kulturen.

Bei uns in Deutschland gibt es auch verbale Höflichkeiten: zum Beispiel das „Duzen“ und „Siezen“. Dieses hat sich im Laufe der Jahre schon sehr weiterentwickelt. Während es im 17. Jahrhundert noch statusbezogen war, wen man duzte oder siezte (Übergeordnete wie Adelige, Eltern etc. wurden gesiezt, während Untergeordnete wie Bauern und Diener geduzt wurden), ist es heutzutage eine Sache der Solidarität. Findet man Gemeinsamkeiten oder Wohlwollen einer Person gegenüber, so duzt man sich eher, hält man aber lieber seine Distanz und hat keine weiteren Gemeinsamkeiten, so wird noch das Siezen benutzt. [2] Dies ist natürlich in verschiedenen Kulturen anders. Zum Bespiel in den skandinavischen Ländern duzt man sich gegenseitig und das Siezen wird nur gegenüber dem Königshaus verwendet. [3] Um auf das Asienbeispiel zurückzukommen, so gibt es dort Begriffe, wie man ältere Personen immer anspricht, unabhängig vom Alter oder sonstigen Gemeinsamkeiten, die einen verbinden. Im koreanischen gibt es die Worte „Hyeong“, „Nuna“, „Oppa“ und „Eonnie“, so sprechen geschlechterspezifisch die Jüngeren die Älteren an. Die deutschen Übersetzungen wären dafür einfach nur „älterer Bruder“ (Hyeong und Oppa) und „ältere Schwester“ (Nuna und Eonni), allerdings gelten diese als Höflichkeitsformen bei nahstehenden Personen und nicht nur Blutverwandten. [4] Dabei gibt es noch verschiedene andere Varianten von Höflichkeitsformen; wenn man sich nicht nah steht – wie die Endungspartikel „-ssi“ und „-nim“. [5]

In verschiedenen Sprachen gibt es auch unterschiedliche Partikel, die bei Höflichkeitsformen an die Sätze angehängt werden. Im Thailändischen gibt unter anderem „khrap“ und „kha“, die jeweils geschlechterspezifisch benutzt werden. [6] Im Deutschen haben wir solche Endungspartikel zwar nicht, dafür jedoch andere Höflichkeitsformen. Zum Beispiel bilden wir Sätze mit dem Konjunktiv, um unsere Höflichkeiten durch Indirektheit zu formulieren.

In Deutschland war es auch lange Zeit unhöflich mit einem Dialekt zu reden. Erst nach langer Zeit hat sich das gewandelt. Nun ist es quasi gleichgültig, ob eine Person auf Hochdeutsch oder im Dialekt redet. Obwohl ich finde, dass eine Nuance davon noch übriggeblieben ist, denn viele beschweren sich oder machen sich darüber lustig, dass sie in verschiedenen Regionen nichts verstehen.

Ich persönlich denke, Höflichkeit und ein respektvoller Umgang hängen von jeder und jedem individuell ab. Ein toleranter und respektvoller Umgang miteinander ist wichtig und gut, so sollte Höflichkeit kein Problem darstellen. Jedoch sollte konstruktive Kritik nicht ausbleiben. Es sollte auch keine Einbahnstraße sein und Ältere sowie Jüngere sollten jeweils höflich und respektvoll miteinander umgehen, auch wenn dies in verschiedenen Kulturen unterschiedlich gesehen wird, denn jede Kultur hat ihre eigenen Höflichkeitsformen.

  
  

 [1]  vgl. Haferland, Harald/Paul, Ingwer: Eine Theorie der Höflichkeit. In: dies. (Hrsg.): Höflichkeit. Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie 52, 1996, S. 7-69.

  [2]  Brown, Roger/ Gilman, Albert (1960): Die Pronomina der ‚Macht‘ und ‚Solidarität‘. In: Ahnwendungsbereiche der Soziolinguistik. Hrsg. von Hugo, Steger. Darmstadt 1982.

 [3] Hej Sweden: Duzen in Schweden -Wie man in Schweden richtig anspricht (https://hejsweden.com/wie-man-schweden-richtig-anspricht-das-du-in-schweden/) [Letzter Zugriff 01.06.2023]

  [4] OODAY KOREAN: Oppa, Hyung, Noona, Unnie, Sunbae, and Hubae – Learn Essential Korean Words (https://www.90daykorean.com/oppa-hyung-noona-unnie/) [Letzter Zugriff 01.06. 2023]

 [5] Netzwerk junge Generation Deutschland- Korea: Koreanische Anrede (https://netzwerk-junge-generation.de/portfolio-items/koreanische-anrede-was-du-ueber-koreanische-namen-wissen-musst. ) [Letzter Zugriff 01.06. 2023]

[6] Siamways: Hallo auf thailändisch (https://siamways.de/hallo-auf-thailaendisch/) [Letzter Zugriff 01.06. 2023]

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