Demokratische Planwirtschaft – wie die moderne Wirtschaft von Unternehmen wie Amazon profitieren könnte

Von David Wolf // Illustration von Josephin Bauer

In einer Welt, die von ständigen technologischen Fortschritten geprägt ist, tauchen immer wieder neue Fragen auf, die unsere traditionellen Vorstellungen von Wirtschaft und Handel herausfordern. Eine dieser Fragen betrifft die Möglichkeit einer geplanten Wirtschaft, in der Ressourcen und Produktion zentral gesteuert werden, um eine gerechtere Verteilung und effizientere Nutzung zu erreichen.
Aber haben das Ende des kalten Krieges und der Zusammenbruch der Sowjetunion dieser Debatte nicht ein Ende bereitet?
Sicherlich ist die erste Assoziation mit dem Begriff Planwirtschaft nicht, dass sie uns in eine gerechtere Zukunft führen könnte. Da denkt man schon eher an jahrelange Wartezeiten für Autos, lange Schlangen vor Lebensmittelgeschäften und eine ständige Knappheit von Bauteilen. Sind soziale Ungleichheit, Wirtschaftskrisen und die Konzentration von Macht auf einige wenige Akteure also der Preis, den wir für die Effizienz, Flexibilität und Produktivität des Kapitalismus zahlen müssen?
Vielleicht nicht unbedingt! So argumentieren zumindest Leigh Phillips und Michal Rozworski in ihrem Buch The People’s Republic of Walmart, worauf die Argumentation in diesem Artikel basiert [1]. Die beiden kanadischen Autoren haben sich die Frage gestellt, ob heutige Technologien angesichts des rasanten Fortschritts in Bereichen wie künstliche Intelligenz, Big Data und Automatisierung eine Planwirtschaft tatsächlich zum Erfolg führen können.

Ironischerweise argumentieren Phillips und Rozworski, dass Unternehmen wie Walmart oder Amazon den Grundstein für eine demokratische Planwirtschaft gelegt haben. Gerade solche Unternehmen setzten komplexe Planungsmechanismen ein, um ihre Ressourcen effizient strukturieren zu können. Immer wieder betonen die beiden Autoren, dass für ein System, welches sich Marktwirtschaft nennt, außerordentlich viel Planung vonstattengeht.

Der Wirtschaftswissenschaftler Herbert Simon hat dies bereits 1991 erkannt und versucht, dies durch ein Gedankenexperiment zu verdeutlichen. In diesem erschafft Simon einen Marsianer, der die Erde durch ein Teleskop betrachtet, welches soziale Strukturen offenlegt. Durch sein Objektiv sieht der Marsbewohner Unternehmen als große grüne Flächen. Nehmen wir an, das Unternehmen „ABC Electronics“ ist eine dieser grünen Flächen. Innerhalb der grünen Fläche von ABC Electronics sieht der Marsbewohner verschiedene Abteilungen wie Produktion, Vertrieb, Forschung und Entwicklung. Diese Abteilungen sind durch feine Konturen innerhalb der grünen Fläche gekennzeichnet. Wenn der Marsbewohner das Teleskop weiterbewegt, sieht er, dass ABC Electronics mit anderen Unternehmen über rote Linien verbunden ist. Diese roten Linien repräsentieren die Geschäftsbeziehungen zwischen diesen Unternehmen. Darüber hinaus erkennt der Marsianer blassblaue Linien innerhalb der grünen Fläche von ABC Electronics. Diese Linien stellen die hierarchischen Verbindungen und die Autorität zwischen den verschiedenen Ebenen des Unternehmens dar. Unabhängig davon, welches Land sich der Marsianer anschaut, wäre der Großteil der Landschaft von diesen grünen Flächen dominiert, da die Mehrheit der Menschen als Arbeitnehmer innerhalb der Organisationen tätig ist.
Simon verwendet dieses Beispiel, um darauf hinzuweisen, dass Planung und Hierarchie in der Wirtschaft weit verbreitet sind, selbst im kapitalistischen System. Es verdeutlicht, dass eine effektive wirtschaftliche Organisation nicht nur auf dem freien Markt basiert, sondern auch auf internen Planungsmechanismen und hierarchischen Strukturen innerhalb von Unternehmen.

Es gab jedoch auch Versuche, Unternehmen nach dem Vorbild der Marktwirtschaft zu strukturieren.
Das Einzelhandelsunternehmen Sears hat sich durch die Einführung eines internen Marktes selbst zerstört. Trotz einer über 120-jährigen Geschichte meldete das Unternehmen massive Verluste und schloss zahlreiche Filialen. Die Entscheidung des CEO, verschiedene Abteilungen als konkurrierende Einheiten zu strukturieren, führte zu internen Kämpfen, fehlender Kooperation und Vernachlässigung des Unternehmenserfolgs. Das Beispiel von Sears zeigt, dass ein interner Markt nicht immer effektiv ist und wirft Fragen zur Wirksamkeit des freien Marktes auf.

Unternehmen wie Amazon und Walmart hingegen setzten auf akribisch geplante Produktionsabläufe. Amazon beispielsweise nutzt Algorithmen für die Bestandsplanung und Prognose der Kundennachfrage. Durch die Analyse von umfangreichen Daten über das Kaufverhalten der Kunden, saisonale Trends, Produktbewertungen und andere Faktoren, kann Amazon Vorhersagen über die Nachfrage von bestimmten Produkten treffen. Dies ermöglicht, die Bestände effizient zu verwalten und sicherzustellen, dass Produkte zur richtigen Zeit verfügbar sind. Darüber hinaus setzt Amazon Algorithmen ein, um Logistik- und Versandprozesse zu optimieren. Dies trägt zur Beschleunigung der Lieferzeiten und zur Reduzierung von Kosten bei.
Walmart wiederum nutzt Algorithmen, um den gesamten Supply-Chain-Prozess zu verbessern. Durch die Analyse von Verkaufsdaten, Lagerbeständen, Logistikinformationen und anderen Faktoren, können die Produktions- und Lieferkette besser koordiniert werden. Dies führt zu einer effizienten Bestandsverwaltung, verbesserten Bestellungsprozessen und einer reibungslosen Warenverteilung.

Phillips und Rozworski argumentieren, dass solche Algorithmen heute auch die Planung der Wirtschaft eines ganzen Landes übernehmen könnten. Zunächst müssten jedoch erst einmal die Planungsprozesse von Unternehmen wie Walmart oder Amazon demokratisiert werden, indem sie den Beschäftigten eine aktive Rolle in der Entscheidungsfindung geben. Dies könnte durch Gewerkschaften, Mitbestimmungsgremien oder andere Formen der Mitarbeiterbeteiligung erreicht werden. Indem die Beschäftigten Einfluss auf Entscheidungen über Investitionen, Produktionsziele und Arbeitsbedingungen haben, wird sichergestellt, dass auch ihre Interessen berücksichtigt werden.
Auf einer übergeordneten Ebene könnten solche Unternehmen als Grundlage für eine demokratische Planwirtschaft dienen. Dies könnte durch partizipative Entscheidungsprozesse, direkte Demokratie oder andere Formen der Mitbestimmung erreicht werden. Durch breitere gesellschaftliche Teilhabe an der Planung und Entscheidungsfindung werden verschiedene Interessen und Bedürfnisse berücksichtigt, was zu einem gerechteren und demokratischeren Wirtschaftssystem führen könnte.

Insgesamt kann man jedoch mehrere Punkte an der Argumentation von Phillips und Rozworski kritisieren. Die beiden Autoren versuchen, komplexe ökonomische Zusammenhänge stark vereinfacht darzustellen und reduzieren gesamtwirtschaftliche Vorgänge auf das Logistikmanagement von Unternehmen wie Amazon und Walmart. Gleichzeitig wirkt die Umsetzung einer solchen demokratischen Planwirtschaft zum jetzigen Zeitpunkt sehr unrealistisch. Schließlich sind Algorithmen keine Allheilmittel, die uns einfache Antwort auf komplexe politische oder gesellschaftliche Streitfragen geben. Trotzdem muss darüber diskutiert werden, wie wir unsere Wirtschaft in Zukunft gestalten wollen.

[1] https://en.wikipedia.org/wiki/The_People%27s_Republic_of_Walmart

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