Argentina, 1985 – Eine Filmrezension

von Bastian Karge // Illustration von Steffen Dürre

Ein Staatsanwalt, viele junge Leute und der wichtigste Prozess der argentinischen Geschichte.

Inmitten der düsteren Schatten einer turbulenten Vergangenheit entfaltet sich in Argentina, 1985 eine Geschichte von mutiger Aufarbeitung und Gerechtigkeit. Das Jahr 1976 markierte einen düsteren Wendepunkt in der Geschichte Argentiniens, als ein verheerender Militärputsch das Land in ein Zeitalter der Gewalt stürzte. Die Bevölkerung wurde zum Ziel, als die herrschenden Streitkräfte einen unerbittlichen Krieg gegen sie führten – eine Zeit der willkürlichen Verhaftungen, grausamer Folterungen und schrecklichen Exekutionen. Diese Schreckensherrschaft hinterließ eine verstörende Leere, symbolisiert durch die ungeklärten Schicksale von schätzungsweise 30.000 Verschwundenen. Diese düstere Ära fand infolge des Zusammenbruchs der Junta nach der Niederlage im Falklandkrieg ihr Ende. Demokratische Wahlen im Jahr 1983 machen Raul Alfonsín zum Präsidenten. Er versprach die Bestrafung der verantwortlichen Generäle. Nachdem das Militärgericht ihr Vorgehen nicht beanstandete, lag der Fall beim Berufungsgericht. In dieser Atmosphäre der Erwartung und Unsicherheit tritt der mürrische Staatsanwalt Julio Strassera (Ricardo Darín) auf.

„Schickst du Videla ins Gefängnis?“

„Ich werde es versuchen.“

„Und Massera?“

„Alle Verantwortlichen.“

Nach einigen zögerlichen Momenten lässt sich der missmutige Justizbeamte auf den kompliziertesten Fall seines Lebens ein. Inmitten des Unmutes seiner althergebrachten Kollegen erweist sich der jüngere Luis Moreno Ocampo (Peter Lanzani) als ein unerwarteter Verbündeter. Strassera, anfangs skeptisch gegenüber dem Universitätsdozierenden, wird schließlich von der Idee überzeugt, auf unerfahrene, aber engagierte Mitarbeitende aus der Staatsanwaltschaft zu setzen. Das Team junger Jurist:innen übernimmt die Aufgabe, bestehendes Beweismaterial zu sichten und aussagefreudige Zeug:innen im gesamten Land zu mobilisieren. Gemeinsam setzen sie alles daran, das systematische Vorgehen der Militärjunta akribisch zu enthüllen. In einem beeindruckenden Kraftakt reichen sie insgesamt 709 Fälle ein, um die schrecklichen Verbrechen anzuklagen, bevor das eigentliche Gerichtsverfahren im April 1985 beginnt.

„Ich rate ihnen allen zusammen sich mehr auf die Stichhaltigkeit der Beweise zu konzentrieren als auf die Jugend meiner Mitarbeiter. Hören sie auf mich. Ich weiß, warum ich das sage.“

Während der 17 Verhandlungswochen des Juntaprozesses rücken nun vor allem die zahlreichen Zeug:innen in den Blickpunkt. Ihre emotionalen Aussagen schildern in äußerst detaillierter Weise die grausamen Ausmaße des verheerenden Zivilisationsbruchs. Der Film verwebt meisterhaft diese individuellen Berichte mit der umfangreichen medialen Berichterstattung, um zu illustrieren, dass die Absicht der Staatsanwaltschaft weit über die Verurteilung der neun Generäle hinausgeht. Ihr Ziel ist es, nicht nur ein Gerichtsurteil zu erwirken, sondern auch die argentinische Gesellschaft von der drängenden Notwendigkeit des Verfahrens und der damit einhergehenden Strafverfolgung zu überzeugen. Für Moreno Ocampo hat dieser Kampf eine zusätzliche persönliche Dimension, da er aus einer traditionellen Militärfamilie stammt. Den argumentativen Höhepunkt des Prozesses bildet Staatsanwalt Strassera mit seinem kraftvollen Schlussplädoyer, das den ansonsten eher ruhigen Gerichtssaal mit einem stürmischen Applaus der Zuschauenden erfüllt.

„Zu dem Zeitpunkt als ich entführt wurde, war ich im siebten Monat schwanger. Die Schwangerschaft war also schon ziemlich weit fortgeschritten. Sie haben mich dann aber trotz meines Zustandes gefoltert. Sie haben mich monatelang eingesperrt.“

Mit eindringlicher Leidenschaft zeichnet Argentina, 1985 das Bild des bedeutendsten Prozesses in der argentinischen Geschichte, was dem unermüdlichen Einsatz zahlreicher Argentinier:innen vor und hinter der Kamera zu verdanken ist. In einem kraftvollen Film vermitteln sie die beklemmende Grausamkeit der dunklen Stunden ihrer Vergangenheit durch die emotionalen Berichte der Überlebenden. Der bedrohliche Schatten, dem die Staatsanwält:innen und Zeug:innen ausgesetzt waren, wird von einem beeindruckenden Soundtrack unterstützt, der eine Atmosphäre ständiger Gefahr schafft und so die Spannung spürbar macht. Diese Intensität wird geschickt mit einer angemessenen Portion Humor durchwoben, der hin und wieder für eine willkommene Erleichterung sorgt. Wirklichkeitsnahe Drehorte, historisch getreue Kulissen, passende Kostüme und ausgewählte argentinische Lieder verleihen dem Film eine aufrichtige Authentizität. Sogar der originale Gerichtssaal diente als Kulisse für die Dreharbeiten, was die Verbindung zur Realität weiter stärkt. In einer Ära, in der die Darstellung der Aufarbeitung historischer Verbrechen von größter Bedeutung ist, setzen solch eindrucksvolle Inszenierungen ein starkes Zeichen. Deshalb möchte ich ausdrücklich darauf verzichten, Anspruch auf Originalität zu erheben, wenn ich nun diese Rezension beende. Ich werde einen Satz verwenden, der nicht mir gehört, weil er bereits uns allen gehört. Werte Leser:innen: Nie wieder!

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