BookTok hat es geschafft, dass ich Lesen hasse

Von Annabell Kretschmer // Fotografien: Jonathan Andreas

Dieser Artikel beschäftigt sich mit dem Phänomen BookTok und der Schattenseite der Community, aber dabei fließen auch die persönlichen Erlebnisse der Autorin mit ein und wie BookTok es unter anderem schaffte, ihr Leseverhalten zu beeinflussen.

Vor über zwei Jahren war ich noch ein ganz schlimmer Bücherwurm. Ich verließ das Haus nur mit einem Buch in der Tasche und egal wie lange ich verreiste, ich hatte immer noch mindestens zwei Bücher dabei, falls ich doch schneller fertig sein würde. Bei jeder Gelegenheit, die sich mir bot, kaufte ich Bücher. Ich kaufte und kaufte. Doch dann irgendwann änderte sich alles für mich, denn ich verlor die Lust am Lesen. Ganz lange hielt ich diesen Zustand für eine Leseflaute. „Die größte Leseflaute meines Lebens“, betitelte ich es. Aber nun weiß ich, dass da deutlich mehr dahinterhinter steckt als eine Leseflaute, denn ich empfinde eine große Unlust am Lesen. Das Problem ist jedoch, dass ich jetzt seit über zwei Jahren 120 ungelesene Bücher in meinen Bücherregalen angesammelt haben. Einige davon sind etwas älter, andere sind erst vor Kurzem bei mir eingezogen. Denn meine Hoffnung ist immer groß, dass ich eines Tages wieder anfangen werde zu lesen.

Doch über die Zeit habe ich mich gefragt, woran es liegt. Ich habe zuletzt kein schlechtes Buch gelesen oder ein trauriges, was laut vielen Bookfluencer:innen zu einer Leseflaute führt. Aber da wäre ich schon bei dem eigentlichen Thema: Bookfluencer:innen oder auch die bücherlastige Seite von Social Media. Denn seien es BookTuber:innen, BookToker:innen oder Bookstagramer:innen. Alle haben ein Ziel: immer mehr Bücher im Monat zu lesen als im vergangen. Dies tracken sie mit einfachen Apps wie Goodreads, Libby oder Bookly. Diese Influencer:innen zeigen wie man ganz einfach ohne jegliche Mühen nicht nur 4 bis 5 Bücher lesen kann, sondern über 20. 

Doch wie soll man das schaffen? Die klare Antwort, wenn man studiert, noch einen Nebenjob hat oder gar eine 40 Stunden Woche: gar nicht. Bei der Betrachtung dieser Zahlen darf man nicht vergessen, dass das Führen eines YouTube Channels in diesem Fall der Hauptberuf ist und diese Personen sich einzig und allein auf die Produktion ihres Contents konzentrieren können. Und für die Produktion ihres Contents müssen sie Bücher lesen. Jedoch ist auch hier zu beobachten, wie zwischen den unzähligen Bookhauls und Vlogs das Ziel von Bookfluencer:innen immer noch das gleiche ist, wie das aller Influencer:innen. Während in der Welt der Fitness-Influencer:innen gepredigt wird, dass jede Person auch so aussehen kann, wenn ausreichend Nahrungsergänzungsmittel geschluckt und jeden Tag das Fitnessstudio aufgesucht werden, ist diese Beobachtung nicht weit weg von der Verkaufsstrategie der Bookfluencer:innen. Denn hier zählen die Verkaufszahlen einzelner Bücher, welche in die Höhe getrieben werden. 

Doch wie können sie die Verkaufszahlen hochtreiben? Indem mehr Personen mehr Bücher lesen. Doch erreichen sie das? Die gemeine „Leseflaute“ (zu Englisch: „reading slump“) muss bekämpft werden und dafür gibt es ausreichend viele Tipps. Einmal das Wort in die Suchleiste getippt, können sich Leser:innen vor Tipps nicht mehr retten, denn fast jeder bücherzentrierte Account hat dazu etwas zu sagen. Hier überschneiden sich viele Tipps.* Die häufigsten sind: 

  • Wähle kurze Bücher oder Bücher, die sich schnell lesen lassen.
  • Ändere das Format der Bücher. (Tagebucheinträge, Gedichtbände, Comics)
  • Hörbücher sollen vermehrt gehört werden. (mit der Empfehlung auf 1.5x Geschwindigkeit)
  • Versuche ein neues Genre.
  • Lies alte Favoriten nochmal.
  • Vertiefe dich in den fiktionalen Welten.

Doch diese Tipps haben alle als Ziel, dass die Leser:innen und Follower:innen der Bookfluencer:innen sich möglich schnell wieder fangen und wieder lesen. So schaffen sie es deren Follower:innen stets Mut und Hoffnung zuzusprechen. 

Aktuell boomt das Geschäft von BookToker:innen besonders, denn in vielen Buchhandlungen finden sich inzwischen Tische und Aufsteller mit ausschließlichen Empfehlungen dieser. Aber auch bei den Großhändlern der Online-Shops können inzwischen Kategorien der BookTok-Bücher gefunden werden. So schaffen es Bookfluencer:innen durch ihre unrealistischen Erwartungen an das Leseverhalten ihrer Follower:innen diese in den übermäßigen Konsum zu treiben.

Und auch ich bin durch ihre Verkaufsstrategie hier gelandet. Mit über 120 ungelesenen Büchern sitze ich nun in meinem Zimmer und frage mich, wann ich den Spaß am reinen Lesen verloren habe und somit ebenfalls dem übermäßigen Konsum zum Opfer fiel. Doch seit ein paar Monaten bewege ich mich in Tippelschritten wieder zurück zu meinem alten Leseverhalten und dabei halte ich mich fern von den Empfehlungen von Bookfluencer:innen und auch von den Tischen in Buchhandlungen, auf welchen das Wort „BookTok“ prangt, versuche ich zu umgehen. Im Moment kaufe ich nur noch Bücher, die durch ihren Klappentext mein Interesse wecken. Aber ich fange wieder zu Lesen an, wenn auch langsam und mit viel Geduld, denn das Jahresziel auf den Bücher-Tracking-Apps werde ich sicherlich nicht mehr erreichen und auch dahingehend brauche ich mich nicht mehr mit anderen zu vergleichen. Denn auch nur ein Buch im Jahr zu lesen, ist eine Ziel, das manche Menschen gar nicht erreichen.


Die unrealistische Welt von BookTok ist nicht nur durch diesen kurzen Artikel abgedeckt und aus diesem Grund möchte sich die Autorin mit dem Inhalt der Bücher auseinandersetzen, welche auf BookTok als Empfehlungen ausgesprochen werden.

*Hier findet ihr einige Beispiele für Blog-Einträge mit diesem Thema:

https://www.today.com/popculture/books/reading-slump-tips-rcna61348

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