Pulchritudinous insanity – Pretty Privilege existiert wirklich!

von Ayleen Rauschenbach

April, 2018. Ein 21-jähriger junger Mann wird zu einer 24-jährigen Haftstrafe verurteilt, nachdem er bei einem illegalen Autorennen eine unschuldige Frau und ihr Baby tötete. Er wird als schuldig befunden und doch ist er für diesen Zeitraum in den Trends in den sozialen Medien. Viele seiner Fans klagen auf Unrecht, sie wollen, dass seine Klage vermindert oder gar, dass er für unschuldig befunden wird, denn einer der vielen Aussagen ist: Er ist “too cute” um ins Gefängnis zu gehen. Weitere Beteuerungen sind, dass er einfach zu hübsch dafür ist, um diese Strafe zu bekommen. [1]

Dies ist jedoch kein neues Phänomen. Hübsche Menschen werden in der Welt bei Straftaten viel mehr verteidigt als Menschen, die den Schönheitsidealen nicht entsprechen. Menschen, die optisch gesehen nicht als konventionell hübsch gelten, bekommen meist weniger beziehungsweise keine Unterstützung von der Öffentlichkeit, sobald sie Straftaten begehen. Das ist nicht nur bei Straftaten der Fall, auch bei den momentanen Influencer*innen und Tiktoker*innen, bekommen die, die schön sind oft mehr Aufrufzahlen und Aufmerksamkeit. Selbst wenn sie sich in Skandale verstricken wird ihnen eher verziehen als denen, die optisch nicht als “schön” gelten.

Dies nennt man Pretty Privilege.

Aber was ist Pretty Privilege genau?

Pretty Privilege, oder übersetzt “Schönheitsprivileg”, spricht über das Bewusstsein und die Tatsache, dass optisch attraktivere Menschen mehr Vorteile in ihrem Leben bekommen und damit von weniger schönen Menschen hervorgehoben werden. Diese wiederum werden aufgrund ihres Aussehens diskriminiert und erleben in ihrem Alltag Ausgrenzung und Nachteile. [2]

Bereits seit den siebziger Jahren wird dieses Thema verstärkt von Psycholog:innen und Soziolog:innen untersucht. Eine Studie aus 1972 [3] zeigt auf, dass Studierende ihren optisch hübscheren Kommiliton*innen bessere Jobmöglichkeiten und ein glücklicheres Leben zusprechen. Hier spricht man auch vom Halo-Effekt (Heiligenschein-Effekt) oder Teufelshörner- Effekt (Horn-Effekt). Dabei schließt man von einer bekannten Eigenschaft einer Person auf eine unbekannte. [4] „Wir schließen von einer guten Eigenschaft, in diesem Fall dem Aussehen, darauf, dass diese Person auch andere gute Eigenschaften haben muss“, erzählt der Attraktivitätsforscher Ulrich Rosar, Professor für Sozialwissenschaften an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. [5]Dass dort ein Fünkchen Wahrheit entspringt, kann man gut in der Welt erkennen.

Attraktive Menschen haben es leichter.

Jedenfalls sagt man es so. Hübsche Influencer*innen bekommen mehr Aufrufe, Schauspieler*innen mehr Filmangebote und Arbeiter*innen oft mehr Gehalt [5]. Aber auch im alltäglichen Leben bekommen wir das Pretty Privilege zu spüren. Wir werden jeden Tag auf unser Äußeres reduziert. Body-shaming ist fast schon wieder Trend, und alle wissen es besser als jede*r Ernährungsberater*in oder Arzt*Ärztin, wann jemand unter- oder übergewichtig ist. Denn dies entspricht nicht den Schönheitsidealen, die in der Welt aufgebaut wurden, also versucht man die Menschen zu ändern. Hübsche Schüler*innen bekommen bessere Noten und bessere Leistungen in der Schule, während diese, die nicht den Schönheitsstandards entsprechen oft gemobbt und gehänselt werden. Weniger hübsche Menschen werden öfter für ihr Aussehen verurteilt, weshalb diese oft Komplexe oder andere mentale Krankheiten entwickeln.

Ein zerstörtes Selbstbewusstsein lässt sie an ihrem eigenen Körper zweifeln, weshalb sie zu Maßnahmen wie Make-Up oder gar Schönheitsoperationen greifen, um sich optisch zu verschönern. Dass solche “Glow-Ups” tatsächlich funktionieren zeigen mitunter Serien wie “True Beauty” oder “Lookism”, wo die Protagonist:innen eine solche Veränderung erleben und auf einmal viel mehr Vorteile und Komplimente erfahren. Von Außenseiter*innen wurden sie zu den beliebtesten Schüler*innen auf dem Schulhof.

Gerade in Südkorea ist das Pretty Privilege ein extremes Beispiel. Menschen lassen sich tagtäglich operieren, um den Schönheitsidealen zu entsprechen. So versuchen sie nicht nur dem extremen Mobbing auf dem Schulhof oder Arbeitsplatz zu entkommen, sondern sich auch in ein gesellschaftliches perfektes Bild anzupassen. Schon die Kleidungsgeschäfte geben es vor, in welchen es meist nur eine Einheitsgröße gibt, und man sich daran anpassen muss. [6]

Pretty Privilege wird uns vorgelebt, schon in den Medien. Über eine Million Menschen schauen jedes Jahr „Germany’s Next Topmodel“, wo schöne Menschen nur so ein und aus gehen. [7] Erst seit ein paar Jahren wird auf Diversität zurückgegriffen und trotzdem wird dort eines gelehrt: Wie man am Besten schön sein kann. Aussehen ist das Hauptmerkmal der Sendung. “Menschen wollen Schönes sehen, kaufen Zeitschriften, Filme u.ä. eher, wenn sie mit den Konterfeis schöner Artgenossen versehen sind, konsumieren diverse Gegenstände von Kleidung über Nahrung bis zu Autos eher, wenn schöne Artgenossen dies in Werbespots auch getan haben”, schreibt der Psychologieprofessor Dr. Jürgen Maes. [8]

Natürlich darf man aber auch nicht vergessen, dass Diskriminierung nicht gleich Diskriminierung ist. Dort spielen auch noch andere Tatsachen eine Rolle, von Geschlecht, Sexualität, Religion, Ethnie und Alter. Eine attraktive Frau wird in bestimmten Bereichen eher benachteiligt als ein unattraktiver Mann. Wie Personen wahrgenommen und behandelt werden, muss nicht unbedingt immer auf das Aussehen zurückzuführen sein, kann aber natürlich ein Zusatzmerkmal für bestimmte Diskriminierung sein. Eine Diskriminierung aufgrund des Aussehens nennt man auch Lookism.

Wer schön sein will, muss leiden.

Ein bekanntes Sprichwort mit einer harten Realität dahinter. Denn auch wenn schöne Menschen mit etlichen Privilegien in der Welt leben, so versuchen sie den harten Ansprüchen gerecht zu werden. Sie geben sich selbst hohe Ansprüche perfekt zu sein und keine Fehler zu machen und Enden meist in Druck und Anspannung. Sie werden außerdem immer auf ihr Aussehen reduziert und dabei ganz in ihrer Intelligenz und ihrer Kompetenz benachteiligt. [9] Denn viele denken: Schöne Menschen sind dumm. Ein Gedanke, welcher zum Klischee der Blondine geführt hat. Blonde Frauen seien nicht intelligent, denn ihr Aussehen ist ihnen viel wichtiger. Oder auch muskelbepackte Männer hätten nichts im Kopf außer ihren Körper.

Klischees, die ihnen seit Jahren nachhängen. Sie werden nicht ernst genommen in der Gesellschaft und müssen für ihre Reputation kämpfen.

Schönheit führt oft zu Hass und Neid in der Gesellschaft. Menschen werden grundlos für ihr Aussehen verurteilt, gemobbt und ausgegrenzt. Bist du weniger attraktiv, wirst du in der Welt benachteiligt, aber wenn du schön bist, wirst du meist objektifiziert.

Ich denke, die positive Haltung gegenüber Schönheit ist in uns schon unbewusst einprogrammiert. Wir greifen tendenziell eher zu schönen Objekten als zu diesen, die kaputt oder verblichen sind, so tun wir dies auch oft unterbewusst gegenüber Menschen. Wir tendieren eher dazu schöne Menschen zu verteidigen und zu bevorzugen und unattraktive zu verurteilen und zu diskriminieren. Trotzdem können wir uns dieser Diskriminierung und den Privilegien bewusst werden. Denn Schönheit ist subjektiv, wird aber durch die Modeindustrie beeinflusst. Sie ist mit der Zeit wandelbar, was heute ein Schönheitsideal entspricht, kann morgen schon wieder aus der Mode sein. Wir sollten aufhören Menschen nach ihrem Äußeren zu beurteilen, schließlich kennen wir doch all das Sprichwort “Beurteile nicht ein Buch nach dem Einband” und laufen trotzdem oft blind daran vorbei. Warum sollten wir also Menschen für etwas verurteilen für das sie nichts können? – Und mal anfangen sie dafür zu beurteilen für das sie etwas können.


[1] Business Insider: Cameron Herrin (https://www.businessinsider.com/cameron-herrin-mother-says-she-receives-calls-from-obsessed-fans-2021-8) [Zugriff: 07.02.2024]

[2] Bedeutung Online: Was ist Pretty Privilege? (https://www.bedeutungonline.de/was-ist-das-pretty-privilege-erklaerung-bedeutung-definition/) [Zugriff: 09.02.2024]

[3] What is beautiful is good. in: Journal of Personality and Social Psychology by Karen Dion und Ellen Berscheid 1972

[4] Study Smarter: Halo-Effekt (https://www.studysmarter.de/schule/psychologie/grundlagendisziplinen-der-psychologie/halo-effekt/#) [Zugriff: 09.02.2024]

[5] Wiwo: “Es gibt kein zu schön” (https://www.wiwo.de/erfolg/karrierefaktor-aussehen-es-gibt-kein-zu-schoen/19296130.html) [Zugriff: 17.02.2024]

[6] Süddeutsche: Südkorea, das Land der vielen Schönheitsoperationen (https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/seoul-suedkorea-beauty-schoenheitsoperationen-kliniken-ideale-1.5274508) [Zugriff: 17.02.2024]

[7] Statista: GNTM- TV Zuschauer der Finalsendungen 2011-2023 (https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1010172/umfrage/tv-zuschauer-der-finale-von-germany-s-next-topmodel/#) [Zugriff: 20.02.2024]

[8] Maes, Jürgen: Physische Attraktivität – eine gerechtigkeitspsychologische Frage?, Trier 2001.

[9] Unipress: Pretty Privilege: Wer schön ist, wird bevorzugt (https://www.unipress.at/wissenschaft/pretty-privilege-wer-schoen-ist-wird-bevorzugt/) [Zugriff: 17.02.2024]

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert