von Sandeep Preinfalk // Illustration von Luca Butt
Morgen findet das Finale des ESC 2025 statt. Neben viel Aufregung um die Kandidat: innen herrscht auch teilweise Unmut aufgrund der Teilnahme Israels, das trotz zahlreicher Kritik nicht vom Wettbewerb ausgeschlossen wurde. Ist diese Entscheidung gerechtfertigt?
Am 7. Oktober 2023 griff die Terrororganisation Hamas ohne Vorwarnung Israel an. Dabei wurden mehr als 1200 Israelis getötet und mehr als 200 Geiseln in den Gaza-Streifen verschleppt. Seitdem führt Israel einen Krieg im Gaza-Streifen, in dem mittlerweile mehrere Staaten wie Jemen oder der Iran verwickelt sind. Allerdings gerät Israel zunehmend ins Kreuzfeuer der Kritik, da die humanitäre Notlage in Gaza infolge der gravierenden Zerstörung der Infrastruktur und des nur eingeschränkten Zugangs für humanitäre Akteure ein erhebliches Ausmaß angenommen hat. Zudem werfen die UN-Sonderkommission und der Internationale Gerichtshof (IGH) dem israelischen Militär und israelischen Ministerpräsidenten, Netanjahu, diverse Kriegsverbrechen vor. Gegen Letzteren hat der IGH sogar einen Haftbefehl erlassen. Überdies bezichtigen Menschenrechtsorganisationen wie die Amnesty International Israel des Völkermordes. Aufgrund dieser Anschuldigungen hat beispielsweise die öffentlich-rechtliche Rundfunkgesellschaft Spaniens (RTVE) eine Diskussion über die Teilnahme Israels am ESC gefordert. Die Europäische Rundfunkunion (EBU) hat diese Anfrage jedoch zurückgewiesen und die legitime Teilnahme all seiner Mitglieder betont.
Mit Blick auf Russland könnte somit der Eindruck einer unfairen Behandlung entstehen. Schließlich wurde Russland nach seinem Überfall auf die Ukraine unverzüglich vom ESC verbannt. Die Situation stellt sich aber als deutlich komplizierter heraus. Zunächst besteht ein gravierender Unterschied in der Legitimation der Kriegshandlungen der jeweiligen Staaten. Russland hat mit seinem Angriffskrieg gegen das Gewaltverbot des Art. 2 Abs. 4 der UN-Charta und damit gegen zwingendes Völkerrecht verstoßen. Seine Aggression lässt sich weder völkerrechtlich noch moralphilosophisch (etwa insofern, dass es die Verletzung elementarer Menschenrechte verhindern wollte) rechtfertigen. Israel hingegen hat lediglich sein Recht auf Selbstverteidigung nach Art. 51 der UN-Charta wahrgenommen, nachdem es unrechtmäßig angegriffen wurde. Diese unterschiedliche Ausgangslage plausibilisiert Russlands sofortigen und unumstrittenen Ausschluss aus dem ESC.
Allerdings sind Jahre vergangen und wie gesagt äußern internationale Organisationen sowie Gremien den Verdacht von Kriegsverbrechen seitens Israels. Sollten die Vorwürfe zutreffen, hätte Israel humanitäres Völkerrecht gebrochen. Im Falle des Völkermordes sogar zwingendes Völkerrecht. Israel müsste bezüglich des ESC die gleichen Konsequenzen wie Russland ereilen. Wenngleich Israel sich auf einen legitimen Kriegsgrund berufen kann, darf es sich keiner illegitimen Kriegsmittel bedienen. Denn weder die Motive noch die Opferrolle befreien Israel von der Pflicht an der Einhaltung völkerrechtlicher Prinzipien. Demnach hängt die Beurteilung der ESC-Entscheidung hinsichtlich Israels davon ab, inwieweit man den Anschuldigungen gegenüber Israel Glauben schenkt beziehungsweise diese hinreichend erwiesen sind. Hier herrscht leider Unklarheit. Einerseits sprechen mehrere Berichte von Völkerrechtlern, den Medien und besagten Gremien dafür, dass Israel gegen humanitäres Völkerrecht, etwa durch die unverhältnismäßige Zerstörung ziviler Objekte, verstößt. Andererseits bedürfen die Anklagen noch der Aufklärung und Untersuchung. Das betrifft insbesondere den Vorwurf des Völkermords und den Haftbefehl gegen Netanjahu, die höchst umstritten sind und eine weitere Aufarbeitung erfordern. So sehen mehrere Staaten, darunter Deutschland, den Tatbestand des Völkermordes keineswegs als erfüllt an. Außerdem weist Israel sämtliche Anschuldigungen vehement zurück.
Angesichts dieser Sachlage ist die Teilnahme Israels am ESC zwar gewagt, aber begründbar. Die weiteren Untersuchungen werden hoffentlich offenbaren, ob Israel sich der Kriegsverbrechen schuldig gemacht hat und dadurch ein härterer Umgang mit dem Staat geboten ist. Jedenfalls sollte Israels ESC-Sängerin, Yuval Raphael, mit Respekt begegnet werden. Zum einen hat sie als Überlebende des Hamas-Angriffs genügend Schrecken durchlebt, zum anderen trägt sie als Künstlerin keinerlei Verantwortung für die (potentiellen)Taten ihres Heimatlandes.