Interview mit Mark Sternkiker
von Annalena Hotho // Fotos von Laura Walter
Ende April stand das FiSH-Filmfestival an! Zum 20. Jubiläum gab es 726 Einreichungen von Teilnehmer:innen unter 26 Jahren. Da stellt sich die Frage, wo diese jungen Filmschaffenden in MV überhaupt andocken können, wenn sie in die Filmwelt hinein möchten. Geht das außerhalb von Babelsberg und „Abbey Road Studios“ überhaupt richtig? Darüber und übers Können, Machen und Weitersuchen haben wir mit Mark Sternkiker, Rostocker Regisseur und Medienpädagoge, geredet.
heuler: Es ist jetzt mittlerweile 20 Uhr, während wir dieses Interview führen. Meine erste Frage dazu: Gehört das zu dem typischen Künstler:innenalltag, bei dem bis spät in die Nacht gearbeitet wird?
Mark Sternkiker: Nein, also eher nicht. Seit wir ein Kind haben, versuchen meine Frau und ich das immer so hinzubekommen, dass wir die Phase zwischen 17 und 20 Uhr freihalten. Und das klappt auch ganz gut. Wenn dann noch was ansteht, arbeite ich meistens noch von 20 bis 23 Uhr. Aber durchmachen und so weiter? Nein. Die ganze Nacht durcharbeiten und dann bis 14 Uhr schlafen geht auch einfach seit dem Kind nicht mehr. Aber das ist auch gut so! Für mich ist das besser.
Die Arbeit an deinem Spielfilm-Debüt «Mels Block» ist gerade im vollen Gange und wird von der Filmförderung MV und dem ZDF unterstützt. Die Zeitschrift „Zeit“ bezeichnet ihn als eine „ungewöhnliche Geschichte aus einem Rostocker Plattenbau“. Warum hast du dir Rostock als deinen Drehort ausgesucht?
Das ist am Ende eigentlich auf eine ganz organische Art passiert. Und das ist für mich letztendlich immer ein Zeichen, dass es auch stimmig ist. Ich lebe hier seit 2000, komme ursprünglich aus Wismar, habe hier studiert, gedreht und kenne tausende Leute. Im Prinzip wurde meine gesamte medienpädagogische Zeit in und durch Rostock geprägt. Über all die Jahre habe ich unzählige Schulkurse gemacht und Schüler:innen und Lehrer:innen kennengelernt. Teilweise habe ich Kinder mit 6 Jahren das erste Mal in einem Projekt gesehen und plötzlich stehen sie vor mir und sind 18. Da muss ich dann zwar oft genauer hinschauen, aber sobald er oder sie mir erklärt, woher wir uns kennen, kommt dann auch immer der „AHA“- Moment. Über die Jahre war ich dann viel in Groß Klein und in der Störtebeker-Schule. Dort habe ich dann mit einer sehr tollen Lehrerin namens Gabriele March, die 2015 von ihren Schüler:innen zur „Lehrerin des Jahres“ gewählt wurde, sehr oft zusammengearbeitet. Dadurch war ich oft dort, habe dieses Viertel kennengelernt und dachte, es wäre irgendwie interessant den Debütfilm an einem Ort zu drehen, der besonders ist. Damit meine ich nicht besonders eng oder besonders arm, sondern eher besonders in dem was ich persönlich davon mitnehmen kann und die dortige Mentalität, die sich auch in einer interessanten Art und Weise von meinem Leben unterscheidet.
Kannst du das genauer beschreiben?
Vielleicht ist es für mich besonders, weil es eine größere Herausforderung ist oder weil ich die Schüler:innenansprache nochmal anders als in der sonstigen Werkstattschule oder anderen sozialen Räumen gestalten muss. Es hat mir aber immer gefallen und ich war sehr gerne da. Das ist ja auch ganz entscheidend. Daraufhin haben wir, also ich und Stephan Buske, von „tidewater-pictures“, der mir auch bei den dortigen Ferienkursen geholfen hat, etwas entwickelt, haben dann noch eine Autorin getroffen und die hat dann aus der Idee etwas Konkretes gemacht. Also für den Gesamtprozess heißt das: Es entsteht etwas, über die Zeit trifft man weitere Partner:innen, man besucht sich und redet miteinander und daraus entwickelt sich das Projekt. Das meine ich mit organisch.
Schulprojekte, das TAKEOFF Event – Warum machst du so viele Projekte mit jungen Menschen?
Ich habe neulich jemanden beim Filmcasting gefragt, was seine Leidenschaft wäre. Er antworte und als ich fragte: „Warum?“, meinte er: „Einfach, weil ich‘s kann.“ Und da ist mir nochmal aufgefallen, dass man den Fakt, etwas wirklich zu können, nicht unterschätzen sollte. Dass manche Sachen einem einfach leichter fallen und andere schwerer. Manchmal strengt man sich an und reißt sich den Arsch auf, wird enttäuscht und das, was man ausdrücken will, kommt nie an. Aber die anderen Dinge, die einem irgendwie fast wie von alleine von der Hand gehen, kann man sehr schnell übersehen. Ich konnte zum Beispiel schon immer gut mit Jugendlichen, was ich bemerkt habe, als ich mit ungefähr 18 Jahren den ersten Kurs in Wismar mitmachte und merkte, dass ich mich sehr gut mit jüngeren Menschen verstehe und gar kein Bedürfnis habe, mich zu verstellen.
Also wieder die organische Herangehensweise?
Ja genau. Und wir haben dann ganz lange zusammengearbeitet. Irgendwann sind die Projekte professioneller geworden, ohne jedoch dieses besondere etwas, also diesen Zugang, zu verlieren. Und ich kann nicht genau sagen, ob das unter Authentizität läuft oder Leidenschaft ist, die man sehen kann und meine ganze Arbeitsweise glaubwürdig macht und somit den Jugendlichen signalisiert: „Ah okay, das ist der Typ, der den Film macht und der wird uns schon irgendwie helfen, wenn wir etwas brauchen.“ Das weiß ich nicht genau, aber die Projekte haben sich einfach total gut ergeben. Im Gegensatz zur Filmhochschule, bei der ich merkte, dass es unfassbar schwierig wirkt, Regie zu führen. Aber dann gab es einfach ein Projekt nach dem anderen und somit wurde für mich alles klarer und besser, bis ich irgendwann realisierte, dass ich damit auch Geld verdienen und Förderanträge stellen kann. Und somit ist am Ende, auch im Zuge des langjährigen Feedbacks, diese Filmprojektstruktur bzw. mein Arbeitsbereich entstanden.
Die ersten Anlaufstellen, die mir einfallen, wenn ich an filmische Ausbildungen denke, sind eher Babelsberg oder die HFF in München. Wie behaltet ihr die jungen filminteressierte Menschen in MV? Oder wie holt ihr sie euch zurück?
Da kommt es für junge Leute am Ende wirklich darauf an, was sie machen möchten. Mir persönlich war München schon immer zu weit. Da war eher die DFFB die große Adresse. Damals gab es für Regie z.B. an die 700 Bewerber:innen und du wurdest nach deinem N.C. genommen. Aber es gibt ja eine Fülle anderer Wege, neben Babelsberg, in die Filmbranche einzusteigen. Es muss oder will ja auch nicht jede:r Regisseur:in werden. Was die mannigfaltigen Möglichkeiten in MV betreffen, gibt es ja auch hier ein paar. Man kann in verschiedenen Städten eine Mediengestalter:innen Ausbildung machen oder zur Designakademie gehen. Oder fürs Schauspiel an die tolle HMT. Was Innenarchitektur und Graphikdesign anbelangt, kann man sich auch in Wismar umschauen, die dort jetzt, nebenbei bemerkt, eine ganz tolle Professorin für Gestaltung bekommen haben und im Zuge dessen auch Filme machen. Stephan [Buske] hat z.B. seine Mediengestalter:innen Ausbildung in Wismar abgeschlossen und wurde daraufhin, aufgrund seiner Filme in Berlin bei seinem Kamerastudium an der Filmhochschule angenommen. Und er war zwar in Berlin, ist aber aufgrund dessen, dass er von hier kommt, seine Leute kennt und Connections hat, wieder zurückgekehrt. Also MV ist einerseits sehr passend, um sich auf größere Dinge durch Erfahrungen vorzubereiten und andererseits immer noch gut genug, um sich bei Bedarf wirklich zu spezialisieren. Irma Heinig, die Tonfrau, hat letztens erzählt, dass sie hier im Zuge der, von Matthias Speer geleiteten Kurse der IfnM Medienwerkstadt erkannt hat, dass sie sich unfassbar für Ton interessiert. Dann hat sie an der HMT mit Carsten Storm die ganze Zeit Konzerte aufgenommen und sich nur mit Ton beschäftigt! Also wirklich „learning-by-doing“. In ihrem Fall hat sie dann die Bezeichnung „Zentrum in der Peripherie“ verwendet, was so viel bedeutet wie: „Du bist am Rand, also musst du rein.“ Im Anschluss kam sie zum großen Aufnahmeverfahren, da gibt es zwei dicke Schulen in Deutschland. Und da stand sie dann mit einem Haufen Leuten in der Reihe, die in ihrer Vita „Abbey Road Studios“ und L.A. und blablabla stehen hatten und dachte sich nur: „Oh fuck, die alte Provinzpomeranze kommt hier her und wird das nicht schaffen.“ Und dann schafft sie es, weil sie das kann! Ich meine, was machst du denn im „Abbey Road Studio“? Wahrscheinlich mehr Kaffee holen als alles andere. Einfach in Sachen reingeworfen zu werden, ein überschaubares Netzwerk und persönliche Kontakte zu haben, sind die Stärken unserer Gegend hier.
Welche Filmstrukturen bieten jungen Menschen also konkrete Anlaufstellen, um in die Filmwelt in MV einzusteigen?
Das woran du zum Beispiel teilgenommen hast, also das „TAKEOFF MV“ und „TAKEACTION“ Event. Die entstanden auch sehr organisch durch die Erkenntnisse der „Von Anfang Anders“ – Filmproduktion und Partner:innen, die drum herum sind. Die nehme ich auch als große Freund:innen- und Kolleg:innengruppe wahr bzw. einfach als Menschen, die sich schon sehr lange kennen. Die haben irgendwann einfach gemerkt, dass es ganz viele tolle junge Menschen gibt, die erstmal einfach irgendwas suchen. Deshalb lohnt es sich die Mühe zu machen, denen erstmal ein gutes Praktikum anzubieten und ihnen die Möglichkeit zu geben, sich als richtige Wundertüten zu entpuppen. Die gegenüberstehende Horrorvorstellung wäre so ein 14-tägiges Schüler:innenpraktikum, wo man sich unfassbar anstrengt und nichts zurückkommt. Und diese intensiven, gut ausgearbeiteten Praktika über längere Zeiträume, lassen dann Raum für wunderbare, gemeinsame Erfahrungen, nach denen man sich dann fragt, warum man von diesen jungen Leuten noch nie etwas gehört hat. Das ist uns jetzt bestimmt drei Mal passiert und dann waren wir überzeugt: Davon gibt’s doch bestimmt noch mehr und wir müssen irgendwas machen, damit die Leute, die ihre ersten Schritte gehen, sich organisieren und vernetzen können. Wir wussten nicht, ob man das im „do-it-yourself“ – Modus macht oder ob wir mal alle zusammenkommen, darüber reden und Strukturen erklären sollten und sind am Ende bei der Entwicklung vom „TAKEOFF MV“ gelandet. Wenn es um Drehbuchentwicklung geht, ist die „Logline-Unit“ die richtige Anlaufstelle für Leute, die zusammenkommen wollen. Zum „Drehbuchcampus Nordost“ von Jens Becker geht man meistens, wenn man schon zwei, drei, vier Drehbücher geschrieben hat und gerne eine Förderung haben möchte. Dort bewirbt man sich und geht gemeinsam die Wege, die noch zur Einreichung bei der „MV-Filmförderung“ fehlen.
Wem würdest du denn eine Bewerbung bei der „MV-Filmförderung“ empfehlen? Stoffentwicklung, Produktion, Projektentwicklung und Talentförderung sind ja nur ein paar Beispielschlagwörter für die dortigen Förderungsmöglichkeiten. Kann da jede:r mitmachen?
Prinzipiell kann da jede und jeder mitmachen. Meiner Meinung nach sind die „Logline-unit“ und das „TAKEOFF“ gute Möglichkeiten, um sich und sein Projekt zu überprüfen. Aber das muss man auch nicht. Also eine Geschichte zu schreiben und diese in eine Gruppe von Leuten hineinzugeben, die keine ausgeschriebenen Expert:innen sind, sondern die das erstmal interessiert und dir in einer Blitzlichtrunde ein allgemeingültiges, auf Augenhöhe ausgelegtes Feedback zu deinem Stoff geben. Man braucht für diese blitzlichtartige Dynamik vielleicht ein bisschen Übung, aber man bekommt dadurch meistens schnell ein Gefühl für die noch offenen Fragen im eigenen Skript. Und wenn man dann den Mut oder die Kritikfähigkeit oder Zuversicht hat, dass man sich nochmal ran setzt und erkennt, dass Lernen ein Leben lang dauert, kann man damit auch viel anfangen. Auch die Gruppe gibt sich Mühe konstruktiv und wertschätzend zu sein, was wahrscheinlich dazu führt, dass man Dinge nochmal überdenkt und eher verstärkt aus so einer Runde rausgeht. Aber ein bisschen Klugscheißerei und Fehlinterpretation ist auch immer dabei.
Aber ist das für Menschen mit mehr Erfahrung nicht auch teilweise gerechtfertigt?
Das würde ich nicht sagen. Ich und Max gehören auch zu den Leuten, die oft einfach zu lange reden und immer etwas sagen müssen. Da müsste man sich schon darin üben, sich mehr zurückzuhalten oder Dinge, die man loswerden möchte, nochmal zu überdenken. Oder auch einfach mal den Mund zu halten, vor allem, wenn ich vielleicht auch einfach nichts mit dem Stoff anfangen kann und merke, dass das was ich sagen möchte einfach nur einer persönlichen Geschmackssache zu Grunde liegt und ich im Moment gar nichts Verstärkendes zu sagen habe. Dass ich einfach erstmal zuhören sollte. Eigentlich ist auch das Tolle an der „Logline-unit“, dass du teilweise so aufgeregt bist, wenn du deinen Stoff vorstellst, dass du einfach nur ein langes „beep“ im Kopf hast, allerdings bei den Präsentationen der anderen Drehbücher Leute kennenlernst, deren Ideen dir so gut gefallen, dass du am Ende ein gemeinsames Projekt machen willst. Oder man findet ein:e Partner:in, der man langfristig seine Stoffe zeigt, da man deren Herangehensweise sehr schätzt. Man lernt sowieso sehr viel über den eigenen Text, wenn man ihn jemand anderem vorliest. Dann entstehen auch oft die Momente, wo man sich sofort nach dem Austausch hinsetzen möchte und überarbeiten will. Allgemein muss man, wenn man diese Förderung beantragen will, immer ein Beratungsgespräch wahrnehmen. Man darf sein Drehbuch also nicht einfach so hinschicken, sondern legt mit Gesine Eschen oder Marco Voss einen ihrer kostenlosen Termine fest, um all diese Fragen, die immer wieder aufkommen, zu klären. Also was man vorhat und wie man letztendlich dahin kommt.
Die letzte Frage wäre: Was wünscht du dir für die Filmwelt MV?
Ich bin ja soeben in dieser lokalen Nachwuchsarbeit verankert, was auch relativ anstrengend ist, komme aus Wismar und bin am Ende in Rostock gelandet. Punkt. Das ist das Ende meiner Reise. Hier lebe ich immer noch mit meiner Familie und hier lebe ich auch sehr gerne. Damals habe ich angefangen Filme entweder für mich selbst zu machen oder um sie meinen Freund:innen zu zeigen. Dann habe ich die anderen Filmmenschen auch im Festivalkontext kennengelernt, aber es gab eine lange Zeit, in der ich nicht wusste wohin mit mir, auch weil ich irgendwie ein ganz seltsames, schreckliches Praktikum hatte, in dem ich mir wie ein Vollidiot vorgekommen bin und das Gefühl hatte, dass ich nicht so clever wie die anderen bin, auch nicht da und dort studiert habe etc. Und deshalb wünsche ich Leuten viel mehr Möglichkeiten sich auszuprobieren, weil man sich manchmal an einem Platz einfach nicht wohl fühlt und es andere Anlaufstellen braucht, um nicht aufzugeben und als bunter Vogel einen Ort zu finden, der zu einem passt. Wenn es so verschiedene Projekte und Inseln gibt, wo unterschiedliche Menschen zusammenkommen, die dranbleiben und die man ansprechen kann, dann ist man nicht allein und hat nicht das Gefühl des „Alles oder Nichts“ oder dass man mit seinen Ideen nicht ernst genommen wird. Oder wo man sich über Themen wie Landespolitik austauschen muss, die einem in dem Moment gar nicht interessieren. Max hat dann auch gesagt, dass er einfach nur einen Film drehen möchte und dazu das und das Equipment braucht und sich das ausleihen möchte. Und manchmal ist es auch nur das! Dann muss das jemand fünf Jahre selbst machen und wenn dann jemand anderes wieder etwas braucht, hilft man weiter, sodass jede:r seinen oder ihren Weg gehen kann und sich auch angenommen fühlt.