Von Sandeep Preinfalk // Grafik von Marie Kurz-Filipski
Die diesjährige Bundestagswahl ist wohl eine der spannendsten und unvorhersehbarsten der letzten Jahrzehnte. Denn nur selten blieb die Frage nach den neuen Kanzlerkandidierenden und der Zusammensetzung des Bundestags so kurz vor der Wahl dermaßen offen. Das weckt die Hoffnung auf Veränderung, birgt aber auch Gefahren.
Für viele waren die Ergebnisse der letzten Bundestagswahl schon sehr überraschend. Die SPD hatte gravierende Stimmen einbuße und ihr schlechtestes Ergebnis seit 1949 zu verzeichnen. Auch die CDU musste ein historisches Tief und ihr niedrigstes Wahlergebnis seit 1949 akzeptieren. Zugleich erreichte die AfD erschreckende 12 Prozent und wurde zu einer ernst zu nehmenden Bedrohung. Allerdings gewannen die CDU und SPD zusammen ausreichend Stimmen und konnten folglich die traditionelle Große Koalition bilden. Damit ergaben sich vorerst keine besonderen Neuerungen für die Regierungsführung. Nichtsdestotrotz lag die Vermutung nahe, dass die CDU und vor allem die SPD ihre Rolle als Volkspartei allmählich verlieren und sich schon bald neue Koalitionen herausbilden könnten.
Diese Annahme scheint sich teilweise zu bewahrheiten. Während die CDU in den letzten Monaten an Beliebtheit und Glaubwürdigkeit verloren hat, gelang es der SPD, eine Vielzahl an Bürger:innen zu überzeugen. Darauf weisen diverse Umfragen zur Bundestagswahl und Kanzlerfrage hin. Dementsprechend droht der CDU eine historische Niederlage, wohingegen die SPD einen Aufbruch erleben könnte. Auch die Grünen haben eine bemerkenswerte Entwicklung vorzuweisen. Sie erfuhren seit 2017 einen starken Zuwachs und verkörpern nach aktuellen Umfragen die drittstärkste Partei. Der Auf- und Abschwung der Parteien hat vielfältige Ursachen und wurde durch diverse Faktoren beeinflusst (Coronakrise, Klimawandel, Bildungs- und Rentenlücken, soziale Ungerechtigkeit usw.).
Dabei ist aber besonders auffällig, dass vor allem die Ereignisse in den letzten Monaten für die Stellung der Parteien verantwortlich sind. Noch vor wenigen Monaten sahen sich die CDU und Grünen an der Spitze und rangen um den ersten Platz. Doch nur kurze Zeit später sollten beide ihre Stimmen an die SPD und andere Parteien verlieren. Grund dafür waren wahrscheinlich die zahlreichen Ausfälle und Unzuträglichkeiten der Kanzlerkandidierenden Annalena Baerbock und Armin Laschet sowie die ihrer Anhängerschaft. Jedoch erklärt dies allein nicht die äußerst wechselhafte Stimmungslage der Bevölkerung. So kommt vermutlich hinzu, dass viele Bürger:innen derzeit unentschlossen sind und demnach noch keinen klaren politischen Standpunkt vertreten oder ihn noch keiner Partei eindeutig zuordnen können. Daraus resultiert eine Wahlkampfphase, in der alle Parteien eine nicht unbeträchtliche Zahl an Wähler:innen jederzeit und bis zum letzten Augenblick zu erobern beziehungsweise zu verschrecken vermögen. Das erhöht aber das Risiko, dass sich die Parteien eines populistischen Stils bedienen und die Bürger:innen durch unrealistische Zielsetzungen oder einer emotional geladenen Rhetorik zu vereinnahmen versuchen.
Zum Teil ist eine solche Vorgehensweise schon jetzt zu erkennen, wenn beispielsweise Armin Laschet (und die CDU generell) vor den Auswirkungen einer potenziellen Rot-Rot-Grünen Koalition warnt und Untergangsszenarien heraufbeschwört. So wirft er ihnen vor, die Politik ausschließlich nach ihren Ideologien auszurichten und die Bedürfnisse der Gesellschaft dabei zu vergessen. Umgekehrt hält sich auch Annalena Baerbock nicht unbedingt mit Unterstellungen zurück, wenn sie behauptet, dass die CDU und SPD aus Fahrlässigkeit oder gar absichtlich den Klimawandel vorantreiben. Ob man die Vorwürfe der Kanzlerkandidierenden jeweils als einen Versuch der Täuschung oder ernst zu nehmende Kritik wertet, ist jedem selbst überlassen. Jedoch sollte man dabei bedenken, dass alle Parteien nur allzu gerne übertreiben und Fakten zu ihren Gunsten drehen.
Fast alle Parteien, die eine reale Chance haben, die Fünfprozenthürde zu überwinden, weisen trotz unterschiedlicher oder gegensätzlicher Ansichten einen demokratischen Kern auf. Die einzige Ausnahme ist die AfD, welche verfassungswidrige Inhalte vertritt. Sie missachtet Grundrechte und verfolgt fragwürdige Zielsetzungen. So leugnet sie zum Beispiel den Klimawandel und tätigt regelmäßig fremdenfeindliche Äußerungen. Dennoch erreicht sie in den Wahlumfragen zweistellige Ergebnisse und wird voraussichtlich in das Parlament einziehen. Somit stellt sie die wohl größte Herausforderung für die Bundestagswahl und bevorstehende Legislaturperiode dar.
Insgesamt lässt sich festhalten, dass seit der letzten Bundestagswahl einiges passiert ist. Die CDU muss ihre Führungsposition möglicherweise abgeben, während die Grünen ihren größten Wahlerfolg überhaupt erzielen könnten. Die SPD profitiert aus den letzten Geschehnissen und wird wohl ihre Rolle als Volkspartei wieder einnehmen. Die Linke hat Stimmenverluste zu beklagen und bei der FDP gab es kaum erwähnenswerte Veränderungen. Letzteres trifft auch auf die AfD zu, die zwar keine neuen Wähler zu überzeugen vermochte, aber auch ihres Einflusses nicht beraubt werden konnte.
Quellen:
Das Erste: Bundestagswahl 1949 (https://www.tagesschau.de/wahl/archiv/1949-08-14-BT-DE/ [11.09.2021]).
Meyer, Robert(ZDF): Bundestagswahl: Wie steht es in den Umfragen? (https://www.zdf.de/nachrichten/politik/bundestagswahl-2021-umfragen-100.html [11.09.2021]).
Zeit Online: Armin Laschet warnt vor Rot-Rot-Grün (https://www.zeit.de/politik/deutschland/2021-08/cdu-bundestagswahl-2021-armin-laschet-wahlkampf-berlin?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F [11.09.2021]).
Der Tagesspiegel: Baerbock wirft Union und SPD „Klima-Hasenfüßigkeit“ vor (https://www.tagesspiegel.de/politik/koalition-gefaehrde-den-industriestandort-baerbock-wirft-union-und-spd-klima-hasenfuessigkeit-vor/27492902.html [11.09.2021]).